Kiautschou

Schönen Gruss aus Kiautschou

Kiautschou

Verwaltungszentrum Tsingtau

Die Kiautschou-Bucht wurde 1898 mit Hinterland von China mit allen Hoheitsrechten auf 99 Jahre an das Deutsche Reich verpachtet.

Ich bin ein Deutscher
Gruss aus Kiaotschau, Ich bin ein Deutscher

Pachtgebiet Kiautschou

Kiautschou
Kiau-Tschou

Größe:

552 km², zuzüglich eines 50 km breiten neutralen Streifen.

Pachtgebiet = Hamburg.

Einflussgebiet = ½ Sachsen.

Kiautschou-Bucht mit Tsingtau
Kiautschou-Bucht mit Tsingtau

Gouverneure (Reichsmarineamt):

  • 07.03.1898 – 19.02.1899 Carl Rosendahl, Kapitän zur See (1852 – 1917)
  • 19.02.1899 – 27.01.1901 Otto Ferdinand Paul Jäschke, Kapitän zur See (1851 – 1901)
  • 27.01.1901 – 08.06.1901 Max Rollmann, Kapitän zur See (provisorisch)
  • 08.06.1901 – 19.08.1911 Oskar von Truppel, Kapitän zur See (1854 – 1931)
  • 19.08.1911 – 07.11.1914 Alfred Meyer-Waldeck, Kapitän zur See (1864 – 1928)
Kiautschou-Bucht. Besetzung 1898
Kiautschou-Bucht. Besetzung 1898

Kiautschou, deutsches Pachtgebiet in der chinesischen Provinz Schantung, benannt nach der Kiautschoubucht und der früher an dieser belegenen, jetzt ganz verlandeten und unansehnlich gewordenen Stadt Kiautschou („Leimstadt“ nach dem Kiauhö, „Leimfluss“), umfasst 515 km² und hat 84.000 Einwohner. Das Pachtgebiet erstreckt sich hauptsächlich auf die beiden nach SW., bez. NO. gerichteten Halbinseln, die den Eingang in die 33 km lange, 26 km breite und etwa 550 km² große Kiautschoubucht flankieren, und auf die der Bucht vor- und eingelagerten Inseln sowie auf einen schmalen, um die Bucht laufenden Landstreifen, der die beiden auf den Halbinseln gelegenen Bezirke miteinander verbindet.

Kiautschou-Bucht. Schlägt seine Krallen in ein Land der deutsche Aar, So ist es deutsch und bleibt es immerdar!
Kiautschou-Bucht. Schlägt seine Krallen in ein Land der deutsche Aar, So ist es deutsch und bleibt es immerdar!

Die Grenzlinien wurden durch eine deutsch-chinesische Kommission festgelegt, die ihre Arbeiten am 10. Oktober 1898 beendete. Nach dem Land zu wird das Pachtgebiet von einer neutralen Zone zu 50 km Breite umschlossen, einschließlich derer das Gebiet eine Fläche von 7100 km² besitzt; in der neutralen Zone bedarf China für jede Maßnahme der deutschen Zustimmung.

Schönen Gruss aus Kiautschou
Schönen Gruss aus Kiautschou

Die Kiautschoubucht liegt auf der südöstlichen Seite der Halbinsel Schantung, wo diese an den Rumpf des Festlandes ansetzt. Von den zahlreichen der fast genau nach O. gerichteten Einfahrt vorgelagerten sämtlich zum Pachtgebiet gehörigen Riffe und Inseln sind die wichtigsten Tai-kungtau und Tschu-tscha-tau (Round Island); weiter ab liegen die Inseln Fu-tau vor dem Eingang des Lauschan-Hafens auf der Südseite der östlichen Halbinsel und die erheblich größere Insel Tolo-schan (Schuiling-schan) südlich der westlichen Halbinsel.

Kiautschou, Ich bin ein Deutscher
Kiautschou, Ich bin ein Deutscher

 Innerhalb der Einfahrt liegt die niedrige Insel Tschi-posan oder Hwang-tau, im nördlichen Teil der Bucht die große Insel Yin-tau (Kartoffelinsel) Der randliche Teil der Bucht ist stark versandet, so dass weite Strecken bei Ebbe trocken gelegt werden und die beiden letztgenannten Inseln fast schon verlandet sind.

Gruss aus Kiautschou
Gruss aus Kiautschou

Die Bucht friert selbst in strengen Wintern nur in den flachen, für Seeschifffahrt unwichtigen Teilen zu. Die Einfahrt ist 3,4 km breit, 24–40 m tief und bietet gute Ankerplätze mit 12–20 m Tiefe. Von den auf die beiden Halbinseln beiderseits entfallenden Bezirken des Pachtgebiets ist der auf der östlichen Seite, an dessen Spitze sich der Hauptort Tsingtau befindet, der größere. Die am weitesten gegen die Einfahrt vorspringenden Punkte der Halbinseln sind die Landzunge an der Iltisbucht auf der östlichen und das Kap Jäschke (Kap Evelyn) auf der westlichen Seite. Die größere östliche Halbinsel ist verhältnismäßig wenig gegliedert, während in die westliche von N. die Hai-hsi-Bucht und von S. die Arkona-See tief einschneiden.

Mein schönes Fräulein dürft ich's wagen?
Mein schönes Fräulein dürft ich’s wagen?

Besatzungstruppen:

III. Seebataillon (Cuxhaven)

Letzter Kommandeur: von Kessinger

Gesamtbevölkerung:

200.000, 4.500 Weiße, ca. 400 Deutsche (Stand 1912)

5 Dollar Deutsch-Asiatische Bank, 1907
5 Dollar Deutsch-Asiatische Bank, 1907

Währung:

Mark und Pfennig, ab 1905 Dollar und Cents (chinesische Dollarwährung)

200 Dollar Deutsch-Asiatische Bank 1914
200 Dollar Deutsch-Asiatische Bank 1914

Verwaltung:

Die oberste Verwaltung liegt in den Händen eines Gouverneurs, dem ein Gouvernementsrat und zur Beratung in chinesischen Angelegenheiten versuchsweise ein chinesisches Komitee von zwölf Mitgliedern zur Seite gestellt sind. Das Gouvernement hat gegenüber den heimischen Behörden die größtmögliche Selbständigkeit, hat aber große Freiheit bezüglich der Selbstverwaltung, des Handels und des Gewerbebetriebes gewährt. Die Regierung hat überall das Verkaufsrecht auf Grundstücke und übernimmt den Landverkauf teilweise selbst. Angekauft wurden 1902/03 von der Regierung rund 196, verkauft rund 15 Hektar. Dafür bleibt die Regierung an einer beim Weiterverkauf der Grundstücke sich ergebenden Preissteigerung beteiligt.

Kiautschou, Unsere jüngsten Colonisten
Kiautschou, Unsere jüngsten Colonisten

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Unsere Blaujacken. And're Städtchen, and're Mädchen
Unsere Blaujacken. And’re Städtchen, and’re Mädchen

Wirtschaft:

Steuern werden erhoben: Grundsteuer, Verkaufssteuer für Opium, Abgaben für Hafen und Leuchtfeuer, Hundesteuer, Jagdgebühren, Gewerbescheingebühren, Stempelabgaben, Gerichtsgebühren. Immerhin hat das Deutsche Reich bisher fast die gesamten Ausgaben bestritten. Die Einnahmen beliefen sich 1901/02 auf 495.990 Mark, während der deutsche Etat von 1904 einen Reichszuschuss von 12.583.000 Mark für Kiautschou eingestellt hat.

Tsingtau, Germania-Brauerei
Tsingtau, Germania-Brauerei

Die Germania-Brauerei wurde 1901 in Tsingtau gegründet. Inzwischen ist sie eine der größten Brauereien Chinas. „Tsingtao“-Bier kann man auch in Deutschland kaufen.

Tsingtau, Germania-Brauerei
Tsingtau, Germania-Brauerei

Die deutsche Besatzung in Tsingtau besteht regelmäßig aus einem Seebataillon, einer Feldbatterie und einer Abteilung Matrosenartillerie. Dazu kommt eine Chinesentruppe von 120 Mann unter deutschen Offizieren; auch für den Polizeidienst werden teilweise Chinesen verwendet.

Kiautschou, Fort von Chin-tau-kau. Major Kopka von Lassow und Kapitänleut. Franz Grapow
Kiautschou, Fort von Chin-tau-kau. Major Kopka von Lassow und Kapitänleut. Franz Grapow

Die Besetzung der zur chinesischen Provinz Schantung gehörigen Kiautschou-Bai und des um die Bai gelegenen Bezirks durch Deutschland erfolgte am 14. November 1897 durch die Landung der unter dem Befehl des Vizeadmirals von Diederichs stehenden deutschen Truppen.

1. Ostasiatisches Panzergeschwader
1. Ostasiatisches Panzergeschwader

Durch Vereinbarung mit der chinesischen Regierung sind dem Deutschen Reich für die Dauer der vereinbarten Pachtzeit von 99 Jahren alle der chinesischen Regierung zustehenden Hoheitsrechte übertragen worden.

Kiautschou, Tsingtau, Bismarckkaserne
Kiautschou, Tsingtau, Bismarckkaserne

Es steht der deutschen Regierung frei, innerhalb des überlassenen Gebietes alle nötigen Baulichkeiten und Anlagen zu errichten und für den Schutz derselben die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Das überlassene Gebiet umfasst die gesamten inneren Wasserbecken der Kiautschou-Bucht bis zur Hochwassergrenze, ferner die südlich und nördlich von dem Eingang der Bucht liegenden grösseren Landzungen bis zu deren natürlichen Abgrenzung durch die geeigneten Höhenzüge‚ sowie die innerhalb der Bucht und vor derselben gelegenen Inseln.

Kiautschou, Tsingtau, Bismarckstraße
Kiautschou, Tsingtau, Bismarckstraße

 

Briefmarken:

Eine deutsche Postagentur ist am Hauptsitz der Regierung in Tsingtau eröffnet worden. .

Eine vierzehntägige Postdampfer-Verbindung zwischen Kiautschou- Bucht und Schanghai ist eingerichtet.

Kiautschou 1 Cent, 1905
Kiautschou 1 Cent, 1905
Kiautschou 4 Cents, 1905
Kiautschou 4 Cents, 1905
Kiautschou 2 1/2 Dollar, 1905
Kiautschou 2 1/2 Dollar, 1905

Geschichte:

1860
Expedition der preußischen Kriegsschiffe „Arcona„, „Thetis“ und „Frauenlob“ nach China. „Frauenlob“ geht am 2. September 1860 im Taifun vor Yokohama verloren.

1861
Handelsvertrag zwischen China und Preußen.

Ferdinand Freiherr von Richthofen

Ferdinand Freiherr von Richthofen

* 05.05.1833 in Karlsruhe in Schlesien, † 06.10. 1905, Berlin, Von 1868 bis 1871 unternahm er sieben große Reisen nach China und legte damit auch die Grundlage zum Erwerb des Pachtgebietes Kiautschou.

1868 – 1871
Freiherr von Richthofen unternimmt sieben große Reisen nach China und weist auf die künftige Rolle Kiautschous als Flottenstützpunkt hin. Auf diese Landeskenntnis beruft sich Admiral von Tirpitz, als er einen solchen Stützpunkt in Asien sucht.

1886
Die Reichspost eröffnet Poststellen in China.

23. Juli 1896
Das deutsche Kriegsschiff S.M.S. Iltis fällt einem Taifun zum Opfer, auch der Kommandant, Kapitänleutnant Braun, ertrinkt. Er war von Admiral von Tirpitz beauftragt worden, die Bucht von Kiautschou auf ihre Eignung zum Flottenstützpunkt zu untersuchen.

1. Kreuzerdivision vor Kiautschou S.M.S. Arkona, S.M.S. Irene, Flaggschiff Kaiser, S.M.S. Prinzess Wilhelm, Vizeadmiral Otto von Diederichs
1. Kreuzerdivision vor Kiautschou S.M.S. Arkona, S.M.S. Irene, Flaggschiff Kaiser, S.M.S. Prinzess Wilhelm, Vizeadmiral Otto von Diederichs

1. November 1897
Nachdem die deutschen katholischen Missionare Nies und Henle in China ermordet wurden, gibt Kaiser Wilhelm II. den Befehl zur sofortigen Besetzung der Kiautschou-Bucht. Das ostasiatische Geschwader, bestehend aus S.M.S. Kaiser, S.M.S. Prinzess Wilhelm und S.M.S. Cormoran (später noch S.M.S. Irene und S.M.S. Arcona [II]) begeben sich unter Befehl des Konteradmirals Otto von Diederichs (1843 – 1918) nach Kiautschou um die dortige Bucht nebst Befestigungen zu besetzten. Diese Aktion war keinesfalls eine spontane Reaktion auf die Ermordung der Deutschen, sondern nur der offizielle Vorwand eines über Jahre sorgfältig vorbereiteten Unternehmens.

Kiautschou, Tsingtau, Diederichsstein
Kiautschou, Tsingtau, Diederichsstein

1898
In Tsingtau eröffnet eine deutsche Postagentur.

6. März 1898
Abschluss eines Pachtvertrages Deutschlands mit der chinesischen Regierung auf 99 Jahre über ein an der Kiautschoubucht gelegenes Gebiet. Der deutsche Handel mit China beläuft sich 1897 bereits auf 80 Millionen Mark, während im gleichen Jahr der Gesamthandel mit den deutschen Schutzgebieten erst 35 Millionen Mark ausmacht.

Kiautschou, Tsingtau, Chinesische Handkarren
Kiautschou, Tsingtau, Chinesische Handkarren

27. April 1898
Das vertraglich bestimmte Pachtgebiet von Kiautschou wird offiziell unter deutschen „Schutz“ genommen. Die Deutschen errichten eine Musterkolonie. Das kleine Fischerdorf TsingTau entwickelt sich schnell zu einer modernen Stadt. Dank einer modernen Trinkwasseranlage und Abwasserversorgung zählt Tsingtau zu den gesündesten Städten und entwickelt sich zu einer blühenden Stadt, die Bevölkerung wächst von 83.000 auf ca. 200.000 Menschen im Jahr 1914 an.

1. Juni 1899
In Tsingtau wird ein Stadtfernsprechdienst eröffnet.

Dezember 1900
Das Pachtgebiete Kiautschou erhält Anschluss an das Welttelegrafennetz durch die deutschen Kabel Schanghai-Tsingtau und Tschifu-Tsingtau.

Kiautschou, Tsingtau, Gouverneurs Wohnhaus
Kiautschou, Tsingtau, Gouverneurs Wohnhaus

1900/01
Der Boxeraufstand in China wird von einem internationalen Expeditionskorps, hauptsächlich bestehend aus Russen und Japanern, blutig niedergeschlagen. Später wird Generalfeldmarschalls Graf von Waldersee Oberbefehlshaber der internationalen Streitkräfte.

Februar 1901
Im Pachtgebiet Kiautschou werden die deutschen Kolonialmarken 1901 (mit Schiffsmotiv) eingeführt, nachdem bis dahin die deutschen Inlandswert-Zeichen mit Aufdruck „China“ benutzt worden sind.

8. April 1901
Die erste Teilstrecke der Shantungeisenbahn Tsingtau-Kiautschou wird eröffnet.

Kiautschou, Tsingtau, Prinz Heinrichstraße
Kiautschou, Tsingtau, Prinz Heinrichstraße

1904
Eröffnung der Mole 1 des neuen Überseehafens für Ozeandampfer.

17. Juni 1907
Die Deutsch-Asiatische Bank in Tsingtau gibt eigene Banknoten aus.

25. Oktober 1909
Die deutsch-chinesische Hochschule in Tsingtau wird eröffnet.

1913
Eine Monatsschrift, der „West-östliche Bote“, in deutscher Sprache mit chinesischen Anmerkungen, erscheint erstmals.

Kiautschou, Tsingtau, Friedrichstraße
Kiautschou, Tsingtau, Friedrichstraße

15. August 1914
Japanisches Ultimatum zur bedingungslosen Übergabe Tsingtaus wird von der deutschen Regierung unbeantwortet gelassen.

5. September 1914
Weit überlegene japanische Truppenverbände greifen völkerrechtswidrig vom neutralen chinesischen Gebiet aus an. Die Japaner landen in Kiautschou und beginnen mit der Beschießung Tsingtaus.

15. August 1914
24 Stunden Ultimatum der Japaner zur bedingungslosen Übergabe (ca. 4800 Deutsche stehen ca. 65.000 Japanern gegenüber). Das Ultimatum bleibt unbeantwortet. Kapitän zur See Meyer-Waldeck telegrafiert am 23.08.1914 an Kaiser Wilhelm II. : „Einstehe für Pflichterfüllung bis zum äußersten„.

Kiautschou, Tsingtau, Gouvernements-Lazarett
Kiautschou, Tsingtau, Gouvernements-Lazarett

27. August 1914
Blockade des Pachtgebietes durch englische und japanische Kriegsschiffe.

2. September 1914
1. Landungswelle von 2000 Engländern und 2300 Japaner. Deutsche Hilfskreuzer und der österreichische Kreuzer Kaiserin Elisabeth greifen in die Kämpfe ein.

Beschießung der japanischen Stellungen von Tsingtau durch S.M. Kanonenboot Jaguar und den österreichischen Kreuzer Kaiserin Elisabeth.
Beschießung der japanischen Stellungen von Tsingtau durch S.M. Kanonenboot Jaguar und den österreichischen Kreuzer Kaiserin Elisabeth.

 

26./27. September 1914
Rollende Sturmangriffe der japanischen und englischen Truppen. Sie erleiden schwere Verluste, der Eroberungsversuch der Festung wird vereitelt.

28. September 1914
Völlige Einschließung der Kolonie auch von Land her.

Kiautschou, Tsingtau, Iltiskaserne
Kiautschou, Tsingtau, Iltiskaserne

Anfang Oktober 1914
Die deutsche Besatzung verteidigt sich mit aller Entschlossenheit. Oberleutnant zur See Plüschow „der Flieger von Tsingtau“ mit seinem Flugzeug (Typ Taube) unternimmt er immer wieder Angriffe auf japanische Schiffe.

Gunther Plüschow

Gunther Plüschow

* 08.02.1886 in München, † 28.01.1931 in Argentinien (Flugzeugabsturz). Der Flieger von Tsingtau.

17. Oktober 1914
Das deutsche Torpedoboot „S90“ unter dem Kommando von Kapitänleutnant Brunner durchbricht die Blockade und versenkt den japanischen Kreuzer „Takatschio“.

Torpedoboot S90 versenkt den japanischen Kreuzer Takatschio
Torpedoboot S90 versenkt den japanischen Kreuzer Takatschio

29. Oktober 1914
Das Gebiet wird 9 Tage und Nächte von Land und See aus beschossen. S.M.S. Iltis wird von der eigenen Mannschaft versenkt.

31. Oktober 1914
Zum Geburtstag des japanischen Kaisers unternehmen die Japaner einen vergeblichen Generalsturm.

Vergeblicher Sturmangriff der Japaner und Engländer auf Tsingtau
Vergeblicher Sturmangriff der Japaner und Engländer auf Tsingtau

7. November 1914
Den deutschen und österreichischen Truppen geht die Munition aus, damit endet die Verteidigung Tsingtaus. Die deutschen Kriegsschiffe sowie der Kleine Kreuzer Kaiserin Elisabeth der k. u. k. Kriegsmarine werden von der eigenen Besatzung versenkt. Die Festung kapituliert unter ehrenvollen Bedingungen. Die Besatzung wird in eine 5 Jährige Kriegsgefangenschaft nach Japan abtransportiert. Der deutsche Pilot Gunther Plüschow, „Der Flieger von Tsingtau“, erhält vorher den Befehl die Stadt mit wichtigen Dokumenten zu verlassen. Er erreicht nach abenteuerlichem Fluge die Heimat.

Mitsuomi Kamio (1856 – 1925) übernimmt als japanischer Militärgouverneur von 1914 bis 1919 das Pachtgebiet Kiautschou.

Kiautschou, Tsingtau, 6. Oktober 1914. Beim ersten Sturm auf die Infanteriewerke von Tsingtau wurden die vereinigten Japaner und Engländer mit einem Verlust von 2500 Mann zurückgeschlagen
Kiautschou, Tsingtau, 6. Oktober 1914. Beim ersten Sturm auf die Infanteriewerke von Tsingtau wurden die vereinigten Japaner und Engländer mit einem Verlust von 2500 Mann zurückgeschlagen

März 1917
Abschluss eines englisch-japanischen Geheimvertrages über die Abtretung Kiautschous sowie der sonstigen Rechte und Privilegien Deutschlands in Schantung an Japan.

Die Helden von Tsingtau im japanischen Gefangenlager.
Die Helden von Tsingtau im japanischen Gefangenlager.

1919
Der Versailler Vertrag bestimmt in seinen Artikeln 156 bis 158, dass das Deutsche Reich alle seine Rechte am Kiautschou-Gebiet, ebenso Eisenbahnen, Bergwerke und Unterseekabel entschädigungslos an Japan abtreten muss.

Alfred Meyer-Waldeck

Alfred Meyer-Waldeck

* 27.11.1864 in Sankt Petersburg (Russland), † 25.08.1928 in Bad Kissingen, Gouverneur des Pachtgebietes Kiautschou von 1911 bis 1914

Alfred Meyer-Waldeck blieb bis 1920 in japanischer Kriegsgefangenschaft. Er wurde danach rückwirkend zum Vizeadmiral befördert.

1922
Kiautschou wird an China zurückgegeben.

Qingdao, das alte Tsingtau ist heute eine Hafenstadt in der ostchinesischen Provinz Shandong. Die Stadt ist für ihr Tsingtao-Bier, das auf die alte Germania-Brauerei aus der deutschen Kolonialzeit zurückgeht, bekannt. Die Altstadt ist von deutscher Architektur geprägt. In Qingdao leben heute ca. 4 Millionen Einwohner.

Kiautschou, Karte 1912
Kiautschou, Karte 1912
Tsingtau, Stadtplan
Tsingtau, Stadtplan

Quellenhinweise:

  • „Deutschlands Kolonien“ von Rochus Schmidt Verlag des Vereins der Bücherfreunde Schall & Grund 1898
  • „Großes Lehrbuch der Geographie“ E. von Seydlitz, Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1902
  • „Harms Vaterländische Erdkunde“ 7. Auflage Braunschweig und Leipzig Hellmuth Wollermann 1906
  • „Konversationslexikon“, Leipzig und Wien 1909
  • „Die deutschen Kolonien“ Geographie, E. von Seydlitz – Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1910
  • „Deutschlands Kolonien“ von W. Scheel Verlagsanstalt für Farbfotographie Weller & Hüttich 1912
  • „Die deutschen Kolonien“ Herausgegeben von Kurd Schwabe Nationalausgabe – Band I/II 1914
  • „Deutsches Kolonial-Lexikon“ Leipzig 1920
  • „Der Kampf um unsere Schutzgebiete – Unsere Kolonien einst und jetzt“ von P. Jos. M. Abs Düsseldorf 1926
  • zeitgenössische Postkarten mit ihren originalen Bildunterschriften.

Im Sinne der Wiederherstellung des Deutschen Reiches aus https://deutsche-schutzgebiete.de/wordpress/kolonien-blog/ am 03.03.2020 entnommen.




Samoa

Talofa Samoa, Unsere neuen Landsleute

Samoa

Verwaltungszentrum Apia

Deutsche Kolonie von 1900 bis 1919

Samoa, Apia, Talofa Samoa (Gruss aus Samoa)
Samoa, Apia, Talofa Samoa (Gruss aus Samoa)

Samoa (Deutsch-Samoa)

Wappen:

Samoa, Wappen (Entwurf)
Samoa, Wappen (Entwurf)

Größe:

  • Savaii 1707 km²,
  • Upolu 868 km²,
  • Manono und Apolima 13,2 km²

Zusammen 2588 km²

Samoa oder Schiffer-Inseln
Samoa oder Schiffer-Inseln

Gouverneure:

  • 01.03.1900 – 19.12.1911 Dr. Wilhelm Heinrich Solf (1862 – 1936)
  • 19.12.1911 – 29.08.1914 Dr. Erich Schultz-Erwerth (1870 – 1935)
Flaggenhissung auf Samoa am 1. März 1900
Flaggenhissung auf Samoa am 1. März 1900

Bevölkerung:

Ca. 34.000 Samoaner, ca. 500 andere Südseeinsulaner, etwa 1100 ausschließlich männliche Chinesen, ca. 1000 Mischlinge, ca. 500 Weiße, ca. 270 Deutsche (Stand 1912)

"Fita-Fita" - die Eingeborenen-Polizeitruppe auf Samoa
„Fita-Fita“ – die Eingeborenen-Polizeitruppe auf Samoa

 

Schutztruppe:

nur eine Polizeitruppe Einheimischer

Fita-Fita, eine Leibgarde von Söhnen samoanischer Häuptlinge
Fita-Fita, eine Leibgarde von Söhnen samoanischer Häuptlinge

Sitz des Gouverneurs:

Apia

Apia, Samoa
Samoa, Hafen von Apia

Samoa (Schifferinseln, Navigatorsinseln), polynesische Inselgruppe, nordöstlich von den Fidschiinseln, unter 13°5´-14°5´ südlicher Breite und 168°9´-172°45´ westlicher Länge, besteht aus vier größern und mehreren kleinern, den größern zugerechneten Inseln:

Samoa, Aus dem deutschen Colonial-Leben
Samoa, Aus dem deutschen Colonial-Leben

Deutscher Besitz:

  • Savaii 1707 km², 12.816 Einheimische
  • Upolu 868 km², Manono und Apolima 13,2 km², gemeinsam 20.662 Einheimische

Zusammen 2588 km² und 33.478 Einheimische (1906)

Samoa, Apia mit Mulinuu
Samoa, Apia mit Mulinuu

Amerikanischer Besitz:

  • Tutulia 138 km², 3746 Einheimische
  • Manuainseln 58,5 km², 1421 Einheimische
  • Rofa 1,5 km²

Zusammen 199 km², 5167 Einheimische

Dazu kommen auf deutschem Gebiet 1970 Nichteinheimischen, darunter 381 Weiße (192 Deutsche). Von den Eingebornen sind 6000 Katholiken, 600 Mormonen, der Rest Protestanten (Londoner Missionsgesellschaft, Australische Methodistenmission).

Samoa, Apia
Samoa, Apia

Briefmarken:

Am 21. September 1886 eröffnet die Reichspost auf Samoa ein Filiale. Die ersten Ausgaben erscheinen 1887. Anfangs werden die Marken (Mark und Pfennigausgaben) des Deutschen Reichs verwenden. Zu erkennen sind diese Verwendungen nur am Stempel „Apia KDPAG“ (KDPAG = Kaiserlich Deutsche Postagentur) ohne Segment und Sterne (DR 37c) und allen anderen Werten an „Apia KDPAG“ ohne Segment mit Sternen. Ab 1900 wurden eigene Briefmarken mit der Kaiserlichen Jacht Hohenzollern als Motiv zur Ausgabe gebracht.

Samoa 10 Pfennig, 1900
Samoa 10 Pfennig, 1900
Samoa 40 Pfennig, 1900
Samoa 5 Mark, 1900
Samoa 5 Mark, 1900

Geografie:

Die kettenförmig von WNW. nach OSO. auf etwa 500 km angeordnete Inselreihe ist mit Ausnahme von Rosa, einem im äußersten Osten gelegenen Korallenatoll, vulkanischen Ursprungs, mit meist steilen, von Korallenriffen umgebenen Küsten, die nur zwei Häfen von Bedeutung haben: Pago-Pago auf Tutuila und Apia auf Upolu. Schöne, wohlbewässerte, fruchtbare Ebenen umgeben die im Innern (auf Savaii zu 1646 m) aufsteigenden Bergmassen, deren vulkanische Tätigkeit zeitlich von O. nach W. erloschen zu sein scheint.

Talofa Samoa, Unsere neuen Landsleute
Talofa Samoa, Unsere neuen Landsleute

Dort sind die Berge schon überall mit üppigem Grün bekleidet, hier breiten sich noch weithin nackte Lavafelder aus. Noch 1866 fand bei Olosenga ein submariner und neuestens auf Savaii ein vulkanischer Ausbruch statt. Heiße Quellen sind selten, Erdbeben dagegen häufig, wenn auch nicht gefährlich.

Talofa Samoa, Unsere neuen Landsleute
Talofa Samoa, Unsere neuen Landsleute

Klima:

Das Klima ist sehr gleichmäßig. Man kennt zwei Jahreszeiten: die (häufig durch heiteres Wetter unterbrochene) Regenzeit von November bis April und die wenig ausgesprochene Trockenzeit von Mai bis November. Östliche Winde herrschen vor, da die Inseln im Gebiete des Südostpassats gelegen sind. Apia: Jahrestemperatur 25,3°, wärmster Monat (Februar) 26,5°, kältester (Juli) 23,8°; mittlere Jahresextreme 32,9° und 17,5°. Die Regenmenge (Apia 1903: 3178 mm, 1904: 2864 mm) ist großen Schwankungen unterworfen. Gegen Ende der Regenzeit treten häufig Orkane auf, die besonders 1875, 1889 (s. Apia) und 1905 Verheerungen anrichteten.

Talofa Samoa, Unsere neuen Landsleute
Talofa Samoa, Unsere neuen Landsleute

Gesundheitlich ist das Klima der Ansiedelung Weißer zuträglich. Dichter Tropenwald, von Banianen (Ficus), Pandaneen und Palmen gebildet und von Lianen und Epiphyten erfüllt, gemischt mit Farnbäumen, bedeckt die Gruppe der Samoainseln. An Säugetieren zählt die Samoagruppe nur noch Mäuse und kleinere Fledermäuse. Die Reptilien sind durch die kosmopolitischen Geckos und Skinke vertreten. Die polynesischen Einwohner sind ein schöner Menschenschlag, von heller Farbe, schlank und gut gebaut. Ihr Kulturzustand ist ganz der anderer Polynesier.

Samoa, Hafen von Apia
Samoa, Hafen von Apia

Wirtschaft:

Die Einheimischen sind gute Schiffer, treiben Fischerei, fertigen Zeuge, Matten u.a. und wohnen in wohlgebauten Hütten und Dörfern, neben denen sie Kokosnußpalmen, Bananen, Taro, Yams, Bataten, Kawa und Tabak, in geringem Umfange Kakao und Kaffee kultivieren. Die ihnen auferlegte Kopfsteuer, die 1905/06 gegen 96,000 Mark einbrachte, haben sie pünktlich bezahlt. Da sich die Einheimischen zur Eingehung eines dauernden Arbeitsverhältnisses nicht herbeilassen, ist in Deutsch-Samoa (1903) Mangel an Arbeitskräften, und man führte Melanesier und chinesische Kulis ein.

Samoa, Gebrüder Marquardt's völkerschaftliche Schaustellung
Samoa, Gebrüder Marquardt’s völkerschaftliche Schaustellung

 Im Besitz europäischer Pflanzungen waren 1904: 15,548 Hektar, davon waren 4577 unter Kultur (Kakao 1035, Kokospalmen 3298, Kaffee 29, Vanille 2,3, Bananen, Taro 88); 46 weiße Beamte und 1008 farbige Arbeiter wurden beschäftigt. Im Pflanzungsbetrieb sind tätig die Deutsche Handels- und Plantagengesellschaft der Südsee-Inseln (Kopraernte 1904: 1965 Ton., Kakao), die Deutsche Samoagesellschaft (Kakao), Upolu-Kakaogesellschaft. Neuestens haben sich die Safata-Samoagesellschaft (Kopra, Kakao) und die Samoa-Kautschukkompanie gebildet.

Gruss aus Samoa
Gruss aus Samoa

Geschichte:

Die Inselgruppe wurde 1722 von Roggeveen entdeckt, der die östlichen Manuainseln Baumannsinseln nannte. Bougainville gab ihr 1768 den Namen Schifferinseln. Danach wurde Samoa 1787 von Lapérouse, 1791 von Edwards, 1824 von Kotzebue besucht. Doch erst, seitdem 1830 der Missionar Williams seine Tätigkeit auf den Inseln begonnen hatte, wurden sie genauer aufgenommen und wissenschaftlich erforscht. 1839 vermaß der Amerikaner Wilkes die Gruppe, später der Deutsche Grässe im Auftrag der Firma Godeffroy.

Kavabereitung auf Samoa
Kavabereitung auf Samoa

Die politischen Zustände auf den Samoainseln ließen viel zu wünschen übrig. Jedes Dorf hatte ursprünglich seinen eignen Häuptling; doch waren zuweilen mehrere Dörfer zu einem Bezirk vereinigt unter einem „Tupu“, dem ein Beirat von Dorfvorstehern zur Seite stand. Die Könige, „Tui“, waren von dem Rate der Tupu abhängig. Vor mehr als 100 Jahren soll ein gemeinsamer König, der „Tui Samoa“, geherrscht haben.

Samoa, Interior of a Native House
Samoa, Interior of a Native House

Seit Europäer und Amerikaner eingriffen, bildeten sich zwei Parteien: Taimuna und Puletua, die einen offenen Bürgerkrieg führten, bis 1874 eine Regierung der „Taimuna und Faipule“ zur Herrschaft kam. Die Taimuna ist eine Versammlung von Häuptlingen, die Faipule von Leuten geringeren Standes. 1879 wurde Häuptling Malietoa König der Inseln. Inzwischen war die Annektierung der Gruppe 1872 von Neuseeland befürwortet worden; die Amerikaner erlangten in demselben Jahr den Hafen Pago-Pago. Das Hissen der nordamerikanischen Flagge (1877) wurde jedoch von der Union nicht gebilligt.

Samoa, Grüsse aus Apia
Samoa, Grüsse aus Apia

Doch schloss sie 1878 mit Samoa einen Freundschafts- und Handelsvertrag, worin ihnen der Hafen Pago-Pago auf Tutuila zur Niederlage für Kohlen etc. zur Verfügung gestellt wurde. Gleichlautende Verträge schlossen 1879 Deutschland, das den Hafen Saluafata auf Upolu zugewiesen bekam, und Großbritannien, dem gleichfalls die Anlage einer Marine- und Kohlenstation gestattet wurde. Nachdem der deutsche Reichstag 1880 die Errichtung einer deutschen Schutzherrschaft in Samoa abgelehnt hatte, gingen die drei Mächte eine Konvention mit dem König Malietoa Talavou ein, wonach Stadt und Distrikt von Apia unter eine Munizipalität mit den betreffenden Konsuln an der Spitze gestellt wurden.

Samoa-Inseln, Fort, von Tanuleuten errichtet
Samoa-Inseln, Fort, von Tanuleuten errichtet

Nachdem am 8. November 1880 Malietoa Laupepa König geworden war, begannen bald Zwistigkeiten, da eine feindliche Partei den Häuptling Tamasese zum König wählte. Nachdem Malietoa und seine Anhänger die Deutschen beleidigt und beraubt hatten, wurde er im August 1887 durch die Besatzung eines deutschen Kriegsschiffes nach den Marshallinseln gebracht. Doch blieb Tamasese nicht lange im unbestrittenen Besitz der königlichen Macht. Schon Mitte 1888 riefen die Anhänger Malietoas den Häuptling Mataafa zum König aus; Tamasese wurde geschlagen und hart bedrängt.

Samoa, Samoaner Haus im Bau
Samoa, Samoaner Haus im Bau

Da Mataafas Anhänger deutsche Pflanzungen beraubten, wurden von zwei deutschen Kriegsschiffen Mannschaften gelandet, von denen am 18. Dezember eine kleine Abteilung überfallen und fast vernichtet wurde, worauf stärkere deutsche Abteilungen die Rebellen vertrieben. Ein Orkan vernichtete am 16. März 1889 im Hafen von Apia zwei deutsche und drei amerikanische Kriegsschiffe.

Samoa, Lagune und Kirche von Safune auf Savaii
Samoa, Lagune und Kirche von Safune auf Savaii

Die drei Mächte schlossen am 14. Juni 1889 einen Vertrag ab, wonach Malietoa wieder eingesetzt und die Inseln unter ihren gemeinschaftlichen Schutz gestellt wurden. Doch wurde dadurch die innere Ruhe nicht gesichert. Samoa war in den nächsten Jahren der Schauplatz von nebenbuhlerischen Kämpfen unter den Eingebornen und von Quertreibereien unter den beteiligten Mächten, Deutschland, England, Vereinigte Staaten, bis das deutsch-amerikanisch-englische Abkommen vom 2. Dezember 1899 die Inseln unter Deutschland und die Vereinigten Staaten in der Weise teilte, dass ersteres Upolu, Savaii und die anderen westlich, die letzteren Tutuila und die östlich vom 171.° gelegenen Inseln erhielt, während England einige Salomoninseln, die Tongainseln und Niue bekam.

Samoa, Samoan War-Canoe
Samoa, Samoan War-Canoe

Das samoanische Königtum wurde abgeschafft und dafür eine Art Selbstverwaltung der Samoaner eingeführt. Die Entschädigung der bei den vorangegangenen Wirren betroffenen Eigentümer sollte ein Schiedsgericht unter dem Vorsitz des Königs von Schweden regeln, das für Deutschland entschieden hat. Die Auszahlung der auf 40.000 Dollar festgesetzten Entschädigungssumme erfolgte erst 1905.

Samoa, Samoanische Schönheit
Samoa, Samoanische Schönheit

Chronologie:

1847 – 1861
Eröffnung deutscher, englischer und amerikanischer Konsulate im Königreich Samoa.

1860
Das Hamburger Haus Godeffroy eröffnet eine Handelsstation.

1865
Anlage erster deutscher Kokosplantagen

1878
Reise von S.M.S. Bismarck nach Samoa.

S.M.S. Bismarck
S.M.S. Bismarck

24.01.1879
Abschluss eines Handels- und Freundschaftsvertrages zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Samoa.

1884
Der deutsche Generalkonsul Dr. Stübel lässt die Hafenstadt Apia durch deutsche Marinesoldaten besetzen.

10. November 1884
Vertrag des deutschen Generalkonsuls Dr. Stübel mit dem König Malietoa von Samoa zwecks „Herstellung größerer Rechtssicherheit und Strafpflege„, um sich in Fragen der Eigentumsrechte gegen Briten sowie die Annexionsgelüste der Neuseeländer abzusichern. Den Deutschen wird ein nicht unwesentlicher Einfluss auf die Gesetzgebung des Landes eingeräumt. Die in britischen Händen befindlichen Aktien der Godeffroyschen Gesellschaft in Höhe von 2 Millionen Mark werden von einem Hamburger Konsortium zurückgekauft.

Samoa, Apia
Samoa, Apia

23. Januar 1885
Die Deutschen werfen den Briten vor Intrigen gegen sie zu führen. Das deutsche Kanonenboot S.M.S. Albatros landet eine Abteilung auf dem Munizipalgebiet (neutral) vor Apia und hisst die deutsche Flagge; dies führt zu einem erneuten Notenwechsel zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien.

Nach dem Tode Godffroys entstand die „Deutsche Handels und Plantagengesellschaft“.

23. Juli 1887
Bereits bevor Samoa deutsch wird, befand sich In Apia eine deutsche Postagentur, die dem Konsulatssekretär Schlüter übertragen wird.
Sie war ursprünglich 1886 als Postdampfschiffsagentur errichtet worden. Daneben gibt es ein samoanisches Postamt. (Samoa ist souveränes Königreich.)

Samoa, Apia, Wharf der deutschen Handels- u. Plantagen-Gesellschaft
Samoa, Apia, Wharf der deutschen Handels- u. Plantagen-Gesellschaft

Große Opfer forderte die Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen auf Samoa. Nicht in Kamerun und auch nicht in Ostafrika ist damals so viel deutsches Seemannsblut geflossen, wie auf den samoanischen Inseln. Die eigenen Schutzgebiete in Neu-Guinea und auf den Inseln der Bismarck-Gruppe haben nicht so hartnäckige Kämpfe nötig gemacht, wie der Schutz des deutschen Einflusses auf Samoa. Dort brach 1888 ein Aufstand gegen die deutschen Einwanderer und Händler aus, zu dessen Bekämpfung die Kreuzerfregatte S.M.S. Olga, sowie das Kanonenboot S.M.S. Eber entsandt wurden. Später kam noch S.M.S. Adler hinzu.

Samoa, Königs-Palast, davor in der Umzäunung das deutsche Kriegsdenkmal von 1888 - 1889
Samoa, Königs-Palast, davor in der Umzäunung das deutsche Kriegsdenkmal von 1888 – 1889

Die Aufständischen waren von US-Amerikanern reichlich mit Waffen versehen und führten den Krieg aus Verstecken, die das waldige und bergige Innere der Inseln reichlich bot. Am 18. Dezember 1888 wurden die Landungstruppen von S.M.S. Olga und S.M.S. Eber in der Nähe von Apia von den Samoanern heftig beschossen. Auf deutscher Seite wurden die Leutnants Singer und Spengler und 15 Männer getötet, sowie Leutnant Burchard und 38 Männer wurden verwundet. Ein Amerikaner namens Klein hatte die Samoaner angeführt und als er zur Rechenschaft gezogen werden sollte, war er plötzlich verschwunden. Ein US-amerikanisches Kriegsschiff, das während des Aufstandes eine zwielichtige Rolle spielte, hatte ihm Zuflucht gewährt und gab ihm eine Überfahrt nach Kalifornien.

Samoa, Tivoli-Hotel, Engl. Kirche, Gen.-Consul Rose, Gebauers Haus
Samoa, Tivoli-Hotel, Engl. Kirche, Gen.-Consul Rose, Gebauers Haus

Von Zeit zu Zeit treten in der Südsee orkanartige Stürme auf und ein solcher suchte unvermutet nachmittags am 13. März 1889 auch Apia auf Samoa heim. Im Hafen lagen außer den deutschen Schiffen S.M.S. Olga, S.M.S. Eber und S.M.S. Adler, drei amerikanische Kriegsschiffe, U.S.S. Trenton, U.S.S. Vandalia und U.S.S. Nipsic sowie die englische Korvette H.M.S. Calliope vor Anker und unter Dampf, um gegen die hereinrollende See anzudampfen und dadurch auf die Ankerketten wirkende Kraft zu vermindern. Dies gelang auch bis zum anderen Morgen früh, dann aber begannen bei dem immer heftiger werdenden Sturm S.M.S. Adler, S.M.S. Eber und U.S.S. Nipsic vor ihren Ankern zu treiben und selbst die Anwendung der vollen Dampfkraft vermochte nichts dagegen auszurichten.

Samoa, Apia, The Beach
Samoa, Apia, The Beach

S.M.S. Eber stieß dabei zuerst mit U.S.S. Nipsic , dann mit S.M.S. Olga zusammen, dann brach die Kette und das Schiff wurde mit solcher Gewalt auf ein Korallenriff am Strand geworfen, dass es kenterte und mit dem Kiel nach oben lag. Nur vier Mann der Besatzung, Leutnant Gaedicke, der Steuermann und zwei Matrosen wurden von den Wellen an Land gespült, die ganze übrige Besatzung von 86 Mann mit dem Kommandanten, Kapitänleutnant Wallis, den Leutnants zur See Ehrhardt und von Ernsthausen und dem Assistenzarzt Dr. Machenhauer, fanden in den Fluten den Tod. U.S.S. Nipsic kollidierte ebenfalls mit S.M.S. Olga und trieb dann auf das Riff. Sie konnte Boote aussetzen und den größten Teil ihrer Mannschaft retten, die Übrigen kenterten mit einem Boot und kamen um. Sehr bald darauf trieb auch S.M.S. Adler auf den Strand, lag aber nur auf der Seite und die Mannschaft konnte bis auf 20 Mann gerettet werden. Ihr folgte U.S.S. Vandalia, deren Rumpf bald zerschellte.

S.M.S. Adler, Wrack, Samoa - Fotounterschrift "SMS. Adler, Samoa, 16. II. 1884, Onkel Machenauer + " (Foto von Jan Drösler)
S.M.S. Adler, Wrack, Samoa – Fotounterschrift „SMS. Adler, Samoa, 16. II. 1884, Onkel Machenauer + “ (Foto von Jan Drösler)

Einige Seeleute enterten in die noch stehende Bemastung und konnte durch Boote von U.S.S. Trenton gerettet werden, die Übrigen, unter ihnen der Kapitän büßten, ihr Leben ein. Die deutsche Handelsbark „Peter Godefroy“ und der dänische Schoner „Azur“ wurden ebenfalls zertrümmert. Jetzt fing auch H.M.S. Calliope an, zu treiben. Der Kapitän, der den Untergang vor Augen sah, griff zu dem gewagten Mittel, durch das enge Fahrwasser zwischen den dem Hafen vorgelagerten Riffen die offene See zu gewinnen. Dank der besonders starken Maschine gelang es, gegen die furchtbaren Wellen anzudampfen. Wenn auch nur sehr langsam drang das Schiff vorwärts und kam ohne Verluste an Mannschaft und ohne schwere Havarie aus. Nun lagen nur noch S.M.S. Olga und U.S.S. Trenton im Hafen. Der Wind drehte sich etwas westlich und es war zu hoffen, dass die beiden Schiffe ihn durchhielten. Doch nun begann das steuerlos gewordene US-Schiff, auf S.M.S. Olga zu treiben.

Samoa, Apia, Wrack S.M.S. Adler
Samoa, Apia, Wrack S.M.S. Adler

 Der Zusammenstoß mit diesem großen Schiff drohte verhängnisvoll zu werden und der Kommandant, Korvettenkapitän von Ehrhardt, glaubte dieser Gefahr nur dadurch entgehen zu können, dass er sein Schiff an einer möglichst günstigen Stelle auf den Strand setzte. Schnell entschlossen ließ er die Ankerkette schlippen, dampfte mit voller Kraft unmittelbar an der Seite von U.S.S. Trenton vorbei, wobei diesem das Bugspriet abgebrochen wurde, während S.M.S. Olga das Unterraaen einbüßte und jagte diese an einer weichen Stelle auf den Strand von Matautu. Dadurch wurde nicht nur das Schiff selbst vor dem Untergang bewahrt, sondern auch die gesamte Mannschaft gerettet. Auch U.S.S. Trenton trieb nun auf das Riff, aber der größte Teil der Besatzung konnte gerettet werden. Erst am 17. März legte sich der furchtbare Sturm, der so vielen Seeleuten das Leben gekostet hatte.

Samoa, Apia-Denkmal für S.M.S. Adler, Eber und Olga
Samoa, Apia-Denkmal für S.M.S. Adler, Eber und Olga

14. November 1899
Erwerb der Samoa-Inseln Upolu und Sawai nach langwierigen Verhandlungen mit Großbritannien. England verzichtet auf seine Rechte in Samoa, es kommt zur Aufteilung zwischen Deutschland (Westsamoa) und den USA (Ostsamoa). Die westlich vom 171. Grad liegenden Samoa-Inseln Sawaii und Upolu erhält das Deutsche Reich.

Samoa's Einverleibung
Samoa’s Einverleibung

1900
Auf Grund einer Verordnung müssen die Einheimischen auf Samoa ihr brachliegendes Land mit jährlich mindestens 50 Kokospalmen bepflanzen

1901
Die deutschsprachige „Samoanische Zeitung“ erscheint erstmalig.

1909
Eröffnung der Regierungsschule in Apia mit 60 Schülern.

Samoa, Apia, Hospital
Samoa,, Apia, Hospital

5. Dezember 1913
Der Gouvernementsrat von Samoa führt Ausfuhrzölle auf Kopra (getrocknete Kokosnussstücke) und Kakao ein.

1. Aug. 1914
In Apia auf der Insel Upolu des Schutzgebietes Samoa wird eine Funkstation eröffnet. Samoa hat keinen Anschluss an das Welttelegrafennetz.

29. August 1914
Vor Apia erscheinen französische und englische Kriegsschiffe und landen 1400 Mann, welche die Verwaltungsgebäude besetzen. An einen Widerstand kann die kleine einheimische Polizeitruppe nicht denken. Der deutsche Gouverneur lehnt die Übergabe ab und wird als Kriegsgefangener nach Fiji überstellt.
Samoa kommt unter neuseeländische Verwaltung. Ein Teil der Deutschen wird auf Samoa gefangen gesetzt, ein anderer Teil nach Neuseeland gebracht.

Samoa, Hissung der englischen Flagge in Apia nach der Besetzung
Samoa, Hissung der englischen Flagge in Apia nach der Besetzung

1918/19
Auf Samoa wütet eine verheerende Grippeepidemie, die von Neuseeländern eingeschleppt wurde, ca. 10.000 Samoaner sterben.

1920
Neuseeland erhält Deutsch-Samoa als Völkerbundsmandat. Es kommt zu Beschwerden Samoas gegen die neuseeländische Verwaltung.

1961
Der ehemals deutsche Teil Samoas wird als Westsamoa als erster polynesischer Staat unabhängig, Ostsamoa ist bis heute als „American-Samoa“ Teil der USA.

Samoa, Briefmarke 1989 (Otto von Bismarck, Öffnung der Berliner Mauer 1989, S.M.S. Adler)
Samoa, Briefmarke 1989 (Otto von Bismarck, Öffnung der Berliner Mauer 1989, S.M.S. Adler)

Quellenhinweise:

  • „Deutschlands Kolonien“ von Rochus Schmidt Verlag des Vereins der Bücherfreunde Schall & Grund 1898
  • „Großes Lehrbuch der Geographie“ E. von Seydlitz, Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1902
  • „Harms Vaterländische Erdkunde“ 7. Auflage Braunschweig und Leipzig Hellmuth Wollermann 1906
  • „Konversationslexikon“, Leipzig und Wien 1909
  • „Die deutschen Kolonien“ Geographie, E. von Seydlitz – Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1910
  • „Deutschlands Kolonien“ von W. Scheel Verlagsanstalt für Farbfotographie Weller & Hüttich 1912
  • „Die deutschen Kolonien“ Herausgegeben von Kurd Schwabe Nationalausgabe – Band I/II 1914
  • „Deutsches Kolonial-Lexikon“ Leipzig 1920
  • „Der Kampf um unsere Schutzgebiete – Unsere Kolonien einst und jetzt“ von P. Jos. M. Abs Düsseldorf 1926
  • zeitgenössische Postkarten mit ihren originalen Bildunterschriften.

Im Sinne der Wiederherstellung des Deutschen Reiches aus https://deutsche-schutzgebiete.de/wordpress/kolonien-blog/ am 03.03.2020 entnommen.




Deutsche Südsee-Schutzgebiete

Deutsch-Neuguinea, Rabaul, Bismarck-Archipel, Warenhaus und Verwaltungsgebäude der Neu Guinea Compagnie

Deutsche Südsee-Schutzgebiete

Deutsch-Neuguinea, Marianen, Karolinen und Marshall-Inseln.

Die deutschen Besitzungen im Stillen Ozean wurden in ein westliches und östliches Gebiet eingeteilt.

Deutsch-Neu-Guinea, Friedrich Wilhelms-Hafen, Erima-Hafen
Deutsch-Neu-Guinea, Friedrich Wilhelms-Hafen und Erima-Hafen
  • zum westlichen Gebiet zählen

    • Deutsch-Neu-Guinea (Kaiser-Wilhelms-Land)
    • der Bismarck-Archipel (Neu-Pommern, Neu-Mecklenburg)
    • die beiden nördlichen Salomonen-Inseln (Buka und Bougainville)
    • die Marshall-Inseln
    • die Karolinen
    • die Marianen (außer Guam)
  • zum östlichen Gebiet zählt

Deutsche Besitzungen im Stillen Ozean
Deutsch-Neuguinea, Landkarte 1919
Deutsch-Neuguinea, Landkarte 1919

Westliches Gebiet in der Südsee (Deutsch-Neuguinea, Marianen, Karolinen und Marshall-Inseln)

Wappen:

Deutsch-Neuguinea, Wappen (Entwurf)
Deutsch-Neuguinea, Wappen (Entwurf)

Kaiser Wilhelms-Land

Größe:

ungefähr 179.000 km² (= ½ Preußen).

Kaiser-Wilhelms-Land, Bismarck-Archipel, Salomonen
Kaiser-Wilhelms-Land, Bismarck-Archipel, Salomonen

Gouverneure und Kaiserliche Kommissare:

  • 1885 – 1888 Georg Freiherr von Schleinitz (1834 – 1910), Landeshauptmann der Neuguinea-Co.
  • 1888 – 1889 Reinhold Kraetke (1845 – 1934), Landeshauptmann der Neuguinea-Co.
  • 1889 – 1892 Fritz Rose (1855 – 1922), Kaiserlicher Kommissar
  • 1892 – 1895 Georg Schmiele (1855 – 1895), Landeshauptmann der Neuguinea-Co.
  • 1895 – 1896 Hugo Rüdiger, Landeshauptmann der Neuguinea-Co.
  • 1896 – 1897 Curt von Hagen (1859 – 1897), Landeshauptmann der Neuguinea-Co.
  • 1897 – 1899 Hugo Skopnik, Landeshauptmann der Neuguinea-Co.
  • 1899 – 1902 Rudolf von Bennigsen (1860 – 1912), Gouverneur
  • 1902 – 1914 Dr. Albert Hahl (1868 – 1945), Gouverneur
  • 1914 Eduard Haber (1866 – 1947), Gouverneur

Währung:

Von 17. Mai 1885 bis 15. April 1911 Neuguinea-Mark und Neuguinea-Pfennig, danach Mark und Pfennig des Deutschen Reichs.

Deutsch-Neuguinea, Neuguinea-Mark
Deutsch-Neuguinea, Neuguinea-Mark

Bevölkerung:

Wird veranschlagt auf 100.000 Einwohner. Melanesier oder Papuas mit zahlreichen von einander abweichenden, aber verwandten Mundarten.

Schutztruppe:

Eine kleine Schutztruppe wird von der Neu-Guinea Compagnie unterhalten.

G. Soelle, Kaiserl. Polizei- und Hafenmeister mit Truppe in Neu-Guinea
G. Soelle, Kaiserl. Polizei- und Hafenmeister mit Truppe in Neu-Guinea
Deutsch-Neu-Guinea, die Schutztruppe in Berlinhafen
Deutsch-Neu-Guinea, die Schutztruppe in Berlinhafen

Briefmarken:

Die Reichspost eröffnete am 15. Februar 1888 eine Filiale in Deutsch-Neuguinea. Von 1888 bis 1901 verwendete man die 2 Mark und Pfennig-Ausgaben des Deutschen Reichs. Zu erkennen sind diese nur am Stempel „Finschhafen“, „Berlinhafen“ u.a. Ab 1897 trugen die Briefmarken den Aufdruck „Deutsch-Neu-Guinea“. Ab 1901 wurden eigene Marken mit der Kaiserlichen Jacht Hohenzollern als Motiv zur Ausgabe gebracht.

Deutsch-Neu-Guinea, 5 Pfennig, 1901
Deutsch-Neu-Guinea, 5 Pfennig 1901
Deutsch-Neu-Guinea, 10 Pfennig, 1901
Deutsch-Neu-Guinea, 10 Pfennig, 1901
Deutsch-Neu-Guinea, 5 Mark, 1901
Deutsch-Neu-Guinea, 5 Mark, 1901

Bodengestalt und Bewässerung:

An der 800 km langen Küste zahlreiche Korallenriffe, kleinere Inseln und Einbuchtungen. Von letzteren sind die bedeutendsten der Huongolf und die Astrolabebai.

Das Innere ist noch wenig erforscht. Zwischen Huongolf und Astrolabebai das Finisterregebirge (3475 m), dem ein ca. 1000 m hohes Küstengebirge vorgelagert ist. Im Innern die noch unbekannte Kraetkekette und weiter südlich die Bismarckkette, welche vielleicht mit der Gordonkette identisch ist.

Deutsch-Neu-Guinea, Glocke von Kela
Deutsch-Neu-Guinea, Glocke von Kela
Deutsch-Neu-Guinea, Station Yabim
Deutsch-Neu-Guinea, Station Yabim

Der im Jahre 1896 entsandten Expedition der Herren Dr. Lauterbach, Dr. Kersting und E. Tappenbeck ist die Entdeckung des größtenteils schiffbaren Ramuflusses zu verdanken. Durch eine neuere Expedition wurde dessen Identität mit dem Ottilienflusse festgestellt und derselbe durch den Dampfer Johann Albrecht auf einer Strecke von 110 Seemeilen befahren.

Im Norden des Schutzgebietes der Kaiserin Augusta-Fluss, für grössere Fahrzeuge schiffbar, mit günstiger, nicht durch Riffe versperrter Mündung. In die Astrolabebai mündet der Gogolfluss, in den Huongolf der Markhamfluss.

Deutsch-Neu-Guinea. Erstes Missionsfest auf dem Sattelberg
Deutsch-Neu-Guinea. Erstes Missionsfest auf dem Sattelberg
Deutsch-Neu-Guinea. Hotel in Friedrich-Wilhelms-Hafen
Deutsch-Neu-Guinea. Hotel in Friedrich-Wilhelms-Hafen

Klima:

Ausgeprägtes Tropenklima. An der Küste höchste Temperatur im Schatten 35° C., niedrigste 20° C., mittlere Jahrestemperatur 26° C. Vom April bis September Südostpassat, vom Oktober bis März Nordwestmonsun. Scharfer Unterschied zwischen Regen- und Trockenzeit in den meisten Jahren nicht vorhanden.

Stationen:

an der Astrolabebai Friedrich Wilhelmshafen (Sitz des Landeshauptmanns), Konstantinhafen, Stephansort, Erima; Maraga, Jomba.

Der norddeutsche Lloyd vermittelt über Singapur den Verkehr mit Neu-Guinea in achtwöchigem Turnus. Außerdem besteht Segelschiffverkehr mit Australien.

Deutsch-Neu-Guinea, Idyll vom Hansemannberg
Deutsch-Neu-Guinea, Idyll vom Hansemannberg
Deutsch-Neu-Guinea, Rheinische Mission Hansemannberg
Deutsch-Neu-Guinea, Rheinische Mission Hansemannberg

Schulen für die Eingeborenen sind von den Missionaren begründet worden.

Die Landeshoheit über Neu-Guinea, den Bismarck-Archipel und die nördlichen Salomoninseln wird von der Neu-Guinea Compagnie ausgeübt.

Handel:

Exportiert werden hauptsächlich Tabak (von Stephansort 1896: 96.960 Pfund, 1897: 79.300 Pfund)‚ Copra, Nutzhölzer, Baumwolle, Trepang und Perlmutt. Der Wert der Einfuhr betrug 1896/7: 900.000 Mark.

Deutsch-Neu-Guinea, Soldat der Deutschen Schutztruppe, Baumwohnungen
Deutsch-Neu-Guinea, Soldat der Deutschen Schutztruppe, Baumwohnungen
Deutsch-Neuguinea, Papua im Kriegsschmuck, Gazelle-Halbinsel, Einfahrt nach Rabaul
Deutsch-Neuguinea, Papua im Kriegsschmuck, Gazelle-Halbinsel, Einfahrt nach Rabaul

Der Bismarck-Archipel

Größe:

ungefähr 52.000 km² (= 2/3 Bayern).

Bevölkerung:

Wird veranschlagt auf ungefähr 180.000 – 200.000 Einwohner (Melanesier oder Papuas). Die Hauptinseln des Bismarck-Archipels sind die durch den St. Georg-Kanal getrennten Inseln Neu-Pommern mit der Gazelle-Halbinsel und Neu-Mecklenburg. Im Nordwesten liegen die Admiralitätinseln. Im St. Georg-Kanal die Inselgruppe Neu-Lauenburg. Am nordwestlichen Ende von Neu-Mecklenburg die Insel Neu-Hannover.

Deutsch-Neu-Guinea, Friedrich Wilhelms-Hafen, Erima-Hafen
Deutsch-Neu-Guinea, Friedrich Wilhelms-Hafen, Erima-Hafen
Deutsch-Neu-Guinea, Stephansort, Assistenten-Haus, Krankenhaus Stephansort
Deutsch-Neu-Guinea, Stephansort, Assistenten-Haus, Krankenhaus Stephansort

Bodengestalt und Bewässerung:

Sämtliche Inseln sind gebirgig. Auf Neu-Mecklenburg gibt es Berge bis zu einer Höhe von 1200 m. Neu-Pommern hat zahlreiche Küstenflüsse; Holmesfluss auf der Gazelle-Halbinsel.

Verkehrsmünze:

Diwarra (Muschelgeld bei den Eingeborenen).

Handel:

Ausfuhrartikel: Kopra, Baumwolle, Trepang, Perlmutter, Schildplatt. Der Wert der Einfuhr betrug 1896/97 ca. 700.000 Mark.

Deutsch-Neuguinea, Rabaul, Bismarck-Archipel, Warenhaus und Verwaltungsgebäude der Neu Guinea Compagnie
Deutsch-Neuguinea, Rabaul, Bismarck-Archipel, Warenhaus und Verwaltungsgebäude der Neu Guinea Compagnie
Deutsch-Neuguinea, Bewaffnete Bukaleute
Deutsch-Neuguinea, Bewaffnete Bukaleute

 

Stationen:

Mioko (auf Neu-Lauenburg), Matupi (Blanchebai), Ralum u. s. W.

Hauptstation:

Herbertshöhe (Regierungssitz).

Der Handel wird namentlich durch die Deutsche Handels- und Plantagen-Gesellschaft der Südseeinseln und das deutsche Handlungshaus Hernsheim & Co., sowie durch das Haus Forsayth (Ralum) vermittelt.

Der Archipel hat ein durch die Meeresumgebung gemildertes Tropenklima. Geringster Regenfall meist Juli bis Oktober.

Marianen, Karolinen, Marshall-Inseln, Palau-Inseln
Marianen, Karolinen, Marshall-Inseln, Palau-Inseln

Nördliche Salomoninseln

Größe:

ungefähr 21000 km² (= 1 Württemberg).

Bevölkerung:

Geschätzt auf ungefähr 80.000 – 100.000 Einwohner (Melanesier).

Inseln:

Die grösseren in deutschem Besitz befindlichen Inseln sind 1899: Bougainville, Choiseul und Ysabel.

Auf Bougainville das Kaisergebirge mit. dem vulkanischen Balbiberg (3067 m).

Das Innere der Salomoninseln ist noch unerforscht (dichter Tropenwald).

Klima:

wie im Bismarck-Archipel.

 

Deutsch-Neu-Guinea, Berlinhafen, Eingeborene von Tambeo
Deutsch-Neu-Guinea, Berlinhafen, Eingeborene von Tambeo
Deutsch-Neu-Guinea, Gazelle-Halbinsel, Fischerkanu
Deutsch-Neu-Guinea, Gazelle-Halbinsel, Fischerkanu

Die Marshallinseln

Größe:

ungefähr 400 km²‚ auf etwa 353 Inselgruppen verteilt.

Bevölkerung:

ungefähr 15000 Einwohner, reine Mikronesier mit dunkler Hautfarbe. 83 Weiße, davon 43 Deutsche.

Die Inseln gehören zu Mikronesien und gliedern sich in zwei Gruppen: die Ratackgruppe im Osten und die Ralikgruppe im Westen.

Deutsch-Neu-Guinea, Sonntagsgäste auf dem Sattelberg
Deutsch-Neu-Guinea, Sonntagsgäste auf dem Sattelberg
Deutsch-Neu-Guinea, Baumwohnungen
Deutsch-Neu-Guinea, Baumwohnungen

Briefmarken:

Die Reichspost ist seit 1. Oktober 1888, bis 29. März 1889 ohne Postwertzeichen und ohne eigene Stempel vertreten. Von 1889 bis 1901 werden die Marken (Mark und Pfennigausgaben) des Deutschen Reiches verwenden. Zu erkennen sind diese Verwendungen nur am Stempel „Jaluit I (Marshall-Inseln)“ 1897/99 wurden die Reichspostausgaben mit Aufdruck „Marschall-Inseln“ verwendet. Ab 1900 wurden eigene Marken mit der Kaiserlichen Jacht Hohenzollern als Motiv zur Ausgabe gebracht.

Marshall-Inseln, 5 Pfennig, 1900
Marshall-Inseln, 5 Pfennig, 1900
Marshall-Inseln, 30 Pfennig, 1900
Marshall-Inseln, 30 Pfennig, 1900
Marshall-Inseln, 5 Mark, 1900
Marshall-Inseln, 5 Mark, 1900

 

Handel:

Hauptsächlicher Ausfuhrgegenstand ist Kopra (1896/97: 2366 Tonnen).

Verwaltung:

Die Inseln stehen unter Reichsverwaltung.

Jaluit, Sitz des Kaiserlichen Landeshauptmanns. Bezirksamt auf Nauru.

Klima:

Sehr feuchtwarmes, gleichmäßiges Tropenklima (27° C.). Durchschnittlich etwa 300 Regentage im Jahr und 4000—5000 mm Regenmenge.

Simpsonhafen, Arbeiten am Durchstich des Malagunan Passes
Simpsonhafen, Arbeiten am Durchstich des Malagunan Passes
Deutsch-Neu-Guinea, Rheinische Mission
Deutsch-Neu-Guinea, Rheinische Mission

Marianen

Marianen (Ladronen, Diebsinseln) sind außer Guam dem Deutschen Reich gehörige mikronesische Inselgruppe vulkanischen Ursprungs im Stillen Ozean. Sie gliedern in eine südliche Hälfte, zu welcher Guam, die größte Insel, Tinian, Rota und Saipan gehören und eine nördliche Hälfte. Die zehn nördlichen Inseln sind unbewohnt. Die Inseln sind 626 km² groß, haben ca. 2400 Einwohner und sind ein Bezirksamt von Deutsch-Neuguinea im weitern Sinne.

Größe:

Inselgruppe im nordwestlichen Teil des Stillen Ozeans, zwischen 13–21° nördlicher Breite und 145–146° östlicher Länge, eine von Nord nach Süd gestreckte Reihe von 15 Inseln, 1140 km² groß mit etwa 11.500 Einwohner. Unter 16° nördlicher Breite teilt sie ein Kanal in zwei Abteilungen.

Kaiser Wilhelms-Land, Eingeborener von Beliao beim Aushacken einer Sagopalme
Kaiser Wilhelms-Land, Eingeborener von Beliao beim Aushacken einer Sagopalme
Das grösste Geisterhaus in Tumleo
Das grösste Geisterhaus in Tumleo

Bevölkerung:

Die Bewohner der Inseln, die Chamorro, waren bei der Entdeckung durch Magalhães sehr zahlreich und hatten eine gewisse Kultur, nahmen aber durch Kriege mit den Spaniern und dann durch Krankheiten so rasch ab, daß man tagalische Familien aus Luzon einführte. Die jetzige Bevölkerung besteht aus einem Gemisch von Chamorro und Tagalen und Karoliniern. Eine Epidemie raffte 1856 die Hälfte der Bewohner hinweg.

Briefmarken:

Am 18. November 1899 eröffnet die Reichspost auf den Marianen. Von 1899 bis 1900 wurden Reichspostausgaben mit diagonalem Aufdruck von 48 Grad und ab Mai 1900 von 56 Grad „Marianen“ verwendet. Ab 1901 wurden eigene Marken mit der Kaiserlichen Jacht Hohenzollern als Motiv zur Ausgabe gebracht.

Marianen, 30 Pfennig, 1901
Marianen, 30 Pfennig, 1901
Marianen, 40 Pfennig, 1901
Marianen, 40 Pfennig, 1901
Marianen, 5 Mark, 1901
Marianen, 5 Mark, 1901

 

Regierungssitz:

Saipan

Klima:

Das Klima ist gesund, Pflanzen- und Tierwelt wie auf den Karolinen.

Handel und Wirtschaft:

Landbau wird nur in beschränktem Maße betrieben, das Hauptprodukt ist Kopra. Tierzucht, Fischerei und Jagd treten hinzu.

Geschichte:

Die Marianen wurden 1521 von Ferdinand Magellan entdeckt und Ladronen (Diebsinseln) benannt. 1667 wurde sie von Spanien in Besitz genommen und nach der spanischen Königin Maria Anna von Österreich, der Gemahlin von König Philipp IV., benannt. 1898 bez. 1899 wurden die Inseln an die USA und an das Deutsche Reich verkauft. Am 18. November 1899 eröffnet die Reichspost auf den Marianen.

Neuguinea, Asafeier
Neuguinea, Asafeier
Neuguinea, In einem Papuadorf

Karolinen

Für die Verwaltung werden die Inseln in einen Bezirk der Ostkarolinen, östlich des 148.° östlicher Länge, mit Ponape als Sitz des Vizegouverneurs, und einen der Westkarolinen, wozu auch die Palauinseln gerechnet werden, mit einem Bezirksamtmann auf Yap geteilt.

Die Karolinen sind eine Inselgruppe im westlichsten Teil des Stillen Ozeans, zu Mikronesien gehörig, erstreckt sich durch 27 Längengrade (137°-164° östliche Länge) und 9 Breitengrade (10°6’–0°55′ nördliche Breite)

Größe:

Die Karolinen bestehen aus zahllosen Inseln, die über fast 2 Millionen km² Fläche verstreut sind, aber zusammen nur etwa 1000 km² Größe haben. Die westlich davon liegenden Palauinseln betrachtet man als eine selbständige Gruppe. Von den Inseln sind die wichtigsten Ponape, Yap, Truk, Kusaie mit zusammen 796 km², zugleich die einzigen hohen (bis 892 Meter) Inseln, während die anderen niedrige und kleine Koralleneilande sind. Unter letzteren sind die bedeutendsten die Uliti- und Hall-Atolle mit 16 km², Lukunor, Wolea-, Lamotrek-, Enderby-, Namonuito-, Mortlock- und Senjäwingruppe.

Neuguinea, Prinz Heinrichhafen
Neuguinea, Prinz Heinrichhafen
Deutsch Neu-Guinea, Abreise von Wareo
Deutsch Neu-Guinea, Abreise von Wareo

Bevölkerung:

Die Bevölkerung zählt 1901 etwa 36.000 (einschließlich der Palauinseln) Einwohner, darunter (1903) 125 Weiße. Die Karoliner gehören zu den Mikronesiern. Merkwürdig sind die großartigen, aus früherer Zeit stammenden Steinbauten, Hafendämme u. a. auf manchen Inseln.

Klima:

Das Klima ist feucht, aber nicht ungesund; das Thermometer zeigt im Dezember 25–30°, im Juni 29–31°. Heftige Orkane richten oft große Verheerungen an.

Briefmarken:

Am 12. Oktober 1899 eröffnet die Reichspost auf den Karolinen eine Filiale. Von 1899 bis 1900 wurden Marken der Reichspost mit diagonalem Aufdruck „Karolinen“ verwendet. Ab November 1900 wurden eigene Marken mit der Kaiserlichen Jacht Hohenzollern als Motiv zur Ausgabe gebracht.

Karolinen, 20 Pfennig, 1900
Karolinen, 20 Pfennig, 1900
Karolinen, 30 Pfennig, 1900
Karolinen, 30 Pfennig, 1900
Karolinen, 5 Mark, 1900
Karolinen, 5 Mark, 1900

Handel:

Den wichtigen Koprahandel hat hauptsächlich die deutsche Jaluitgesellschaft in Händen.

Geschichte:

Die Inselgruppe wurde 1527 durch den Portugiesen Diego da Rocha entdeckt und Sequeirainseln getauft, erhielt aber 1686 von dem Spanier Lazeano nach König Karl II. ihren jetzigen Namen. Von Manila aus versuchten die Jesuiten die Bewohner der Karolinen zum Christentum zu bekehren, ihre Expeditionen misslangen aber und als 1731 Pater Cantova ermordet wurde, kümmerte sich Spanien nicht mehr um die Inselgruppe. Untersucht wurde sie 1817 durch Kotzebue mit Chamisso, 1824 durch Duperrey, besonders aber 1827 und 1828 durch Lütke. Als Spanien 1875 sein in Vergessenheit geratenes Besitzrecht geltend machen wollte, wurden seine Ansprüche sowohl von Deutschland als von England zurückgewiesen. Als dann Spanien 1885 gegen die deutsche Besitzergreifung protestierte, erklärte sich Deutschland bereit, die Streitfrage dem Schiedsgericht des Papstes zu unterwerfen. Dieser entschied am 22. Oktober, dass die Karolinen und Palauinseln Spanien gehören, dieses aber Deutschland volle Freiheit und Schutz des Handels und der Schifffahrt sowie das Recht, auf den Karolinen eine Schiffs- und Kohlenstation anzulegen, gewähren sollte. Auf die Schiffs- und Kohlenstation verzichtete Deutschland 1886, kam aber durch ein Abkommen vom 30. Juni 1899 in den Besitz der Inselgruppe, für die Spanien eine Geldentschädigung von 25 Millionen Pesetas (20.250.000 Goldmark) erhielt.

Deutsch Neu-Guinea, Namanula
Deutsch Neu-Guinea, Namanula
Deutsch Neu-Guinea, Südlicher Teil von Rabaul, vom Namanulaweg aus gesehen
Deutsch Neu-Guinea, Südlicher Teil von Rabaul, vom Namanulaweg aus gesehen

Geschichte (westliche Südsee-Schutzgebiete):

11. November 1880
Unter der Führung des Geheimen Kommerzienrates von Hansemann 1880 bildet sich in Berlin eine Gesellschaft, welche in der Südsee ein großes Kolonialunternehmen in Angriff nehmen will.
In einer Denkschrift werden dem Reichskanzler Otto von Bismarck diesbezügliche Vorschläge unterbreitet.

15. Februar 1881
Der stellvertretende Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Graf Limburg-Stirum, gibt Herrn von Hansemann auf seine Eingabe vom 11. November 1880, die Gründung eines Südseekolonialunternehmens betreffend, im Namen Bismarcks eine ablehnende Antwort. Diese nimmt auf die Ablehnung der Samoavorlage im April 1880 Bezug: man müsse es Privatunternehmungen überlassen, auf eigene Hand vorzugehen. Letzteren wolle man allerdings Marine und Konsularschutz angedeihen lassen. Dieser Bescheid entmutigt Hansemann nicht, der seine Ziele weiter verfolgt.

Dorfszene auf dem Bismarck-Archipel, S.M.S. Bussard
Dorfszene auf dem Bismarck-Archipel, S.M.S. Bussard

26. Mai 1884
Die bereits am 11. November 1880 von von Hansemann gegründete Gesellschaft konstituiert sich nach den Bestimmungen des preußischen Landrechtes unter dem Namen „Neuguinea-Compagnie“ zu Berlin mit dem Zweck, in der Südsee ein Staatswesen mit eigenen Hoheitsrechten, jedoch unter dem Schutze des Deutschen Reiches, zu errichten. Die Durchführung wird der „Deutschen Handels- und Plantagen-Gesellschaft“ übertragen und der Forschungsreisende Dr. Otto Finsch für die Leitung gewonnen.

19. August 1884
Bismarck gibt die telegrafische Weisung an den deutschen Generalkonsul in Sydney und den kaiserlichen Kommissar in Neubritannien (Neupommern), von Oertzen, „dass die Absicht bestehe, zunächst im Archipel von Neubritannien und auf dem außerhalb der berechtigten Interessensphäre der Niederlande und Englands liegenden Teile der Nordostküste von Neuguinea, überall, wo deutsche Niederlassungen bereits beständen oder in Ausführung begriffen seien, alsbald die deutsche Flagge zu hissen„.

20. August 1884
Bismarck antwortet der in Berlin von Direktor von Hansemann von der Diskontogesellschaft gegründeten „Neuguinea-Compagnie“ auf ihr Gesuch vom 20. August 1884, dass er bereit sei, die von dieser Gesellschaft beabsichtigten Erwerbungen, soweit die Unabhängigkeit der Gebiete feststehe, zu schützen.

Deutsch-Neu-Guinea, Herbertshöhe, Marktweiber (Gazelle-Halbinsel)
Deutsch-Neu-Guinea, Herbertshöhe, Marktweiber (Gazelle-Halbinsel)

11. September 1884
Dr. Finsch tritt mit Kapitän Dallmann und Steuermann Sechstroh seine Südseereise von Sydney aus auf der „Samoa“ an. (Ausreise von Bremen am 15. Juni.)

3. November 1884
Die Kommandanten der Kriegsschiffe S.M.S. Elisabeth und S.M.S. Hyäne hissen in Gegenwart von Dr. Finsch (der schon vorher in verschiedenen Häfen die deutsche Flagge gehisst hatte) auf Matupi, einer kleinen Insel im Bismarck-Archipel, die Flagge und stellen das Land unter den Schutz des Deutschen Reiches.

27. November 1884
In einem von Finsch und Dallmann entdeckten Hafen in Neuguinea, der bald „Finschhafen“ getauft wird, wird von dem Kommandanten Langemack in Anwesenheit von Dr. Finsch und Kapitän Dallmann auf der so genannten „Flaggenhalbinsel“ die Reichsflagge gehisst.

Deutsch-Neu-Guinea, Strandpromenade in Friedrich Wilhelmshafen
Deutsch-Neu-Guinea, Strandpromenade in Friedrich Wilhelmshafen

23. Dezember 1884
Bismarck teilt den anderen Mächten mit, dass die Erwerbungen der „Neuguinea-Compagnie“ unter deutschen Schutz gestellt seien, nachdem deutsche Kriegsschiffe in Papua (Neuguinea) die Reichsflagge gehisst haben.

4. – 10. März 1885
Deutsch-britische Verhandlungen in London. Herbert Bismarck bereinigt die entstandenen Differenzen, so dass nunmehr das Deutsche Reich unangefochten im Besitz seiner Erwerbungen in Neuguinea bleibt. Am 27. Februar 1885 war bereits ein aus vier Schiffen bestehendes Südseegeschwader gebildet worden. Auch die Marshall- und Karolinen- sowie ein Teil der Salomon-Inseln werden durch dieses Abkommen der deutschen Interessensphäre überlassen.

17. Mai 1885
Kaiser Wilhelm I. verleiht der Neuguinea-Compagnie einen Schutzbrief, durch den ihr die Landeshoheit übertragen wird.
Die NGC. führt eine eigene Flagge: auf weißem Grunde eine schwarz-weiß-rote Gösch in der linken oberen Ecke, rechts unten ein schreitender roter Löwe. Auch prägt die Compagnie eigene Münzen in Kupfer, Bronze, Silber und Gold mit der Bezeichnung „Neuguinea-Mark“ und „Neuguinea-Pfennig“. Auf der Rückseite tragen sie das Bild eines Paradiesvogels. Am 15. April 1911 werden sie außer Kurs gesetzt.

1 Neu-Guinea Mark, 1894
1 Neu-Guinea Mark, 1894

2. September 1885
Dr. Finsch, der im Auftrage der Neuguinea-Compagnie seit Juni 1884 die Besitzergreifung Neuguineas und des Bismarck-Archipels vorgenommen hat, kehrt nach Berlin zurück, wo er noch als Berater bis zum Juni 1886 bei der Gesellschaft bleibt.

15. Oktober 1885
Die Marshall-Inseln werden durch die Reichsregierung in Besitz genommen. Kapitänleutnant Röttger, Kommandant des deutschen Kanonenbootes S.M.S. Nautilus, schließt mit Oberhäuptern der Marschall-Inseln Verträge ab, durch welche die Inseln „unter deutschen Schutz gestellt werden„. Flaggenhissung auf der Marshall-Insel Jaluit.

17. Dezember 1885
Die Karolinen- und Palau-Inseln werden durch einen Schiedsspruch 17. Dezember des Papstes Leo XIII. Spanien zuerkannt.

Gruss aus Yap (Karolinen)
Gruss aus Yap (Karolinen)

1886
England erkennt den deutschen Einfluss in der Südsee an. Deutschland erhält die drei nördlichen Salomon-Inseln Bougainville (mit Buka), Choiseul und Isabel zugeteilt. 1899 werden die beiden letzteren Inseln bei der Samoaauseinandersetzung an England gegeben.

19. April 1886
Die Schradersche Expedition in Neuguinea kehrt nach Finschhafen zurück, ohne ihre Aufgabe, das Innere bis zur englischen Grenze zu erforschen, ganz erfüllt zu haben. Außer dem Astronomen Schrader nahmen an der Expedition der Botaniker Hollrung und der Geologe Schneider teil. Die Forscher widmen sich auch dem Gebiet des Augustaflusses, den sie zusammen mit dem Landeshauptmann Admiral von Schleinitz auf dem Dampfer „Ottilie“ (Kapitän Rasch) einige hundert Kilometer aufwärts befahren. Von Schleinitz dringt am 10. Juni als erster 400 Seemeilen vor. Der Fluss war kurz vorher erst von Kapitän Dallmann entdeckt worden.

Juni 1886
Freiherr von Schleinitz mit Frau und vier Kindern trifft als erster Landeshauptmann der Neuguinea-Compagnie in Finschhafen ein und verlässt es nach dem Tode seiner Frau und der schweren Erkrankung seiner Kinder am 12. März 1888. Sein Nachfolger wird der spätere Postminister Krätke.

Gruss aus Jaluit (Marshall-Inseln)
Gruss aus Jaluit (Marshall-Inseln), Kaiserlich Deutsche Landeshauptmannschaft

30. Juni 1886
Ausfahrt des ersten deutschen staatlich subventionierten Dampfers nach Ostasien.

23. und 30. Oktober 1886
Flaggenhissung auf den Salomon-Inseln.

13. Dezember 1887
Die westlichen Salomon-Inseln kommen unter deutsche Oberhoheit. Im späteren Samoaabkommen müssen sie jedoch bis auf Bougainville zusammen mit den Tonca-Inseln den Briten zugestanden werden.

1. Januar 1888
Das Schutzgebiet Neuguinea wird dem Weltpostverein angegliedert. Ende 1887 richtet die Neuguinea-Compagnie eine regelmäßige Schiffsverbindung mit dem kleinen Dampfer „Ottilie“ zwischen Finschhafen und Australien (Cooktown In Queensland) ein. Die Fahrt dauert fünf Tage. Am 15. Februar 1888 wird die erste deutsche Postagentur in Finschhafen eingerichtet. Die Verbindung mit Australien wird bereits 1889 aufgegeben und eine solche mit Soerabaya auf Java eingerichtet. Später (1891 geht die „Ottilie“ unter) wird der Anschluss von Soerabaya nach Singapore verlegt.

Deutsch-Neu-Guinea, Herbertshöhe, Wohnhaus in Takubar, Gazelle-Halbinsel
Deutsch-Neu-Guinea, Herbertshöhe, Wohnhaus in Takubar, Gazelle-Halbinsel

18. März 1888
Die an der Küste von Neuguinea liegende Ritter-Insel versinken bei einem heftigen Vulkanausbruch in den Fluten. Mehr als 5000 Menschen sollen dabei durch eine 20 m hohe Flutwelle (Tsunami) ums Leben gekommen und zahlreiche Dörfer an der Südostecke Neuguineas fortgespült worden sein. Dabei ertrinken die deutschen Forscher von Below und Hunstein, die sich in Südneupommern aufgehalten haben.

1891
Finschhafen in Neuguinea wird aufgegeben, da alle dort ansässigen Europäer, einschließlich des Arztes, der Malaria erliegen.

1892- 1893
Der Postdienst von Neuguinea, der von Angestellten der Neuguinea-Compagnie ausgeübt wird, gerät allmählich so in Unordnung, da sich die Reichspostverwaltung entschließt, den Postfachbeamten Wilhelm Gerbich zwecks Neuordnung der Postverhältnisse zu entsenden.

Deutsch-Neu-Guinea, Männer und Knabe der Gazelle-Halbinsel (Raluna)
Deutsch-Neu-Guinea, Männer und Knabe der Gazelle-Halbinsel (Raluna)

11. Mai 1893
Um eine eigene Verbindung zwischen dem Deutschen Reich und Neuguinea zu haben, eröffnet der Norddeutsche Lloyd eine Neuguinea-Zweiglinie, die Anschluss in Singapur an die seit 1885 bereits bestehende Ostasien- und Australienlinie des Lloyd hat.

30. Juni 1896
Nachdem die Expedition von Elhers und dem Polizeiwachtmeister Piering in Neuguinea mit der Ermordung der beiden Deutschen ein frühzeitiges Ende genommen hat (sie wollten die Insel bis zur englischen Küste durchqueren), tritt eine gut ausgerüstete Expedition unter Leitung von Dr. Lauterbach, zu der auch der Arzt Dr. Kersting und Tappenbeck gehören, die Reise ins Innere von Stephansort aus an. Die deutschen Forscher stellen zum ersten Male fest, dass das Bismarckgebirge in Neuguinea aus kristallinen Gesteinen besteht und die Möglichkeit eines Goldvorkommens bietet.
In der gleichen Zeit sind schon Nachrichten über Australien von Goldfunden in Britisch-Neuguinea nach Europa gedrungen. Leider sind die Ergebnisse dieser Forschungen, wie auch solcher anderer Expeditionen (Rodatz 1902, Dammköhler 1905/06 u. a.) nicht bekannt bzw. müssen die Expeditionen zu frühzeitig abgebrochen werden, um praktisch verwertbare geologische Ergebnisse zu zeitigen.

April 1899
In Neuguinea werden besondere Postwertzeichen eingeführt, Indem die bisher gebräuchlichen deutschen Marken mit dem Aufdruck Deutsch-Neuguinea versehen werden.

Deutsch-Neu-Guinea, Friedrich-Wilhelmshafen "Am Pier"
Deutsch-Neu-Guinea, Friedrich-Wilhelmshafen „Am Pier“

1. April 1899
Die Hoheitsrechte der Neuguinea-Compagnie gehen auf das Deutsche Reich über, welches dafür der Gesellschaft 4 Millionen Mark als Entschädigung in zehn Jahresraten zahlt und ihr 50.000 ha Land als Eigentum gibt. (Das Abkommen war im Oktober 1898 abgeschlossen worden.)

30. Juni 1899
Nachdem der Schiedsspruch des Papstes Leo XIII. zwischen Deutschland und Spanien über die Besitzrechte einiger Südseeinseln zugunsten Spaniens ausgefallen war, erwirbt Deutschland von diesem die Marianen. (mit Ausnahme von Guam, das 1898 bereits den USA. zugefallen war) sowie Karolinen- und Palau Inseln für rund 17 Millionen Mark.
Nauru, die reiche Phosphat-Insel, wurde schon 1888 von Deutschland in Besitz genommen.

1906
Die Regierung in Neuguinea, die ursprünglich in Friedrich-Wilhelms-Hafen gewesen ist und dann nach Herbertshöhe verlegt wurde, siedelt nach Simsonhafen am äußersten Ende der Blanchebucht um. Der Ort wird später nach seinem alten Namen Rabaul benannt. Der Norddeutsche Lloyd lässt einen Pier mit einem Kostenaufwand von 700.000 Mark erbauen.

Deutsch-Neu-Guinea, Mioko. Faktorei
Deutsch-Neu-Guinea, Mioko. Faktorei

19. Januar 1906
Die erste Fernsprechanlage in Neuguinea wird in Herbertshöhe fertig gestellt, etwas später folgt Rabaul.

18. März 1907
Einführung einer Kopfsteuer für die Einheimischen in Neuguinea.

Rabaul und Umgebung, 1914
Rabaul und Umgebung, 1914

31. März 1907
Aufbruch der Guttaperchaexpedition in Neuguinea unter Schlechter.

10. Juli 1907
Berlin-Hafen wird in Neuguinea für den Auslandsverkehr eröffnet.

1907
Eröffnung einer Regierungsschule in Namanula bei Rabaul in Neuguinea mit 27 Schülern.

Deutsch Neu-Guinea, Pflanzerleben in Neu-Mecklenburg
Deutsch Neu-Guinea, Pflanzerleben in Neu-Mecklenburg

1909
De Beförderungsdauer von Briefen zwischen dem Deutschen Reich und Rabaul beträgt 42 – 49 Tage.

1910
Eröffnung einer Fortbildungsschule in Saipan.

18. Dezember 1910
Professor Bernhard Schultze, Jena, der deutsche Beauftragte der deutsch-niederländischen Grenzexpedition in Neuguinea, meldet, dass
960 km des Augustaflusses befahren worden sind. Gleichzeitig ist damit die Grenzregulierung zwischen Deutschland und Holland in Neuguinea beendigt.

1911 – 1914
Das Gouvernement in Neuguinea versucht, ein Siedlungsprogramm durchzuführen. 50000 ha Land werden in Losen bis zu 150 ha Kleinsiedlern zur Verfügung gestellt. Neben Kokospalmen wird vor allem die Kakaokultur begünstigt.

Karolinien, Ponape, Steinbrücke
Karolinien, Ponape, Steinbrücke

24. Mai 1912
Gründung der Deutschen Südsee-Gesellschaft für drahtlose Telegrafie in Neuguinea. Bis zum Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) hatte diese Kolonie als einzige keinen Anschluss an das Weltkabelnetz. Die Funkstation wird in Bitapaka errichtet, doch erst behelfsmäßig Ende Juli 1914 in Betrieb genommen, so dass die Nachrichten von dem Ausbruch des Weltkrieges am 5. August 10.15 Uhr empfangen werden können. Einige Tage später wird auch der Sendebetrieb eingerichtet.

1912 – 1913
Die große deutsche Sepikexpedition erforscht das Stromgebiet des Kaiserin-Augusta-Flusses in Neuguinea, welcher an seiner Mündung Sepik genannt wird. Die Expedition steht unter der Leitung des landeskundigen Geologen Stolle. Dr. Walter Behrmann als Geograph, die Ethnologen Dr. Thurnwald und Dr. Roesicke und andere Deutsche gehören der von dem späteren Kameruner Gouverneur Dr. Ebermaier in der Heimat organisierten und vom Reichskolonialamt und dem Staatsmuseum sowie der Kolonialgesellschaft finanzierten Expedition an.

6. Februar 1913
Erste Befahrung des Töpferflusses in Neuguinea durch Dr. Behrmann.

Deutsch Neu-Guinea, Badende Papuakinder

22. Juli 1913
Frau Emma Kolbe gestorben. Sie war als „Queen Emma“ wegen ihrer Pioniertätigkeit in Neupommern bekannt.

26. Oktober 1913
Dr. Thurnwald erreicht von der Nordküste aus den Kaiserin-Augusta-Fluss in Neuguinea.

1. Dezember 1913
Aufnahme des Funkbetriebes auf der Großstation Nauru in der Südsee.
Die gewaltigen Phosphorlager von Nauru, einer Marschall-Insel, sind von einer englischen Gesellschaft gepachtet worden.

Deutsch Neu-Guinea, Dorfhaus in Kela
Deutsch Neu-Guinea, Dorfhaus in Kela

1. Dezember 1913
Die Deutsche Südseephosphatgesellschaft (Bremen), welche die reichen Phosphatlager auf Angaur (Karolinen) ausbeutet, lässt Funkstationen auf Angaur und Jap (Karolinen) errichten (Baubeginn war bereits 1909).

1913
Der amtliche Jahresbericht über die deutschen Schutzgebiete enthält Angaben über Goldfunde (Schwemmgold), die auch im deutschen Gebiet gemacht worden sind, nachdem schon seit Jahren in Britisch-Papua (Neuguinea-Ost) australische Prospektoren erfolgreich gearbeitet haben. Auch Erdöl wird im nordwestlichen Distrikt festgestellt.

1914
Die geplante Deutsch-Englische Luftschiffexpedition zur Erforschung Neu-Guinea entfällt wegen des Weltkrieges.

Deutsch-Englische Luftschiffexpedition zur Erforschung v. Neu-Guinea, 2 Pfennig
Deutsch-Englische Luftschiffexpedition zur Erforschung v. Neu-Guinea, 2 Pfennig
Deutsch-Englische Luftschiffexpedition zur Erforschung v. Neu-Guinea, 1 Mark
Deutsch-Englische Luftschiffexpedition zur Erforschung v. Neu-Guinea, 1 Mark

August 1914
Die japanische Marine besetzt die Karolinen, Palau-, Marianen und Marschall-Inseln und nimmt diese deutschen Schutzgebiete in der Südsee nördlich des Äquators unter japanische Verwaltung.

11. September 1914
Nachdem bereits am 12. August die australische Flotte versucht hat, die Funkstation in Neuguinea zu erstürmen, erfolgt nun ein neuer Angriff auf diese, welche nur schwach durch die kleine Polizeitruppe und die von den Deutschen gebildete Wehrabteilung (50 Mann) zunächst verteidigt werden konnte. Bitapaka bei Herbertshöhe muss aufgegeben und der Funkturm vernichtet werden. Diese Station (unter Leitung des Ingenieurs Kleinschmidt, der Ende September an Malaria verstirbt) könnte dem Kreuzergeschwader unter Admirals Graf Spee die Bewegungen der englischen Flotte eine Zeit lang übermittelte.

Deutsch Neu-Guinea, Zeltlager einer Expedition
Deutsch Neu-Guinea, Zeltlager einer Expedition

 

12. September 1914
Rabaul, der Gouvernementssitz von Neuguinea, wird von den Australiern eingenommen, nachdem vorher verschiedene kleine Gefechte mit der Polizeitruppe stattgefunden haben, bei denen die Australier Verluste zu beklagen hatten.
Der kleinen Polizeitruppe von wenigen hundert Einheimischen mit einigen Deutschen standen mehr als 3000 Australier, die unter dem Schutz ihrer Kriegsschiffe gelandet waren, gegenüber.

1914 – 1918
Grenz- und Forschungsexpedition des Hauptmanns Detzner in Neuguinea. Durch den Ausbruch des Weltkrieges ist Detzner gezwungen, im Innern des Landes zu bleiben und nutzt die Zeit durch zahlreiche Reisen in dem östlichen Teil von Neuguinea aus, um das Innere des Landes sowie die dort lebenden Volksstämme wie kein Forscher vorher kennen zu lernen. Leider sind seine bei der Grenzexpedition im Jahre 1914 gemachten umfangreichen Aufzeichnungen, Karten, Zeichnungen und Photos während seiner Abwesenheit von der Küste in Morobe verloren gegangen. Auch sein dort zurückgelassenes persönliches Gepäck ist von dem australischen Kommandanten aufgebrochen und konfisziert worden. Nach Rabaul Anfang 1919 zurückgekehrt, wird Detzner noch Anfang Februar nach Australien gebracht und dort mehrere Monate zusammen mit den deutschen Zivilgefangenen interniert.
Abschluss eines englisch-japanischen Geheimvertrages über die Abtretung Kiautschous, der sonstigen Rechte und Privilegien Deutschlands in Schantung sowie der deutschen Südsee-Inseln nördlich des Äquators an Japan.

Deutsch Neu-Guinea, Herberthöhe, Verwaltungsgebäude der D.H.P.O. auf Mioko, Neu-Lauenberg-Gruppe
Deutsch Neu-Guinea, Herberthöhe, Verwaltungsgebäude der D.H.P.O. auf Mioko, Neu-Lauenberg-Gruppe

1921
Australien als Mandatar von Deutsch-Neuguinea liquidiert unter Bruch des geschlossenen Abkommens das Vermögen der dort ansässigen Deutschen und weist dieselben unter besonders kränkenden Bestimmungen aus. Erst 1926 sind wieder Deutsche in Neuguinea tätig.

2. August 1940
Im Widerspruch zum Mandatsrecht erklärt die australische Regierung Neuguinea als achten australischen Militärbezirk.

Ab 1945
Atombombenversuche der USA auf den Atollen Bikini und Eniwetok (Marshallinseln).

1949
Verwaltungsmäßige Zusammenlegung von Neuguinea mit Papua.

16.09.1975
Unabhängigkeitserklärung von Papua-Neuguinea.

Quellenhinweise:

  • „Deutschlands Kolonien“ von Rochus Schmidt Verlag des Vereins der Bücherfreunde Schall & Grund 1898
  • „Großes Lehrbuch der Geographie“ E. von Seydlitz, Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1902
  • „Harms Vaterländische Erdkunde“ 7. Auflage Braunschweig und Leipzig Hellmuth Wollermann 1906
  • „Konversationslexikon“, Leipzig und Wien 1909
  • „Die deutschen Kolonien“ Geographie, E. von Seydlitz – Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1910
  • „Deutschlands Kolonien“ von W. Scheel Verlagsanstalt für Farbfotographie Weller & Hüttich 1912
  • „Die deutschen Kolonien“ Herausgegeben von Kurd Schwabe Nationalausgabe – Band I/II 1914
  • „Deutsches Kolonial-Lexikon“ Leipzig 1920
  • „Der Kampf um unsere Schutzgebiete – Unsere Kolonien einst und jetzt“ von P. Jos. M. Abs Düsseldorf 1926
  • zeitgenössische Postkarten mit ihren originalen Bildunterschriften.

Im Sinne der Wiederherstellung des Deutschen Reiches aus https://deutsche-schutzgebiete.de/wordpress/kolonien-blog/ am 03.03.2020 entnommen.




Kamerun

Kamerun, Teilansicht der Akwastadt

Kamerun

Verwaltungszentrum Duala

Deutsche Kolonie von 1884 bis 1919

Kamerun, Gouvernements-Gebäude, von Puttkamer, Plantage am Kriegshafen
Kamerun, Gouvernements-Gebäude, von Puttkamer, Plantage am Kriegshafen

Kamerun

Wappen:

Kamerun, Wappen (Entwurf)
Kamerun, Wappen (Entwurf)

Größe:

495.000 km² (entspricht ungefähr der Größe des Deutschen Reichs).

Kamerun, Landkarte 1900
Kamerun, Landkarte 1900
Kamerun, Landkarte 1912
Kamerun, Landkarte 1912
Kamerun 1914
Kamerun, Landkarte 1914
Kamerun, Landkarte 1919
Kamerun, Landkarte 1919

Reichskommissare und Gouverneure:

  • 1884 – 1885 Dr. Maximilian Buchner, Reichskommissar (1846 – 1921)
  • 1885 – 1891 Julius Freiherr von Soden (1846 – 1921)
  • 1891 – 1895 Eugen von Zimmerer (1843 – 1918)
  • 1895 – 1906 Jesko von Puttkamer (1855 – 1917)
  • 1907 – 1910 Dr. Theodor Seitz (1863 – 1949)
  • 1910 – 1911 Dr. Otto Gleim (1866 – 1929)
  • 1912 – 1916 Dr. Karl Ebermaier (1862 – 1943)
Marktszene in Kamerun
Marktszene in Kamerun
Kamerun-Victoria am Kamerunberg
Kamerun-Victoria am Kamerunberg

Bevölkerung:

ca. 3.500.000 Einwohner, darunter 1897: 253 Europäer, wovon 181 Deutsche. An den südlichen Abhängen des Kamerungebirges leben die Bakwiri ca. 37.000, an den westlichen die Bamboko ca. 20.000, am Kamerunbecken die Duala ca. 20.000. Dünn bevölkert ist das Urwaldgebiet (150 – 200 km breit), dichter das hochgelegene Savannenland. Angehörige der Kru werden als Faktoreiarbeiter und Matrosen verwandt.

Kamerun, Kamerunstrand, Gouverneur-Haus, Post, Beamtenmesse, Schulhaus, Hafenamt
Kamerun, Kamerunstrand, Gouverneur-Haus, Post, Beamtenmesse, Schulhaus, Hafenamt
Kamerun, Duala
Kamerun, Duala

Schutztruppe:

1898 besteht die Schutztruppe aus 1 Kommandeur, 6 Offiziere, 2 Ärzte, 16 Unteroffiziere, 311 Farbige. Deutschen Militärpersonen unterstehende Polizeitruppen befinden sich in den einzelnen Stationen.

1912 besteht die Schutztruppe aus 2 Stabsoffizieren, 16 Hauptleuten, 44 Oberleutnants und Leutnants, 17 Sanitätsoffizieren, 2 Zahlmeistern, 10 Unterzahlmeistern, 3 Oberfeuerwerkern und Feuerwerkern, 8 Büchsenmachern, 70 Unteroffizieren, 28 Sanitätsunteroffizieren, 1550 farbigen Soldaten. Die Schutztruppe zerfällt in 12 Kompanien und ein Artilleriedetachement.

Kamerun, Schutztruppe
Kamerun, Schutztruppe
Kamerun, Duala, Gerichtsgebäude "Palaverhaus"
Kamerun, Duala, Gerichtsgebäude „Palaverhaus“

Kommandeure der Schutztruppe:

  • 08.07.1894 – 06.08.1896 Hauptmann von Stetten
  • 18.10.1897 – 17.04.1901 Major von Kamptz
  • 18.05.1901 – 31.01.1903 Oberst von Pavel
  • 06.04.1903 – 18.02.1908 Generalmajor Mueller
  • 18.02.1908 – 13.09.1913 Oberstleutnant Puder
  • 13.04.1914 – 1916 Major Zimmermann
Kamerun, Ansicht von Victoria
Kamerun, Ansicht von Victoria
Kamerun, Ansicht von Victoria mit Buea-Weg
Kamerun, Ansicht von Victoria mit Buea-Weg

Regierungssitz:

Duala

Der Sitz der Regierung befindet sich auf der Jossplatte, am linken Ufer der Mündung des Wuri in den Kamerunfluss, unmittelbar südlich von Bellstadt in Kamerun.

Verwaltungsbezirke:

Kamerun, Edea, Victoria, Kribi.

 

Kamerun, West-Afrika, Duala
Kamerun, West-Afrika, Duala
Kamerun, West-Afrika, Bibundi

Stationen:

Rio del Rey, Edea (Ediä), Campo, Yaunde, Lolodorf, Buea, Johann Albrechtshöhe.

Ortschaften:

Etwa 25 km von seiner Mündung liegen am Wuri 3 Dualadörfer, Bellstadt, Akwastadt und Didostadt.

Briefmarken:

Am 1. Juni 1887 wurde Kamerun zum Weltpostverein angemeldet. Von 1887 bis 1901 werden die Marken (Mark und Pfennigausgaben) des Deutschen Reichs verwenden. Diese sind nur an der Verwendungen der Stempel „Kamerun“ und seltener „Victoria-Kamerungebiet“ zu erkennen. Ab 1900 wurden eigene Briefmarken mit der Kaiserlichen Jacht Hohenzollern als Motiv zur Ausgabe gebracht.

Kamerun 20 Pfennig 1900
Kamerun 20 Pfennig 1900
Kamerun 40 Pfennig, 1900
Kamerun 40 Pfennig, 1900
Kamerun 3 Mark, 1900
Kamerun 3 Mark, 1900

Handel und Verkehr:

Die Ausfuhr besteht in Palmkernen, Gummi, Palmöl, Elfenbein, Kakao, Ebenholz, Tabak, Kolanüssen etc. Wert derselben 1896/97: 3.705.955 Mark.

Eingeführt werden Manufakturwaren, Spirituosen, Materialwaren, gemünztes Geld, Salz, Holz und Holzwaren, Eisen und Eisenwaren, Tabak, Reis, Pulver etc. Wert der Einfuhr 1896/97: 5.895.759 Mark.

Bodengestalt und Bewässerung:

Das höchste Gebirge im ganzen Umkreis des Atlantischen Oceans ist das Kamerungebirge (höchster Gipfel der MongomaoLoba, 3960 m). Das Plateauland (7—800 m) steigt im Norden zu dem 1800—3000 m hohen Gebirge von Adamaua an.

Kamerun, Markt in Victoria
Kamerun, Markt in Victoria
Kamerun, Kirche der Basler Mission in Duala-Bonaduma
Kamerun, Kirche der Basler Mission in Duala-Bonaduma

Flüsse:

Der Rio del Rey, (ein Meereseinschnitt), der Kamerufluss, nimmt auf den Mungo und den Bimbiafluss, den Wuri (im Unterlauf Madiba Duala) mit dem Abo und dem Dibombe, den Dibambu und den Kwakwa (ein Mündungsarm des Sanaga). In dieBiafrabai münden der Lom oder Sanaga, der grösste Strom Kameruns (Nachtigalschnellen) und der Nyong. Das nördliche Gebiet von Kamerun durchfließt der schiffbare Benue, der bedeutendste Nebenfluss des Niger, der als internationaler Wasserarm (Nigerschifffahrtsacte 1885) den Nordosten des Schutzgebiets mit dem Atlantischen Ozean direkt verbindet; im südlichen findet sich der Oberlauf des Ngoko- bzw. des Ssangaflusses, durch den ein Anschluss Zum Congo besteht.

Kamerun, S.M.S. Sperber auf Reede vor Victoria (Limbe-Fluss)
Kamerun, S.M.S. Sperber auf Reede vor Victoria (Limbe-Fluss)
Kakaoernte mit Bali-Weyboys
Kakaoernte mit Bali-Weyboys

Klima:

Das Jahr hat vier Temperaturabschnitte; der Februar mit 27, 10° Celsius ist im Durchschnitt der wärmste, der Juli mit 23, 48° Celsius der kühlste Monat.

Geschichte:

1868
Die Firma C. Woermann richtet eine Faktorei im Gebiet des Kamerunflusses ein und benutzt hierzu eine auf dem Fluss verankerte Hulk (ausgedientes Schiff).

Hulk der Firma C. Woermann am Kamerunfluss, 1868
Hulk der Firma C. Woermann am Kamerunfluss, 1868

1877-1879
Der erste Woermanndampfer „Aline“ wird erbaut und in den Westafrikadienst gestellt (1279 BRT.). 1884 sind es bereits fünf Schiffe, die die Verbindung zwischen Hamburg und Kamerun aufrechterhalten.

1881
Die Firma C. Woermann gründet in Duala die erste Niederlassung auf dem Festland.

1883/84
Bereits Ende 1883 fasst Fr. Colin aus Landau den Plan, im Gebiet der freien Bagas und Susus in Westafrika, gegenüber den englischen Los-Inseln, eine deutsche Kolonie zu gründen, die Dembiahkolonie. Er legt zunächst am Dubrekafluss eine Faktorei an und verhandelt mit den benachbarten Stammesführern. Nachdem das Auswärtige Amt seinen Plänen zugestimmt hat, kommen Dr. Nachtigal und Dr. Buchner, an Bord der Kriegsschiffe S.M.S. Elisabeth und S.M.S. Möwe, an der Sangariküste an. Es gelingt, mit einigen Stammesführern Schutzverträge abzuschließen, doch stellt sich bei sorgfältiger Prüfung heraus, dass andere Stammesführer bereits Verträge (1880) mit den Franzosen abgeschlossen haben. Diese werden respektiert. In dem deutsch-französischen Vertrag vom 24. Dezember 1885 wird das Gebiet der Dembiahkolonie an Frankreich abgetreten. Damit kommt auch die im März 1885 gegründete Handelsgesellschaft „Fr. Colin, Deutsch-Afrikanisches Geschäft“ unter französische Gerichtsbarkeit.

Faktorei der Firma C. Woermann am Kamerunfluss. Schauplatz der Verhandlungen, die zur Erwerbung Kameruns führten.
Faktorei der Firma C. Woermann am Kamerunfluss. Schauplatz der Verhandlungen, die zur Erwerbung Kameruns führten.

19. Mai 1884
Dr. Nachtigal, deutscher Generalkonsul in Tunis, wird von Otto von Bismarck beauftragt, nach Westafrika zu fahren, um „…die dort ansässigen Deutschen unter deutschen Schutz zu stellen„. Die Instruktion bezieht sich auf den Küstenstrich zwischen dem Nigerdelta und Gabun, insbesondere das Gebiet gegenüber der spanischen Insel Fernando Po von der Mündung des Kamerunflusses (Kamerun aus dem portugiesischen Wort cameröes = Krabben gebildet) bis zum Kap St. John. In der Weisung heißt es, dass die Errichtung einer Verwaltung sowie einer Garnison deutscher Truppen nicht beabsichtigt ist.

11. – 14. Juli 1884
In Bimbia wird am 11. Juli der erste Schutzvertrag unterzeichnet. Nachdem die Agenten der Firmen Woermann und Jantzen & Thormählen bereits vorgearbeitet haben, gelingt es dem Reichskommissar Dr. Nachtigal und seinem Begleiter Dr. Buchner, auch die Könige Bell und Aqua, deren Stammesführer bisher infolge englischen Einflusses dagegen waren, zum Unterzeichnen eines Schutzvertrages zu bewegen. Am 14. Juli erfolgt die feierliche Flaggenhissung in den Dörfern Bell, Aqua und Didotown in Anwesenheit des Kriegsschiffes S.M.S. Möwe.
Großbritannien war um einige Tage zu spät gekommen, obschon bereits 1882 das Land den Briten als Protektorat angeboten worden war; diese aber auf dieses Angebot nicht geantwortet hatten.

Gustav Nachtigal

Dr. Gustav Nachtigal

* 23.02.1834 in Eichstedt/Altmark (Reg.-Bez. Magdeburg), † 20.04.1885 an Bord von S.M.S. Möwe vor Westafrika, Arzt und Afrikareisender, 1884 stellte er Togo und Kamerun unter deutschen Schutz.

1884/85
In den darauf folgenden Wochen und Monaten werden von Dr. Buchner weitere Verträge im Innern abgeschlossen, zuletzt in Südkamerun. Die Besitzverhältnisse und die Hoheitsrechte unter den Küstenstammesführern waren sehr schwierig, ein Umstand, der zu Konflikten mit den alteingesessenen Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich führte.

18. – 22. September 1884
Aufstand gegen den deutschfreundlichen König Bell, veranlasst durch britische Kaufleute. Der Aufstand wird durch ein Landungskorps der Kriegsschiffe S.M.S. Bismarck und S.M.S. Olga, die unter dem Kommando des Admirals Knorr stehen, unterdrückt, nachdem die Joßplatte, wo sich die Aufständischen verschanzt haben, erstürmt ist. Bei diesem Kampf fällt der Agent der Firma Woermann, Pantenius.

29. April 1885
Über die Abgrenzung der gegenseitigen Interessen wird ein Abkommen zwischen Großbritannien und Deutschland getroffen.

3. Juli 1885
Der erste Gouverneur von Kamerun, Freiherr von Soden, trifft ein. In seiner Begleitung ist als Kanzler der Referendar Jesko von Puttkamer sowie als Amtsdiener der Unteroffizier Füllbier, der eine Polizeitruppe ausbilden soll, zu deren Aufstellung es jedoch erst 1891 kommt.

Parade der Kameruner Schutztruppe vor dem Gouverneur
Parade der Kameruner Schutztruppe vor dem Gouverneur

24. Dezember 1885
Unterzeichnung eines Protokolls zwischen Deutschland und Frankreich, welches die Machtsphären beider Staaten In Afrika, wo sich dieselben berühren, definitiv feststellt. Durch Austausch der durcheinander liegenden kleinen Schutzgebiete wird die Grenzfrage in Kamerun befriedigend gelöst.

10. Oktober 1886
Die deutsche Reichsmarkwährung wird eingeführt. (Früher wurde 1886 nach Krus ein Geschäft abgeschlossen. 1 Kru wird jetzt = 20 Mark = 80 Liter Palmöl = 160 Liter Palmkerne bewertet.)

Münzen, Deutschland 1900
Münzen, Deutschland 1900 (Mark und Pfennig)

Dezember 1893
50 Dahomeysoldaten der Polizeitruppe rebellierten, weil ihre Frauen wegen angeblicher Faulheit geprügelt wurden. Außerdem forderten sie als vom Deutschen Reich in Dahomey freigekaufte Sklaven Sold. In der ersten Zeit erhielten sie aber lediglich Kleidung, Kost und Logis. Als die Aufständischen das Regierungsgebäude und die Häuser auf der Joßplatte plündern, wird der Aufruhr von der Mannschaft des Kreuzers S.M.S. Hyäne niedergeschlagen.

15. März 1894
Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich über strittige Gebiete. Deutschland erhält den so genannten „Entenschnabel“. Diese Grenzziehung besteht bis 1911.

Dezember 1894
Der Landeshauptmann Jesko von Puttkamer (Togo) wird stellvertretender Gouverneur (Gouverneur von Zimmerer erkrankt).

Jesko von Puttkamer

Jesko von Puttkamer

* 02.07.1855 in Berlin, † 23.01.1917 in Charlottenburg, Gouverneur von Kamerun und Kaiserlicher Kommissar von Togo.

Dezember 1894
Oberleutnant von Stetten führt eine Strafexpedition gegen die Bakwiri, die ihren Boden gegen die Landnahme durch Faktoreien verteidigen. Seine Begleiter sind Dr. Preuß und Leutnant Hans Dominik. Als der Stammesführer „Dschagga“ fällt, unterwerfen sich die Bakwiri, womit die Pflanzungsarbeit am Kamerunberg beginnen kann. Die Gebeine des 1891 gefallenen Hauptmanns von Gravenreuth, des „Löwen von Ostafrika“, werden gefunden und in Duala unter seinem Denkmal beigesetzt.

1897
Gründung der großen Kakaopflanzung „Viktoria“ am Kamerunberg (Dr. Eugen Zintgraff). Grundkapital 2,5 Millionen Mark.

1898
Vergabe eines großen Gebietes (vom Umfange Bayerns) als Konzession an eine hamburgisch-englische Spekulationsgesellschaft.

1899
Die Expedition Schlechter stellt den Reichtum des Waldgebietes an Kautschuk liefernden Pflanzen fest. Zahllose Händler dringen in das Waldgebiet ein, es kommt zu Konflikten mit ansässigen Stämmen. Ein Aufstand des Bulistamm im Hinterland von Kribi wird blutig niedergeschlagen.

Duala, Nachtigall-Denkmal
Duala, Nachtigall-Denkmal
Gravenreuth-Denkmal für Kamerun
Gravenreuth-Denkmal für Kamerun

1900
Beginn intensiver Durchführung von Schutzimpfungen gegen Pocken.

1902 – 1904
Eine deutsch-englische Grenzexpedition nimmt genaue Vermessungen der Grenzlinie zwischen Yola und dem Tschadsee vor.

1902
Die Pflanzungen am Kamerunberg nehmen eine eigene Gebirgsbahn von 7 km Länge in Betrieb, die später bis Soppo, 4 km unterhalb Buea, verlängert wird.

21. Februar 1902
Eine Verordnung des Reichskanzlers über die Haussklaverei in Kamerun bezweckt eine systematische allmähliche Abschaffung der Sklaverei.

1903
In den Waldgebieten am oberen Dja und Njong im Süden kommt es nach Ermordung und Flucht der Händler zu ernsten Unruhen, die niedergeschlagen werden.

Kamerun, Einsacken von Palmkernen
Kamerun, Einsacken von Palmkernen

1905 – 1907
Nachdem die Gesellschaft „Südkamerun“ einen Dampfer auf den oberen Njong brachte, kommt es zu einem gemeinsamen Aufstand der dort ansässigen Stämme.

15. April 1907
Umwandlung der Kopfsteuer in eine Gebäudesteuer.

1. Juni 1907
Verordnung über Bezahlung von Arbeitern in Kamerun. Mit Ausnahme von Südkamerun müssen alle Löhne in Bargeld bezahlt werden.

1908
Religiöse Aufstände der islamischen Bevölkerung im Norden werden von der Polizeitruppe schnell niedergeworfen.

1908
Durch einen Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich wird die Süd- und Ostgrenze reguliert.

Kamerun, Faktorei am Bibundi-Fluß der Westafr. Pflanzungs-Gesellschaft "Bibundi"
Kamerun, Faktorei am Bibundi-Fluß der Westafr. Pflanzungs-Gesellschaft „Bibundi“

1. März 1908
Das Gouvernement in Buea richtet eine eigene Druckerei ein, die einen europäischen Drucker und 15 einheimische Lehrlinge beschäftigt.

1909
Die Manengubabahn im Norden Kameruns wird eröffnet (160 km).

1909
Gründung eines großen Lepraheims in Ossidinge, welches eigenen landwirtschaftlichen Betrieb (1200 ha) erhält, so dass sich die Kranken selbst ernähren können. Die Ansiedlung der Leprosen findet 1911 statt (600 Kranke).

Oktober 1909
Eine Tischlereilehrwerkstatt in Duala wird in Betrieb genommen. Es werden fünf farbige Gesellen und zehn Lehrlinge beschäftigt.

1. Oktober 1910
Eröffnung der landwirtschaftlichen Schule in Viktoria mit 19 Schülern. Ausbildung (dreijähriger Kursus) von einheimischen landwirtschaftlichen Aufsichtsbeamten.

Kamerun, Kaiserliche Gouvernementswerkstätte in Duala
Kamerun, Kaiserliche Gouvernementswerkstätte in Duala

16. Dezember 1910
Hauptmann Hans Dominik, welcher 16 Jahre der Kameruner Schutztruppe angehörte, stirbt auf der Heimreise nach Deutschland. Dominik diente auf der Station Jaunde.

4. November 1911
Deutsch-französisches Marokkoabkommen (Marokko-Vertrag ), durch welches Deutschland Neukamerun und damit Zutritt zu dem Kongo und seinem größten rechten Nebenfluss Ubangi erhält.

1912
Gründung der Tabakpflanzung Batschenga bei Jaunde in Südkamerun

1912
Die erste Funkstation wird nahe bei Duala von der Gesellschaft Telefunken errichtet.

1912
Gründung der Afrikanischen Frucht-Compagnie, G. m. b. H., Bananenpflanzung in der Tikoebene.

Kamerun, Lehrerfamilie in Marienberg, Sanaga
Kamerun, Lehrerfamilie in Marienberg, Sanaga

1. Februar 1913
Übernahme des Ubangivorsprunges in deutsche Verwaltung.

22. Februar 1913
Einführung einer Kopfsteuer von 10 Mark in ganz Kamerun.

1. April 1913
Deutschland übernimmt die französische Station Carnot in Neukamerun.

1. Juni 1913
Abschluss des Gebietsaustausches mit Frankreich in Alt- und Neukamerun.

9. – 19. Juni 1913
Oberleutnant von Hagen nimmt Besitz von dem letzten von Frankreich abgetretenen Gebiet in Neukamerun.

10. September 1913
Erhöhung der Einfuhrzölle zugunsten der Erbauung von Automobilstraßen.

30. Oktober 1913
Eröffnung eines Europäerkrankenhauses in Jaunde.

Kamerun, Polizeitruppe
Gruss aus dem Schutzgebiet Kamerun, Polizeitruppe in Kamerun

1. August 1914
Die Mittellandbahn wird von Duala über Eseka (173 km) bis km 180 fertig gestellt. Spurweite 1 m.

1. August 1914
In Kamerun wird die Nachricht von dem Kriegsausbruch in Europa bekannt. Der Ausnahmezustand wird verhängt. Am 15. August verlegt der Gouverneur seinen Dienstsitz von Buea nach Duala. Die Barre des Kamerunflusses bei Duala wird durch Versenkung mehrerer Dampfer gesperrt. Die Schutztruppe verfügt über einen Bestand 185 weißer und 1550 schwarzer Soldaten, die Polizeitruppe zählt 30 Weiße und 1200 Eingeborene.
Rudolf Manga Bell, ein Enkel König Bells, wird im August 1914 hingerichtet. Bell wehrte sich gegen die geplanten Umsiedlungen der Einheimischen aus Duala und die Aufgabe ihrer traditionellen Siedlungsplätze, indem er deutsche Anwälte beauftragte, in Berlin auf dem parlamentarischen Weg dies zu verhindern. Seine Aktivitäten wurden ihm als Hochverrat ausgelegt.

2. August 1914
Der Gouverneur überträgt alle militärischen Befehlsbefugnisse auf den Kommandeur Major Zimmermann.

5. August 1914
Der Kriegszustand wird über Kamerun verhängt.

Das Wohnhaus des Gouverneurs von Kamerun in Buea.
Das Wohnhaus des Gouverneurs von Kamerun in Buea. v.l.n.r. Gouverneur Dr. Seitz, Frau Seitz, Frl. von Cleve, Gesellschaftsdame, Adjudant Oberleutnannt von Puttkamer

7. August 1914
Belgischer Vorschlag zur Neutralisierung des konventionellen Kongobeckens, zu dem auch fast ganz Neukamerun gehört, an Frankreich, das sich am 7. August einverstanden erklärt. Großbritannien weigert sich (am 17. August), die Neutralisierung anzuerkennen.

7. August 1914
Französische Truppen greifen den deutschen Zollpostens Singa an der Ostgrenze an, wohin eine Kolonne von 300 Soldaten von dem französischen Grenzort Bangui bereits am 5. August in Marsch gesetzt worden ist. Vom Norden aus über den Schari wird die Einnahme von Kusseri versucht, die Franzosen müssen sich unter schweren Verlusten zurückziehen..

12. August 1914
In Ermangelung von Banknoten und Hartgeld werden Schatzscheine im Gesamtwert von 2 Millionen Mark ausgegeben.

25. August 1914
Die britische Truppen rücken von Nigerien über die Nordwestgrenze und besetzen Nssanakang.

Kameruner Schutztruppe bei Rast auf der Basler Missionsstation Nyasosso
Kameruner Schutztruppe bei Rast auf der Basler Missionsstation Nyasosso

28. August 1914
Die Belgier treten in den Kampf ein.

9. September 1914
Eine britische Abteilung rückt an der Küste entlang in Kamerun ein. Bei Nssanakang werden sie zurückgeschlagen.

26. September 1914
Britische und französische Kriegsschiffe dringen in die Kamerunbucht ein und beschießen Duala, um Truppenteile zu landen. Die in der Nähe liegende deutsche Funkstation, welche bis dahin mit Nauen in Verbindung stand, wird von den Deutschen selbst rechtzeitig zerstört.

 

1914 English forces preparing embarkment to attack the port of Duala Cameroun
1914 English forces preparing embarkment to attack the port of Duala Cameroun

27. September 1914
Britische Truppen besetzen Duala von der See aus. Ein großer Teil der Deutschen muss in englische und französische Gefangenschaft gehen, da es nicht genügend Waffen gab, um alle Männer zu bewaffnen. Den Deutschen in Viktoria und Buea erging es im November ebenso.

Kamerun 25 Pfennig, Britische Besetzung
Kamerun 25 Pfennig, Britische Besetzung

 

8. Oktober 1914
Ein britischer Angriff auf Jabassi wird zunächst abgewiesen, ist dann aber am 14. Oktober erfolgreich.

26. Oktober 1914
Edea und Sanaga werden von den Franzosen besetzt.

Kamerun, Teilansicht der Akwastadt
Kamerun, Teilansicht der Akwastadt

10. Juni 1915
Die deutsche Station Garua am Benue, die den britischen Truppen lange Widerstand geleistet hat, muss kapitulieren. Am 27. Juni muss im Zentrum Ngaundere und schließlich am 24. Oktober auch das westlich davon gelegene Banjo geräumt werden. Die deutschen Truppen ziehen sich zu der Hauptabteilung nach Jaunde zurück, wo sie sich bis zur Jahreswende 1915/16 halten.

Januar 1916
Die deutsche Schutztruppe in Stärke von 900 Weißen und 14.000 schwarzen Soldaten und Trägern tritt den Marsch nach der benachbarten spanischen Rio-Muni-Kolonie an, wo sie am 14. Februar entwaffnet und unter spanischen Schutz gestellt wird. Der Truppe sind 40.000 Eingeborene gefolgt. Die Deutschen, die nicht nach Spanien übergeführt, sondern vorher in französische Gefangenschaft geraten sind, werden zusammen mit den Togo-Deutschen in das berüchtigte Lager von Dahomey gebracht.
Im Norden hält sich noch westlich des Logoneflusses auf der Station Mora, die 3. Kompanie unter Hauptmann von Raben. Am 18. Februar 1916 ergeben sich die Deutschen, da ihnen die Munition ausgegangen ist.

Gouvernements-Palast in Buea am südlichen Abhang des Kamerunberges
Gouvernements-Palast in Buea am südlichen Abhang des Kamerunberges

1916
Abschluss eines Geheimvertrages zwischen Frankreich und Großbritannien über die Teilung Kameruns. Nach diesem wird bereits während des Ersten Weltkrieges Kamerun in ein kleineres, an Nigerien grenzendes englisches und in ein weit größeres französisches Verwaltungsgebiet aufgeteilt. Diese Teilung wird auch nach Unterstellung Kameruns unter Mandatsverwaltung beibehalten, jedoch wird Neukamerun dem französischen Kolonialreich unmittelbar einverleibt.

Anfang 1919
Die Reichspost in Berlin gibt am Sammlerschalter die letzten Kamerun-Briefmarken aus.

7. Mai 1919
Deutschland verliert mit dem Versailler Vertrag nun auch völkerrechtlich die Kolonie Kamerun. Nach Entscheidung des Obersten Rates wird Frankreich als Mandatar Kameruns eingesetzt. Die Scheidung des englischen Mandatsgebietes entspricht der militärischen Aufteilung vom März 1916.

1960 Französisch-Kamerun wird unabhängig.

1961 Zusammen mit Britisch-Kamerun wird die „Bundesrepublik Kamerun“ gegründet.

1972 Umwandlung in die „Vereinigte Republik Kamerun“.

Quellenhinweise:

  • „Deutschlands Kolonien“ von Rochus Schmidt Verlag des Vereins der Bücherfreunde Schall & Grund 1898
  • „Großes Lehrbuch der Geographie“ E. von Seydlitz, Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1902
  • „Harms Vaterländische Erdkunde“ 7. Auflage Braunschweig und Leipzig Hellmuth Wollermann 1906
  • „Konversationslexikon“, Leipzig und Wien 1909
  • „Die deutschen Kolonien“ Geographie, E. von Seydlitz – Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1910
  • „Deutschlands Kolonien“ von W. Scheel Verlagsanstalt für Farbfotographie Weller & Hüttich 1912
  • „Die deutschen Kolonien“ Herausgegeben von Kurd Schwabe Nationalausgabe – Band I/II 1914
  • „Deutsches Kolonial-Lexikon“ Leipzig 1920
  • „Der Kampf um unsere Schutzgebiete – Unsere Kolonien einst und jetzt“ von P. Jos. M. Abs Düsseldorf 1926
  • zeitgenössische Postkarten mit ihren originalen Bildunterschriften.
Im Sinne der Wiederherstellung des Deutschen Reiches aus https://deutsche-schutzgebiete.de/wordpress/kolonien-blog/ am 03.03.2020 entnommen.



Deutsch-Südwestafrika

Deutsch-Südwest-Afrika, Lüderitzbucht

Deutsch-Südwestafrika

Verwaltungszentrum Windhuk

Deutsche Kolonie von 1885 bis 1919

Deutsch-Süd-West-Afrika
Deutsch-Süd-West-Afrika, Eisenbahn der Strecke Swakopmund, Windhoek durch das Khangebirge

Deutsch-Südwestafrika

Wappen:

Deutsch-Südwestafrika, Wappen (Entwurf)
Deutsch-Südwestafrika, Wappen (Entwurf)

Größe:

835.100 km² entspricht 1 ½ Deutsches Reich (Kaiserreich).

Deutsch-Südwestafrika, Landkarte 1912
Deutsch-Südwestafrika, Landkarte 1912
Deutsch-Südwestafrika, Landkarte 1919
Deutsch-Südwestafrika, Landkarte 1919

Reichskommissare und Gouverneure:

  • 5/1885 – 8/1890 Dr. Heinrich Ernst Göring, Reichskommissar, späterer Landeshauptmann (1839 – 1913)
  • 8/1890 – 3/1891 Louis Nels (stellvertretend) (1855 – 1910)
  • 3/1891 – 15.03.1894 Hauptmann Curt von François, späterer Landeshauptmann (1852 – 1931)
  • 15.03.1894 – 19.08.1905 Major Theodor Leutwein, Landeshauptmann, ab 1898 Gouverneur (1849 – 1921)
  • 19.08.1905 – 11/1905 Lothar von Trotha (stellvertretend) (1848 – 1920)
  • 11/1905 – 20.05.1907 Friedrich von Lindequist, Gouverneur (1862 – 1945)
  • 20.05.1907 – 20.06.1910 Bruno von Schuckmann, Gouverneur (1857 – 1919)
  • 28.08.1910 – 09.07.1915 Dr. Theodor Seitz, Gouverneur (1863 – 1949)
Deutsch-Südwest-Afrika, Lüderitzbucht, Bismarckstraße
Deutsch-Südwest-Afrika, Lüderitzbucht, Bismarckstraße

Bevölkerung:

200.000. Zahlreichster Bestandteil der Eingeborenen sind die Hereros, ein Bantustamm, nach Schinz 86.000 Seelen. Sie bewohnen das innere Hochland nördlich vom Swakop, nordwärts bis jenseits Waterberg, ostwärts bis zum 18. Grad östlicher Länge von Greenwich, 80—90.000 km². Die Bergdamara (nach Missionar Viehe an Zahl 35.000), durchaus verschieden von den Hottentotten, kommen südlich von der Etoshapfanne in ganz Deutsch-Südwestafrika vor und leben in kleinen Abteilungen zwischen den Herero und Hottentotten. Die Hottentotten (ca. 10.000) oder Nama (von gelblicher Hautfarbe) finden sich in Groß-Namaland und einem Teil des Kaokofeldes.

Frauen des Herero-Häuptlings Kaweiho
Frauen des Herero-Häuptlings Kaweiho

Die Ovambo (ca. 60.000), ein Bantustamm im Ambolande, zwischen dem 18. Grad südlicher Breite und dem Kunene. Die Buschmänner, einige Tausend an Zahl, führen in der Kalahari und in dem Gebiet zwischen der Etoshapfanne und Damaraland ein ungebundenes Leben. Die Bastards, stärkste Niederlassung bei Rehoboth (sämtlich Christen), sind Mischlinge von Europäern und Hottentotten (nach Wagner 2000 an Zahl). Die weisse Bevölkerung beträgt nach der Zählung vom 1. Januar 1897 2628 Personen, davon 1221 Deutsche männlichen Geschlechts.

Ovambos beim Fischfang
Ovambos beim Fischfang

Schutztruppe:

Diese Schutztruppe 1897 aus einem stellvertretenden Kommandeur, 30 Offizieren, Ärzten und Beamten, 6 Zahlmeisteraspiranten und 740 Mann. Zur Unterstützung der Ortspolizeibehörde ist ein Polizeikorps aus abkommandierten deutschen Mannschaften der Schutztruppe und farbigen Polizisten errichtet worden.

Deutsch-Südwest-Afrika, Patrouille der Schutztruppen
Deutsch-Südwest-Afrika, Patrouille der Schutztruppen

Die Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika besteht 1914 aus 6 Stabsoffizieren, 13 Hauptleuten, 70 Oberleutnants und Leutnants, 2 Feuerwerksoffizieren, 9 Veterinäroffizieren, 1 Kriegsgerichtsrat, 1 Kriegsgerichtssekretär, 2 Intendanturräten, 5 Intendantursekretären, 1 Intendanturbausekretär, 4 Proviantamtsinspektoren, 2 Bekleidungsamtsinspektoren, 2 Stabsapothekern, 1 Zahnarzt, 1 Waffenrevisor, 11 Waffenmeistern, 4 Magazinaufsehern, 20 Unterzahlmeistern, 5 Oberfeuerwerkern und Feuerwerkern, 2 Schirrmeistern, 342 Unteroffizieren, 1444 Mannschaften. Die Schutztruppe gliedert sich in 9 Kompanien, 3 Batterien und 2 Verkehrszüge.

Deutsch-Südwest-Afrika, Otjou, Ausmarsch der Deutschen Schutztruppe
Deutsch-Südwest-Afrika, Otjou, Ausmarsch der Deutschen Schutztruppe

Kommandeure der Schutztruppe:

  • 01.06.1894 – 06.01.1895 Major Curt von Francois (1852 – 1931)
  • 10.11.1897 – 16.05.1904 Oberst Theodor Gotthilf Leutwein (1849 – 1921)
  • 17.05.1904 – 21.05.1906 Generalleutnant Lothar von Trotha (1858 – 1910)
  • 22.05.1906 – 31.03.1907 Generalmajor von Deimling (1853 – 1944)
  • 01.04.1907 – 19.03.1911 Oberst Ludwig von Estorff (1859 – 1943)
  • 19.11.1912 – 1914 Oberstleutnant Joachim von Heydebreck (1861 – 1914)
  • 1914 – 1915 Hauptmann Victor Franke (1866 – 1936)
Deutsch-Südwest-Afrika, Kaisergeburtstagsparade in Windhuk
Deutsch-Südwest-Afrika, Kaisergeburtstagsparade in Windhuk

Regierungssitz:

Windhoek (Windhuk)

Das Schutzgebiet gliedert sich in die 6 Bezirke: Keetmannshoop, Windhoek, Otyimbingwe, Gibeon, Swakopmund und Outyo. Diesen sind eine Anzahl von Ortspolizeibehörden unterstellt. Die Bergbehörde befindet sich in Windhoek.

Deutsch-Südwest-Afrika, Stationsgebäude Rehoboth
Deutsch-Südwest-Afrika, Stationsgebäude Rehoboth

Stationen:

von Nord nach Süd und West nach 0st geordnet

  • Offizierstationen: Grootfontein in Damaraland, Franzfontein, Outyo, Omaruru, Okahandya, Swakopmund‚ Otyimbingwe, Windhoek, Gobabis, Gibeon, Keetmannshoop.
  • Unteroffizierstationen: Otavifontein, Cap Cross, Okombahe, Gr. Barmen, Haigamkhab, Ururas, Rehoboth, Grootfontein im Namalande, Koes, Lüderitzbucht, Uhabis, Warmbad, Ukamas
  • ferner Marienthal, Khabus, Haaseuer.
Deutsch-Südwest-Afrika, Feste Keetmannshoop
Deutsch-Südwest-Afrika, Feste Keetmannshoop

Briefmarken:

Die Deutsche Post ist seit dem 7. Juli 1888 in Deutsch-Südwestafrika vertreten. Hier wurden zunächst die Briefmarken (Adlerausgabe) der Reichspost verwendet und sind nur an den entsprechenden Stempeln (Windhoek, Otjimbingue und Swakopmund) erkennbar. Das Schutzgebiet selbst gehörte bereits seit dem 1. Juli 1888 dem Weltpostverein an. 1897 und 1898 wurden Marken der Adlerausgabe mit Aufdruck „Deutsch-Südwest Afrika“  verwendet. Ab 1900 wurden eigene Briefmarken mit der Kaiserlichen Jacht Hohenzollern als Motiv zur Ausgabe gebracht.
Deutsch-Südwestafrika 3 Pfennig, 1900
Deutsch-Südwestafrika 3 Pfennig, 1900
Deutsch-Südwestafrika 40 Pfennig, 1900
Deutsch-Südwestafrika 40 Pfennig, 1900
Deutsch-Südwestafrika 5 Mark, 1900
Deutsch-Südwestafrika 5 Mark, 1900

Handel und Verkehr:

Die Schiffsverbindung mit Deutschland bewerkstelligt seit 1898 die Woermann-Linie am 25. jeden Monats. Die Schiffsverbindung zwischen Kapstadt und Walfischbai vermittelt der Küstendampfer „Leutwein“, Abfahrt alle 5 Wochen. Verkehrsmittel im Innern für Personen und Frachten ist der Ochsenwagen; mit 10 bis 20 Ochsen bespannt, legt derselbe täglich, beladen mit 30 bis 50 Zentnern, 18 bis 35 km zurück.

Der Bau einer schmalspurigen Feldbahn von Swakopmund nach Windhoek ist von der Regierung im Jahre 1897 in Angriff genommen worden; eröffnet sind ca. 40 Kilometer.

Deutsch-Südwest-Afrika, Mole Swakopmund
Deutsch-Südwest-Afrika, Mole Swakopmund

Eingeführt werden fast alle Gegenstände des europäischen Marktes, insbesondere Getränke, Tabak, Kaffee, Konserven, Mehl, Reis, Bekleidungs- und Schmucksachen. Einfuhr 1897: 887.325 Mark.

Ausgeführt werden Viehhäute, Hörner, Straußenfedern, Harze, Gerbstoffe, Guano (Cap Cross), rohe Felle. Ausfuhr 1897: 1.246.749 Mark.

Die der Küste vorgelagerten Guanoinseln (zwischen 24° 37’ und 28° S), sowie das Territorium der Walfischbai sind im Besitz der Kapkolonie (Südafrika).

Deutsch-Südwest-Afrika, Ausbooten der Passagiere, Swakopmund
Deutsch-Südwest-Afrika, Ausbooten der Passagiere, Swakopmund

Währung:

  • 1 Mark = 100 Pfennig
Münzen, Deutschland 1900
Mark und Pfennig

Bodengestalt:

In seiner ganzen Ausdehnung ist Deutsch-Südwestafrika eine bis zu 1200 m anfangs sanft, dann meist steil ansteigende Terrassen-Landschaft, die sich ca. 300 km vom Meere entfernt binnenwärts zu senken beginnt. Die Breite des Wüsten Küstengürtels beträgt mehrere Tagereisen, doch bilden die größeren Flüsse Oasen. Als Hafenplätze werden benutzt Lüderitzbucht (Angra Pequena), Sandwichhafen, die englische Walfischbai an der Mündung des Kuisseb, und Swakopmund an der Mündung des Swakop. Im Innern befinden sich ‚vereinzelt und unregelmäßig verteilt zahlreiche Gebirgszüge, Kuppen und Bergreihen, die um mehrere 100 m über das Durchschnittsniveau der Landoberfläche emporragen (Gneis und Granit). Im Süden das 2000 m hohe Karasgebirge, zwischen Rehoboth und Windhoek das Auasgebirge (2130 m hoch), weiter nördlich der Omatakoberg (2680 m hoch). Nach Osten fällt das Plateau zu der im Innern 500 m tiefer gelegenen Kalaharisteppe ab.

Deutsch-Südwest-Afrika, Wasserstelle Anicha (Vogelkranz)
Deutsch-Südwest-Afrika, Wasserstelle Anicha (Vogelkranz)

Bewässerung:

Sämtliche vorhandenen Flüsse können zu Verkehrszwecken nicht benutzt werden. Nur der Orange und Kunene, sowie der sich in den Ngamisee ergiessende Okavango haben das ganze Jahr hindurch fliessendes Wasser, die übrigen sich in den Atlantischen Ocean ergießenden Flüsse liegen während des größten Teils des Jahres trocken und bilden selbst zur Regenzeit selten ununterbrochene VVasseradern (Swakop, Kuisseb). Quellen finden sich in größerer Zahl im Hererolande; hier ist auch die Regenmenge bedeutender als in Groß-Namaland.

Deutsch-Südwest-Afrika, Wasserstelle Epako
Deutsch-Südwest-Afrika, Wasserstelle Epako

Klima:

Das Klima ist im Sommer heiß, aber trocken und gesund. Der Winter ist durchaus gemäßigt und Nachtfröste sind im Innern nicht selten.

Der Küstenstrich ist gleichmäßig kühl und hat bis 50 km landeinwärts nur Nebelniederschläge. Vorherrschende Winde aus südlicher Richtung, in der wärmeren Jahreshälfte (Oktober-März) auch Winde aus nördlicher Richtung, welche die Hauptregenzeit von Januar bis März verursachen.

Deutsch-Südwest-Afrika, Bahnhof Okahandja
Deutsch-Südwest-Afrika, Bahnhof Okahandja

Geschichte

Ursprünglich war das Land von Buschmännern und Bergdamaras bewohnt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfolgte von Nordosten her über den Okawangofluß die Einwanderung der Hereros und kurz darauf von Süden her über den Oranje in mehreren Zügen die der Hottentottenstämme. Der Name „Hottentotten“ ist eine zeitgenössische Bezeichnung für das Volk der Nama. Holländische Siedler gaben ihnen, ihrer eigentümlichen Sprache wegen, den Namen „Hottentotten“ (Stotterer). Sie selbst bezeichnen sich als Khoi-Khoi (die wahren Menschen) oder als Nama – nach ihrem Siedlungsgebiet Namaqualand, das wiederum nach einem Herrscher aus grauer Vorzeit benannt ist. Zu Begin des 19. Jahrhunderts folgten die Afrikaner-, Bersabaer- und Witboi-Hottentotten. Den kriegerischen Stämmen der Einwanderer gelang es schnell die ursprünglichen Bewohner des Landes zu unterjochen und teilweise auszurotten. Zwischen den Hereros und den „Hottentotten“ kam es zu jahrzehntelangen Kriegen. Anfangs waren die Hereros im Vorteil, als aber Ende der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts Hendrik Witbooi die Führung übernahm, konnten die „Hottentotten“ das Gleichgewicht einigermaßen wieder herstellen.

Deutsch-Südwest-Afrika, Windhuk, Gouvernements-Haus
Deutsch-Südwest-Afrika, Windhuk, Gouvernements-Haus

12. März 1878
Die Walfischbai und das Land 15 Meilen im Umkreis werden für britischen Besitz erklärt. 1880 ziehen sich die Engländer wieder zurück und behaupten nur die Walfischbai. Im gleichen Jahre sucht Bismarck bei der Londoner Regierung um Schutz für die Rheinische Mission in Südwestafrika gegen die „Hottentotten“ und Hereros nach. Das Gesuch wird in London abgelehnt.

1882
Der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz ersucht die deutsche Regierung um Schutz für die von ihm zu erwerbenden Gebiete um Angra Pequena. Noch bevor dieses Gesuch bei dem Auswärtigen Amt eingeht, fragt Bismarck in London an, ob England Anspruch auf jene Gebiete erhebe. Er erhält eine ausweichende Antwort.

Adolf Lüderitz

Adolf Lüderitz

* 16.07.1834 in Bremen, † Ende Oktober 1886 im Oranjefluss ertrunken. Lüderitz war Kaufmann mit mehreren Faktoreien in Westafrika. Er erwarb 1883 das Gebiet um Angra Pequena (Lüderitzbucht) nebst dem angrenzenden Küstenstrich (Lüderitzland) im späteren Deutsch-Südwestafrika.

1883
Heinrich Vogelsang landet in Angra Pequena und erwirbt dort für Lüderitz käuflich Land. Im Oktober desselben Jahres kommt Adolf Lüderitz persönlich nach Südwestafrika.

Januar 1884
Das deutsche Kanonenboot „Nautilus“ unter Vizeadmiral Aschenhorn besucht die Küste Südwestafrikas mit dem Auftrag, die Lüderitzschen Erwerbungen zu besichtigen.

8. April 1884
Adolf Lüderitz reicht dem Auswärtigen Amt ein Gesuch um Schutzgewährung für seine Erwerbungen in Südwestafrika ein.

24. April 1884
Die Besitzungen des Kaufmanns Lüderitz nördlich vom Oranjefluss in Südwestafrika „werden unter deutschen Schutz gestellt“. Bismarck teilt dieses telegrafisch dem deutschen Konsul in Kapstadt und brieflich dem deutschen Botschafter in London mit.

7. August 1884
Von dem Kapitän zur See Herbig wird in Anwesenheit von Offizieren und Mannschaften der Korvette S.M.S. Elisabeth in Angra Pequena, das zunächst nur aus drei der Firma Lüderitz gehörenden Blockhäusern besteht, die deutsche Flagge gehisst. Das Gebiet erstreckt sich von dem Nordufer des Oranjeflusses bis zu 26 Grad rechte auf und beschränkt die Tätigkeit der Gesellschaft auf ihren eigenen Farmbetrieb. Die Geschichte dieser ersten kolonialen Siedlungsgesellschaft ist bezeichnend für das geringe Interesse der Deutschen; um 200.000 Mark Kapital zusammenzubringen, brauchte es zwei Jahre Zeit.

Angra Pequena, hissen der deutschen Flagge 1884
Angra Peguena, hissen der deutschen Flagge 1884

1886
Von einer Expedition an den Oranje kehrt Adolf Lüderitz nicht zurück und gilt seither als verschollen.

1890
Hauptmann von Francois bildet die erste Schutztruppeneinheit mit 20 Soldaten.

8. August 1892
Verleihung von Land-, Bergbau- und Eisenbahnberechtigungen im Damaraland an den Rechtsanwalt Dr. Scharlach und den Kaufmann C. Wichmann zu Hamburg. Diese so genannte Damaralandkonzession wird am 12. September mit Genehmigung der Reichsregierung an die zu diesem Zweck in London mit einem Anfangskapital von 300 000 Mark gegründete South Westafrican Company Limited weiter übertragen. In dem Konzessionsgebiet liegen die Kupfergruben von Otavi. Das Protokoll wird seitens der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes von Dr. Kayser und von Schelling und seitens der englischen Gesellschaft von George Wilson und Dr. Scharlach am 14. November unterzeichnet. Das Kapital wird im Jahre 1902 auf 20 Millionen Mark erhöht. 1906 baut die Gesellschaft die Otavibahn, welche 1910 von der Regierung übernommen wird.

Deutsch-Südwest-Afrika, Windhuk, Kaiserliches Bezirksgericht
Deutsch-Südwest-Afrika, Windhuk, Kaiserliches Bezirksgericht

1893/94
Aufstand der „Hottentotten“ unter Hendrik Witbooi.

12. April 1893
Hauptmann Hugo von Francois führt mit seinen gemischten Truppen in den Witbooikämpfen einen Präventivschlag gegen Hornkranz und lost damit einen vermeidbaren Kolonialkrieg aus.

27. August 1894
Major Leutwein beginnt mit seinen gemischten Truppen den Sturm auf das Lager Hendrik Witboois in der Naukluft. Hendrik Witbooi ergibt sich am 15. September 1894 und gibt Leutwein das Versprechen, den „…Deutschen künftig Heeresfolge gegen innere und äußere Feinde zu leisten…„. Hendrik Witbooi steht über 10 Jahre und in 6 Feldzügen zu seinem Wort.

25. Juli 1895
Major Leutwein wird Landeshauptmann.

Theodor Gotthilf Leutwein

Theodor Gotthilf Leutwein

* 09.05.1849 in Strümpfelbronn (Baden), † 13.04.1921 in Freiburg (Baden), Kaiserlicher Generalmajor und Gouverneur in Deutsch-Südwestafrika

1895
Die Postbeförderung wird nach Versuchen mit Pferden, Reitochsen und Dromedaren endgültig mit Ochsenkarren durchgeführt.

1896
Der Ort Tsaochabmündung (Ort an der Mündung des Tsaochab) oder Tsaochabmund wird endgültig in Swakopmund, aus ersterem Wort entstanden, umbenannt. Seit 1903 schreibt man Windhuk statt Windhoek.

1896
Aufstand der „Khauashottentotten“ und der Osthereros.

1897
Erhebung eines kleinen Unterstammes der „Hottentotten“ (Afrikaner) im Südosten von Deutsch-Südwestafrika.

1897
Nachdem zunächst die gewöhnlichen deutschen Briefmarken in Deutsch-Südwestafrika verwendet werden, erhalten die Wertzeichen den schwarzen Aufdruck „Deutsch-Süd-Westafrika“, der 1898 in „Deutsch-Südwestafrika“ geändert wird. 1900 werden die Kolonialmarken mit dem Schiff eingeführt. 1914 wird anlässlich der Windhuker Landesausstellung der erste und einzige Kolonialsonderstempel benutzt.

Briefmarken aus Deutsch-Südwest-Afrika
Briefmarken aus Deutsch-Südwest-Afrika

1897
Die Rinderpest, von Südafrika eingeschleppt, wütet im Lande. Rund 60% des Viehbestandes der Einheimischen und 30% der Weißen gehen verloren. Händler und Spekulanten kaufen Farmland auf, wofür die Reichsregierung in Berlin auch den Ankauf von Hereroland erlaubt. Im Lande herrscht große Teuerung; u. a. steigen die Preise für Rindfleisch auf das Dreifache (45 Pfennig für 500g). Wer seine Schulden nicht zurückzahlen kann, verliert erst das Vieh und dann das Land. Besonders die Hereros leiden unter dieser Politik.

17. März 1898
Aufstand der „Swartbooihottentotten“, die sich im Kaokofeld ergeben.

Deutsch-Südwest-Afrika, Windhuk, Kaiserliches Postamt
Deutsch-Südwest-Afrika, Windhuk, Kaiserliches Postamt

16. Jan. 1899
Gründung des „Windhoeker Anzeiger“, der ersten der in den deutschen Kolonien erscheinenden Zeitungen.

16. Januar 1899
Da Deutsch-Südwestafrika keine Telegrafenlinien hat und Telegramme von der Heimat in die Kolonie und umgekehrt auf indirekten, sehr umständlichen Wegen befördert werden müssen, schließt die Reichsregierung mit der Eastern and South African Telegraph Company in London einen Mietvertrag auf 20 Jahre ab. Von dem Hauptkabel Mossamedes (Angola)-Kapstadt soll ein T-Stück eingeschaltet und in Swakopmund gelandet werden. Der Kapitän des englischen Kabeldampfers bringt das Kabel, angeblich versehentlich, im englischen Walfischbai an Land.

Deutsch-Südwest-Afrika, Leuchtturm Swakopmund
Deutsch-Südwest-Afrika, Leuchtturm Swakopmund

13. April 1899
In Swakopmund wird die erste Telegrafendienststelle mit internationalem Dienst eröffnet. Von da ab beginnt der Bau umfangreicher Telegrafenlinien in der Kolonie. Auch Heliographenlinien sind vor dem großen Aufstand 1904 eingerichtet worden.

1. Juni 1899
Erste landwirtschaftliche Ausstellung in Windhuk.

20. Juni/ 1. Juli 1902
Die erste deutsch-südwestafrikanische Eisenbahn von Swakopmund nach Windhuk durch die dort 100 km breite Sandwüste (Namib) wird eröffnet. (382 km lang; bis 1637 m ü. M.) Der Bahnbau war durch Eisenbahntruppen aus der Heimat begonnen worden.

Deutsch-Südwest-Afrika, Eisenbahn durch das Khangebirge
Deutsch-Südwest-Afrika, Eisenbahn durch das Khangebirge

1903
Nördlich der Mündung des Swakop wird aus Betonkörpern und Steinschüttung eine 370 m lange Mole erbaut, die aber nach zehn Jahren bereits versandet ist. 1911 wird ein neuer Molenbau von 650 m ) Länge begonnen. 1914 sind 240 m fertig gestellt. (Baufirma Grün & Bilfinger.)

1903
Wegen eines Streites Einheimischer um einen Hammel kommt es zu einer Schießerei, bei der der Distriktchef Jobst, Unteroffizier Sney, ein Siedler, ein Bondelwartskapitän und Andere zu Tote kommen. Die Bondelswarts flüchten daraufhin, versorgen sich mit Waffen aus Südafrika und ermorden mehrere Deutsche und Einheimische. Daraufhin führt die Schutztruppe eine Strafexpedition gegen die Bondelswarts im Süden der Kolonie durch, während dessen Verlauf sich unerwartet Anfang 1904 die Hereros erheben.

Deutsch-Südwest-Afrika, Verteidigung von Hohewarte gegen Hereros
Deutsch-Südwest-Afrika, Verteidigung von Hohewarte gegen Hereros

12. Januar 1904
Beginn des Hereroaufstandes:
Die Kapitäne der Hereros hatten im Norden der Kolonie große Landflächen an Händler und Spekulanten verkauft, die Hereros nutzten diese aber weiter als Weideland für ihre großen Vieherden. Siedler erschossen daraufhin die Rinder der Hereros und immer öfters kam es zu Schießereien zwischen den Hereros und den Einwanderern. Gouverneur Leutwein berichtete dem Kolonialamt in Berlin von den Sorgen und Problemen, aber nichts tat sich. Noch einmal wanden sich „Herero-Großleute“ an den deutschen Gouverneur, mit der Bitte, ein großes Hereroreservat von Otjituepa bis Omitava zu bilden. Schließlich kam zu Plünderungen deutscher Siedlungen und teilweise brutalen Morden an rund 150 deutschen Siedlern, darunter auch 5 Frauen. Auch wurden von den Hereros viele Angehörige des Damara-Volkes ermordet. Anfangs versuchen die Schutztruppen vergeblich den Hereros Herr zu werden; nur 766 deutsche Soldaten standen einigen Tausend gut bewaffneten Kämpfern der Hereros entgegen. Die Hereros gingen sogar in die Offensive, brachten den Deutschen eine Niederlange nach der anderen ein und belagerten bzw. besetzten Ortschaften im Aufstandsgebiet. In Berlin schrillten die Alarmglocken und man stellte eiligst ein Marineexpeditionskorps zusammen.

27. Januar 1904
Hauptmann Franke entsetzt das von den Hereros eingeschlossene Okahandja und am 4. Februar Omaruru.

Victor Franke

Victor Franke

Victor Franke * 21.07.1866 in Zuckmantel in Österreichisch Schlesien, † 07.09 1936 in Hamburg, Kommandeure der Schutztruppe 1914 – 1915

9. Februar 1904
Ein erstes Marineexpeditionskorps landet in Swakopmund. Es dauert jedoch noch ein halbes Jahr bis die Deutschen die Initiative zurückgewinnen können.

August 1904 „Schlacht am Waterberg“ und Niederschlagung des Hereroaufstandes.

1904 – 1908
Die „Hottentotten“ unter Hendrik Witbooi erheben sich (Oktober). Witbooi fällt, sein Nachfolger Simon Copper muss in die Kalahari zurückmarschieren. Gegen ihn geht der Zug des Hauptmanns von Erckert mit seinen Kamelreitern bis tief in die Wüste, wobei Erckert am 16. März 1908 den Tod findet.

1904
Nachdem der Leutnant a. D. Troost vom Auswärtigen Amt die „Konzession zum Betrieb eines öffentlichen, gewerbemäßigen Gütertransportunternehmens mittels Motorwagen in Deutsch-Südwestafrika“ erhalten hat, bringt er zwei Lastzüge nach der Kolonie, die jedoch vollkommen versagen. (Der eine in der Namibwüste stecken gebliebene Wagen neben der Eisenbahnlinie wird vom Volkswitz „Tröster in der Wüste“ benannt.) Die später, erst 1912, vom Gouverneur eingeführten Kraftwagen erwiesen sich ebenfalls, da zu schwer, als ungeeignet. Erst die Truppen der Südafrikanischen Union haben 1914 die richtigen Wagen, leichte Ford, gewählt, die sich bewährten.

2. – 4. Januar 1905
Gefecht bei Groß-Nabas.

Deutsch-Südwest-Afrika, Essenausgabe im Gefangenenlager
Deutsch-Südwest-Afrika, Essenausgabe im Gefangenenlager

1905 – 1907
Gouverneur von Lindequist macht sich um die Hebung der Viehzucht besonders durch Einführung von Karakulrammen aus der Buchara verdient.

20. Oktober 1906
Einführung der Schulpflicht für die Kinder der weißen Bevölkerung im Alter von 6-14 Jahren.

23. März 1907
Die Bondelswarts unterwerfen sich. Der Friede mit den aufständischen Stämmen wird in Ukamas geschlossen.

12. März 1907
Der Reichstag bewilligt die Kosten der Eisenbahn Lüderitzbucht-Keetmannshoop sowie die geforderten Kriegskosten.

31. März 1907
Aufhebung des Kriegszustandes.

1. April 1907
Die Eisenbahn Swakopmund-Windhuk wird wieder von der Zivilverwaltung übernommen.

Deutsch-Südwest-Afrika, Station Kolmanskuppe
Deutsch-Südwest-Afrika, Station Kolmanskuppe

14. Mai 1907
Der Reichstag bewilligt 5 Millionen Mark für die durch den Aufstand geschädigten Siedler.

18. Juli 1907
Beginn der Verschiffung größerer Mengen von Kupfererzen aus Swakopmund.

31. August 1907
Abnahme der Eisenbahnstrecke von Lüderitzbucht bis Aus.

4. Oktober 1907
Verordnung der Reichsregierung über die Einrichtung einer Landespolizei in Deutsch-Südwestafrika.

20. Oktober 1907
Grundsteinlegung des Elisabethhauses in Windhuk.

31. Oktober 1907
Gründung der Deutschen Farmgesellschaft für Südwestafrika 1907 unter Beteiligung der Liebig-Kompagnie.

12. November 1907
Bildung einer Deutsch-Südwestafrikanischen Züchtereigenossenschaft in Omaruru.

8. Dezember 1907
Gründung des Farmerbundes.

Deutsch-Südwest-Afrika, Bagger-Kolmmannskop Diamond Mines Ltd.
Deutsch-Südwest-Afrika, Bagger-Kolmannskop Diamond Mines Ltd.

April 1908
Erste Diamantfunde in Lüderitzbucht, im Juni Diamantfunde bei Kolmanskop.

1908
Fertigstellung der Bahn Lüderitzbucht-Seeheim-Keetmannshoop-Seeheim-Kalkfontein (545 km).

1908 – 1910
Hauptmann Streitwolf (kaiserlicher Resident des Caprivizipfels) unternimmt im Auftrag des damaligen Gouverneurs von Schuckmann eine Expedition durch den Caprivizipfel.

28. Januar 1909
Veröffentlichung der deutschen Regierung über die Selbstverwaltung in Deutsch-Südwestafrika.

28. Mai 1909
Erster Farmertag in Windhuk, am nächsten Tage wird die erste 1909 Landesausstellung eröffnet.

1910
Der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft eröffnet in Keetmanshoop das Heimathaus, in dem auch eingewanderte Mädchen bis zur Erlangung einer Stellung Aufnahme finden.

Deutsch-Südwest-Afrika, Khau-Gebirge
Deutsch-Südwest-Afrika, Khau-Gebirge

Dezember 1911
Eröffnung des Betriebes der Eisenbahn Keetmanshoop-Windhuk (Karibib). (697 km.)

4. Februar 1912
Die Küstenfunkstation in Swakopmund und etwas später, am 3. Juni, eine solche in Lüderitzbucht, werden in Dienst gestellt. Der Bau der Großfunkstation Windhuk wird erst einige Tage nach Beginn des Weltkrieges fertig gestellt. (Letztere stand mit der Funkstation Kamina in Togo und Nauen in Verbindung.)

27. Mai 1913
Errichtung eines Landwirtschaftsrates.

9. Juni 1913
Gründung der Landwirtschaftsbank für Deutsch-Südwestafrika

14. August 1913
Die Ausgabe deutsch-südwestafrikanischer Hypothekenpfandbriefe wird genehmigt.

22 August 1913
Eröffnung des Johanniterkrankenhauses in Keetmanshoop.

9. September 1913
Einführung der Kaiserlichen Bergwerksverordnung von 1905 im Gebiete der Kaokoland- und Minengesellschaft.

24. September 1913
Gründung einer Fleischverwertungsgesellschaft in Okahandja.

Deutsch-Südwest-Afrika, Lüderitzbucht
Deutsch-Südwest-Afrika, Lüderitzbucht

27. November 1913
Gründung einer Genossenschaftsbank für den Norden in Omaruru.

1914
Eröffnung des Elisabethhauses (Wöchnerinnenheim) in Grootfontein.

5. Januar 1914
Eröffnung des Erholungsheims in Swakopmund.

21. Februar 1914
Verordnung zum Wehrgesetz für die Deutsche Schutztruppe. Wehrfähige Reichsangehörige, die sich dauernd im Schutzgebiet aufhalten, sind verpflichtet, ihre Dienstpflicht bei der Schutztruppe zu erfüllen.

22. Februar 1914
Studienreise des Professors Fritz Jaeger zur Erforschung der Etoschapfanne und des Kaokofeldes.

Juni 1914
Die ersten zwei Flugzeuge im Schutzgebiet sollen der Postbeförderung dienen.

Deutsch-Südwest-Afrika, S.M.S. Straßburg im Hafen Lüderitzbucht
Deutsch-Südwest-Afrika, S.M.S. Straßburg im Hafen Lüderitzbucht (1914)

4./5. August 1914
Die Kriegserklärung Englands an Deutschland wird über Lome in Togo nach Lüderitzbucht übermittelt; am 6. August wird diese Nachricht von Nauen aus direkt funkentelegrafisch bestätigt und gleichzeitig der Belagerungszustand vom Gouverneur Dr. Seitz erklärt. Am 7. August erfolgt die allgemeine Mobilmachung im Schutzgebiet.

8. und 13. August 1914
Die Küstenfunkstationen Lüderitzbucht und Swakopmund werden abgebrochen.

2. September 1914
Erstes Patrouillengefecht bei Beenbreck.

9. September 1914
Die Regierung der Südafrikanischen Union beschließt nach Überwindung innerer Widerstände den Krieg gegen Deutsch-Südwestafrika. Am 13. September überfallen Unionsstreitkräfte die deutsche Polizeistation Ramansdrift und beginnen damit die Feindseligkeiten.

10. September 1914
Die Deutschen besetzen die Walfischbai.

18. September 1914
Die Lüderitzbucht wird von den Unionstruppen besetzt. Vier Tage 1914 später werden die ersten deutschen Männer in das „concentration camp“ (Konzentrationslager) bei Pretoria, später in das von Pietermaritzburg abtransportiert; im Oktober folgen dorthin Frauen und Kinder.

Deutsch-Südwest-Afrika, Blick in die Moltkestraße, Swakopmund
Deutsch-Südwest-Afrika, Blick in die Moltkestraße, Swakopmund

23. September 1914
Eine deutsche Kolonne dringt nach Überschreitung des Oranje über Unionsgebiet gegen Ramansdrift vor.

23. und 24. September und 30. Oktober 1914
Beschießung von Swakopmund durch englische Hilfskreuzer.

26. September 1914
Der Kommandeur der Schutztruppe, Oberstleutnant von Heydebreck, vernichtet in dem Gefecht von Sandfontein 8 feindliche Schwadronen und nimmt 15 Offiziere und 200 Mann gefangen.

Oktober 1914
Bis Anfang Oktober haben die Truppen der Union an der Küste Lüderitzbucht, im Süden Ramansdrift und im Caprivizipfel Schuckmannsburg besetzt.

9. Oktober 1914
Das erste Gefecht des Burenfreikorps unter Kommandant de Wet bei van Rooisvley. Als am 8. September die Mobilmachung in der Südafrikanischen Union angeordnet wird, billigt ein kleiner Teil der Buren das Eingreifen der Regierung Bothas in den Weltkrieg nicht und greift zu den Waffen. Die Aufständigen gehen zum Teil über den Oranje nach Deutsch-Südwestafrika, wo sie sich zu einem Freikorps zusammenschließen. Der Rest der aufständischen Buren kämpft in der Union weiter. Das letzte Gefecht findet am 24. Januar 1915 bei Upington statt. General Maritz führt die Abteilungen Maritz, Kemp, Stadler.

Deutsch-Südwest-Afrika, Truppen-Garten, Windhuk
Deutsch-Südwest-Afrika, Truppen-Garten, Windhuk

12. November 1914
Der Kommandeur der Schutztruppe, Oberstleutnant von Heydebreck, wird bei der Explosion von Gewehrgranaten am 9. November in Kalkfontein-Süd schwer verwundet und erliegt den Verletzungen. Sein Nachfolger im Kommando ist der Major und spätere Oberstleutnant Franke.

18. Dezember 1914
Im Oktober besuchen der Bezirksamtmann Dr. Schultze, Jena, und die Leutnants Loesch und Roeder auf Einladung des Kommandanten das im Ovamboland an der Grenze Angolas und Deutsch-Südwestafrikas gelegene portugiesische Fort Naulila und werden dort hinterlistig getötet, obwohl sich Portugal nicht im Krieg mit Deutschland befindet. Zur Vergeltung erstürmt Hauptmann Weiß (mit Leutnant Bieder) an der Spitze seiner 6. Kompanie und mit Teilen der 2. Batterie Fort Naulila im Ovamboland.

11. Februar 1915
General Botha übernimmt den Oberbefehl über die Unionstruppen, von denen eine Abteilung bereits am 25. Dezember in Walfischbai gelandet war.

20. März 1915
Die Gefechte bei Pforte-Jakalswater-Riet veranlassen die Schutztruppe, die Räumung des Südens einzuleiten.

7. April 1915
Die Landesmitte und Windhuk werden geräumt.

Deutsch-Südwest-Afrika, Kriegerdenkmal Swakopmund
Deutsch-Südwest-Afrika, Kriegerdenkmal Swakopmund

5. Mai 1915
Die einzelnen Abteilungen der Schutztruppe müssen ständig verlustreiche Rückzugsgefechte gegen einen weit überlegeneren Feind bestehen. Der Oberkommandierende, General Botha, zieht in Karibib ein. Gouverneur Dr. Seitz verlegt seinen Sitz von Windhuk nach Grootfontein. Windhuk muss am 12. Mai durch die Stadtverwaltung dem Feinde übergeben werden.

21. Mai 1915 Einzelnen Abteilungen der Schutztruppe leisten weiterhin Widerstand. Die Hauptkräfte der Schutztruppe versammeln sich zwischen Kalkfeld und Waterberg. Die zwischen dem Gouverneur und General Botha an der Giftkuppe stattfindende Unterredung verläuft ergebnislos.

Deutsch-Südwest-Afrika, Heliographen-Station
Deutsch-Südwest-Afrika, Heliographen-Station

19. Juni 1915
Unionstruppen (etwa 35.000 Mann, ihre Gesamtzahl beträgt 60.000) treten von der Staatsbahn aus den Vormarsch nach Norden an. Der Rest der Schutztruppe zieht sich auf die vorbereitete Stellung bei km 514 der Otavibahn zurück und trifft am 26. in Otavi ein.

1. Juli 1915
Rückzugsgefecht bei Otavifontein (800 Deutsche gegen 8000 Unionssoldaten).

6. Juli 1915
Die während des Krieges im Norden errichtete Funkstation Tsumeb muss übergeben werden. Der Rest der Schutztruppe versammelt sich in Khorab.

9. Juli 1915
Bei km 500 der Otavibahn wird der Waffenstillstandsvertrag mit den für die Schutztruppe ehrenvollen Übergabebestimmungen von Dr. Seitz, Oberstleutnant Franke und General Botha unterzeichnet.

Deutsch-Südwest-Afrika, Militärbegräbnis
Deutsch-Südwest-Afrika, Militärbegräbnis

16. August 1915
Ganz Deutsch-Südwestafrika wird von der Südafrikanischen Union besetzt. Der Caprivizipfel wurde bereits 1914 von Großbritannien annektiert war bis 1929 Teil der britischen Kolonie Betschuanaland, dem heutigen Botswana.

Anfang 1919
Die Reichspost in Berlin gibt am Sammlerschalter die letzten Deutsch-Südwest-Afrika-Briefmarken aus.

28. Juni 1919
Das Deutsche Reich verliert mit dem Versailler Vertrag nun auch völkerrechtlich die Kolonie. Südwestafrika wird Mandatsgebiet des Völkerbundes unter südafrikanischer Verwaltung. Der Versailler Vertrag (Artikel 119) erlaubt den Engländern, mehr als 6000 Deutsche auszuweisen. Nach 1920, als die Südafrikanische Union das Mandat übernahm, erfolgten keine weiteren Ausweisungen.

November 1919
Die deutschen Beamten werden ausgewiesen. Der Ausweisungsbefehl lautet wörtlich: „Offiziere, Verbrecher und Beamte werden nach Deutschland abtransportiert“ Der Abtransport geschieht dementsprechend in unwürdigster Weise.

Deutsch-Südwest-Afrika, Telephon im Felde
Deutsch-Südwest-Afrika, Telephon im Felde

10. Januar 1920
Der Versailler Vertrag tritt in Kraft. Übertragung des Völkerbundsmandats für Deutsch-Südwestafrika an die Südafrikanische Union.

1923
Im „Londoner Abkommen“ zwischen Großbritannien und Deutschland wird das Heimatrecht der deutschen Siedler garantiert.

27. Oktober 1966
Die Vereinten Nationen entziehen Südafrika das Mandat. Beginn des Kriegs zwischen SWAPO und südafrikanischen Truppen.

Süd-West_Afrika, 100 Jahre Deutsche Besetzung
Süd-West-Afrika, Ersttagsbrief mit Sondermarken: 100 Jahre Deutsche Besetzung, 1984

21. März 1990
Verabschiedung der Verfassung; Wahl Sam Nujomas zum Präsidenten. Namibia wird unabhängig.

Am 1. März 1994 übergab die Republik Südafrika sowohl das Gebiet der Walfischbucht als auch die Pinguininseln an die Republik Namibia.

Quellenhinweise:

  • „Die Kämpfe der deutschen Truppen in Südwestafrika – Auf Grund amtlichen Material bearbeitet von der Kriegsgeschichtlichen Abteilung I des Großen Generalstabes“ Enst Siegfried Mittler und Sohn Berlin 1906 Band I und II.
  • „Deutschlands Kolonien“ von Rochus Schmidt Verlag des Vereins der Bücherfreunde Schall & Grund 1898
  • „Großes Lehrbuch der Geographie“ E. von Seydlitz, Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1902
  • „Harms Vaterländische Erdkunde“ 7. Auflage Braunschweig und Leipzig Hellmuth Wollermann 1906
  • „Konversationslexikon“, Leipzig und Wien 1909
  • „Die deutschen Kolonien“ Geographie, E. von Seydlitz – Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1910
  • „Deutschlands Kolonien“ von W. Scheel Verlagsanstalt für Farbfotographie Weller & Hüttich 1912
  • „Die deutschen Kolonien“ Herausgegeben von Kurd Schwabe Nationalausgabe – Band I/II 1914
  • „Deutsches Kolonial-Lexikon“ Leipzig 1920
  • „Der Kampf um unsere Schutzgebiete – Unsere Kolonien einst und jetzt“ von P. Jos. M. Abs Düsseldorf 1926
  • zeitgenössische Postkarten mit ihren originalen Bildunterschriften.
Im Sinne der Wiederherstellung des Deutschen Reiches aus https://deutsche-schutzgebiete.de/wordpress/kolonien-blog/ am 03.03.2020 entnommen.



Deutsch-Ostafrika

Deutsch-Ost-Afrika, Strand in Lindi

Deutsch-Ostafrika

Verwaltungszentrum Daressalam

Deutsche Kolonie von 1885 bis 1919

Gruß aus Dar-es-Salam - Haus des Gouverneurs - Postgebäude - Reichkommissar von Wissmann und Generalmajor von Liebert
Gruß aus Dar-es-Salam – Haus des Gouverneurs – Postgebäude – Reichkommissar von Wissmann und Generalmajor von Liebert

Deutsch-Ostafrika

Wappen:

Deutsch-Ostafrika, Wappen (Entwurf)
Deutsch-Ostafrika, Wappen (Entwurf)

Größe:

Mit den dazu gehörigen Wasserflächen 995.000 km² (= 2 x Deutsches Reich).

Deutsch-Ostafrika, Landkarte 1912
Deutsch-Ostafrika, Landkarte 1912
Deutsch-Ostafrika, Landkarte 1919
Deutsch-Ostafrika, Landkarte 1919

Reichskommissare und Gouverneure:

  • 27.05.1885 – 08.02.1888 Dr. Carl Peters, Reichskommissar (1856 – 1918)
  • 08.02.1888 – 21.02.1891 Herrmann von Wissmann, Reichskommissar (1853 – 1905)
  • 14.02.1891 – 15.09.1893 Julius Freiherr von Soden, Gouverneur (1846 – 1921)
  • 15.09.1893 – 26.04.1895 Friedrich Radbod Freiherr von Scheele, Gouverneur (1847 – 1904)
  • 26.04.1895 – 03.12.1896 Herrmann von Wissmann, Gouverneur, s.o.
  • 03.12.1896 – 12.03.1901 Eduard von Liebert, Gouverneur (1850 – 1934)
  • 12.03.1901 – 15.04.1906 Gustav Adolf Graf von Götzen, Gouverneur (1866 – 1910)
  • 15.04.1906 – 22.04.1912 Georg Albrecht Freiherr von Rechenberg, Gouverneur (1861 – 1935)
  • 22.04.1912 – 14.11.1918 Dr. Albert Heinrich Schnee, Gouverneur (1871 – 1949)
Deutsch-Ostafrika, Daressaalam, Blick auf den Hafen, Kaiserstraße, Kaiser Wilhelm-Denkmal
Deutsch-Ostafrika, Daressaalam, Blick auf den Hafen, Kaiserstraße, Kaiser Wilhelm-Denkmal

Bevölkerung:

Mehr als 4 Millionen Einwohner. Wesentlichster Bestandteil sind die Bantu. Die Bantu des südlichen Teils des Schutzgebietes sind den Sulus verwandt. In den Steppen des Nordens bis in die Mitte des Schutzgebietes wohnen die republikanisch organisierten, von Norden eingedrungenen Massais (Hamiten mit der Sprache der Nilotischen Völker). Im Nordwesten, zwischen Victoria- und Tanganyika-See wohnen als herrschende Klasse inmitten von Bantu die hamitischen Wahuma oder Watussi. Zu den Sulustämmen des Südens gehören die monarchisch organisierten Wahehe (im Flussgebiet des Rufiyi) und die Mafiti, beide Stämme sind von Süden eingedrungen. Ein Mischvolk von Arabern und Eingeborenen sind die Suaheli. Neben den Eingeborenen wohnen an der Küste: Araber (Maskat- und Schihiriaraber), Beludschen, Inder, Parsi, Goanesen, Syrer, Ägypter, Türken, Europäer: 922, darunter 678 Deutsche.

Gruss aus Deutsch-Ost-Afrika
Gruss aus Deutsch-Ost-Afrika

Schutztruppe:

Am 1. April 1897: 2139 Mann, davon 1694 eigentliche Truppe, 445 Landespolizei. November 1896 gab es 41 Offiziere, 17 Ärzte, 119 Zahlmeister, Unteroffiziere etc., 10 farbige Offiziere, 123 farbige Unteroffiziere, 1694 reguläre und 238 irreguläre Askaris.

Exzellenz Staatssekretär Dernburg die Ehrenkompanie abschreitend, Dar-es-Salaam 1908, Deutsch-Ost-Afrika
Exzellenz Staatssekretär Dernburg die Ehrenkompanie abschreitend, Dar-es-Salaam 1908, Deutsch-Ost-Afrika

Kommandeure der Schutztruppe:

  • 01.04.1891 – 17.08.1891 Leutnant von Zelewski (1854 – 1891)
  • 1892 – 1893 Stelle nicht besetzt
  • 23.10.1893 – 25.03.1895 Oberst Freiherr von Scheele (1847 – 1904)
  • 25.05.1895 – 17.08.1897 Oberstleutnant von Trotha (1848 – 1920)
  • 22.09.1897 – 12.03.1901 Generalmajor von Liebert (1897 – 1901)
  • 12.03.1901 – 14.04.1906 Major Graf von Götzen (1866 – 1910)
  • 28.05.1907 – 13.04.1914 Oberstleutnant Kurt Freiherr von Schleinitz (1859 – 1928)
  • 1914 – 1918 Oberstleutnant Paul von Lettow-Vorbeck (1870 – 1964)
Deutsch-Ost-Afrika, Kaiserliches Bezirksamt in Dar-es-Salaam
Deutsch-Ost-Afrika, Kaiserliches Bezirksamt in Dar-es-Salaam

Regierungssitz:

Dar-es-Ssalam.

Daressalam, Stadtplan Hafen und Ort, 1910
Daressalam, Stadtplan Hafen und Ort, 1910

Das deutsche Schutzgebiet gliedert sich in 22 Bezirke: Kilimandscharo, West-Usambara, Tanga, Pangani, Saa-dani, Bagamoyo, Dar-es-Ssalam, Kissakki, Kilossa, Mpapwa, Kilimatinde, Tabora, Mwansa‚ Bukoba, Udjidji, Ukonongo, Iringa, Langenburg, Magwangwara, Kilwa, Lindi und Mikindani.

Deutsch-Ostafrika, Dar-es-Salaam, Kaiser Wilhelm-Denkmal und das Kaiserliche Bezirks-Amt
Deutsch-Ostafrika, Dar-es-Salaam, Kaiser Wilhelm-Denkmal und das Kaiserliche Bezirks-Amt

Stationen:

Von Norden nach Süden und Westen nach Osten geordnet.

  • Schutztruppe: Dar-es-Ssalam, Bukoba, Mwansa, Moshi, Marangu, Udjidji, Tabora, matinde, Pangani, Iringa, Mpapwa, Kilossa, Malangali, Kalinga, Dwangire, Ssongea.
  • Polizeitruppe: Kisswani, Wilhelmsthal, Masinde, Tanga (Ausgangspunkt der bis Muhesa fertiggestellten Eisenbahn nach Korogwe), Pangani, Saadani, Kissakki, Bagamoyo, Dar-es-Ssalam, Langenburg, Bari- kiwa in Donde, Kilwa, Lindi, Mikindani.
Deutsch-Ostafrika, Tanga, Boma, Bahnhof, D.O.A.G.
Deutsch-Ostafrika, Tanga, Boma, Bahnhof, D.O.A.G.

Briefmarken:

Die Deutsche Post ist seit dem 4. Oktober 1890 in Deutsch-Ostafrika vertreten. Kurze Zeit waren deutsche Postämter auch in Lamu (Stempel: LAMU – OSTAFRIKA) und Sansibar (Stempel: ZANZIBAR KAISERL DEUTSCHE POSTAGENTUR) in Betrieb. In Deutsch-Ostafrika wurden zunächst die Briefmarken (Adlerausgabe) der Reichspost verwendet und sind nur an den entsprechenden Stempeln (DAR-ES-SALAAM und TANGA) erkennbar. Das Schutzgebiet selbst gehörte seit 1891 dem Weltpostverein an. 1893 wurden Marken der Adlerausgabe mit Aufdruck in ostafrikanischer Pesa-Währung verwendet. Ab 1901 wurden eigene Briefmarken mit der Kaiserlichen Jacht Hohenzollern als Motiv zur Ausgabe gebracht.

Deutsch-Ostafrika 2 Pesa, 1893
Deutsch-Ostafrika 2 Pesa, 1893
Deutsch-Ostafrika 10 Pesa, 1893
Deutsch-Ostafrika 10 Pesa, 1893
Deutsch-Ostafrika 10 Pesa, 1893
Deutsch-Ostafrika 10 Pesa, 1893
Deutsch-Ostafrika 2 Pesa, 1896
Deutsch-Ostafrika 2 Pesa, 1896
Deutsch-Ostafrika 5 Pesa, 1896
Deutsch-Ostafrika 5 Pesa, 1896
Deutsch-Ostafrika 10 Pesa, 1896
Deutsch-Ostafrika 10 Pesa, 1896
Deutsch-Ostafrika 30 Heller, 1905
Deutsch-Ostafrika 30 Heller, 1905
Deutsch-Ostafrika 60 Heller, 1905
Deutsch-Ostafrika 60 Heller, 1905
Deutsch-Ostafrika 3 Rupien, 1905
Deutsch-Ostafrika 3 Rupien, 1905

Handel:

Ausgeführt werden unbearbeitetes Elfenbein, roher Kautschuk, Sesam, Kopal, fossiles und Baumharz, Kokosnüsse, Matten, einheimische Bauhölzer, Hörner, Kopra, Kaffee, Tee, Kakao, Flusspferdzähne, Tabak etc. Gesamtwert der Ausfuhr 1897: 3.736.197 Rupien oder 5.146.611 Mark und 36 Pfennig.

 

Deutsche Ost-Afrika-Linie Hamburg
Deutsche Ost-Afrika-Linie Hamburg

Eingeführt werden Baumwollwaren, geschälter Reis, Eisen und Eisenwaren, Wein, Mtama und Mawele, Butter, Schmalz, Käse, Schinken, Speck, Fleisch, Bier, Mineralöl, Gemüse und Obst, Mehl, Tabak, Spirituosen etc. Wert der Einfuhr 1897: 6.840.781 Rupien oder 9.423.106 Mark und 95 Pfennig.

Deutsch-Ost-Afrika, Zollhafen in Daressalam
Deutsch-Ost-Afrika, Zollhafen in Daressalam

Währung:

  • 1 Rupie = 64 Pesa
  • 1 Rupie = 100 Heller (ab 1905)

Kurs: 1 Rupie ≈ 1,33 Mark

Münzen und Banknoten in Deutsch-Ostafrika

Deutsch-Ostafrika 1 Rupie, 1906
Deutsch-Ostafrika 1 Rupie, 1906
Deutsch-Ostafrikanische Bank 5 Rupien, 1905
Deutsch-Ostafrikanische Bank 5 Rupien, 1905

Bodengestaltung:

Deutsch-Ostafrika ist ein Teil des sich von Abessinien bis Kapstadt erstreckenden Hochplateaus; dasselbe, vom Indischen Ozean landeinwärts ansteigend, gliedert sich durch mehrere meridional verlaufende Längsspalten (Gräben) und erhebt sich im Schutzgebiet zu einer Höhe von 1000—1500 m und darüber. An der Nordgrenze der doppelgipflige Kilimandscharo (westliche Spitze: Kibo, nach Dr. H. Meyer 6010 m, nach von Höhnel 6130 m, östliche Spitze: Mawensi, nach Dr. H. Meyer 5300 m, nach von Höhnel 5545 m) bedeckt eine Fläche von 3770 km² oder 67 deutschen Qudratmeilen.

Deutsch-Ost-Afrika, Masama, Deutsche Siedler am Kilimandscharo
Deutsch-Ost-Afrika, Masama, Deutsche Siedler am Kilimandscharo

Dem Kilimandscharo zunächst zur Linken des Pangani, das nach Westen steil abfallende Paregebirge, östlich davon nahe der Küste das Handeigebirge (Kaffeeplantagen). Als Fortsetzung des Paregebirges erscheint auf dem rechten Panganiufer die Terrasse von Useguha. Mit dem Gebirge von Nguru beginnt das durch Ussagara und Uhehe bis zum Nassa in einem Bogen sich fortsetzende, dem Lauf der Küste folgende Randgebirge. Auf der Grenze zwischen Ussagara und Uhehe die Rubeho-Berge. In den Nyassabergen Gipfel von 3000 m, am Nordostende des Nyassa das Livingstonegebirge.

Deutsch-Ost-Afrika, Usaa, Kirche und Schulhaus am Kilimandscharo
Deutsch-Ost-Afrika, Usaa, Kirche und Schulhaus am Kilimandscharo

Bewässerung: Das Hochplateau im Innern ist wasserarm. In den Indischen Ozean (in der Reihenfolge von Norden nach Süden) ergießen sich folgende Flüsse: der Umba. (Grenzfluss im Norden, der Pangani (Quelle auf dem Kilimandscharo), der Wami und Kingani münden Sansibar gegenüber, der Rufidji (mit dem Ulanga und Ruaha, am Ausfluss des Rufidji die Insel Mafia), der Ruvuma, Grenzfluss im Süden, entspringt auf den Nyassabergen. In den Tanganyika-See fließt der Mlagarassi, in den Victoria—Nyansa der Kagera, der südlichste Quellfluss des Nils, dessen Quellen (1899) noch nicht festgestellt sind.

Deutsch-Ost-Afrika, Strand in Lindi
Deutsch-Ost-Afrika, Strand in Lindi

Zum Teil zum deutschen Schutzgebiet gehören die drei Süßwasserseen Afrikas: der Victoria—Nyansa (1180 m über dem Meeresspiegel, 66.000 km² groß = Königreich Bayern), der Tanganyika (880 m über dem Meeresspiegel, 35.000 km² groß = Provinz Ostpreußen), der Nyassa-See (500 m über dem Meeresspiegel, 27.000 km² groß = Provinz Westpreußen).

Westlich vom Kilimandscharo befinden sich der Guassonyiro-, der Eyassi- und der Manyara—See. Der nordwestlich vom Nyassa befindliche lewa-See liegt 780 m hoch und bildet ein abflussloses Becken, das augenblicklich fast ganz ausgetrocknet ist.

Deutsch-Ostafrika, Hütte der Konde
Deutsch-Ostafrika, Hütte der Konde

Klima:

Deutsch-Ostafrika gehört in seiner ganzen Ausdehnung der tropischen Zone an. Vom Mai bis September weht der Südwestpassat, vom Dezember bis März der Nordostpassat. Die Winde tragen die Feuchtigkeit über das Festland und bestimmen die Regen- und Trockenzeit. Im Innern wechselt eine durchschnittlich 6 Monate währende Regenzeit mit einer ebenso langen Trockenzeit ab.

An der Küste tritt nach den Regenzeiten (Ende Dezember bzw. Ende April) eine kühle Periode ein, in welcher die Temperatur des Nachts auf 10° C sinkt, während sie bei Tage 35° C und mehr beträgt.

Deutsch-Ostafrika, Missionsschule, Dschagga-Kinder
Deutsch-Ostafrika, Missionsschule, Dschagga-Kinder

Geschichte:

16. September 1884
Ausschusssitzung der Gesellschaft für deutsche Kolonisation in Berlin, in welcher Dr. Carl Peters den Auftrag erhält, nach Afrika zu reisen, um Land für die Gesellschaft zu erwerben. Als Begleiter werden Dr. jur. Jühlke und Graf J. Pfeil ausersehen. Bald darauf reisen die drei Herren nach Sansibar ab, jedoch versuchen sie, das Ziel ihrer Reise zu tarnen, um die Engländer nicht frühzeitig auf ihr Vorhaben aufmerksam zu machen.

Carl Peters

Carl Peters

* 27.09.1856 Neuhaus an der Elbe, † 10.09.1918 Bad Harzburg. Dr. Carl Peter gilt als der Begründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika. 1897 wurde er wegen verschiedener ihm zur Last gelegten Grausamkeiten gegen Einheimische zur Dienstentlassung verurteilt.

8. November 1884
Der deutsche Konsul William Oswald in Sansibar teilt Dr. Carl Peters mit, dass ihn die deutsche Regierung in einem Erlass angewiesen habe, dem p. p. Peters, wenn er wirklich in Sansibar eintreffen sollte, zu eröffnen, dass er dort weder Anspruch auf Reichsschutz für seine Kolonie, noch Garantie für sein eigenes Leben haben könne.

10. November 1884
Dr. Carl Peters landet mit seinen Begleitern Jühlke und Pfeil in Sadani an der Küste Ostafrikas.

10. November und 17. Dezember 1884
Dr. Carl Peters schließt in Begleitung von Dr. Jühlke und Graf Pfeil mit den Stammesführern des Hinterlandes von Sadani und Bagamoyo in Ostafrika Verträge (Carl Peters Vertrag) ab, die neben der Flaggenhissung die Rechtsgrundlage zur späteren Übernahme der Schutzherrschaft durch das Reich abgeben. Es sind die Landstriche zwischen Pangani und Kingani in einem Umfang, der dem Süddeutschlands etwa gleichkommt. Außerdem lässt sich Dr. Peters von dem Agenten des Sultans von Sansibar, Said Bargash, bestätigen, dass der Sultan in diesen Gebieten, speziell in Nguru und Usagara, keine Oberhoheit und Schutzrechte besitzt (26. November 1884). Am 17. Dezember ist die Expedition bereits zu Ende und Dr. Peters trifft am 5. Februar 1885 wieder in Berlin ein. Die Unkosten betragen nicht ganz 2000 Mark.

Dr. Karl Jühlke, Dr. Carl Peters, Joachim Graf Pfeil in Berlin 1884
Dr. Karl Jühlke, Dr. Carl Peters, Joachim Graf Pfeil in Berlin 1884

1884
Carl Peters schließt mit Sultan Usagara einen Schutzvertrag.

12. Februar 1885
Der Ausschuss der Gesellschaft für deutsche Kolonisation beschließt, ein Direktorium auf 15 Jahre zu ernennen. Mitglieder sind Dr. Peters, Graf Behr, Hofgartendirektor Jühlke, Dr. Lange und Konsul Roghe. Auf Antrag von Dr. Peters wird eine eigene Flagge angenommen. Die Flagge wurde von dem damaligen Sekretär der Gesellschaft und späteren Hauptmann A. Leue entworfen.

Flagge der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft
Flagge der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft

27. Februar 1885
Kaiser Wilhelm I. unterzeichnet den Schutzbrief für die ostafrikanischen Erwerbungen der „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“.

2. April 1885
Die „Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft, Carl Peters und Genossen“ wird in das Handelsregister Berlin eingetragen.

Am 9. April erhält Dr. Peters Generalvollmacht von der Gesellschaft. A. Leue wird Sekretär; Dr. Jühlke ist in Sansibar Vertreter der Gesellschaft und wird vom Reichskanzler mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit im Schutzgebiet beauftragt. Man plant dieses zu erweitern vom Kap Guardafui bis zum Rovuma, von den Komoren bis nach Madagaskar. Es werden zum Zwecke der Landerwerbung elf Expeditionen hinausgeschickt.

Postkutsche in Deutsch-Ost-Afrika
Postkutsche in Deutsch-Ost-Afrika

8. April 1885
Clemens Dehnhardt schließt in Gegenwart seines jüngeren Bruders Gustav und des Landwirtes Schunke einen Schutz- und Landkaufvertrag mit dem Sultan Achmed (genannt Simba = der Löwe) von Witu ab, durch den sich der Sultan von Witu unter die Schutzherrschaft des Deutschen Reiches (Deutsch-Witu) stellt und gleichzeitig Clemens Dehnhardt als seinen Bevollmächtigten ernennt. Unabhängig hiervon erwirbt Clemens Dehnhardt für die Witu-Gesellschaft durch Kauf ein Landgebiet von 25 qkm Umfang. Kaufpreis: 50 Gewehre, Tuch, Glasperlen und einige 1000 Maria-Theresien-Taler. Das Sultanat Witu war ungefähr zwei Drittel so groß wie das damalige Deutsche Reich.

27. Mai 1885
Bismarck teilt telegrafisch dem Generalkonsul Gerhard Rohlfs in Sansibar mit, dass das Deutsche Reich das Anerbieten des Sultans Achmed von Witu in Ostafrika, sein Land unter die deutsche Schutzherrschaft vorbehaltlich der Rechte Dritter zu stellen, an nimmt.

Deutsch-Witu, Landkarte
Deutsch-Witu, Landkarte

7. August 1885
Ein deutsches Flottengeschwader unter Konteradmiral Knorr erscheint vor Sansibar, da der Sultan den Deutschen Probleme bereitet, wobei er von England unterstützt wird. Sir John Kirk, englischer Konsul in Sansibar, ist Gegenspieler von Carl Peters.

1. November 1886
Deutsch-englischer Vertrag über die gegenseitigen Interessengrenzen in Sansibar und Ostafrika.

24. November 1886
Gründung der Deutsch-Ostafrikanischen Plantagengesellschaft Lewa durch die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft. Nachdem Versuche mit Tabakbau misslungen sind, wird mit Erfolg Kautschuk (Manihot Glac.) gepflanzt. Diese älteste Pflanzung (Leiter der Sumatrapflanzer Köhler) wird 1910 an eine englische Gesellschaft verkauft.

Unsere Marine. Du kennst mein Herz noch lange nicht!
Unsere Marine. Du kennst mein Herz noch lange nicht!

30. Dezember 1886
Festlegung der deutsch-portugiesischen Grenze. (Heutige Grenze zwischen Tansania und Mozambique.)

30. Juli 1887
Vertrag zwischen Sultan Said Bargash und Carl Peters als Vertreter der DOAG, welche am 26. Februar 1886 mit Karl von der Heydt als Vorsitzenden neu konstituiert war. Durch diesen Vertrag wird Peters die ganze Küste vom Umba bis zum Rovuma zwecks Weiterübertragung an die DOAG überlassen. 1888 scheidet Peters aus der DOAG-Leitung aus und unternimmt am 17. Juni 1889 die Emin-Pascha-Expedition (bis 6. Juli 1890).

Unsere Marine. Fahr mich hinüber schöner Schiffer!
Unsere Marine. Fahr mich hinüber schöner Schiffer!

28. April 1888
Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft schließt mit dem Sultan von Sansibar einen Vertrag ab, nach welchem sie einen 10 Meilen breiten Streifen an der ostafrikanischen Küste von ihm pachtet.

2. Dezember 1888
Bismarck entschließt sich zu einer weiteren Hilfeleistung der bedrängten Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft. Es wird unter Mitwirkung eines englischen Geschwaders die Blockade gegen Waffeneinfuhr und Sklavenausfuhr über die ostafrikanische Küste verhängt.

Hermann von Wissmann
Hermann von Wissmann

Dezember 1888
Der so genannte „Araberaufstand“ unter Führung von Buschiri bricht aus.

2. Februar 1889
Veröffentlichung im Reichsgesetzblatt: „Der Reichskanzler wird ermächtigt, für Maßregeln zur Unterdrückung des Sklavenhandels und zum Schutz der deutschen Interessen in Ostafrika über eine Summe von zwei Millionen Mark zu verfügen und die Ausführung der erforderlichen Maßregeln einem Reichskommissar zu übertragen.

3. Februar 1889
Hauptmann Hermann Wissmann, welcher bereits seit dem 1. Januar dem Auswärtigen Amt zugeteilt war, wird zum Reichskommissar ernannt.

Hermann von Wissmann

Hermann von Wissmann

Reichskommissar 1888 – 1891, Gouverneure 1895 – 1896, * 04.09.1853 in Frankfurt/Oder, † 15.06.1905 in Weißenbach bei Liezen

8. Februar 1889
Bildung eines Stabes mit Wissmann als Kommandanten an der Spitze. Am 15. Februar tritt Wissmann die Ausreise an. Er begibt sich nach Ägypten zur Anwerbung von 650 Sudanesen, die um 350 Mann aus Mozambique verstärkt werden. Am 19. Februar wird die Kaiserliche Verordnung zur Bildung einer Polizeitruppe in Ostafrika erlassen.

1889/90
Die militärischen Operationen gegen die Aufständischen unter Buschiri und Banaheri beginnen. Am 8. Mai 1889 wird deren Lager erstürmt. Nachdem Buschiri bereits im Dezember 1889 gefangen und zu Tode verurteilt und auch Banaheri geschlagen wurde, ist die „Ruhe“ im Norden des Schutzgebietes wiederhergestellt.

Zanzibar, Askaritruppe
Zanzibar, Askaritruppe

Mai 1889
Bismarck teilt nach London mit, dass Dr. Peters, der in der Zeit von 1888 bis 1889 noch weitere Verträge mit eingeborenen Sultanen und Häuptlingen abgeschlossen bzw. dieselben veranlasst hatte, bereits mit England abgeschlossene Verträge zugunsten des Reiches rückgängig zu machen, ohne Auftrag der Regierung handele. Dies wird Dr. Peters in Sansibar mitgeteilt. Bismarck schreibt auf ein Aktenstück am 23. Juli die Randbemerkung: „Bisher brauchen wir England, wenn der Friede noch etwas erhalten werden soll.“ Damit sind die großen Pläne des Dr. Carl Peters endgültig gescheitert.

1. Juli 1890
Mit dem Helgoland-Sansibar-Vertrag zieht Deutschland seine Schutzherrschaft über Witu zugunsten von Großbritannien zurück. Unterzeichnet ist der Vertrag vom Reichskanzler von Caprivi und Legationsrat Krauel.

Reichspostdampfer Bürgermeister
Reichspostdampfer Bürgermeister

23. Juli 1890
Der erste deutsche Reichspostdampfer der neu gegründeten Deutschen Ostafrikalinie (DOAL.) tritt die Ausreise nach Deutsch-Ostafrika von Hamburg aus an. Der mit diesem Dampfer fahrende erste deutsche Fachpostbeamte eröffnet am 27. August eine Postagentur in Sansibar.

10. September 1890
Die Verlegung eines Seekabels Sansibar-Bagamoyo-Daressalam durch eine englische Gesellschaft, mit der ein Vertrag abgeschlossen ist, wird beendigt. Am 18. September tritt der Telegraf in Bagamoyo, am 22. in Daressalam in Tätigkeit. Am 4. Oktober werden in beiden Orten auch von Fachbeamten bediente Postagenturen eröffnet.

8. November 1890
Die Deutsche Reichsregierung erklärt England gegenüber, dass sie mit einer Entschädigung der durch den Aufstand in Witu schwer geschädigten Deutschen rechne. England gibt eine unklare Zusage, die nicht gehalten wird. (Die Aufgabe der Schutzherrschaft in Witu wurde von den Einheimischen als Verrat angesehen, wodurch die dort lebenden Deutschen in eine gefährliche Lage gerieten und teils niedergemacht, teils ihrer Habe beraubt wurden.)

Askari beim Exerzieren
Askari beim Exerzieren

20. November 1890
Das Deutsche Reich schließt einen Vertrag mit der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, nach der die Verwaltung und Zollerhebung Ostafrikas auf das Reich übergeht gegen die Verpflichtung, jährlich 600.000 Mark für Amortisation und Verzinsung einer von der Gesellschaft aufzunehmenden Anleihe in Höhe von 10.556.000 Mark zu zahlen. Dafür hat die Gesellschaft ihrerseits die Verpflichtung, an den Sultan von Sansibar den Entschädigungsbetrag von 4 Millionen Mark für Abtretung des Küstenstriches zu zahlen.

1890
Verlegung des Gouvernementssitzes von Bagamoyo nach Daressalam.

1. Januar 1891
Deutsch-Ostafrika erhält für den zurückberufenen Reichskommissar einen Zivilgouverneur.

22. März 1891
Die Wissmanntruppe wird in eine reguläre Kaiserliche Schutztruppe umgewandelt, welche dem Reichsmarineamt untersteht. Zum Kommandeur wird am 9. April der Leutnant von Zelewski ernannt.

Barra Rasta Inder-Straße in Daresalam, Gruß von der Deutsch-Ostafrikanischen Ausstellung (in Leipzig) 1897
Barra Rasta Inder-Straße in Daresalam, Gruß von der Deutsch-Ostafrikanischen Ausstellung (in Leipzig) 1897

1890
Die Rinderpest bricht im Schutzgebiet aus.

17. August 1891
Vier Kompanien der Schutztruppe werden bei Rugaro auf dem Marsch von den Wahehe überfallen. Der Kommandeur der Schutztruppe von Zelewski gerät in einen Hinterhalt und kommt mit 9 Europäern und 150 Askari ums Leben.

5. Mai 1892
Die erste Telegrafenlinie Bagamoyo-Sadani wird eröffnet. (Bis 1892 zum Beginn des Ersten Weltkrieges waren 3000 km Leitungen im Betrieb.)

5. Dezember 1892
Die Regierungsschule in Tanga wird mit 50 Schülern in einem Kaufladen eröffnet. Schon 1895 kann der spätere Rektor Blank mit 100 Schülern in das Gouvernementsschulhaus ziehen.

Station Usungula mit den Pflanzungen, Gruß von der Deutsch-Ostafrikanischen Ausstellung (in Leipzig) 1897
Station Usungula mit den Pflanzungen, Gruß von der Deutsch-Ostafrikanischen Ausstellung (in Leipzig) 1897

1892/93
Die Rinderpest geht zurück. Erst um 1913 konnte der 1892/93 Viehbestand von der Zeit vor der Pest wieder erreicht, ja überschritten werden (nach Schätzung 12 Millionen Rinder, 5 Millionen Stück Kleinvieh).

1893
Es wird der erste erfolgreiche Versuch unternommen, die aus Mexiko eingeführte Sisalagave (Sisalhanf) zu kultivieren.

1893
Durch Stiftung eines Inders wird am Hafen von Daressalam das 1893 Sewa-Hadji-Krankenhaus für Einheimische und Inder erbaut.

1. Juli 1893
Postwertzeichen (Adlerzeichnung) mit schwarzem Aufdruck des Pesabetrages (1 Rupie e 64 Pesa) werden herausgegeben. 1896 erhalten 1. Juli die Marken, bis dahin mit waagerechtem Pesaüberdruck, einen schrägen Pesaüberdruck mit der Angabe „Deutsch-Ostafrika“. 1901 werden Marken mit Schiffszeichnung und Rupie- und Pesaangaben herausgegeben.

Briefmarken aus Deutsch-Ostafrika
Briefmarken aus Deutsch-Ostafrika

1893/94
Unterwerfung der Wahehe und Wadschagga durch Gouverneur von Scheele.

16. Oktober 1884
Die erste koloniale Eisenbahnstrecke von Tanga nach Pongwe wird eröffnet (14 km). Erst nach 11 Jahren wird die Bahn auf 129 km verlängert.

1895
Eröffnung des Gouvernementskrankenhauses in Daressalam.

5. Juni 1896
Die Kronlandsverordnung der Reichsregierung tritt in Kraft. Land, welches von der Schutzgebietsverwaltung an Europäer abgegeben wird, muss vorher nach Prüfung etwaiger Rechte Dritter zum Kronland erklärt werden.

1. Januar 1897
In Daressalam wird das Eingeborenenhospital, welches nach seinem Stifter, dem Inder Sewa Hadji benannt wird, in Betrieb genommen.

Deutsch-Ost-Afrika, Gouvernements-Krankenhaus in Dar-es-Salaam
Deutsch-Ost-Afrika, Gouvernements-Krankenhaus in Dar-es-Salaam

1897
Die Errichtung einer Zuckerfabrik am Pangani wird geplant, doch erst 1900/01 ausgeführt. Die erste Kampagne fällt in das Jahr 1901. (Das Unternehmen wird jedoch schon 1902 liquidiert, da man mit großen Verlusten arbeitet und nicht durchhalten will.)

19. Juli 1898
Sultan Quawa der Wahehe fällt. Damit ist der Waheheaufstand beendet.

1899
In Daressalam erscheint zum ersten Male die „Deutsch-Ostafrikanische Zeitung“, Herausgeber und Schriftleiter Wilhelm (Willy) von Roy-Quadendorf.

1. August 1899
Das Bezirksamt von Tanga führt den allgemeinen Schulunterricht für einheimische Jungen ein (täglich 2 Stunden Unterricht).

Deutsch-Ost-Afrika, Bergweg im Usambara-Gebirge
Deutsch-Ost-Afrika, Bergweg im Usambara-Gebirge

1900
Einführung der Kautschukkultur (Manihot Glaciovii), die sich jedoch erst ab 1905 stärker entwickelte.

1902
Einführung des Baumwollanbaues durch das kolonialwirtschaftliche Komitee, dessen mustergültige Organisation zum Vorbild für gleiche Einrichtungen in den englischen und französischen Kolonien Afrikas wird.

Juni 1902
Gründung des Kaiserlichen landwirtschaftlich-biologischen Institutes in Amani in Ostusambara (920 m hoch) als Ergänzung des in Daressalam bestehenden Kulturgarten.

Deutsch-Ost-Afrika, Mais stampfende Mädchen
Deutsch-Ost-Afrika, Mais stampfende Mädchen

1904
Aufhebung der Sklaverei. Es wird bestimmt, dass alle nach dem 31. Dezember 1905 geborenen Kinder der Sklaven entschädigungslos frei sein sollen. Die Haussklaverei soll nach dem Reichstagsbeschluss, der dieser Verordnung zugrunde liegt, im Jahre 1920 völlig aufhören.

1904
Die erste Baumwollversuchsstation wird in Mpanganya am Südufer des Rufijiflusses mit Schulbetrieb gegründet.

28. Februar 1904
Die Reichsregierung erlässt eine Verordnung über das Münzwesen in Deutsch-Ostafrika und setzt als Einheit die Rupie, in 100 Heller geteilt, fest. 1 Rupie erhielt den festen Kurs von 1,333 Mark. Es werden fortan nur Postwertzeichen mit Hellerangaben herausgegeben.

Deutsch-Ostafrika, Münzen
Deutsch-Ostafrika, Münzen

1. September 1904
Das Höhensanatorium Wugiri im Nordosten wird eröffnet, nachdem ein Kolonialfreund, Lienhardt, ein Kapital von 100.000 Mark dazu gestiftet hatte.

1. Oktober 1904
Mombo, von wo der Aufstieg nach Wilhelmstal in Westusambara erfolgt, erhält Stadtrechte (ab Februar 1905 erreicht der Eisenbahnbau von Tanga aus Mombo).

Januar 1905
Die Deutsch-Ostafrikanische Bank wird gegründet. Da ihr das Recht der Notenausgabe verliehen wird, gibt sie bereits im Dezember die ersten 5-Rupie-Noten heraus.

1905
Das Gouvernement von Deutsch-Ostafrika gibt gedruckte Auskünfte für Ansiedler in Westusambara und Moschi heraus, die die Auswanderungslustigen eher abschrecken als anziehen. Als Betriebskapital werden 9000 Mark verlangt.

Münzen aus Deutsch-Ostafrika
Münzen aus Deutsch-Ostafrika

1905
Erste Reise des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg nach Deutsch-Ostafrika.

1905/06
Im Süden des Landes bricht der „Maji Maji-Aufstand“ aus. Ursache war u.a. eine Erhöhung der Steuer, wodurch die Einheimischen zur Plantagenarbeit gezwungen werden sollten. Es kommt zu zahlreichen, schweren Kämpfen der Afrikaner gegen die Schutz- und Polizeitruppe. Am Ende der Kämpfe schätzt die Kolonialbehörde die Zahl der einheimischen Toten auf rund 75.000. Auf deutscher Seite sind 345 Askaris und 23 Europäer zu Tote gekommen.

1907
Die Loslösung der Zivilverwaltungsaufgaben (Bezirksämter) von der Schutztruppe wird zum größten Teil durchgeführt.

Deutsch-Ostafrika, Hafeneinfahrt von Daressalam
Deutsch-Ostafrika, Hafeneinfahrt von Daressalam

12. Mai 1907
Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg begibt sich nach Deutsch-Ostafrika, um eine Forschungsreise quer durch Afrika von Ost nach West anzutreten. Seine Begleiter sind Hauptmann Weiß und Oberleutnant von Wiese und Kaiserswaldau, außerdem eine Anzahl von Fachgelehrten. Die Expedition endigt 1908 erfolgreich.

19. August 1907
Eröffnung der Reichstelegrafenstation in Moschi.

23. September 1907
Die erste Privatreisegesellschaft des Reisebüros Carl Stangen kommt in das Schutzgebiet.

Vermessungsschiff Möwe und S.M.S. Königsberg vor Daressalam
Vermessungsschiff Möwe und S.M.S. Königsberg vor Daressalam

5. Oktober 1907
Eröffnung der Bahn von Daressalam-Morogoro bis zur Station 1907 Mikeke. Die ganze Strecke wird am 16. Dezember eröffnet. Der erste Spatenstich fand am 1. Februar 1905 in Daressalam statt.

23. November 1907
Um die Ausbreitung der Sisalhanfkultur besonders in Britisch-Ostafrika zu verhindern, wird ein Ausfuhrzoll für Sisalpflanzgut eingeführt.

1907 – 1910
Oberleutnant Paul Graetz durchquert als erster Afrika im Automobil 1907-1910 (für den Verlag Seherl). Oberleutnant Graetz gehörte der ostafrikanischen Schutztruppe von 1902-1904 an. Sein Kisuaheliname war „Bwana Tucke-Tucke“, dem Motorengeräusch nachgebildet. 1911/12 wiederholte er die Durchquerung im Motorboot, das allerdings weite Strecken geschleppt werden musste.

Französische Mission in Bagamoyo - Hospital in Bagamoyo
Französische Mission in Bagamoyo – Hospital in Bagamoyo

1908
Die Kironda-Goldminengesellschaft beginnt ihren Betrieb in Sekenke (200 km nördlich von der Zentraleisenbahn entfernt, daher sehr schwieriger Transport der Maschinen usw. Das Gold wird aus Quarzgängen gewonnen, je Tonne Erz durchschnittlich 45 g Gold, später nur 25 bis 14 g.)

1909 – 1911
Forschungsexpedition zur Ausgrabung von Riesensauriern am Tendaguruberge, nordwestlich von Lindi unter Leitung von Dr. W. Janensch sowie unter Mitarbeit der Herren Dr. E. Hennig, Dr. von Staff und Sattler. Die Arbeiten werden 1912 wieder aufgenommen.

Exzellenz Staatssekretär Dernburg's Empfang, Dar-es-Salaam 1908, Deutsch-Ost-Afrika
Exzellenz Staatssekretär Dernburg’s Empfang, Dar-es-Salaam 1908, Deutsch-Ost-Afrika

1900/10
Nach heftigen Pockenepidemien im Norden und im Gebiet der Zentralbahn, werden fast eine Million Pockenschutzimpfungen vorm genommen.

1910
Das Gouvernement von Britisch-Ostafrika kauft von diesem Jahre ab jährlich große Mengen der deutschen Schutzlymphe. Schon 1902 war es dem Stabsarzt Dr. Exner in Bismarckburg gelungen, im Schutzgebiet brauchbare Kälberlymphe herzustellen.

1911
Vertrag zwischen Deutschland und Belgien über die gegenseitigen Grenzansprüche in Deutsch-Ostafrika. Es wird der Kiwusee und der Lauf des Russissi als Grenze zwischen deutschem und belgischem Schutzgebiet festgelegt.

Dr. Albert Heinrich Schnee

Albert Heinrich Schnee

Gouverneur 1912 – 1918, * 04.02.1871 in Haldensleben, † 23.06.1949 in Berlin

1912/13
In Daressalam wird gerichtet ein Institut für Seuchenforschung eingerichtet.

1913
Seit dem Jahre 1903 wurde der Kampf gegen die Pocken durch Impfungen aufgenommen. Bis 1913 ist fast die Hälfte der Einheimischen geimpft worden.

9. März 1913
Gründung eines Freiwilligenkorps von Usambara unter Hauptmann a. D. von Prince in Wilhelmstal.

20. März 1913
In Daressalam wird eine Funktelegrafenstation eröffnet.

Deutsch-Ostafrika, Askaris
Deutsch-Ostafrika, Askaris

20. März 1913
Vereinbarung zwischen Deutschland und Portugal über die Rovuma-Inseln.

1. April 1913
Deutsche Maße und Gewichte werden im Schutzgebiet eingeführt.

1. Oktober 1913
Einführung der Zeit von Moschi am Kilimandscharo als Einheitszeit für das ganze Schutzgebiet.

3. Dezember 1913
Tanga erhält eine Städteordnung.

12. Dezember 1913
Oberstleutnant von Lettow-Vorbeck wird an Stelle des Oberstleutnants von Schleinitz Kommandeur der Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika.

Paul von Lettow-Vorbeck

Paul von Lettow-Vorbeck

Kommandeur der Schutztruppe 1914 – 1918, * 20.03.1870 in Saarlouis, † 09.03.1964 in Hamburg

Deutsch-Ostafrika im Ersten Weltkrieg (1914 – 1918)

2. August 1914
Dem Gouvernement wird durch Kabel nach der Mobilmachung in Deutschland mitgeteilt, dass die Kolonie sich außer Kriegsgefahr befinde. Ein weiteres Kabelgramm wird angekündigt, kommt aber nicht an. Durch einen deutschen Dampfer wird dann das von Sansibar kommende Gerücht, dass auch mit England Kriegsgefahr bestehe, bestätigt. Die Kriegserklärung selbst erhält die Kolonie durch Funkspruch am 5. August früh 4 Uhr 45 Min.

Deutsch-Ostafrika, Askaris
Deutsch-Ostafrika, Askaris

August 1914 bis März 1916
Der erste Abschnitt des Krieges in dem Schutzgebiet.
Das ganze Schutzgebiet bleibt, abgesehen von kleinen unbedeutenden Gebäudeverlusten an den Grenzen, in deutscher Hand. Die Operationen im Ostteil werden von dem Kommandeur selbst geleitet, im Westteil (um den Viktoria-, Tanganjika-, Kiwu- und Njassasee) von General Wahle von dessen Hauptquartier in Kigoma aus.

17. August 1914
Der englische Kreuzer „Pegasus“ läuft Tanga an. Nach einem Abkommen mit den Engländern wird Tanga, wie am 8. August Daressalam, als offene Stadt erklärt. Im November wird das Abkommen von den Briten gekündigt.

S.M.S. Königsberg vor Daressalam
S.M.S. Königsberg vor Daressalam

7. September 1914
Gefecht einer deutschen Abteilung unter Hauptmann Schulz bei Tsavo an der Ugandabahn. Am 26. September greift die Abteilung in der Nähe stehende, aus Indern gebildete Truppen an, die dabei große Verluste erleiden.

September 1914
Eine kleine Abteilung in Bismarckburg greift Abercorn in Rhodesien.

14. September 1914
Im Westen des Viktoriasees besetzen die Engländer das Gebiet bis zum Kagera. Die Deutschen dringen am Ostufer in englisches Gebiet, müssen sich aber bei Kissi wieder zurückziehen.

September 1914
Die Deutschen wehren sich bis zum März 1916 erfolgreich gegen Angriffe der Belgier auf und am Tanganjikasee.

Der englische Kreuzer Pegasus wird von dem deutschen Kreuzer Königsberg bei Sansibar versenkt
Der englische Kreuzer Pegasus wird von dem deutschen Kreuzer Königsberg bei Sansibar versenkt

20.September 1914
Der Kreuzer S.M.S. Königsberg, Kommandant Kapitän zur See Looff, vernichtet den englischen Kreuzer „Pegasus“ vor Sansibar.

24. September 1914
Hauptmann Wintgens, Kommandant der im Sultanat Ruanda stationierten Truppen, greift die Belgier am Kiwusee an und besiegt sie.

25. September 1914
Die Briten greifen die 10. Kompanie unter Hauptmann Tafel am Engitoberg an.

S.M.S. Königsberg im Kampfe mit dem englischen Kreuzer Pagasus vor Sansibar
S.M.S. Königsberg im Kampfe mit dem englischen Kreuzer Pagasus vor Sansibar

Oktober 1914
Major von Stuemer erhält den Oberbefehl über die gesamte Schutztruppe am Viktoriasee; Bukoba wird Zentralkommandostelle. Verschiedene See- und Landgefechte finden in den nächsten Monaten statt.

1. Oktober 1914
Auf diesen Tag war die Einführung des Postsparkassendienstes in 1914 Deutsch-Ostafrika festgesetzt. Der Krieg verhinderte die Durchführung. (In Deutschland erst 1939 eingeführt.)

4. Oktober 1914
Belgische Truppen (4 Kompanien) erleiden eine völlige Niederlage bei Kissenji am Kiwusee. Auch einen zweiten noch stärkeren Angriff am 21. Dezember 1915 weist Hauptmann Wintgens ab. Am 26. Januar 1916 erfolgt ein dritter Angriff mit sehr überlegenen Kräften, der von Hauptmann Klinghardt abgewiesen wird.

8. Oktober 1914
Siebenstündiges Gefecht der Abteilung Major Baumstark bei Gazi (südlich Mombassa an der Küste) mit englischen Truppen. Das Gefecht wird auf deutscher Seite wegen Munitionsmangel abgebrochen.

Deutsch-Ostafrika, Askaritreue
Deutsch-Ostafrika, Askaritreue

2. November 1914
Der erste große Vorstoß der Briten beginnt. Zwei englische Kreuzer erscheinen vor Tanga und landen Truppen. Unter Kündigung des früheren Abkommens fordert der englische Kommandant die Stadt zur Übergabe auf. Nach Weigerung entwickelt sich die dreitägige Schlacht von Tanga. Von Lettow-Vorbeck steht am 2. November mit der Hauptmacht am Kilimandscharo, während nur einige Züge in Tanga stehen. Es gelingt, die Truppen aus dem Innern sowie das freiwillige deutsche Schützenkorps unter Hauptmann von Prince zur rechten Zeit von Usambara nach der Küste zu bringen. Das britische Landungskorps unter Generalmajor Aitken besteht aus einem englischen (Northlancashire) und acht indischen Regimentern sowie einigen Spezialtruppen.
Am 4. November, dem Hauptkampftag, besteht die deutsche Heeresmacht aus 1000 Mann mit 21 Maschinengewehren. Von Lettow-Vorbeck kam in der Nacht vom 3. zum 4. November in Tanga an. Am 4. November fällt von Prince („Bwana Sakkarani“). Die Schlacht endet mit einem Sieg der Deutschen. Am 6./7. November dampft die britische Flotte mit allen Truppen wieder ab.

Deutsch-Ostafrika, Schlacht von Tanga
Deutsch-Ostafrika, Schlacht von Tanga

3. November 1914
Britische Streitkräfte gehen gegen den nordwestlich vom Kilimandscharo gelegenen Longidoberg vor, wo sie von der Abteilung des Majors Kraut unter schweren Verlusten zurückgeschlagen werden.

28./30. November 1914
Beschießung Daressalams durch britische Kriegsschiffe.
Am 11. Dezember wird Tanga, am 16. Dezember Kilwa-Kisiwani beschossen.

10. Januar 1915
Die Insel Mafia, die von einem Offizier, zwei deutschen Unteroffizieren und 20 Askaris besetzt war, wird nach heftigem Beschuss von den Briten im Sturm genommen. Sie landeten zu diesem Zweck nicht weniger als sechs Kompanien indischer und schwarzer Truppen. Die Besetzung von Mafia hatte den Zweck, in der Bucht von Tirene einen geschützten Ankerplatz für die Schiffe und einen Stützpunkt für den Blockadedienst an der Küste zu gewinnen. Die Besetzung von Mafia war für die „Königsberg“ insofern ein herber Verlust, als sie hierdurch einer zuverlässigen Nachrichtenstation beraubt war.

Deutsch-Ostafrika 2,5 Heller, 1915 Mafia
Mafia Ausgabe von 1915 (Britische Besetzung). Im Januar und im Juli 1915 erschienen Marken von Deutsch-Ostafrika mit schwarzem, violettem oder grünem Aufdruck: Januar 1915: „G.R./Mafia“ , Juli 1915: „G.R./Post/6 Cents/Mafia“

18. Januar 1915
Gefecht bei Jassini nahe der Küste im Norden an der englischen Grenze (heutige Grenze zwischen Tansania und Kenia). Die britischen Truppen erleiden schwere Verluste und müssen kapitulieren. Nach diesem neuen misslungenen Versuch der Engländer, mit Hilfe von indischen Truppen vom Norden und der Küste her einzudringen, entsteht eine längere Pause in den englischen Landangriffen.

April 1915
Die von den Engländern gegen Deutsch-Ostafrika verhängte Blockade (1. März) wird von dem von der deutschen Marine ausgesandten Hilfsschiff „Rubens“ unter Führung des Kapitänleutnants d. R. Christiansen durchbrochen. Die „Rubens“ wird von den Engländern in Brand geschossen, doch gelingt es, Munition und Gewehre zu bergen.

20. Juni 1915
Die Briten besetzen Bukoba, müssen jedoch bald wieder zurückweichen, nachdem sie den Ort geplündert und die Funkstation zerstört haben.

S.M.S. Königsberg im Rufidji
S.M.S. Königsberg im Rufidji

11. Juli 1915
Der Kreuzer S.M.S. Königsberg wird in der Kikunjamündung des Rufijiflusses von überlegenen Kräften der britischen Marine blockiert und auf Befehl des schwerverwundeten Kommandanten Looff gesprengt. Die Besatzung wird, ebenso wie vorher die des Vermessungsschiffes „Möwe“ (Kommandant Korvettenkapitän Zimmer), den Truppen Lettow-Vorbecks eingereiht.

19. August 1915
Britische Kriegsschiffe greifen Tanga an, ziehen sich jedoch bald wieder zurück. Bereits am 29. Juli erscheinen die Engländer in Lindi und beschießen am 17. August Daressalam, welches inzwischen mit ausgedehnten Verteidigungsanlagen versehen worden ist. Die Geschütze der „Königsberg“ fanden dabei Verwendung. Auch die Truppe ist durch die Marine bedeutend verstärkt. Insgesamt sind 54 Offiziere und 884 Unteroffiziere und Mannschaften von der Marine in die Truppe übernommen.
Bis zum Februar 1916 bleibt es an der Küste im ganzen ruhig.

S.M.S. Königsberg nach der Versenkung
S.M.S. Königsberg nach der Versenkung

17 Januar 1916
Am Kagera auf dem westlichen Kriegsschauplatz finden verschiedene Gefechte (16. Februar bis Juni) statt, als die von Westen vordringenden Belgier die Bukobaabteilung zum Abzug zwingen.

März bis September 1916
Der zweite Abschnitt des Krieges im Schutzgebiet umfasst die Zeit des Vordringens der weit überlegenen Ententemächte bis zum Verlust der Zentralbahn und damit des größten Teiles der Kolonie. Ende September befinden sich im wesentlichen nur noch die Gebiete südlich des Rovuma sowie der westlich angrenzende Mahengebezirk in deutschem Besitz. Bereits im Januar erfolgt der erste große Vorstoß. Am 9. Januar erscheinen die ersten britischen Landflugzeuge im Norden über Taveta. Vorher hatten die Briten nur zwei Marineflugzeuge im Endgefecht gegen die „Königsberg“ verwendet. Auch tauchen am 22. Januar bei Taveta die ersten Panzerautos auf. Den britischen Oberbefehl führt der Burengeneral Smuts, sein Stabschef ist der englische Brigadegeneral Collyer. Die Gesamtstärke der Gegner (Engländer, Belgier, Südafrikaner und Portugiesen) beträgt ungefähr 100.000 Mann.

S.M.S. Königsberg, im Vordergrund die Grabstätte der Gefallenen
S.M.S. Königsberg, im Vordergrund die Grabstätte der Gefallenen

8. März 1916
Der Vormarsch der britischen Haupttruppen unter General Smuts auf Taveta beginnt. Das Ziel ist, die deutsche Hauptmacht, welche zwischen dem Kilimandscharo und dem Paregebirge steht, anzugreifen und gleichzeitig dieselbe von der Usambarabahn (Kahe) abzuriegeln. Am 11. März kommt es am Reataberg zum Kampf. Die deutschen Truppen müssen sich zurückziehen, auch Neumoschi wird geräumt.

Jan Christiaan Smuts

Jan Christiaan Smuts

General der südafrikanischen Armee, * 24.05.1870 auf der Farm Bovenplaats, Kapkolonie, † 11.09.1950 in Irene bei Pretoria

15. März 1916
Das Hilfsschiff „Marie“ unter Führung des Kapitäns Sörensen durchbricht die britische Blockade und läuft unbemerkt in die Sudibucht im Süden ein, wo es Kriegsmaterial löscht, darunter sechs Geschütze, eine Anzahl Maschinengewehre und 2000 Karabiner. Auch bringt das Schiff Postwertzeichen, da die vorhandenen inzwischen ausgegangen sind. Die Postverwaltung hat bereits in der Missionsdruckerei in Wuga bei Mombö Aushilfsmarken drucken lassen, die nun nicht mehr zur Ausgabe gelangen. Der Abtransport der Ladung macht 50.000 Trägerlasten für den mehr als drei Wochen dauernden Marsch nach der Zentralbahn erforderlich.

April 1916
Die große belgische Offensive im Nordwesten am Kiwusee setzt ein. Hauptmann Wintgens ist gezwungen, sich kämpfend vor den zahlenmäßig weit überlegenen Gegner zurückzuziehen. Auch die Briten drängen vom Südwesten und Süden her gegen Tabora vor.

Mai 1916
Das deutsche Kommando nimmt für den Fall, dass das Gebiet nördlich der Zentralbahn nicht gehalten werden kann, den Rückzug nach Süden auf Mahenge in Aussicht. Die Hauptmacht (4000 Askari) unter von Lettow rückt von Dodoma auf Kondoa-Irangi vor, es kommt zu einem verlustreichen Gefecht.

Deutsch-Ostafrika, Aufziehen der Wache. Tabora
Deutsch-Ostafrika, Aufziehen der Wache. Tabora

23. Juni 1916
Britische Marinetruppen besetzen Pangani und am 1. August 1916 Sadani.

1. August 1916
Die Briten dringen bis zur Zentralbahn vor.

16./17. August 1916
Nachdem die deutsche Hauptabteilung sich auf Kilossa und Morogoro an der Zentralbahn unter mehreren Gefechten zurückziehen musste, wird bei Morogoro ein neuer Angriff der Briten zurückgewiesen. Der Gouverneur, der bis dahin seinen Sitz in Morogoro hatte, geht mit seinem Stabe südlich nach Kissaki, auch von Lettow nimmt am 25. August dort Quartier. Am 26. August besetzen die Briten Morogoro.

Deutsch-Ostafrika, Kigali Wacht Parade
Deutsch-Ostafrika, Kigali Wacht Parade

4. September 1916
Die Engländer besetzen Daressalam, nachdem die letzten deutschen Truppen dort abgezogen sind.

7. September 1916
Die Briten greifen bei Kissaki die deutschen Truppen von Westen und Südwesten her an, werden aber unter erheblichen Verlusten zunächst zurückgeschlagen. Auch der Angriff einer anderen Brigade vom Norden her bleibt vorerst ohne Erfolg. Es folgen weitere Gefechte in deren Folge Kissaki geräumt werden muss. Die großen Vorräte an Lebensmitteln usw. werden verbrannt. Am 15. September besetzen die Briten Kissaki.
Es tritt eine längere Gefechtspause ein, da die Truppen erschöpft sind. Die Briten lagern nördlich des Mgetaflusses, die deutschen Truppen halten die Stellungen am südlichen Ufer.

13./14. September 1916
Gefecht bei Itagaberg nördlich von Tabora. General Wahle bringt den Belgiern zwar große Verluste bei, muss sich dann aber am 18. September 1916 zurückziehen. In drei Kolonnen wird auf Iringa zu marschiert.

Die Belgier besetzen am 19. September 1916 Tabora. Es kommt zu schwere Ausschreitungen und Misshandlungen gegen die Zivilbevölkerung. Frauen, Kinder und Zivilgefangene werden quer durch Afrika nach Frankreich transportiert.

Deutsch Ostafrika, 15 Rupien, 1916
Da Deutsch-Ostafrika während des Ersten Weltkrieges (1914 – 1918) vom Mutterland abgeschnitten war und akuter Mangel an Zahlungsmitteln herrschte, wurde 1916 in Tabora aus ostafrikanischem Rohgold und Elektrolytkupfer zirka 15.000 Münzen zu 15 Rupien (Au 750 7,168 g) geprägt.

September 1916 bis November 1917
Der dritte Abschnitt des Krieges bis zur Räumung des Schutzgebietes durch die Reste der Schutztruppe und der Übergang derselben über den Rovuma in portugiesisches Gebiet.

November 1916
Die drei Westabteilungen des Generals Wahle, der Iringa schon besetzt findet und daher nach dem Süden weitermarschieren lässt, liefern sich mit den den Feinden verschiedene Gefechte und können sich schließlich bei Lupembe, welches von Hauptmann Wintgens vergeblich angegriffen wird, vereinigen. Die Kolonne unter Oberstleutnant a. D. Hübener findet den Anschluss nicht, wird am 24. November bei Ilembule eingekreist und muss nach zweitägigen Kämpfen kapitulieren. Die Abteilung des Majors Kraut, die in der Gegend von Mahenge verschiedene Gefechte zu bestehen hat, wird von General Wahle Ende Dezember zurückgenommen.

Deutsch-Ost-Afrika, Dar-es-Salaam, Akazienstraße
Deutsch-Ost-Afrika, Dar-es-Salaam, Akazienstraße

1. Januar 1917
Eine erneute große Offensive der Briten an der Mgeta-Kiderengwa-Front setzt ein. Die deutschen Truppen gehen über den Rufiji zurück.
General Smuts verlässt Deutsch-Ostafrika, den Oberbefehl übernimmt General Hoskins. Smuts, der nach London geht, glaubt, dass der Feldzug zu Ende sei. Der größte Teil der südafrikanischen Truppen wird abtransportiert. Britische und mit ihnen verbündete Truppen besetzt das Rufijidelta und den Süden des Bezirks Daressalam.

21. April 1917
Mpanganja muss von den Deutschen geräumt werden. Die Regenzeit behindert die Operationen auf beiden Seiten, auch die Waldgebiete behindern die Briten im Vorgehen, so dass sie nun ihre Haupttruppen von der Küste her ansetzen.

Juni 1917
Im englischen Oberbefehl tritt ein neuer Wechsel ein. Hoskins wird von dem Burengeneral van Deventer abgelöst.

Deutsch Ost-Afrika, Wagaya-Stamm
Deutsch Ost-Afrika, Wagaya-Stamm

19. Juli 1917
In einem Gefecht bei Narungombe gelingt es Hauptmann von Liebermann mit 95 Europäern und 850 Askari 2 Geschütze und 15 Maschinengewehre die britischen Truppen aufzuhalten und fügt ihnen schwere Verluste zu. Die britische Offensive stockt hierdurch bis zum September 1917. Dann werden die deutschen Truppen in ständigen schweren Gefechten zurückgedrängt.

29. Juni 1917
Die Abteilung Wintgens versucht sich vom Viktoriasee aus nach Südwesten durchzuschlagen. Nachdem Wintgens schwer an Typhus erkrankt ist, wird er den Briten anvertraut, die ihn auch behandeln. Hauptmann Naumann übernimmt die deutsche Truppe, ergibt sich aber nach einem halben Jahr den Briten.

15. bis 18. August 1917
Viertägige Schlacht (neben Tanga das größte Gefecht des ganzen Feldzuges) bei Mahiwa im Lukuledital. Die Abteilung Wahle wird von den Briten angegriffen, von Lettow-Vorbeck eilt zu Hilfe. Es gelingt ihm die zahlenmäßig weit überlegen Briten zurückzuschlagen.

Deutsch-Ostafrika, Straße in Tanga
Deutsch-Ostafrika, Straße in Tanga

9. Oktober 1917
Die telegraphische Verbindung zwischen der den Westtruppen unter Hauptmann Tafel bei Mahenge ist unterbrochen. Die Westtruppen marschieren weiter nach Süden, müssen sich aber am Einfluss des Bangala in den Rovuma wegen völligen Mangels an Lebensmitteln den Engländern am 28. November ergeben mit Ausnahme einer größeren Patrouille unter Hauptmann Otto, der weiter nach Süden marschiert. 110 Deutsche, 1220 Askari und 2000 Träger ergeben sich.

21. November 1917
In Bulgarien (in Jambul bei Burgas) steigt der deutsche Zeppelin L 59 mit einer Ladung von Munition, Medikamenten usw. für die ostafrikanische Schutztruppe auf. Am 22. November über Chartum erhält der Kommandant durch Funkspruch den Befehl zur Umkehr. Der Urheber dieses Befehls ist unbekannt geblieben.

Deutsch-Ostafrika, Askari
Deutsch-Ostafrika, Askari
Mit L59 nach Afrika
Mit L59 nach Afrika

25. November 1917
Die deutsche Schutztruppe geht nahe der Einmündung des Ludjenda über den Rovuma und tritt damit nach Portugiesisch-Ostafrika (Mozambique) über. (278 Europäer, 1600 Askari, 4000 Träger und 1000 Askarifrauen und Askariboys.)

Der vierte Abschnitt des Feldzuges vom Übergang über den Rovuma bis zum Waffenstillstand.

Nach Übergang über den Rövuma wird das portugiesische Fort Ngomano erstürmt; es wird viel Kriegsmaterial erbeutet. Die Verpflegung der Truppe wird aber trotzdem immer schlechter. Im Laufe der nächsten Monate werden noch weitere kleine Forts der Portugiesen eingenommen. Nach der Regenzeit, Anfang April 1918, beginnt ein ständiges Wanderleben der Truppe.

Deutsch-Ost-Afrika, Daressalam, Robert-Kochstraße
Deutsch-Ost-Afrika, Daressalam, Robert-Kochstraße

22. Mai 1918
Nach einem schweren Gefecht mit den Briten bei Mopelia, nordwestlich von Nanungu, am 5. Mai erleiden die deutsche Truppe am Timbaniberg große Verluste an Munition, Gepäck, Geld usw. Am 1. Juli gelingt es jedoch den Deutschen den Portugiesen und Engländern größere Bestände abzunehmen, die eine Wiederausstattung der deutschen Truppen ermöglichen. Der Marsch wird fortgesetzt, wobei es dauernd zu Gefechten kommt, so u. a. am 3. Juli bei Nhamacurra.

28. September 1918
Fortwährend kämpfend, geht die deutsche Truppe, bei der sich General Wahle und der Gouverneur befinden, wieder auf deutsches Gebiet (Tansania) zurück. Die Truppe hat unter Erkrankungen aller Art sehr zu leiden. In den zehn Monaten, welche die Schutztruppe in Portugiesisch-Ostafrika (Mozambique) zubrachte, hat sie 2500 km zurückgelegt.

31. Oktober 1918
Die Truppe marschiert durch die Bezirke Iringa und Langenburg und überschreitet die deutsch-rhodesische (Tansania – Sambia) Grenze bei Fife. In Ubena fand am 17. Oktober ein kleineres Gefecht statt; General Wahle ist so schwer erkrank, dass er zurückgelassen werden muss.

12. November 1918
Letztes Gefecht im Feldzug nördlich von Kasama.

Einzug der Ostafrika-Kämpfer in Berlin
Einzug der Ostafrika-Kämpfer in Berlin

14. November 1918
Lettow-Vorbeck muss auf Befehl aus Berlin bei Kasama die Waffen nach 41/2jährigem Kampf strecken. Am 13. November erhält die Truppe zum ersten Mal genaue Nachrichten über die Vorgänge in der Heimat. Übergabe der Truppe bei Abercorn in Rhodesien (heutiges Sambia) an die Briten unter General Edwards. Die Truppe zählt 30 Offiziere, 125 Unteroffiziere und Mannschaften, 1168 Askari, 1522 Träger und einige hundert Frauen. Am 8. treffen die Deutschen in Daressalam ein. Grippeerkrankungen fordern noch 11 Todesopfer.

17. Januar 1919
Abtransport auf dem Dampfer der DOAL. „Feldmarschall“ über Großbritannien und Holland nach Deutschland.

Anfang 1919
Die Reichpost in Berlin gibt am Sammlerschalter die letzten Deutsch-Ostafrika-Briefmarken aus.

2. März 1919
Einzug der deutschen Schutztruppe mit Gouverneur Schnee, Generalmajor von Lettow-Vorbeck und Kapitän zur See Looff durch das Brandenburger Tor in Berlin.

Einzug der Ostafrika-Kämpfer in Berlin
Einzug der Ostafrika-Kämpfer in Berlin

7. Mai 1919
Das Deutsche Reich verliert mit dem Versailler Vertrag nun auch völkerrechtlich die Kolonie in Ostafrika an Belgien und Großbritannien.

1920/23
Ruanda und Burundi, seit 1916 von Belgien besetzt, werden offiziell belgisches Völkerbundsmandat.

Deutsch-Ostafrika, Vignette
Deutsch-Ostafrika, Vignette
Deutsch-Ostafrika, Vignette
Deutsch-Ostafrika, Vignette

1945
Großbritannien übernimmt Tanganyika als Treuhandgebiet. Ruanda und Burundi werden belgisches Treuhandgebiet.

9. Dezember 1961
Proklamation der Republik Tanganyika, Nyerere wird erster Premierminister.

1. Juli 1962
Ruanda erlangt die Unabhängigkeit, erste Republik unter Präsident Grégoire Kayibanda.

10. Dezember 1963
Die Insel Sansibar (seit 1890 britisches Protektorat) wird unabhängig.

26. April 1964
Zusammenschluss von Tanganyika und Sansibar zur Vereinigten Republik Tansania mit (Verfassung von 1965).

Quellenhinweise:

  • „Deutschlands Kolonien“ von Rochus Schmidt Verlag des Vereins der Bücherfreunde Schall & Grund 1898
  • „Großes Lehrbuch der Geographie“ E. von Seydlitz, Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1902
  • „Harms Vaterländische Erdkunde“ 7. Auflage Braunschweig und Leipzig Hellmuth Wollermann 1906
  • „Konversationslexikon“, Leipzig und Wien 1909
  • „Die deutschen Kolonien“ Geographie, E. von Seydlitz – Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1910
  • „Deutschlands Kolonien“ von W. Scheel Verlagsanstalt für Farbfotographie Weller & Hüttich 1912
  • „Die deutschen Kolonien“ Herausgegeben von Kurd Schwabe Nationalausgabe – Band I/II 1914
  • „Deutsches Kolonial-Lexikon“ Leipzig 1920
  • „Der Kampf um unsere Schutzgebiete – Unsere Kolonien einst und jetzt“ von P. Jos. M. Abs Düsseldorf 1926
  • zeitgenössische Postkarten mit ihren originalen Bildunterschriften.
Im Sinne der Wiederherstellung des Deutschen Reiches aus https://deutsche-schutzgebiete.de/wordpress/kolonien-blog/ am 03.03.2020 entnommen.



Deutsche Schutzgebiete

Deutsch-Ostafrika_Strand in Lindi

Deutsche Kolonien

Deutsche Schutzgebiete, die Kolonien des Deutschen Reichs

Ich werd' ein Deutscher - muss ein Deutscher sein
Ich werd‘ ein Deutscher – muss ein Deutscher sein.

Auf dem Höhepunkt der kolonialen Erwerbungen nach dem Jahr 1900 umfasste der deutsche Kolonialbesitz 2.597.180 km² mit rund 12 Millionen Einwohnern.

Deutsch-Ostafrika, Wappen (Entwurf)
Deutsch-Ostafrika
Deutsch-Südwestafrika, Wappen (Entwurf)
Deutsch-Südwestafrika
Kamerun, Wappen (Entwurf)
Kamerun
Togo, Wappen (Entwurf)
Togo
Deutsch-Neuguinea, Wappen (Entwurf)
Deutsch-Neuguinea
Samoa, Wappen (Entwurf)
Samoa
Kiautschou
Kiautschou

Bis 1884 besaß Deutschland gar keine Kolonien; allerdings hatten die Kaufmannsfamilien Ehinger und Welser 1528–55 einen Teil Venezuelas (Neuvenedig) von der spanischen Krone als Familienlehen erhalten. Auch der Große Kurfürst von Brandenburg hatte einen Kolonisationsversuch gemacht und von den Dänen eine Faktorei auf der westindischen Insel St. Thomas gepachtet. Am 1. Januar 1683 hisste der Major von der Gröben in Afrika bei dem Kap der drei Spitzen die brandenburgische Flagge mit dem roten Adler auf weißem Felde und legte den Grundstein zu der Feste Großfriedrichsburg. Jedoch gerieten die Unternehmungen unter Friedrich Wilhelms Nachfolger in Verfall und wurden 1718 ganz aufgegeben.

Kolonie des Großen Kurfürsten "Großfriedrichsburg"
Kolonie des Großen Kurfürsten „Großfriedrichsburg“

Auch Friedrich II. war grundsätzlich ein Gegner von Kolonien. Die alte Festung Großfriedrichsburg steht noch heute, ein massiver Bau mit Zinnen und Kanonen, einem Herrenhaus und Kasematten, nur wenige Autostunden von Accra, der Hauptstadt der Republik Ghana, entfernt. Trotzdem Deutschland im 19. Jahrhunderte viele Tausende von Auswanderern jährlich übers Meer ziehen ließ (an der Besiedelung der Vereinigten Staaten von Amerika sind mindestens 5 Millionen Deutsche beteiligt), gestatteten ihm die politischen Verhältnisse keinerlei koloniale Betätigung. Zwar gab es unter den Auswanderungsvereinen auch Kolonialgesellschaften, die neben der Fürsorge für die Auswanderer die Kolonisation ins Auge fassten und den Auswandererstrom nach bestimmten Gegenden hinzulenken suchten.

Deutsche Erde (Kolonien und Auswanderung), 1908
Deutsche Erde (Kolonien und Auswanderung), 1908

Sie trugen meist einen philanthropischen Charakter, indem sie Armen und Arbeitslosen ein Unterkommen verschaffen wollten, während doch eine Kolonie außer Intelligenz auch Kapital verlangt. Teils aus diesem Grunde, teils wegen des Fehlens einer politischen Macht war die Wirksamkeit jener Vereine meist erfolglos. Erst nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 begann die deutsche Kolonialbewegung einen wesentlichen Aufschwung zu nehmen. Doch beschränkte sich der Reichskanzler Fürst Bismarck zunächst darauf, mit unabhängigen Herrschern (Tonga, Samoa etc.) Handels- und Freundschaftsverträge abzuschließen und die Häfen Saluafata (Samoa), Jaluit (Marshallinseln) und Mioko (Neubritannia-Archipel) als Kohlenstationen zu erwerben.

Von der Reichstagswahl. Ein schwarzer Landsmann aus unseren Kolonien gibt als Reichstagswähler seine Stimme ab.
Von der Reichstagswahl. Ein schwarzer Landsmann aus unseren Kolonien gibt als Reichstagswähler seine Stimme ab.

Nachdem aber der Reichstag 1880 die Samoavorlage abgelehnt hatte (die Gründung der Deutschen Kolonialgesellschaft war die nächste Folge), entschloss sich die Reichsregierung erst 1884 dazu, neue Kolonialunternehmungen unter ihren Schutz zu nehmen und sie gegen fremde, besonders britische Anfechtungen zu verteidigen. Das Telegramm des Reichskanzlers vom 24. April 1884, das amtlich die Schutzerklärung der von dem Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz bereits 1883 in Südwestafrika vollzogenen Erwerbungen verkündete, bezeichnet den Geburtstag der neuen deutschen Kolonialpolitik. In demselben Jahre wurden auch die Handelsniederlassungen Hamburger Kaufleute in Kamerun (14. Juni 1884) und Togo (5. Juli 1884) unter deutschen Schutz gestellt.

Uniformen der Schutztruppen v.l.n.r.: Südwest-Afrika: 3 Reiter und Offizier, Ost-Afrika: Offizier und Sudanese, Kamerun und Togo: Offizier und Unteroffizier im Drell– und weißen Anzug. Nach einem Aquarell von Richard Knötel (1857–1914)
Uniformen der Schutztruppen v.l.n.r.: Südwest-Afrika: 3 Reiter und Offizier, Ost-Afrika: Offizier und Sudanese, Kamerun und Togo: Offizier und Unteroffizier im Drell– und weißen Anzug. Nach einem Aquarell von Richard Knötel (1857–1914)

Gleichzeitig erwarb Carl Peters im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Kolonisation, der späteren Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, das Hinterland von Sansibar, während Otto Finsch für die Neuguinea-Kampanie die Nordostküste von Neuguinea nebst der Insel Neupommern (Neubritannien), fortan Bismarck-Archipel sicherte. 1885 wurden auch noch die Salomonen (6. April) und die Marshallinseln (15. Oktober) unter deutschen Schutz gestellt und die Erwerbungen jener beiden Gesellschaften durch einen kaiserlichen Schutzbrief vom 27. Februar und 17. Mai 1885 anerkannt. Dem Geschick des Fürsten Bismarck gelang die friedliche Verständigung mit Großbritannien und Frankreich über die Abgrenzung der deutschen Gebiete, während die Hinterlandsfrage durch folgende Verträge gelöst wurde, die den deutschen Schutzgebieten, wie sie amtlich heißen, ihre endgültige Gestalt und Größe gaben.

Deutsch-Südwestafrika 3 Pfennig, 1900
Deutsch-Südwestafrika 3 Pfennig, 1900
Deutsch-Ostafrika 30 Heller, 1905
Deutsch-Ostafrika 30 Heller, 1905
Kamerun 20 Pfennig 1900
Kamerun 20 Pfennig 1900
Togo 25 Pfennig, 1900
Togo 25 Pfennig, 1900
Kiautschou 2 1/2 Dollar, 1905
Kiautschou 2 1/2 Dollar, 1905
Marianen, 5 Mark, 1901
Marianen, 5 Mark, 1901
Deutsch-Neu-Guinea, 10 Pfennig, 1901
Deutsch-Neu-Guinea, 10 Pfennig, 1901
Samoa 40 Pfennig, 1900
Karolinen, 30 Pfennig, 1900
Karolinen, 30 Pfennig, 1900
Marshall-Inseln, 5 Pfennig, 1900
Marshall-Inseln, 5 Pfennig, 1900

Es wurden begrenzt:

Jung-Deutschland
Jung-Deutschland
Mein zartes Fräulein darf ich’s wagen

Am 1. April 1899 ging der Besitz der Neuguinea-Kompanie gegen eine Entschädigung von 4 Millionen Mark und eine Landabfindung von 50.000 Hektar an das Deutsche Reich über. Zu diesen älteren Besitzungen sind noch folgende Erwerbungen hinzugekommen:

  • durch Vertrag vom 6. März 1898 das bereits im November 1897 besetzte und durch kaiserliche Verordnung vom 27. April 1898 zum deutschen Schutzgebiet erklärte Pachtgebiet Kiautschou (China),
  • durch Kaufvertrag mit Spanien vom 30. Juni 1899 die in der Folge dem Gouverneur von Neuguinea unterstellten Karolinen-, Palau- und Marianeninseln (ohne Guam), auf denen der deutsche Handel schon längst maßgebend war, und durch das deutsch-englisch-amerikanische Samoa-Abkommen vom 8. November 1899 die westlichen Samoa-Inseln Upolu, Manono, Apolima und Sawaii.
Unsere Marine. Du kennst mein Herz noch lange nicht!
Unsere Marine. Du kennst mein Herz noch lange nicht!
Unsere Marine. Fahr mich hinüber schöner Schiffer!
Unsere Marine. Fahr mich hinüber schöner Schiffer!
Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen!
Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen!
O wie herrlich, o wie schön ist ein solches Wiederseh'n!
O wie herrlich, o wie schön ist ein solches Wiederseh’n!

Dieser Vertrag regelte zugleich die Aufteilung des sogenannten neutralen Salagagebietes (zwischen Togo und der Goldküstenkolonie) an Deutschland und Großbritannien und sprach letzterem die bis dahin deutschen Salomonen mit Ausnahme von Buka und Bougainville zu. In dieser Ausdehnung umfasst der deutsche Kolonialbesitz 2.597.180 km² mit rund 12 Millionen Einwohnern.

Die Deutschen Kolonien im Größenvergleich
Die Deutschen Kolonien im Größenvergleich

Anmerkung zur Grafik:

Adolf Lüderitz
Adolf Lüderitz
Gustav Nachtigal
Gustav Nachtigal
Karl Peters
Karl Peters
Hermann von Wissmann
Hermann von Wissmann

Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1914 – 1918) verlor Deutschland alle seine Kolonien. Am 7. Mai 1919 werden der deutschen Regierung die Bedingungen des Versailler Vertrages bekannt gegeben. Der Artikel 119 derselben lautet: „Deutschland verzichtet zugunsten der hauptsächlichsten Alliierten und Assoziierten Mächte auf alle seine Rechte und Ansprüche bezüglich seiner überseeischen Besitzungen.“ Die dort ansässigen Deutschen wurden meist interniert, enteignet und ausgewiesen; lediglich in Südwestafrika durften sie bleiben und so leben im heutigen Namibia noch ca. 20.000 Deutsche.

Die Deutschen Schutzgebiete - Das Deutsche Kaiserreich - Die Kaiserliche Marine

Quellenhinweise:

  • „Deutschlands Kolonien“ von Rochus Schmidt Verlag des Vereins der Bücherfreunde Schall & Grund 1898
  • „Großes Lehrbuch der Geographie“ E. von Seydlitz, Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1902
  • „Harms Vaterländische Erdkunde“ 7. Auflage Braunschweig und Leipzig Hellmuth Wollermann 1906
  • „Konversationslexikon“, Leipzig und Wien 1909
  • „Die deutschen Kolonien“ Geographie, E. von Seydlitz – Königliche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung Breslau 1910
  • „Deutschlands Kolonien“ von W. Scheel Verlagsanstalt für Farbfotographie Weller & Hüttich 1912
  • „Die deutschen Kolonien“ Herausgegeben von Kurd Schwabe Nationalausgabe – Band I/II 1914
  • „Deutsches Kolonial-Lexikon“ Leipzig 1920
  • „Der Kampf um unsere Schutzgebiete – Unsere Kolonien einst und jetzt“ von P. Jos. M. Abs Düsseldorf 1926
  • zeitgenössische Postkarten mit ihren originalen Bildunterschriften.
Im Sinne der Wiederherstellung des Deutschen Reiches aus https://deutsche-schutzgebiete.de/wordpress/kolonien-blog/ am 03.03.2020 entnommen.



Deutsche Kolonien

Deutschland und sein Kolonialreich 1914:

  • Deutsches Kaiserreich
  • Deutsche Kolonien

Die deutschen Kolonien wurden vom Deutschen Kaiserreich seit den 1880er Jahren erworben und nach dem Ersten Weltkrieg gemäß dem Versailler Vertrag von 1919 abgetreten. Sie wurden von Bismarck Schutzgebiete genannt, weil er in ihnen den deutschen Handel schützen wollte. Die deutschen Kolonien waren 1914 das an Fläche drittgrößte Kolonialreich nach dem britischen und französischen. Gemessen an der Bevölkerungszahl lag es an vierter Stelle nach den niederländischen Kolonien.[1] Die deutschen Schutzgebiete waren kein Bestandteil des Reichsgebiets, sondern überseeischer Besitz des Reiches.

Ausgewanderte Deutsche gründeten in Übersee Siedlungen, die bisweilen als „deutsche Kolonien“ bezeichnet werden, aber keine Souveränitätsrechte des Herkunftslandes ausübten.

Geschichte des deutschen Kolonialismus

Deutscher Bund und Deutscher Zollverein

In den Staaten des 1815 gegründeten Deutschen Bundes und des 1833 gegründeten Deutschen Zollvereins wurde insbesondere ab den 1840er Jahren von privater und wirtschaftlicher Seite der Ruf nach deutschen Kolonien laut.[2] Doch von staatlicher Seite gab es keine solchen Bestrebungen. Von privater Seite wurde 1839 die Hamburger Kolonialgesellschaft gegründet, die die Chathaminseln östlich von Neuseeland käuflich erwerben wollte, um dort deutsche Auswanderer anzusiedeln, aber Großbritannien machte ältere Ansprüche auf die Inseln geltend. Hamburg brauchte den Schutz der Royal Navy für seine weltweite Schifffahrt und verzichtete deshalb auf politische Unterstützung der Kolonialgesellschaft.[3] Einigermaßen erfolgreich war der 1842 gegründete Verein zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas, der die deutschen Siedlungen in Texas zu einer Kolonie „Neu Deutschland“ ausweiten wollte, aber die Annexion der Republik Texas durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1845 machte dieses Ansinnen zunichte.

Entscheidende Punkte für das Desinteresse staatlicherseits an Kolonien war die Begrenzung des deutschen politischen Denkens zu der Zeit auf die Belange in Deutschland und Europa und das Fehlen einer deutschen Seemacht, die für den Erwerb überseeischer Kolonien erst den machtpolitischen Rückhalt bieten konnte. Mit dem Aufbau der österreichischen Flotte und der preußischen Flotte ab 1848 wurden solche Machtmittel geschaffen.

Erste Versuche kolonialer Erwerbungen auf staatlicher Ebene (1857–1862)

1857 lief die österreichische Fregatte Novara von Triest zu einer Expedition aus, die auch die Erforschung und Inbesitznahme der Nikobaren im Indischen Ozean beinhaltete. 1858 lief die Novara die Nikobaren an, aber zu einer Übernahme in österreichischen Besitz kam es nicht.

Die Thetis, eines der Schiffe des Ostasiengeschwaders

Zum nächsten Versuch der Erwerbung einer Kolonie von staatlicher Seite kam es ab 1859, als Preußen sich die chinesische Insel Formosa aneignen wollte. Preußen hatte sich bereits beim französischen Kaiser Napoleon III. seiner Zustimmung für das Unternehmen versichert, da gleichzeitig Frankreich in Ostasien Kolonien erwerben wollte. Da Frankreich an Vietnam interessiert war, nicht aber an Formosa, konnte Preußen an die Inbesitznahme der Insel gehen. Ein preußisches Geschwader, das Ende 1859 Deutschland verließ und für Preußen und alle weiteren Staaten des Deutschen Zollvereins Handelsverträge in Asien abschließen sollte, sollte auch Formosa besetzen, aber wegen zu schwacher Kräfte des Geschwaders, und um einen Handelsvertrag mit China nicht zu gefährden, wurde der Auftrag nicht ausgeführt. Mit Kabinettsorder vom 6. Januar 1862 wurde der das Geschwader begleitende Botschafter Graf Eulenburg „von der Ausführung der ihm erteilten Aufträge wegen Ermittlung eines zu einer preußischen Ansiedlung geeigneten überseeischen Territoriums entbunden“.

Trotzdem sollte ein Schiff des preußischen Geschwaders, die Thetis, noch Patagonien in Südamerika anlaufen für eine Erkundung als Kolonie, wobei die preußische Marineführung hauptsächlich an die Schaffung eines Marinestützpunktes an der südamerikanischen Küste dachte. Die Thetis hatte bereits Buenos Aires erreicht, als der Kommandant des Schiffes wegen der Erschöpfung der Mannschaft nach dem jahrelangen Auslandsaufenthalt und der Überholungsbedürftigkeit des Schiffes die Heimfahrt befahl.[4]

Bismarcks Ablehnung kolonialen Erwerbs (1862–1878)

Faktorei der Firma Woermann in Kamerun. Seit den 1830er Jahren betrieben deutsche Reeder Handel mit Afrika und legten dort Faktoreien an und seit den 1850er Jahren wurde Handel und Plantagenwirtschaft in der Südsee von deutschen Unternehmen betrieben. Einige dieser Wirtschaftsunternehmungen in Übersee wurden schließlich Ansatzpunkte für die Übernahme als deutsche Kolonie.[5]

Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg 1864 strebten kolonialwillige Kreise in Preußen an, die zuvor dänischen Nikobaren in Besitz zu nehmen.[6] Dänemark seinerseits bot 1865 vergeblich Dänisch-Westindien an, um den vollständigen Verlust Schleswigs zu verhindern. 1866 und noch einmal 1876 machte der Sultan der Sulu-Inseln, die zwischen Borneo und den Philippinen liegen, ein Angebot seine Inseln unter den Schutz Preußens, beziehungsweise des Reiches zu stellen, was aber beide Male abgelehnt wurde.[7] Der Sultan von Witu bat den Reisenden Richard Brenner 1867, ein preußisches Protektorat über sein Land zu erwirken, das in Berlin aber nicht einmal erwogen wurde.[8]

In der 1867 in Kraft getretenen Verfassung des Norddeutschen Bundes wurde in Artikel 4 Nr. 1 auch „die Kolonisation“ als eine der Angelegenheiten unter der „Beaufsichtigung Seitens des Bundes“ gestellt, diese verfassungsrechtliche Bestimmung wurde unverändert in die Verfassung des Deutschen Reichs von 1871 übernommen.

Auf Otto von Bismarcks Wunsch fuhr das Kriegsschiff Augusta 1867/68 in der Karibik, um für den Norddeutschen Bund Flagge zu zeigen. Auf das persönliche Drängen des Oberbefehlshabers der Marine des Norddeutschen Bundes, Adalbert von Preußen, hin, und ohne die Zustimmung Bismarcks, handelte der Kommandant der Augusta, Franz Kinderling, mit dem Präsidenten von Costa Rica eine Marinebasis in Puerto Limón aus. Bismarck lehnte das Angebot ab, mit Rücksicht auf die Monroe-Doktrin der USA. Sein Wunsch, nicht die Vereinigten Staaten herauszufordern, ließ ihn auch ein Angebot der Niederlande, eine Marinebasis auf der niederländischen Insel Curaçao, vor der venezolanischen Küste, einzurichten, zurückweisen.[9]

1868 hatte Bismarck in einem Brief an den preußischen Kriegs- und Marineminister Albrecht von Roon seine Ablehnung jeglichen Kolonialerwerbs deutlich gemacht:

„Einerseits beruhen die Vorteile, welche man sich von Kolonien für den Handel und die Industrie des Mutterlandes verspricht, zum größten Teil auf Illusionen. Denn die Kosten, welche die Gründung, Unterstützung und namentlich die Behauptung der Kolonien veranlaßt, übersteigen sehr oft den Nutzen, den das Mutterland daraus zieht, ganz abgesehen davon, daß es schwer zu rechtfertigen ist, die ganze Nation zum Vorteil einzelner Handels- und Gewerbezweige zu erheblichen Steuerlasten heranzuziehen. – Andererseits ist unsere Marine noch nicht weit genug entwickelt, um die Aufgabe nachdrücklichen Schutzes in fernen Staaten übernehmen zu können.“[10]

Die Politik des Norddeutschen Bundes setzte zu dieser Zeit nicht auf den Erwerb von Kolonien, sondern von einzelnen Marinestützpunkten. Von ihnen aus sollte mit einer Kanonenbootpolitik im Sinne eines informellen Imperialismus der Welthandel der Bundesstaaten geschützt werden. 1867 wurde beschlossen, fünf Auslandsstationen einzurichten. So wurde 1868 beim japanischen Yokohama Land für ein deutsches Marine-Krankenhaus gekauft, das bis 1911 bestand. Bis das 1897 vom Reich erworbene Tsingtau in China als Kriegshafen zur Verfügung stand, blieb Yokohama Stützpunkt für die deutsche Flotte in Ostasien. 1869 wurde als erste Auslandsstation die Ostasiatische Station von der Marine als ein ständig mit deutschen Kriegsschiffen besetztes Seegebiet eingerichtet, was sich später beim Erwerb der Kolonien im Pazifik und von Kiautschou als nützlich erwies.[11]

1869 bittet die seit Jahrzehnten in Südwestafrika ansässige Rheinische Missionsgesellschaft den König von Preußen um Schutz und schlägt vor in der Walfischbucht eine Marinestation einzurichten. Der preußische König ist an dem Vorschlag sehr interessiert, aber dann bricht 1870 der Deutsch-französische Krieg aus und die Angelegenheit verschwindet von der Tagesordnung.[12]

Der französische Kompensationsvorschlag, nach dem Deutsch-Französischen Krieg anstatt Elsaß-Lothringen die französische Kolonie Cochinchina zu übernehmen, wurde von Bismarck und der Mehrheit der Abgeordneten des Reichstags des Norddeutschen Bundes 1870 abgelehnt. Nach der Reichsgründung von 1871 behielt er diese Meinung bei. Im Laufe der 1870er Jahre gewann die Kolonialpropaganda in Deutschland allerdings zunehmend an Öffentlichkeitswirksamkeit. 1873 wurde die Afrikanische Gesellschaft in Deutschland gegründet, die ihre Hauptaufgabe in der geographischen Erkundung Afrikas sah. 1878 erfolgte die Gründung des Centralvereins für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Auslande, der Kolonien für Deutschland erwerben wollte und 1881 wurde der Westdeutsche Verein für Colonisation und Export gegründet, in dessen Satzung der „Erwerb von Ackerbau- und Handelskolonien für das deutsche Reich“ stand. 1882 wurde der Deutsche Kolonialverein gegründet, der sich als Interessenverein für die Kolonialpropaganda sah. 1884 entstand die konkurrierende Gesellschaft für Deutsche Kolonisation, die sich die praktische Kolonisation zum Ziel setzte. Beide Vereine fusionierten 1887 zur Deutschen Kolonialgesellschaft. Für den Erwerb von Kolonien wurden in der Hauptsache vier Argumente angeführt:[13]

  • Kolonien würden nach ihrer Erschließung Absatzmärkte für deutsche Industriewaren bieten und so einen Ersatz für die nach dem Gründerkrach 1873 schwächelnde Nachfrage in Deutschland selbst bieten.
  • Kolonien würden ein Auffangbecken für die deutsche Auswanderung bieten, die dadurch der Nation nicht verloren gehen würde. Da die Auswanderung bis dahin vor allem englischsprachige Länder zum Ziel hatte, befürchtete der Kolonialagitator Wilhelm Hübbe-Schleiden, wenn man sie laufen lasse, würde das Deutschtum gegenüber den Angelsachsen demographisch hoffnungslos in Rückstand geraten.
  • Deutschland habe, wie der Theologe Friedrich Fabri formulierte, eine „Cultur-Mission“: Es habe nachgerade den Auftrag, seine angeblich überlegene Kultur weltweit zu verbreiten.
  • der Erwerb von Kolonien biete eine Möglichkeit zur Lösung der sozialen Frage: Die Arbeiter würden sich auf eine faszinierende nationale Aufgabe verpflichten lassen und sich von der Sozialdemokratie abwenden; dadurch und durch die Auswanderung aufrührerischer Massen in die Kolonien würde der innere Zusammenhalt der Nation gestärkt.

Bismarck blieb gegenüber diesen Argumenten verschlossen und präferierte ein informelles Handelsimperium, in dem deutsche Firmen mit außereuropäischen Gebieten erfolgreich Handel trieben und sie ökonomisch durchdrangen, ohne aber deren Territorien zu okkupieren oder eine eigene Staatlichkeit aufzubauen.[14]

Karikatur zu Bismarcks Kolonialpolitik: Muß ich denn die Mode mitmachen? – Nur Muth, gnädige Frau. Wenn Sie das Neue auch im Anfang etwas geniert, so giebt es Ihnen doch ein brillantes Relief nach außen. Links im Hintergrund als Gouvernante karikiert der Zentrumspolitiker Ludwig Windthorst. Holzschnitt von Gustav Heil für die Satirezeitschrift „Berliner Wespen“ vom 13. März 1885

Die ersten Fälle kolonialen Ausgreifens nach Übersee erfolgten daher auch ausgesprochen zögerlich: 1876 wurde ein Freundschaftsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Tonga abgeschlossen, der Deutschland die Errichtung einer Kohlestation in der zu Tonga zählenden Inselgruppe Vavaʻu zusicherte. Dem Deutschen Reich wurden alle Rechte der freien Benutzung des dafür nötigen Grund und Bodens garantiert. Die Hoheitsrechte des Königs von Tonga sollten allerdings unbeschadet bleiben.[15] Zur eigentlichen Kolonisation kam es nicht. Der Kommandant des Kriegsschiffes SMS Ariadne, Bartholomäus von Werner besetzte am 16. Juli 1878 die Orte Falealili und Saluafata auf der Samoa-Insel Upolu „im Namen des Reiches“. Die deutsche Besetzung der Ortschaften wurde im Januar 1879 rückgängig gemacht, durch den Abschluss eines „Freundschaftsvertrages“ der örtlichen Herrscher mit Deutschland.[16] Am 19. November 1878 schloss von Werner mit den Oberhäuptlingen von Jaluit und der Ralik-Inselgruppe, Lebon und Letahalin, einen Vertrag über Vorrechte, wie die exklusive Anlage einer deutschen Kohlestation. Offizielle deutsche Kolonie wurden die Marshallinseln erst 1885.[17] Von Werner erwarb auch im Dezember 1878 je einen Hafen auf den Inseln Makada und Mioko in der Duke-of-York-Gruppe, die 1884 als Bestandteile des zukünftigen Schutzgebiets Deutsch-Neuguinea unter Reichsschutz gestellt wurden.[18] Am 20. April 1879 unterzeichneten der Kommandant der SMS Bismarck, Karl Deinhard und der kaiserliche deutsche Konsul für die Südsee-Inseln, Gustav Godeffroy Junior, mit der „Regierung“ der Insel Huahine in den Gesellschaftsinseln einen Freundschafts- und Handelsvertrag, der unter anderem der deutschen Flotte auch Ankerrecht in allen Häfen der Insel gewährte.[19]

Bismarcks Kolonialpolitik (1879–1890)

Der Wandel in Bismarcks Politik in Bezug auf Kolonien fällt genau in die Zeit seiner 1878 einsetzenden Schutzzollpolitik zur Sicherung der deutschen Wirtschaft gegen ausländische Konkurrenz.

Der erste Ansatzpunkt seiner im Zusammenhang mit der Schutzzollpolitik stehenden Kolonialpolitik[20] war 1879 Samoa, wo starke deutsche Wirtschaftsinteressen bestanden. Als Reichskanzler und gleichzeitiger Staatssekretär des Äußeren (Reichsaußenminister) anerkannte er im Juni 1879[21] den „Freundschaftsvertrag“ vom Januar 1879 mit samoanischen Häuptlingen und unterstützte den deutschen Konsul auf Samoa, sodass im September 1879 der Konsul, zusammen mit den Konsuln von Großbritannien und der USA, die Verwaltung von Stadt und Distrikt Apia auf der samoanischen Insel Upolu übernahm.[22] In den 1880er Jahren versuchte Bismarck mehrmals Samoa zu annektieren, scheiterte aber dabei.[23] Die westlichen samoanischen Inseln mit der Hauptstadt Apia wurden dann 1899 deutsche Kolonie.

Im April 1880 griff Bismarck erstmals innenpolitisch aktiv für eine koloniale Angelegenheit ein, als er die Samoa-Vorlage als Gesetzesvorlage in den Reichstag einbrachte, die vom Bundesrat befürwortet, aber vom Reichstag abgelehnt wurde. Dabei sollte ein in Schwierigkeiten geratenes privates deutsches Kolonialhandelsunternehmen vom Reich finanziell aufgefangen werden.

Im Mai 1880 bat Bismarck den Bankier Adolph von Hansemann um eine Ausarbeitung über deutsche koloniale Ziele im Pazifik und die Möglichkeiten für deren Durchsetzung. Hansemann sandte seine „Denkschrift über die Colonial-Bestrebungen in der Südsee“ im September des Jahres dem Reichskanzler zu und die darin vorgeschlagenen Gebietserwerbungen wurden vier Jahre später fast übereinstimmend als Kolonien genommen oder beansprucht. Die 1884–1885 beanspruchten, aber noch nicht übernommenen Gebiete im Pazifik wurden schließlich 1899 in deutschen Kolonialbesitz überführt.[24] Bezeichnenderweise war Hansemann denn auch Gründungsmitglied des 1882 geschaffenen Neuguinea-Konsortiums für den Erwerb von Kolonien auf Neuguinea und in der Südsee.

Im November 1882 nahm der Bremer Tabakhändler Adolf Lüderitz mit dem Auswärtigen Amt Verbindung auf und bat um Schutz für eine Handelsniederlassung südlich der Walfischbucht an der südwestafrikanischen Küste. Im Februar und November 1883 fragte Bismarck bei der Regierung in London an, ob England den Schutz der Handelsniederlassung von Lüderitz übernehmen wolle. Beide Male lehnte die englische Regierung ab.[25]

Seit März 1883 verhandelte der Hamburger Großkaufmann, Reeder und Vorstand der Hamburger Handelskammer, Adolph Woermann, streng vertraulich mit dem Auswärtigen Amt, dessen Chef Bismarck war, über den Erwerb einer Kolonie in Westafrika. Der Grund dafür war die Furcht vor Zöllen, die die Hamburger Händler zahlen müssten, wenn alle Gebiete Westafrikas unter britische oder französische Herrschaft kommen würden. Schließlich wurde ebenso vertraulich in einer Denkschrift der Hamburger Handelskammer vom 6. Juli 1883 an Bismarck der Antrag auf Errichtung einer Kolonie in Westafrika gestellt mit der Feststellung, dass „durch solche Erwerbungen dem deutschen Handel in transatlantischen Ländern nur eine festere Position und ein sicherer Rückhalt gegeben würde; denn ohne politischen Schutz kann heute kein Handel recht gedeihen und weiterkommen“.[26]

Nachdem im März 1883 die Sierra Leone Convention zwischen England und Frankreich veröffentlicht wurde, in der Interessenssphären zwischen den beiden Staaten in Westafrika abgegrenzt wurden, ohne andere Handelsnationen dabei zu berücksichtigen, bat die deutsche Regierung im April 1883 die Senate der Städte Lübeck, Bremen und Hamburg um eine Stellungnahme dazu. Die Hamburger Überseehändler verlangten in ihrer Antwort den Erwerb von Kolonien in Westafrika. Im Dezember 1883 ließ Bismarck den Hamburgern mitteilen, dass für die Sicherung des deutschen Handels ein Kaiserlicher Kommissar nach Westafrika entsandt werde, auch um Verträge mit „unabhängigen Negerstaaten“ zu schließen, und ein Kriegsschiff, die SMS Sophie, solle den militärischen Schutz dafür übernehmen. Weiterhin erbat sich Bismarck für dieses Vorhaben Vorschläge und bat den Hamburger Kaufmann Adolph Woermann persönlich um seinen Rat, welche Instruktionen man dem Kaiserlichen Kommissar mit auf den Weg geben solle. Im März 1884 wurde Gustav Nachtigal zum Reichskommissar für die westafrikanische Küste ernannt und schiffte sich auf dem Kriegsschiff SMS Möwe nach Westafrika ein, um die entsprechenden Verträge abzuschließen.[27][28]

Lüderitzbucht um 1900. Erste koloniale Erwerbung des Deutschen Kaiserreiches.

SMS Olga bei der Beschießung von Hickorytown (Duala), Kamerun, Dezember 1884

Deutsche Kolonien in Afrika und Papua-Neuguinea um 1885

Das Jahr 1884 markiert den eigentlichen Beginn der deutschen Kolonialerwerbungen, wenn auch schon seit 1876 Besitz und Rechte für das Deutsche Reich in Übersee erworben wurden. In einem Jahr wurde das flächenmäßig nach dem britischen und französischen drittgrößte Kolonialreich geschaffen. Bismarck stellte nach englischem Vorbild mehrere Besitzungen deutscher Kaufleute unter den Schutz des Deutschen Reichs. Damit nutzte er eine Phase außenpolitischer Entspannung zum Beginn des „kolonialen Experiments“, dem er selbst allerdings weiterhin skeptisch gegenüberstand.

Zunächst wurden die vom Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz erworbenen Besitzungen an der Bucht von Angara Pequena („Lüderitzbucht“) und das angrenzende Hinterland („Lüderitzland“) im April 1884 als Deutsch-Südwestafrika unter den Schutz des Deutschen Reichs gestellt. Im Juli folgten Togoland und die Besitzungen von Adolph Woermann in Kamerun, im November der Nordosten von Neuguinea (Kaiser-Wilhelms-Land) und die vorgelagerten Inseln (Bismarck-Archipel), im Januar 1885 Kapitaï und Koba an der westafrikanischen Küste, im Februar das von Carl Peters und dessen Gesellschaft für deutsche Kolonisation erworbene ostafrikanische Gebiet und im April 1885 erwarben die Brüder Denhardt schließlich noch Wituland im heutigen Kenia. Damit war die erste Phase deutscher Kolonialerwerbungen weitgehend abgeschlossen.

Flaggenhissungen vom August bis zum Oktober 1885 auf von Spanien beanspruchten Inseln im Pazifik führten zum Karolinenstreit und mussten zurückgenommen werden.

Im Oktober 1885 wurden noch die Marshallinseln übernommen und schließlich im Oktober 1886 mehrere Salomon-Inseln. 1888 beendete das Reich auf dem mittelpazifischen Nauru den Stammeskrieg und annektierte auch diese Insel.

Die Motive für Bismarcks plötzliche Kolonialerwerbungen im großen Maßstab sind in der historischen Forschung umstritten. Bei den Erklärungen dominieren zwei Strömungen, die entweder von einem „Primat der Innenpolitik“ oder einem „Primat der Außenpolitik“ ausgehen. Als ein innenpolitischer Grund wird der öffentliche Druck durch das entstandene „Kolonialfieber“ in der deutschen Bevölkerung angeführt. Zwar war die Kolonialbewegung organisatorisch nicht sehr stark, ihr gelang es aber, ihre Propaganda in die gesellschaftlichen Debatten einzubringen.[29] Einer an Bismarck gesandten Denkschrift der Handelskammer Hamburg vom 6. Juli 1883, vom Reeder Adolph Woermann in die Wege geleitet, wird in der Forschung dabei besondere Bedeutung zuerkannt.[30] Auch die bevorstehende Reichstagswahl 1884 und Bismarcks Intention, sowohl seine eigene Position zu stärken als auch die kolonialfreundliche Nationalliberale Partei an sich zu binden, werden als innenpolitische Motive gesehen.[31] Hans-Ulrich Wehler vertritt die These des Sozialimperialismus, wonach die koloniale Expansion dem Zweck diente, die durch die wirtschaftliche Krisensituation entstandenen sozialen Spannungen nach außen „abzuleiten“ und so der charismatischen Herrschaft Bismarcks eine innenpolitische Legitimation zu verschaffen.[32] Die sog. „Kronprinzenthese“ geht hingegen davon aus, Bismarck habe versucht, vor dem zu erwartenden Thronwechsel die Beziehungen zu England bewusst zu schwächen und so die Politik des als „anglophil“ geltenden Thronfolgers im Voraus zu beeinflussen.[33]

Im außenpolitischen Bereich wird der Entschluss zur Expansion als eine Verlängerung des Konzepts des europäischen Gleichgewichts in globaler Perspektive gesehen: Durch das „Mitziehen“ im Wettlauf um Afrika habe demnach das Deutsche Reich auch weiterhin seine Stellung unter den Großmächten verteidigen wollen.[34] Ebenso wird eine Annäherung an Frankreich durch eine „koloniale Entente“ als ein Motiv gesehen. Sie habe Frankreich von Revanche-Gedanken in Bezug auf das 1871 annektierte Elsaß-Lothringen ablenken sollen.[35]

Zusammenfassend wird heute nicht mehr geglaubt, dass die Entscheidung zum Erwerb außereuropäischer Gebiete einen radikalen Richtungswechsel der Politik Bismarcks darstellte. An Bismarcks liberal-imperialistischen Idealvorstellung einer überseeischen Politik durch privatwirtschaftliche Initiativen, die er von Beginn an verfolgt habe, änderte sich auch durch die Schutzerklärungen nicht viel.[36]

Bismarck übertrug durch staatliche Schutzbriefe den privaten Organisationen den Handel und die Verwaltung der jeweiligen Deutschen Schutzgebiete. Die Verwaltung der erworbenen Gebiete übten im Auftrag des Deutschen Reiches zunächst die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (1885–1890), die Deutsche Witu-Gesellschaft (1887–1890), die Neuguinea-Kompagnie (1885–1899) und die auf den Marshallinseln tätige Jaluit-Gesellschaft (1888–1906) aus. Auch die deutschen Kolonien in Südwest- und Westafrika sollten auf Bestreben Bismarcks in dieser Weise verwaltet werden, doch weder die Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika noch das Syndikat für Westafrika[37] waren hierzu gewillt oder in der Lage.

Baumwolltransport in Togo um 1900. Kaffee, Kakao, Baumwolle und Erzeugnisse aus der Kokospalme waren in Togo, wie auch den anderen tropischen Kolonien Deutschlands, weitgehend die einzigen Handelsgüter für den deutschen und internationalen Markt.

Diese Gebiete waren nach militärischen Machtdemonstrationen durch extrem ungleiche Verträge in den Besitz der Deutschen gelangt: Gegen ein vages Schutzversprechen und eine nach deutschen Verhältnissen lächerlich geringe Kaufsumme übergaben die indigenen Herrscher große Gebiete, auf die sie nach afrikanischem Rechtsverständnis oft keinen Anspruch hatten; häufig blieben ihnen auch die Details des Vertrags mangels Sprachkenntnissen dunkel. Sie spielten aber mit, weil die langen Verhandlungen mit den Kolonisatoren und der rituell vollzogene Vertragsabschluss ihre Autorität enorm erhöhten. Diese Verträge wurden nun vom Deutschen Reich bestätigt; den Organisationen wurden umfassende Hoheitsrechte ohne Gewaltenteilung zugesprochen. Das Reich behielt sich allein im Schutzgebietsgesetz von 1886 die Oberhoheit und gewisse Eingriffsrechte vor, ohne dass dies spezifiziert oder konkretisiert worden wäre. Damit war das staatliche Engagement finanziell und organisatorisch auf ein Mindestmaß reduziert.[38]

Diese Strategie scheiterte allerdings innerhalb weniger Jahre: Aufgrund der schlechten finanziellen Situation in fast allen „Schutzgebieten“ sowie der teilweise prekären Sicherheitslage – in Südwestafrika und in Ostafrika drohten 1888 Aufstände der indigenen Bevölkerung, in Kamerun und Togo bestand die Gefahr von Grenzstreitigkeiten mit den benachbarten britischen Kolonien, überall hatten sich die Gesellschaften als mit dem Aufbau einer effizienten Verwaltung überfordert erwiesen – waren Bismarck und seine Nachfolger gezwungen, alle Kolonien direkt und formell der staatlichen Verwaltung des Deutschen Reiches zu unterstellen.[39]

Nach 1885 wandte sich Bismarck wieder gegen weiteren Kolonialerwerb und setzte seine politischen Prioritäten bei der Beziehungspflege mit den Großmächten England und Frankreich fort. Als ihn 1888 der Journalist Eugen Wolf drängte, Deutschland müsse weitere Kolonien erwerben, um im sozialdarwinistisch verstandenen Wettbewerb mit den anderen Großmächten nicht ins Hintertreffen zu geraten, erwiderte Bismarck 1888, dass Priorität für ihn weiterhin die Sicherung der vor kurzem errungenen nationalen Einheit war, die er durch Deutschlands Mittellage gefährdet sah:

„Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön, aber meine Karte von Afrika liegt in Europa. Hier liegt Rußland, und hier […] liegt Frankreich, und wir sind in der Mitte, das ist meine Karte von Afrika.“[40]

1889 erwog Bismarck einen Rückzug Deutschlands aus der Kolonialpolitik. Die deutschen Aktivitäten in Ostafrika und auch die Bestrebungen bezüglich Samoas wollte er nach Aussage von Zeitzeugen ganz beenden. Weiter wurde berichtet, Bismarck mochte nichts mehr mit der Verwaltung der Kolonien zu tun haben und wollte sie der Admiralität übergeben. Dem italienischen Ministerpräsidenten, Francesco Crispi, bot Bismarck im Mai 1889 die deutschen Besitzungen in Afrika zum Kauf an – was dieser mit einem Gegenangebot bezüglich der italienischen Kolonien beantwortete.[41]

Die Kolonien dienten Bismarck in diesem Zusammenhang aber auch als Verhandlungsmasse. So wurde bei der Kongokonferenz 1884/85 in Berlin Afrika unter den Großmächten aufgeteilt. 1884 wurde im Namen von Lüderitz mit dem Zulu-König Dinuzulu ein Vertrag geschlossen, der Deutschland einen lokalen Gebietsanspruch an der Santa-Lucia-Bucht im Zululand sichern sollte. Im Zuge eines Ausgleichs mit Großbritannien wurde das Ansinnen aber im Mai 1885 fallengelassen[42] und auch Pondoland in Südafrika zugunsten Englands nicht als deutsche Kolonie anerkannt. 1885 gab Deutschland auch Ansprüche auf die westafrikanischen Territorien Kapitaï und Koba zugunsten Frankreichs auf. Gleiches galt für das Mahinland in Bezug auf Großbritannien. 1886 einigten sich Deutschland und Großbritannien auch auf die Abgrenzung ihrer Interessenssphären in Ostafrika.

Nach Bismarcks Rücktritt im März 1890 verzichtete das Deutsche Reich im Helgoland-Sansibar-Vertrag vom 1. Juli 1890, den er noch maßgeblich vorbereitet hatte, auf alle etwaigen Ansprüche nördlich Deutsch-Ostafrikas. Dadurch sollte ein Ausgleich mit Großbritannien erzielt werden. Auch die deutschen Ansprüche auf die gesamte Somaliküste zwischen Buur Gaabo und Aluula wurden aufgegeben, wovon die Beziehungen zum Dreibund-Partner Italien profitierten. Deutsch-Südwestafrika wurde im Gegenzug durch den Caprivizipfel mit dem Sambesi verbunden, mit dem Ziel schließlich Deutsch-Südwestafrika über den Sambesi mit Deutsch-Ostafrika zu verbinden. Unter diesen Umständen scheiterten wiederum deutsche Kolonialbestrebungen in Südostafrika.[43]

Weltpolitik unter Kaiser Wilhelm II.

Unter Kaiser Wilhelm II. (1888–1918) versuchte Deutschland seinen Kolonialbesitz auszubauen. Die wilhelminische Ära steht für eine schwärmerisch-expansionistische Politik und eine forcierte Aufrüstung der Kaiserlichen Marine. Die Kolonialbewegung war zu einem ernstzunehmenden Faktor in der deutschen Innenpolitik angewachsen. Zu ihr rechneten neben der Deutschen Kolonialgesellschaft auch der 1891 gegründete, extrem nationalistische Alldeutsche Verband. Zusätzlich zu den bisher vertretenen Argumenten wurde von der deutschen Kolonialbewegung nun vorgebracht, man müsse den Sklavenhandel in den Kolonien bekämpfen und die indigene Bevölkerung von ihren muslimischen Sklaventreibern befreien. Diese abolitionistischen Forderungen mit deutlich antimuslimischer Stoßrichtung nahmen nach dem so genannten Araberaufstand an der ostafrikanischen Küste 1888 Züge einer Kreuzzugsbewegung an.[44] Im Vordergrund standen jetzt aber Fragen des nationalen Prestiges und der Selbstbehauptung in einer sozialdarwinistisch verstandenen Konkurrenz der Großmächte: Deutschland als „Nachzügler“ müsse jetzt den ihm zustehenden Anteil einfordern.[45]

Diesem Trend folgte die Reichsregierung. Im Rahmen einer neuen Weltpolitik einen „Platz an der Sonne“ (so der spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow am 6. Dezember 1897 vor dem Deutschen Reichstag) für die angeblich „zu spät gekommene Nation“, womit neben dem Besitz von Kolonien ein Mitspracherecht in allen kolonialen Angelegenheiten gemeint war.[46] Diese Politik des nationalen Prestiges befand sich in scharfem Kontrast zu Bismarcks eher pragmatisch begründeten Kolonialpolitik von 1884/1885.

Deutsches Pachtgebiet Kiautschou mit der Hafenstadt Tsingtau

Nach 1890 gelang nur noch der Erwerb verhältnismäßig weniger Gebiete. 1895 wurden Konzessionen in den chinesischen Städten Hankau und Tientsin erworben. 1897/98 wurde das chinesische Kiautschou mit dem Hafenort Tsingtau ein deutsches Pachtgebiet. In einem 50-km-Halbkreis um die Kiautschou-Bucht wurde eine Neutrale Zone eingerichtet, in der Chinas Souveränität durch Deutschland eingeschränkt war. Ferner bestanden deutsche Bergbau- und Eisenbahnkonzessionen in der Provinz Schantung.

Durch den deutsch-spanischen Vertrag von 1899 kamen die mikronesischen Inseln der Karolinen, Marianen und Palau im Mittelpazifik hinzu. Durch den Samoa-Vertrag wurde 1899 auch der Westteil der Samoa-Inseln im Südpazifik ein deutsches Schutzgebiet. Gleichzeitig wurde die Herrschaft innerhalb der Kolonien ausgedehnt, z. B. in Deutsch-Ostafrika auf die Königreiche Burundi und Ruanda.[47] Im Bafut- und Hehe-Krieg stieß Deutschland 1891 jedoch auch auf hartnäckigen Widerstand unter Volksgruppen des Hinterlandes von Kamerun bzw. Ostafrika.

Auf Betreiben des Reichspostamtes für die Verlegung eines zukünftigen deutschen Telegraphenkabels im Westpazifik nahm am 6. März 1901 der Bezirksamtmann Arno Senfft die Insel Sonsorol in Besitz. Einen Tag später folgten die Inseln Merir und Pulo Anna sowie am 12. April die Insel Tobi und das Helen-Riff.[48] Die Inseln wurden Deutsch-Neuguinea eingegliedert.

Der Versuch der Marine durch die Firma Behn, Meyer & Co in Singapur um 1900 die Insel Langkawi vom Sultan von Kedah für 50 Jahre zu pachten scheiterte. Die englische Regierung intervenierte durch den geheimen britisch-siamesischen Vertrag von 1897, der Englands Zustimmung bei der Gewährung von Rechten durch Siam an dritte Mächte forderte, und das der Regierung in Bangkok unterstehende Sultanat Kedah wurde gezwungen Langkawi nicht an das Deutsche Reich zu verpachten.[49][50] Auch der Versuch des Kaisers im Jahre 1902 Niederkalifornien von Mexiko – auch als weitere Basis für die deutsche Flotte im Pazifik – zu erwerben, scheiterte.[51]

Deutsche Kolonien 1912 (zeitgenössische Karte)

Eine von manchen Kolonialpropagandisten angestrebte koloniale Neuordnung Afrikas fand nicht statt. Die Ausnahme stellte hier der Erwerb eines Teils des französischen Kongogebiets für Kamerun im Zuge der Zweiten Marokkokrise von 1911 dar (Neukamerun). Vergeblich hatte Deutschland als Kompensation für Marokko die gesamte französische Kongo-Kolonie gefordert. Die zunehmende Isolierung im Kreis der Großmächte, die in Deutschland als „Einkreisung“ wahrgenommen wurde, war der Preis für dieses forsche deutsche kolonialpolitische Auftreten.[52]

Für die wirtschaftliche Entwicklung der Kolonien wurde 1896 das Kolonialwirtschaftliche Komitee gegründet. 1898 wurde in Witzenhausen die Deutsche Kolonialschule (Tropenschule) gegründet, um Menschen für eine Übersiedlung in die Kolonien landwirtschaftlich auszubilden. Die Nachfolgeeinrichtungen bilden heute einen Nebenstandort der Universität Kassel. Im Jahre 1900 nahm in Hamburg das Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten für die Ausbildung von Schiffs- und Kolonialärzten seine Arbeit auf.

Nach einer Viehseuche im Jahr 1897 in Deutsch-Südwestafrika hatten die Herero ihre überlebenden Viehbestände weit über das deutsche Kolonialgebiet verteilt. Diese Weideflächen waren zuvor jedoch an Großgrundbesitzer verkauft worden, welche nun das Vieh der Herero für sich beanspruchten. 1904 eskalierte die Situation schließlich zum Aufstand der Herero und Nama, dem die personalschwache Schutztruppe der Kolonie nicht gewachsen war. Die Reichsregierung entsandte daraufhin ein Marineexpeditionskorps und später Verstärkungen der Schutztruppe. Mit insgesamt etwa 15.000 Mann unter Generalleutnant Lothar von Trotha wurde der Aufstand der Herero im August 1904 in der Schlacht am Waterberg niedergeschlagen. Trotha erließ den sogenannten Vernichtungsbefehl, nach dem Überlebende in die Wüste zurückgetrieben wurden. Von den Überlebenden Hereros der Schlacht haben 1800 bis Ende November 1904 Britisch-Betschuanaland erreicht, Tausende flohen ins nördlichste Südwestafrika und Tausende kamen in der Wüste um. Von den geschätzten 50.000 Menschen des Hererovolkes kamen bis 1908 wahrscheinlich die Hälfte ums Leben.[53] Mit 10.000 Opfern kam auch rund die Hälfte der Nama ums Leben. Diese hatten zuvor noch auf Seiten der Deutschen als Hilfstruppe bis Ende 1904 gegen die Herero gekämpft.[54]

In Deutsch-Ostafrika kam es 1905/06 zum sogenannten Maji-Maji-Aufstand, bei dem geschätzte 100.000 Einheimische umkamen, viele davon durch Hunger, da die deutschen Truppen Dörfer und Felder niederbrannten. Die Ablehnung eines Nachtragshaushaltes für eine weitere Unterstützung der Kolonialkriege führte Ende 1906 zur Auflösung des Reichstages und zu Neuwahlen.[55] Die Reichstagswahl vom Januar 1907 (die sogenannte „Hottentottenwahl“) sollte über die Zukunft der Kolonien entscheiden.

Neue Kolonialpolitik seit 1905

Reise Bernhard Dernburgs durch Deutsch-Ostafrika 1907. Ankunft in Nairobi in Britisch-Ostafrika.

Hafen von Daressalam um 1910

Hafen von Tsingtau um 1912

Als Ergebnis der Kolonialkriege in Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika, deren Ursachen in einer falschen Behandlung der einheimischen Bevölkerungen lagen, wurde ein Umbau der Kolonialverwaltung in Deutschland, eine wissenschaftliche Herangehensweise an die Nutzung der Kolonien und eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Völker in den deutschen Kolonien als notwendig erachtet. Dafür wurde die oberste Verwaltungsbehörde für die Kolonien, die Kolonialabteilung, aus dem Außenministerium (die damalige Bezeichnung für ein Ministerium war „Amt“) ausgegliedert und im Mai 1907 zu einem eigenen Ministerium erhoben, das Reichskolonialamt.

Als Gestalter der neuen Kolonialpolitik wurde nicht zufällig ein erfolgreicher Firmensanierer aus der Privatwirtschaft für das Amt als Staatssekretär – im heutigen Sprachgebrauch Minister – gewonnen, Bernhard Dernburg. Dernburg führte bereits seit September 1906 die Kolonialabteilung. Er ging auf Reisen in die Kolonien, um vor Ort die Probleme zu erkunden und Lösungen zu finden. Gleichzeitig wurden wissenschaftliche und technische Einrichtungen für koloniale Zwecke gefördert oder gegründet, um auf dieser Grundlage die Kolonien zu entwickeln. Aus dem Hamburgischen Kolonialinstitut und der Deutschen Kolonialschule entstanden etwa Teile der heutigen Universitäten von Hamburg und Kassel. Für die Einheimischen wurde die medizinische Versorgung verbessert, Schulen gebaut und die Prügelstrafe wurde abgeschwächt. Straßen, Eisenbahnen und Häfen wurden im erweiterten Maße angelegt für die wirtschaftliche Erschließung der Kolonien. Dernburg im Januar 1909: „Das Ziel müssen mit dem Vaterland eng verbundene, administrativ unabhängige, wirtschaftlich selbstständige, gesunde Kolonien sein.“

Auch Kolonialstaatssekretär Wilhelm Solf unternahm 1912 und 1913 Reisen nach Afrika. Die dabei gesammelten Eindrücke gingen in sein Kolonialprogramm ein, das unter anderem eine Kompetenzerweiterung der Gouverneure und ein Verbot des Arbeitszwangs für Afrikaner vorsah. Des Weiteren befürwortete Solf die Idee eines Autostraßennetzes in den Kolonien, um weniger Lastenträger einzusetzen. Wilhelm Solf gewann für seine vergleichsweise friedfertige Kolonialpolitik, die sich an Diplomatie und geschickter Machtpolitik anstatt militärischer Stärke orientierte, alle Fraktionen des Reichstages mit der Ausnahme der rechten.

Als Ergebnis dieser neuen Politik gab es nach 1905 keine großen Aufstände in den deutschen Kolonien mehr und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Überseebesitzungen Deutschlands steigerte sich schnell. So verdoppelte sich von 1906 bis 1914 die Herstellung von Palmöl und Kakao in den Kolonien, die Kautschuk-Ausfuhr aus den afrikanischen Kolonien vervierfachte sich, der Baumwollexport aus Deutsch-Ostafrika erhöhte sich um das Zehnfache. Der gesamte Handel zwischen Deutschland und seinen Kolonien steigerte sich von 72 Millionen Mark im Jahre 1906 auf 264 Millionen Mark im Jahre 1913. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung in den Schutzgebieten versechsfachten sich die Zoll- und Steuereinnahmen in den Kolonien von 1906 bis 1914. Mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Kolonien waren sie von finanzieller Unterstützung durch das Reich unabhängig geworden oder waren auf dem Weg dahin. 1914 wurden nur noch Deutsch-Neuguinea und Kiautschou und die Schutztruppen in Afrika subventioniert.[56]

Vorbereitungen für die Vergrößerung des Kolonialreiches

1898 und 1913 schlossen das Deutsche Reich und Großbritannien Abkommen zur Übernahme der portugiesischen Kolonien. Der Vertragsfall sollte eintreten, wenn von der Regierung in Lissabon als Sicherheit für eine Anleihe Einnahmen aus den Kolonien eingesetzt würden. Außerdem wurde im Vertrag von 1913 als zusätzlicher Grund angegeben, die „Mißwirtschaft“ der Portugiesen in ihren Kolonien beenden zu wollen.

Laut Verträgen mit England waren von den portugiesischen Kolonien Angola, Nordmosambik, die westafrikanischen Inseln São Tomé und Príncipe und Portugiesisch-Timor zur Übernahme durch Deutschland vorgesehen. Für die spanische Kolonie Muni, die von Land her vollkommen von der deutschen Kolonie Kamerun umschlossen war, und die zu Muni gehörigen Inseln Fernando Po und Annobon lag das deutsche Vorkaufsrecht vor.[57]

Konkrete Schritte zur Übernahme portugiesischer Kolonien erfolgten 1914. Mit der Gründung des Übersee Studiensyndikats im Februar 1914 von den deutschen Großbanken sollte die wirtschaftliche Übernahme Angolas gewährleistet werden. Am 28. Mai 1914 kaufte im Auftrag des Reiches ein deutsches Bankenkonsortium die englische Gesellschaft Nyassa Consolidated Ltd mit ihrem Besitz, der halb Nordmosambik umfasste.[58]

Im Juli 1914 legte die portugiesische Regierung eine Staatsanleihe für die wirtschaftliche Entwicklung von Angola auf, mit Sicherung durch angolanische Zolleinkünfte, die von einem deutschen Bankenkonsortium finanziert wurde. Damit war eine entscheidende Vertragsbestimmung aus dem deutsch-britischen Abkommen von 1913 über die Aufteilung der Kolonien Portugals zwischen Deutschland und England erfüllt.

Am 27. Juli 1914 gab der deutsche Reichskanzler Theodor von Bethmann Hollweg der Regierung in London sein Einverständnis für die Veröffentlichung des bisher geheimgehaltenen Vertrages von 1913 über die beabsichtigte Aufteilung der portugiesischen Kolonien mit den Begründungen für die Wegnahme der Kolonien von Portugal.[59] Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 verhinderte weitere Schritte der Übernahme der portugiesischen Kolonien.

Die Kolonien im Ersten Weltkrieg (1914–1918)

Deutsche Kolonien, Kampfrichtungen und Kapitulationen im Ersten Weltkrieg

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, im August 1914, waren die Truppen in den deutschen Kolonien nicht auf einen Krieg mit europäischen Mächten vorbereitet. Für die afrikanischen Kolonien hoffte die deutsche Seite auf die Einhaltung des Beschlusses der Kongo-Konferenz von 1885, die ihrer Auffassung nach alle Kolonialstaaten zur Handelsfreiheit und friedlichen Lösung kolonialer Probleme in Afrika verpflichte. Doch nur wenige Tage nach dem deutschen Kriegseintritt begann in den meisten Kolonien ein hoffnungsloser Widerstand der deutschen Truppen. Man vertraute in den Schutzgebieten auf einen Sieg der deutschen Truppen in Europa für die Rückgewinnung der Kolonien.

Truppen der Entente, den Gegnermächten Deutschlands, besetzten noch im August 1914 Togo und Samoa. Im November 1914 fiel Kiautschou und bis zum Januar 1915 wurde Deutsch-Neuguinea vollständig besetzt. In den größeren Schutzgebieten gelangen den Deutschen hingegen Anfangserfolge, etwa in den Schlachten bei Garua, Sandfontein und Tanga sowie im Kampf um Naulila. Mit der Besetzung der südafrikanischen Exklave Walvis Bay, der Provinz Cunene im portugiesischen Angola, des Grenzorts Taveta und der Stadt Kisii in Britisch-Ostafrika und der Insel Idjwi im Kivu-See kam es sogar zu geringfügigen deutschen Gebietsgewinnen. Bis auf Deutsch-Ostafrika scheiterte anhaltender Widerstand jedoch an der vergleichsweise geringen Truppenstärke sowie dem Mangel an Nachschub und schweren Waffen.

Die 5.000 Mann starke südwestafrikanische Schutztruppe ergab sich im Juli 1915 gegen die zehnmal so starken südafrikanischen Unionstruppen. In die Kolonie Kamerun schickten die Briten und Franzosen insgesamt 19.000 Soldaten und 24 Kriegsschiffe. Trotzdem ergaben sich die deutschen Truppen nicht und traten schließlich im Februar 1916 vor der feindlichen Übermacht in die neutrale spanische Kolonie Rio Muni über, begleitet von 14.000 kamerunischen Eingeborenen, die nicht unter der Herrschaft der Entente-Mächte leben wollten.[60]

Ab 1917 wurden die Interessen des Deutschen Reiches in seinen besetzten Kolonien durch die neutrale Schweiz wahrgenommen, was unter dem Druck der Entente jedoch nur teilweise gelang.[61]

Askaris und Träger der deutschen Truppen in Ostafrika. Während des Krieges in Ostafrika wurden von den kriegführenden Mächten wesentlich mehr Träger für die Versorgung der Truppen als Soldaten selbst eingesetzt.

In Deutsch-Ostafrika blieben die deutschen Truppen – ihre Höchstzahl betrug im Krieg 16.670 Mann, davon etwa 90 % afrikanische Askaris – unter Führung von Oberstleutnant Paul von Lettow-Vorbeck bis zum Waffenstillstand im November 1918 unbesiegt. Jedoch wich von Lettow ab November 1917 in Kolonien von Portugal und Großbritannien aus, um seinen Widerstand fortzusetzen. Auch eine mehrere Dutzend Mann starke Eingeborenentruppe unter dem Hauptmann Hermann Detzner in Neuguinea ergab sich nicht und führte Guerillakrieg. Als Detzner vom Waffenstillstand hörte löste er seine Truppe auf, ritt aus den Bergen nach Finschhafen und ergab sich dort Mitte Dezember 1918 den Australiern.[62] Gleichwohl war der deutsche Kolonialbesitz bereits während des Krieges militärisch verloren.[63]

In Deutschland wurden auch im Krieg die Pläne für ein geschlossenes Deutsch-Mittelafrika weiterverfolgt. Es sollte sich vom Niger bis zur Kalahari-Wüste erstrecken und auch Angola, Mosambik, Belgisch-Kongo und weite Teile Französisch-Äquatorialafrikas miteinschließen.

Ergebnis des Ersten Weltkrieges für das deutsche Kolonialreich

Mit dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages im Januar 1920 verlor Deutschland alle Kolonien. Dies wurde begründet mit „Deutschlands Versagen auf dem Gebiet der kolonialen Zivilisation“: Deutschland habe den von ihm beherrschten Gebieten keinen Fortschritt, sondern vor allem Krieg und Zwangsarbeit gebracht.[63] Diese These hatte bereits in der britischen Kriegspropaganda eine Rolle und namentlich im 1918 veröffentlichten Blue Book der Regierung in London gespielt.[64] Anders als der amerikanische Präsident Woodrow Wilson in seinem 14-Punkte-Programm vom 8. Januar 1918 gefordert hatte, wurde der in den deutschen Kolonien lebenden Bevölkerung kein Selbstbestimmungsrecht eingeräumt, wozu sie angeblich noch nicht reif wären, sondern ihr Land wurde als Mandatsgebiete dem Völkerbund zugeteilt, der es den Staaten der Entente zur Verwaltung überließ. Dies war ein Kompromiss zwischen Wilsons Selbstbestimmungsprinzip und den imperialen Interessen der europäischen Siegermächte: Sie beherrschten de facto die ihnen zugeteilten Territorien wie ihre eigenen Kolonien, mussten aber in jährlichen Berichten nachweisen, dass sie die Zwangsarbeit abgeschafft hätten und das Wohl der Bevölkerung sowie sozialen Fortschritt fördern würden.[65]

Mandatsgebiete in den ehemaligen deutschen Kolonien und Provinzen des vormaligen Osmanischen Reiches

  • Britisches Mandatsgebiet
  • Französisches Mandatsgebiet
  • Belgisches Mandatsgebiet
  • Australisches Mandatsgebiet
  • Japanisches Mandatsgebiet
  • Neuseeländisches Mandatsgebiet
  • Südafrikanisches Mandatsgebiet
  • Gemeinschaftliches Mandatsgebiet

Im Einzelnen erhielten folgende Siegermächte Teile des ehemaligen deutschen Kolonialreiches zugewiesen:

  • Großbritannien: Deutsch-Ostafrika, Teile Kameruns und Westtogo
  • Frankreich: Kamerun und Osttogo
  • Belgien: Ruanda und Burundi (ehemals Teil Deutsch-Ostafrikas)
  • Portugal: Kionga-Dreieck (ehemals Teil Deutsch-Ostafrikas)
  • Australien: Großteil Deutsch-Neuguineas
  • Japan: Kiautschou (fiel 1922 wieder an China), die Marianen, Karolinen, Marshallinseln und Palau
  • Neuseeland: Samoa
  • Südafrikanische Union: Deutsch-Südwestafrika (als Mandatsgebiet South West Africa fortgeführt)
  • Australien, Neuseeland und Großbritannien zusammen: Nauru

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm der UN-Treuhandrat die Verwaltung der verbliebenen Mandatsgebiete. Als letzte ehemalige Kolonie wurde 1994 Palau unabhängig.

Strukturbedingungen in den deutschen Kolonien

Verhältnis zwischen Einheimischen und Deutschen

Deutscher Kolonialherr in Togo (ca. 1885)

Rechtliche Ungleichheit

Die Beziehung zwischen den Deutschen und der indigenen Bevölkerung in den deutschen Kolonien war durch rechtliche und soziale Ungleichheit gekennzeichnet, wie es auch in allen anderen Kolonialreichen üblich war. Es bestanden zwei Rechtskreise, deren Zugehörigkeit nach rassischen Kriterien festgelegt wurde. Die „weiße“, das heißt die deutsche und europäische Bevölkerung in den Kolonien stellte eine kleine, stark privilegierte Minderheit dar. Ihr Verhältnis zur indigenen Bevölkerung überstieg selten die Ein-Prozent-Marke.[66] 1914 lebten nicht mehr als 25.000 Deutsche in den Kolonien, etwas weniger als die Hälfte davon in Deutsch-Südwestafrika, das noch am ehesten als Siedlungskolonie galt. Sie genossen alle Vorteile des deutschen Rechts, europäischstämmige Ausländer waren ihnen rechtlich gleichgestellt.[67]

Die rund 13 Millionen „Eingeborenen“ des deutschen Kolonialreichs, wie sie nach einer kaiserlichen Verordnung aus dem Jahr 1900 offiziell hießen, wurden nicht zu deutschen Staatsbürgern, als die deutsche Staatsbürgerschaft erstmals 1913 eingeführt wurde; sie galten noch nicht einmal als Reichsangehörige, sondern lediglich als Untertanen oder Schutzbefohlene des Deutschen Reiches. Die deutschen Gesetze des Reiches galten für sie nur, wenn es per Verordnung extra festgelegt war. Insbesondere war ihnen der Rechtsweg verschlossen: Gegen Verfügungen der Kolonialbehörden und erstinstanzliche Urteile der Kolonialgerichte standen ihnen keinerlei rechtsstaatliche Mittel zur Verfügung. Für die Gerichtsorganisation siehe Gerichtsorganisation der ehemaligen deutschen Kolonien. Für die etwa 10.000 Menschen arabischer und indischer Abstammung, die in Deutsch-Ostafrika lebten, konnten die Gouverneure Sonderbestimmungen verfügen.[68] Eine Aufnahme von „Eingeborenen“ in die Reichsangehörigkeit und auch deren Weitergabe an die Nachkommen war nach dem Schutzgebietsgesetz aber möglich.[69] Nachdem sich zunehmend Liebesbeziehungen zwischen den Bevölkerungsgruppen ergeben hatten, verboten die Kolonien ab 1905 schrittweise „standesamtliche Eheschließung zwischen Weißen und Eingeborenen“. Außereheliche Sexualbeziehungen wurden von der Gesellschaft geächtet, um eine „Verkafferung“ zu unterbinden. 1912 debattierte der Reichstag über die Möglichkeit von Mischehen, mit dem Ergebnis, dass die Mehrheitsparteien von der Reichsregierung verlangten, Mischehen gesetzlich zu ermöglichen. Das Gesetz kam aber nie zustande.[70] Die Verbote bestanden bis zum faktischen Ende des deutschen Kolonialreiches im Ersten Weltkrieg fort.

Missionierung, Bildung und Gesundheitspflege

In der Vorstellungswelt der Deutschen bestand die indigene Bevölkerung aus „Kindern“: Menschen zwar, doch auf einer niedrigen Reifungsstufe, die man zu behüten, zu belehren und zu erziehen hatte.[71] Für Belehrung und Missionierung sorgten die deutschen Missionsgesellschaften, die bereits ab den 1820er Jahren in Übersee tätig waren. Auf evangelischer Seite waren dies das Berliner Missionswerk, die Rheinische Mission, das Leipziger Missionswerk und die Norddeutsche Mission.[72] Ihnen durften nach dem Abflauen des Kulturkampfes ab 1890 auch katholische Missionsgesellschaften an die Seite treten.[73]

Schule der Norddeutschen Mission Togo, 1899

Diese Missionswerke errichteten in den Kolonien Stationen, in denen sie der indigenen Bevölkerung neben elementarer Bildung und Methoden moderner Landwirtschaft das Christentum näherbrachten. Dabei hatten sie großen Erfolg, da der Zusammenbruch der präkolonialen Gesellschaften, den die deutsche Landnahme und die nachfolgenden Kolonialkriege verursacht hatten, häufig auch eine spirituelle Krise mit sich gebracht hatte und die indigene Bevölkerung beim Gott der neuen Herren, der sich als der überlegene erwiesen zu haben schien, Trost und Halt suchten. Da die Missionare die Bekehrung der indigenen Bevölkerung zum Ziel und den Anspruch hatten, ihr mit Nächstenliebe entgegenzutreten, sahen sie häufig Anlass, gegen deren grausame Behandlungen und Ausbeutung durch die Kolonialverwaltung und Plantagenbesitzer zu protestieren. Zur Selbstversorgung und als Mustergüter unterhielten sie aber oft selbst Plantagen und waren daher von der Arbeitskraft und -willigkeit der indigenen Bevölkerung abhängig; somit gerieten sie hier nicht selten in einen Zielkonflikt. Gegenüber den traditionellen Sitten und Gebräuchen der indigenen Bevölkerung zeigten sich die deutschen Missionare meist eher tolerant; selbst die in Afrika und der Südsee verbreitete Polygynie wurde oft geduldet. Einzig die an der Küste Ostafrikas dominierende islamische Kultur wurde von den Missionswerken bekämpft.[74]

Studenten der Deutsch-Chinesischen Hochschule in Tsingtau, 1913

Aufgrund mangelnder Leistungsfähigkeit der Missionswerke und um keine Konflikte in muslimischen Gebieten zu provozieren, wurden in den deutschen Kolonien ab 1887 auch staatliche Schulen eingerichtet. Eine Schulpflicht bestand, anders als im Reich, aber nicht, auch um das Selbstbewusstsein der indigenen Bevölkerung nicht durch höhere Bildung zu stärken. Einige Fachschulen für Handwerk und Ackerbau wurden eingerichtet sowie als einzige Universität im deutschen Kolonialreich die Deutsch-Chinesische Hochschule in Tsingtau. Die staatlichen Elementarschulen unterschieden sich im Lehrplan deutlich von den Missionsschulen: Diese unterrichteten in der Muttersprache ihrer Schüler, also etwa auf Ewe oder Otjiherero, und erteilten bis zu 15 Stunden Religionsunterricht pro Woche, während auf jenen die Unterrichtssprache Deutsch war und nutzbare Fächer wie Rechnen dominierten.[75]

Gesundheitsdienst in Daressalam (Ostafrika) bei der Pestbekämpfung, Photographie von Walther Dobbertin, zwischen 1906 und 1914 aufgenommen

Seit Mitte der 1890er Jahre errichteten die Deutschen in ihren Kolonien Lazarettstationen und Hospitäler, die allerdings zunächst nur Europäern offenstanden. „Eingeborenen-“ oder „Farbigenstationen“ wurden etwas später eingerichtet, doch wurde die Trennung zwischen den Rassen stets aufrechterhalten. Nicht zuletzt im eigenen Interesse legten die Deutschen besonderen Wert auf Bekämpfung und Prophylaxe von Tropenkrankheiten: Sümpfe wurden trockengelegt, Chinin gegen Malaria ausgegeben, gegen Pocken geimpft und Leprakranke wurden isoliert.[76] Zur Bekämpfung von Seuchen fassten die Deutschen Erkrankte unterschiedlicher Ethnien und beiderlei Geschlechts in eigens dafür eingerichteten sogenannten „Konzentrationslagern“ zusammen, aus denen die Betroffenen wegen des damit verbundenen Freiheitsentzuges und der zum Teil schmerzhaften Untersuchungen, die dort vorgenommen wurden, immer wieder zu fliehen suchten.[77] Um Mittel gegen die Schlafkrankheit zu erproben, unternahmen deutsche Mediziner auch Menschenversuche an erkrankten Afrikanern, die mitunter tödlich verliefen. Erfolge stellten sich vor allem bei der Bekämpfung von Pocken und Pest ein, während in der allgemeinen Hygiene und der Sozialmedizin noch große Rückstände herrschten: „Es gibt sehr wenig alte Neger“, klagte der Staatssekretär im Reichskolonialamt 1908.[78] Erst gegen Ende der deutschen Herrschaft zeigten sich Ansätze, hier Abhilfe zu schaffen, etwa durch erste Arbeitsschutzverordnungen oder eine Verbesserung der Sanitätsaufsicht.[79]

Arbeitszwang und Gewalt

Die indigene Bevölkerung hatte bislang in Subsistenz- und Naturalwirtschaft gelebt. An Geld hatte sie daher kein Interesse. Zudem galt Landwirtschaft in vielen Regionen eher als Frauenarbeit. Die Deutschen stießen daher nur auf eine geringe Bereitschaft, gegen Lohn auf den Feldern zu arbeiten, die sie auf „notorische Indolenz und Faulheit“ zurückführten. Als Gegenmittel verhängten sie Kopf- oder Hüttensteuern:[80] Zur Beschaffung des zu deren Begleichung nötigen Geldes mussten Überschüsse erwirtschaftet werden, was nur durch Arbeit auf Plantagen möglich war. Wer nicht bezahlen konnte, wurde – oft weit von seinem Heimatdorf entfernt – zu Zwangsarbeit verurteilt.[81]

Große Teile der indigenen Bevölkerung gerieten so in Unfreiheit. Die traditionelle Sklaverei wurde geduldet, weil vor allem in Ostafrika eine radikale Abschaffung den Zusammenbruch der lokalen Wirtschaftsstrukturen herbeigeführt hätte. Um 1900 waren etwa zehn Prozent der Bevölkerung Ostafrikas Sklaven im Besitz afrikanischer und arabischer Eliten, zu dem Sklavenhändler Tippu-Tip auf Sansibar unterhielt die deutsche Kolonialverwaltung freundschaftliche Beziehungen. Gleichzeitig galt die Sklaverei in den deutschen Kolonien offiziell als abgeschafft und die deutsche Propaganda hob dies als eine der Kulturleistungen des deutschen Kolonialismus hervor. Deshalb wurden andere Formen des Arbeitszwangs und der Unfreiheit gefunden, in denen die Mortalitätsraten hoch waren. Darunter fiel auch der Import von etwa 1.000 chinesischer Kulis nach Samoa, Neuguinea und Ostafrika, die gleichfalls häufig unter Zwang angeworben worden waren.[82]

Bei der Zwangsarbeit und auch auf den Plantagen waren Körperstrafen an der Tagesordnung, die gemeinhin mit einer Nilpferdpeitsche verabreicht wurden. Dieses Instrument wurde in Deutschland als Symbol für die Behandlung der indigenen Bevölkerung durch mehrere Kolonialskandale bekannt: So hatte etwa der stellvertretende Gouverneur von Deutsch-Kamerun Heinrich Leist 1893 die Frauen von arbeitsunwilligen Afrikanern vor deren Augen auspeitschen lassen; die Männer waren zuvor aus der Sklaverei freigekauft worden, doch verweigerte Leist ihnen nun den Lohn, da ja durch den Freikauf bereits genug für sie bezahlt worden sei.[83] Bereits im Jahr zuvor war bekanntgeworden, dass der Reichskommissar am Kilimandscharo Carl Peters seine afrikanische Konkubine und deren Liebhaber erst hatte auspeitschen und dann aufknüpfen lassen.[84]

Die alltägliche Gewalt provozierte immer wieder Gegengewalt der indigenen Bevölkerung, die sich zum Teil in blutigen Aufständen und Kolonialkriegen niederschlug. Sowohl Peters’ als auch Leists Übergriffe hatten eine solche Folge gehabt. Die blutigsten Aufstände waren 1899–1901 der chinesische Boxeraufstand, 1905–1907 der Maji-Maji-Aufstand in Ostafrika und 1904–1908 der Aufstand der Herero und Nama in Südwestafrika, bei dem es zum ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts kam. Staatssekretär Dernburg setzte 1907 eine großangelegte Kolonialreform ins Werk: Nunmehr solle mit „Erhaltungsmitteln“ anstelle von „Zerstörungsmitteln“ kolonisiert werden. Nicht mehr alkohol- und waffenhandelnde Kompanien sollten die Kolonialwirtschaft prägen, sondern der Missionar, der Arzt, die Eisenbahn und die Wissenschaft. Die Hüttensteuer wurde abgeschafft, die Enteignung von Land, das sich in indigenem Besitz befand, verboten und die Prügelstrafe wurde eingeschränkt. Dernburgs Konzept blieb gleichwohl auf die größtmögliche Ausschöpfung der einheimischen Arbeitskräfte durch die Kolonialisten ausgerichtet.[85] Der Erfolg war begrenzt: Zwar gingen die Prügel- und Rutenstrafen von 1905/06 auf 1907/08 deutlich zurück, stiegen danach aber wieder an und überstiegen 1912/13 mit über 8.000 gemeldeten Züchtigungen den Wert vor den dernburgschen Reformen deutlich.[86] Die Dunkelziffer nicht gemeldeter Auspeitschungen auf den Plantagen wird noch erheblich höher gewesen sein.[87]

Verwaltung

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Koloniales Rechtssystem, spezielle Gesetze, Praxis der Strafgerichtsbarkeit, Gesundheits- und Bildungspolitik, Urbanisierung

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Verwaltung der Kolonien durch das Reich

Das Reichsgebiet und die deutschen Kolonien, politisches Schaubild

Seit 1899 befanden sich alle „Schutzgebiete“, mit Ausnahme der Marshallinseln (seit 1906 auch diese), als Kolonien unter direkter Verwaltung des Reiches.

Die oberste Leitung der „Schutzgebiete“ lag zwischen 1890 und 1907 bei der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, welches dem Reichskanzler unterstand. 1907 wurde die Kolonialabteilung aus dem Auswärtigen Amt ausgegliedert und selbst zum Amt – im heutigen Sprachgebrauch Ministerium –, zum Reichskolonialamt, erhoben, und Bernhard Dernburg zum Staatssekretär des Reichskolonialamtes ernannt. Schon der Kolonialabteilung wurde gemäß kaiserlichem Erlass vom 10. Oktober 1890 der Kolonialrat zur Seite gestellt, in dem Vertreter der Kolonialgesellschaften und vom Reichskanzler berufene Sachverständige vertreten waren.

Das deutsche Pachtgebiet Kiautschou wurde durch das Reichsmarineamt verwaltet, also nicht wie die anderen Schutzgebiete durch das Auswärtige Amt beziehungsweise das Reichskolonialamt.

Die oberste gerichtliche Instanz für die Kolonien war das Reichsgericht in Leipzig.

Die Rechtslage in den Kolonien wurde erstmals 1886 mit dem Gesetz betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete genauer geregelt, das nach mehreren Änderungen ab 1900 als Schutzgebietsgesetz bezeichnet wurde.[88] Es führte über den Umweg der Konsulargerichtsbarkeit deutsches Recht für Europäer in den deutschen Kolonien ein. Das Konsulargerichtsbarkeitsgesetz von 1879 erlaubte den deutschen Konsuln im Ausland unter bestimmten Bedingungen, die Gerichtsbarkeit über deutsche Staatsangehörige auszuüben. Das Schutzgebietsgesetz bestimmte nun, dass die Vorschriften zur Konsulargerichtsbarkeit entsprechend auch in den Kolonien angewendet werden sollten. Soweit sie für die Konsulargerichtsbarkeit relevant waren, wurden dadurch wichtige rechtliche Bestimmungen des bürgerlichen Rechts, des Strafrechts, der gerichtlichen Verfahren und der Gerichtsverfassung des Reichs auch für die deutschen Kolonien in Kraft gesetzt.[89] Daneben wurden im Laufe der Zeit weitere spezielle kolonialrechtliche Bestimmungen erlassen. Für die indigenen Bevölkerungen der Kolonien hatte zunächst der Kaiser die Rechtssetzungsbefugnis. Im Laufe der folgenden Jahre konnten auch der Reichskanzler und von ihm ermächtigte Beamte Vorschriften erlassen, die zum Beispiel die Verwaltung, Gerichtsbarkeit oder Polizei regelten. In den deutschen Kolonien existierte somit von der Grundstruktur her eine duale Rechtsordnung die unterschiedliches Recht für die Europäer und die Indigenen vorsah.[90] In der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft wurde kein koloniales Strafrecht kodifiziert.[91]

Verwaltung in den Kolonien

Gouvernementshaus in Buea (Kamerun), um 1910

An der Spitze der Verwaltung einer Kolonie stand der Gouverneur, dem ein Kanzler (zur Vertretung und Rechtspflege), Sekretäre und sonstige Beamte beigegeben waren.

Die Bezirke, die größten gebietsmäßigen Verwaltungseinheiten in einer Kolonie, wurden durch je einen Bezirksamtmann an der Spitze verwaltet. Den Bezirken unterstanden teilweise Bezirksnebenstellen. Eine weitere Verwaltungseinheit in den Kolonien waren die Residenturen. Von der Größe her waren sie den Bezirken gleichzusetzen. Aber in der Verwaltung der Residenturen waren den einheimischen Landesherren weit größere Machtbefugnisse zugestanden als in den Bezirken, auch um die Kosten der deutschen Verwaltung möglichst gering zu halten.

Für die militärische innere Sicherheit der Kolonien in Kamerun, Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika bestanden Schutztruppen. Die Polizeikräfte in den Kolonien waren militärisch organisierte Polizeitruppen.

In den Kolonien gab es nach dem Vorbild der Konsulargerichte geschaffene Schutzgebietsgerichte. Die Gerichtsbarkeit über die indigene Bevölkerung, insbesondere in Strafrechtssachen, wurde den Kolonialbeamten in den Kolonien übertragen. In nicht-strafrechtlichen Angelegenheiten wurden zudem indigene Autoritäten zur Gerichtsbarkeit über ihre Gemeinschaften ermächtigt, die nach dem lokalen Recht urteilen sollten.[92]

Für die deutsche Bevölkerung und die ihnen als Schutzgenossen gleichgestellten anderen Europäer wurden für jedes Schutzgebiet erstinstanzliche Bezirksgerichte und ein zweitinstanzliches Obergericht errichtet. In Togo erschien aufgrund der geringen europäischen Bevölkerung ein eigenes Obergericht nicht zweckmäßig, weshalb das Obergericht in Kamerun auch für Togo zweitinstanzlich zuständig war.[93]

Kaiser-Wilhelms-Land, der Bismarck-Archipel, die Karolinen, Palau-Inseln und die Marianen (sowie seit 1906 die Marshallinseln einschließlich der Providence- und Brown-Inseln) wurden zu einem Gouvernement Deutsch-Neuguinea vereinigt.

Wirtschaft und Infrastruktur

Sisal-Verarbeitung in Deutsch-Ostafrika

Pflügen eines Baumwollfeldes der Ackerbauschule Nuatjä, deutsche Kolonie Togo.

Landwirtschaft

Die Wirtschaft im deutschen Kolonialreich war ganz überwiegend vom Primärsektor geprägt. Verarbeitende Gewerbe wurden nicht aufgebaut, produziert wurden vielmehr Rohstoffe für den Export nach Europa. Dabei handelte es sich vor allem um landwirtschaftliche Produkte, wie Kautschuk, der von der um 1900 boomenden Fahrrad-, Auto- und Elektroindustrie nachgefragt wurde, Ölfrüchte, namentlich Palmöl und Kopra, die von der chemischen Industrie in Deutschland weiterverarbeitet wurden, Sisal und Baumwolle für die Textilherstellung, die große Palette der so genannten Kolonialwaren (Kaffee, Kakao, Zuckerrohr, Pfeffer, Tabak usw.), sowie Tierhäute, Felle und Elfenbein. 1908 wurde in Kamerun mit der Anpflanzung von Bananen für den Export begonnen.[94] Manche dieser Produkte hatte Deutschland schon vor der Kolonialisierung aus diesen Gebieten importiert, wo sie ursprünglich in Sammelwirtschaft produziert und vor allem gegen Spirituosen eingetauscht worden waren. Hiermit hatten die Handelshäuser Woermann und Hansemann bereits vor 1884 gute Geschäfte gemacht. Neben der Landwirtschaft existierten auch Ansätze zur Gewinnung von Bodenschätzen durch Bergbau, von denen aber allein die Diamantengewinnung in Südwest-Afrika profitabel wurde.[95]

Noch bevor diese Ressourcen von den Kolonialherren ausgebeutet werden konnten, hatte man mit dem Boden Profite zu machen gesucht. Ausgehend von der Rechtsfiktion der terra nullius, wonach die Gebiete, in die sie kamen, herrenlos wären, hatten die Kolonialgesellschaften große Teile der bewirtschaftbaren Fläche an sich gebracht und die indigene Bevölkerung auf weniger gutes Land oder in Reservationen verdrängt. Die so erworbenen riesigen Flächen namentlich Südwestafrikas wurden in Deutschland spekulativ gehandelt, ein Teil von ihnen wurde tatsächlich nie erschlossen.[96] Auch diese fortlaufenden Enteignungen trugen zur Frustration der indigenen Bevölkerung bei und waren ein Grund für Rebellionen.

Herrenhaus von Prince der Pflanzung Sakkarani in Ostafrika. Photographie aus dem frühen 20. Jahrhundert.

Nach der Erschließung des Landes boten sich drei Formen der landwirtschaftlichen Produktion an:

  • Plantagen: kapitalintensive großflächige Monokulturen, die von einer großen Zahl indigener Arbeiter bewirtschaftet wurden, die häufig in Unfreiheit gehalten wurden. Diese Wirtschaftsform fand sich vor allem in Kamerun, in Ostafrika und im Pazifik.
  • Farmen: kleinere, von Deutschen bewirtschaftete Betriebe, die mit wenigen indigenen Arbeitskräften auskamen. Diese weniger rentable Wirtschaftsform, die in Südwestafrika vorherrschte, wurde vor allem aus demographischen Gründen gefördert, um möglichst große Ströme der deutschen Auswanderung ins deutsche Kolonialreich zu kanalisieren.
  • Cash Crops: Produktion durch die indigene Bevölkerung, der man die erwünschten Produkte abkaufte. Dieses Modell wurde vor allem im Gebiet der Duala in Kamerun mit Erfolg umgesetzt.

Zwischen Vertretern dieser drei Formen gab es in der gesamten Zeit des deutschen Kolonialreichs Konflikte: Einerseits wegen der Vertreibungen und Enteignungen, die die Anlage von Farmen und Plantagen auf gutem Boden mit sich brachte; andererseits wegen Profitmöglichkeiten, da die indigenen Bauern in direkter Konkurrenz zu Farmern und Plantagenbesitzern standen. Obwohl die Missionen zu Letzteren zählten, sprachen sie sich doch für ein indigenes Kleinbauerntum aus, um eine Proletarisierung zu verhüten, die mit einer Ausdehnung der Plantagen notwendig einherging.[97]

Zur Verbesserung der Profitabilität der Kolonien setzte die Kolonialverwaltung auf die Förderung und Verbesserung der tropischen Landwirtschaft: Versuchs- und Lehrplantagen wurden errichtet, die auch der indigenen Bevölkerung offenstanden, außerdem wurde in den Usambara-Bergen das Biologisch-Landwirtschaftliche Institut Amani und im kamerunischen Victoria eine weitere landwirtschaftliche Forschungsstation errichtet.[98]

Infrastruktur und Verkehrswesen

Tsingtau zu Beginn und am Ende der deutschen Kolonialzeit

Die deutschen Kolonien waren weitgehend ländlich geprägt. Die wenigen urbanen Gebiete lagen zumeist an den Hafenorten und Handelspunkten, vor allem an der ostafrikanischen Küste. Infrastrukturen im europäischen Sinne gab es kaum. Durch die kolonialen Eingriffe veränderten sich besonders an den Garnisonsorten und Verwaltungszentren die Siedlungsstrukturen. An der Küste von Südwestafrika entstanden mit Lüderitz und Swakopmund neue Städte. Ortschaften mit zuvor kaum mehr als Tausend Einwohnern, etwa Daressalam, Windhuk oder Tsingtau, erlebten ein rasantes Bevölkerungswachstum. Auf die dadurch herbeigeführten sozialen und hygienischen Missstände reagierten die Verwaltungen mit Regeln zur Straßenführung und Bauordnung sowie einer Siedlungsverteilung nach rassischen Kriterien.[99]

Das entscheidende verkehrstechnische Element zwischen den Kolonien und Deutschland war die Schifffahrt. Nur durch das Schiff waren die Kolonien mit Deutschland verbunden, sowohl für den Güter- als auch für den Personenverkehr. Die wirtschaftliche Nutzung der Kolonien war schließlich Grund für ihren Erwerb und dafür mussten Schiffsverbindungen ausgebaut oder geschaffen werden. So wurde die Schifffahrt im Kolonialverkehr und die Hafenplätze in den Kolonien den wachsenden Bedürfnissen entsprechend angepasst. In Togo bestand beispielsweise anfangs, wie fast überall in den Kolonien, kein Hafen für Hochseeschiffe. Erst die Landungsbrücke in Lome schuf die Bedingungen für das sichere Be- und Entladen von europäischen Schiffen. Über die Schifffahrt waren die Kolonien gut mit Europa verbunden. So über die vom Staat geförderten Reichspostdampferlinien und die von privaten Reedereien betriebenen Linien wie die Rund-um-Afrika-Dienste, die in beiden Richtungen um Afrika herum Häfen anfuhren, und die deutschen afrikanischen Küstendienste der Deutschen Ost-Afrika Linie und der Woermann-Linie.

Mit der Gründung der Kolonien begann 1886 der Reichspostdampferverkehr zu den pazifischen Kolonien und 1890 wurde mit staatlicher Unterstützung die Deutsche Ostafrika-Linie gegründet für eine gesicherte Verbindung zu den Afrika-Kolonien. In den Kolonien wurden für den ständig steigenden Seeverkehr die Hafenanlagen entsprechend ausgebaut. Die Haupthäfen in den deutschen Kolonien waren in Togo Lome, in Kamerun Viktoria, Duala und Kribi, In Deutsch-Südwestafrika Lüderitz und Swakopmund, wobei in Südwestafrika wie in Lome Landungsbrücken gebaut wurden, da die buchtlose Küste keine geschützten Häfen zuließ. In Deutsch-Ostafrika Tanga und Daressalam, in Kiautschou Tsingtau, wo auch die Bagger I und II stationiert waren für die Hafenausbagerung, während der Bagger III in Swakopmund Dienst tat. In Deutsch-Neuguinea die Haupthäfen Friedrich-Wilhelmshafen, Rabaul und Jap neben einer Vielzahl von Hafenplätzen in der Inselwelt der pazifischen Kolonie. Samoa hatte verhältnismäßig die schlechtesten Hafenverhältnisse aufgrund seiner landschaftlichen Gestaltung. Der Haupthafen Apia war nur eine offene Reede und bei den häufigen Stürmen als Hafen eigentlich ungünstig aber da Apia nun einmal der Haupthandelsplatz war musste die schwierige Hafenlage in Kauf genommen werden.

Zur Sicherung der Seewege wurden Leuchttürme errichtet und Wetterstationen eingerichtet, die von der Deutschen Seewarte in Hamburg aus betrieben wurden.[100] In Daressalam (Deutsch-Ostafrika), Duala (Kamerun) und Tsingtau (Kiautschou) wurden nach 1900 Schwimmdocks zur Wartung von Hochseeschiffen betrieben. Das Dock in Duala war Eigentum der Woermann-Linie, jene in Daressalam und Tsingtau gehörten dem Fiskus.[101]

Bahnlinie von Tanga nach Moschi um 1915 in Deutsch-Ostafrika

Für den Massentransport an Land war auch in den Kolonien die Bahn das geeignete Transportmittel. In den deutschen Kolonien begann der Bahnbau allerdings erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Der Grund dafür war einfach Geldmangel, da sich keine privaten Investoren für Bahnbauten in den Schutzgebieten fanden und der Reichstag keine Gelder für Bahnen in den Kolonien genehmigte. Erst nach der Jahrhundertwende besserte sich die Situation und insbesondere mit dem Amtsantritt von Bernhard Dernburg 1906 als Chef der Kolonialabteilung kam der Bahnbau in den Kolonien richtig in Gang, weil Dernburg von der Wichtigkeit der Bahnen für die wirtschaftliche Entwicklung der Kolonien überzeugt war. Was dann dem Bahnbau in den Schutzgebieten einen zusätzlichen Schub gab war der unerwartet schnelle wirtschaftliche Erfolg der kolonialen Bahnlinien. Der Bahnbau in den Kolonien war aber stark abhängig von den landschaftlichen Verhältnissen. In Deutsch-Südwestafrika konnten Bahnen einfach und schnell gebaut werden und das Land hatte bald auch aus militärischen Gründen ein gutes Bahnnetz. In Kamerun dagegen war wegen des riesigen Urwalds im Süden der Kolonie mit seinen Sümpfen und vielen Wasserläufen der Bahnbau teuer und technisch schwierig. 1914 waren einschließlich der Schantung-Bahn in China rund 6000 Kilometer Bahnen in den Kolonien fertiggestellt und viele Bahngroßprojekte waren in Angriff genommen, so in Togo die Verlängerung der Hinterlandbahn, in Kamerun die Verlängerung der Mittellandbahn, in Deutsch-Südwestafrika die Ambolandbahn in den Norden des Landes, in Deutsch-Ostafrika die Ruandabahn zu der volkreichen Residentur Ruanda, in Kiautschou die Kaumi-Hantschuang-Bahn zur Anbindung des südlichen Schantung an Tsingtau.

Der schnelle Ausbau der Bahnen seit Dernburgs Amtsantritt war entscheidend für den wirtschaftlichen Aufschwung der Kolonien. Es gab auch Konfliktpunkte beim Bahnbau, etwa welche Bahnstrecken zuerst angegangen werden sollten, da verschiedene Wirtschaftsinteressen dabei aufeinander stießen, etwa der jahrelange Streit ob die Südbahn oder die Mittellandbahn in Deutsch-Ostafrika zuerst oder überhaupt gebaut werden sollte, und weil diese Projekte enorm viele der sowieso schon wenigen Arbeitskräfte in den Kolonien banden. Die Plantagen brauchten dringend Arbeitkräfte und für den Warentransport mit Trägern überland brauchte man auch sehr viele Arbeitskräfte. Andererseits ermöglichte die Bahn den Plantagen eine billige Transportmöglichkeit für ihre Produkte und neue Gebiete wurden für die Plantagenwirtschaft mit den wachsenden Bahnlinien erschlossen. Jeder Kilometer neue Bahnstrecke in West- und Ostafrika verringerte auch den Bedarf an Trägern. Die Eisenbahnlinien waren schließlich entscheidend für den eintretenden wirtschaftlichen Erfolg der Kolonien. (siehe auch: Liste der deutschen Kolonialbahnen)[102][103]

Lastenträger in Ostafrika. Photographie zwischen 1906 und 1916 aufgenommen von Walther Dobbertin.

Gleich mit dem Beginn des Erwerbs der deutschen Kolonien wurde mit dem Wegebau begonnen. Gebaut und erhalten wurde das koloniale Wegenetz aus der Arbeitsdienstpflicht der jeweils vor Ort ansässigen Bevölkerung. Für die Wirtschaft, für militärische Zwecke und für den Reiseverkehr war ein ausgebautes Netz von Fuß-, Reit- und Fahrwegen von großer Bedeutung. Je nach den Gegebenheiten waren als Zug- und Reittiere Ochsen, Pferde, Esel, Maultiere und Kamele im Einsatz. In West- und Ostafrika waren aber Zug- oder Tragtiere häufig nicht verwendbar, weil sie durch eine von der Tse-Tse-Fliege übertragene Tierseuche getötet wurden. So wurden dort menschliche Trägerkolonnen für den Warentransport eingesetzt, die natürlich auch auf gangbare Wege angewiesen waren. Ganze Dampfschiffe wurden, in Einzelteile zerlegt, bis zu ihrem Einsatzort auf den ostafrikanischen Seen von einheimischen Trägern geschleppt.[104]

Noch heute berühmt ist die über 250 km lange Straße die vom Kolonialbeamten Franz Boluminski auf der Insel Neumecklenburg in Deutsch-Neuguinea angelegt wurde, der heutige (Boluminski Highway). Wegen eines Wegebauprojektes kam es sogar zu einem Aufstand der dafür zwangsverpflichteten Bevölkerung. Es war der Aufstand auf der Pazifikinsel Ponape 1910.

Kam das Fahrrad etwa ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts in die Kolonien, ergab sich mit dem Beginn des Motorverkehrs das Problem entsprechend ausgebauter Straßen insbesondere für den Verkehr der schweren Lastwagen. Motorräder konnten ohne große Schwierigkeiten die vorhandenen Wege benutzen, aber schon mit Personenwagen begannen die Schwierigkeiten insbesondere bei allen Gewässerübergängen, denn die vorhandenen Brücken waren nicht für solche Belastungen ausgelegt. Deshalb begann man mit dem Bau von Straßen für Motorfahrzeuge. Der erste Versuch wurde schon Anfang des 20. Jahrhunderts im Süden von Deutsch-Ostafrika gemacht, als man versuchte den Hafen Kilwa-Kiwindje an der Indikküste durch eine Autostraße mit dem Njassasee im Südwesten des Landes zu verbinden. Wegen Geldmangels musste das Projekt aufgegeben werden, aber der Bauleiter der Straße, der Kolonialoffizier Paul Graetz, durchquerte als erster Mensch Afrika von 1907 bis 1909 von Daressalam/Ostafrika nach Swakopmund/Südwestafrika mit einem Kraftfahrzeug. Die neue Infrastrukturaufgabe des Autostraßenbaus musste auch finanziert werden. So erhöhte etwa die Kolonie Kamerun im September 1913 für den weiteren Ausbau von Autostraßen die Einfuhrzölle. 1914 waren aber noch sehr wenige Personenwagen und Lastwagen in den deutschen Kolonien vorhanden. Immerhin wurde 1912 in der Kolonie Kiautschou der Automobil-Club Tsingtau gegründet, ein Ortsclub des damaligen Kaiserlichen Automobil-Clubs, dem heutigen Automobilclub von Deutschland.[105]

Das deutsche Postwesen wurde mit Beginn des Erwerbs der Kolonien auf die Kolonien ausgedehnt und nicht zufällig hießen die seit 1886 vom Reich mitfinanzierten Schiffslinien in die Kolonien Reichspostdampfer. Neben der Ausweitung der üblichen Postdienste in, nach und aus den Kolonien traten später Telegraphie und Telefon, die ebenfalls von der Reichspost betrieben wurden.[106]

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurden Kolonialfunkstellen errichtet, um unabhängiger von internationalen Unterseekabeln zu werden.[107] Seit 1912 wurde vom Deutsch-Südwestafrikanischen Luftfahrerverein und aus Mitteln der Nationalflugspende das Flugwesen in den deutschen Kolonien aufgebaut sowie die ersten Flugplätze geschaffen.[108] Der Aufbau des Funknetzes war bis zum Ersten Weltkrieg soweit gediehen, dass auf den kurzen Strecken innerhalb der Kolonien seit Jahren der Betrieb lief, während die Langstreckenfunkstationen zwischen Afrika und der Funkstation Nauen bei Berlin im Probebetrieb waren. Die Fliegerei in den deutschen Kolonien war bei Kriegsbeginn noch in den Anfängen.

Ökonomische Bilanz

Deutsche Schutzgebietsanleihe über 100 Mark vom 13. Juni 1914 für die Schutzgebiete Deutsch-Ostafrika, Kamerun und Deutsch-Südwestafrika

Wirtschaftlich gesehen waren die deutschen Kolonien ein Verlustgeschäft. Lediglich die kleinsten und wirtschaftlich unbedeutendsten Kolonien Samoa und Togo erwirtschafteten in den letzten Jahren der deutschen Herrschaft einen geringen Überschuss.[109] Alle anderen Kolonien hatten gegenüber dem Reich eine passive Handelsbilanz, das heißt der Wert der Güter, die aus Deutschland in diese Kolonien geliefert wurden (Konsumgüter für die Deutschen in den Kolonien, Textilien, Metallwaren, Alkohol und Waffen zum Tauschhandel mit der indigenen Bevölkerung, Investitionsgüter zum Aufbau der Infrastruktur), überstieg den Wert der Lieferungen aus den Kolonien nach Deutschland zum Teil drastisch. Hinzu kam, dass sich die Kolonien finanziell nicht selber trugen. Im Allgemeinen bildete jede Kolonie ein abgeschlossenes Zollgebiet mit einem eigenen Zolltarif. Der weitaus größte Teil der Zolleinnahmen kam aus den Einfuhrzöllen. Nur in Deutsch-Südwestafrika gab es dank der Diamantenexporte mehr Einnahmen aus den Ausfuhrzöllen.[110] Weil die Steuer- und die Zolleinnahmen, die Deutschland mit den Kolonien erwirtschaftete, unter den Kosten für die Verwaltung und die Aufstandsbekämpfung blieben, waren die meisten deutschen Kolonien Zuschussprojekte der Reichskolonialverwaltung. Besonders teuer waren das aufstandsgeplagte Südwestafrika und das infrastrukturintensive Kiautschou. Ausnahmen waren wieder Togo und Samoa.[111]

Mit dem Ende der Kolonialkriege und der neuen Kolonialpolitik seit 1905, dem allgemeinen Infrastrukturausbau und der Ausweitung der wirtschaftlichen Aktivitäten in den Schutzgebieten, verbesserte sich die finanzielle Lage der Kolonien erheblich und entwickelte sich hin zu einem Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben. In den afrikanischen Kolonien betrug der Außenhandel 1904 an Einfuhren 40.672.000 Reichsmark und an Ausfuhren 20.821.000 Reichsmark. 1908 erreichten die Einfuhren 84.264.000 Reichsmark und die Ausfuhren 37.726.000 Reichsmark. 1912 führten die afrikanischen Schutzgebiete für 128.478.000 Reichsmark ein und für 103.748.000 Reichsmark aus. Die Entwicklung ist also deutlich absehbar.[112]

In der Gesamtbilanz des deutschen Außenhandels spielten die Kolonien eine vernachlässigbare Rolle: Der Handelsverkehr mit ihnen machte 1914 nicht einmal 2,5 % des gesamten deutschen Außenhandels aus. Eine Förderung des Kolonialhandels erfolgte nicht, die Kolonien wurden als zollpolitisches Ausland behandelt. Der Import aus den Kolonien betrug nicht einmal ein halbes Prozent der gesamten deutschen Einfuhr.[113] Die Produkte, die man aus den Kolonien ins Deutsche Reich importierte, deckten meist nur einen sehr geringen Teil des Inlandsbedarfs. Sie konnten die Stellung des Deutschen Reiches auf dem Weltmarkt, abgesehen von Kupfer und Diamanten aus Deutsch-Südwestafrika, weder stärken noch nachhaltig verändern. Die Kolonien bildeten daher keine Konjunkturstütze. Privatwirtschaftlich konnten einzelne Investoren, etwa die Deutsche Handels- und Plantagengesellschaft, die die Kopra-Ausfuhr aus Neuguinea kontrollierte, jedoch große Gewinne verzeichnen.[114]

Nachgeschichte

Deutscher Kolonialismus nach 1918

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„Gebt Deutschland seine Kolonien wieder!“
Briefmarke von 1921
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„Gebt uns unsere Kolonien wieder! – Samoa“
Notgeldschein von 1922

In Deutschland bestand nach dem Ersten Weltkrieg ein breiter Konsens, dass die Annexionen Unrecht wären und man ein Recht auf die Kolonien hätte. Nahezu alle Parteien der am 19. Januar 1919 gewählten Weimarer Nationalversammlung stimmten am 1. März 1919, also noch während der Friedensverhandlungen, einer Resolution zu, in der die Rückgabe der Kolonien gefordert wurde. Einzig sieben Abgeordnete von der USPD stimmten dagegen.[115] Als besonders empörend wurde der Vorwurf empfunden, dass Deutschland auf dem Gebiet der Zivilisierung der von ihm unterworfenen fremden Völker versagt hätte, die im deutschen kolonialistischen Legitimationsdiskurs eine zentrale Rolle gespielt hatte. Es nutzte nichts: Im Ergebnis des Friedensvertrags von Versailles musste Deutschland seine Kolonien aufgeben.[116] Mit Ausnahme von Deutsch-Südwestafrika, wo heute noch deutsche Siedler leben (siehe auch Deutschnamibier), mussten alle Deutschen die Kolonien verlassen.

Weimarer Republik

Kolonialgedenktag am 24. April 1924 in der Friedrich-Wilhelms-Universität: 40 Jahre nach der Schutzerklärung über Südwestafrika.

Schon in der Frühphase der Weimarer Republik wurden Stimmen laut, die sich die Kolonien zurückwünschten, unter ihnen Konrad Adenauer, damals Bürgermeister von Köln. Adenauer war 1931–1933 Stellvertretender Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft. Ab 1924 bestand im Auswärtigen Amt eine Kolonialabteilung. Geleitet wurde sie von Edmund Brückner, dem ehemaligen Gouverneur Togos. Nach Brückners Richtlinien galt die Rückgabe der Kolonien Togo und Kamerun sowie Deutsch-Ostafrikas als am wahrscheinlichsten.[117] 1925 gründete sich die Dachorganisation Koloniale Reichsarbeitsgemeinschaft (Korag) aus der über diverse Zwischenschritte 1933 der Reichskolonialbund hervorging. Ebenfalls 1925 schuf der ehemalige Kolonialminister im Kabinett Philipp Scheidemanns, Johannes Bell, die „Interfraktionelle koloniale Vereinigung“, der Parteimitglieder von der NSDAP bis zur SPD angehörten.[118] 1925 kehrten einige Siedler auf ihre Plantagen in Kamerun zurück, die sie im Jahr zuvor mit Finanzhilfe des Auswärtigen Amtes ersteigert hatten.[119]

Die meisten Deutschen fühlten sich nicht schuldig im Sinne der Behauptungen im Versailler Vertrag, und viele sahen die Übernahme der Kolonien durch die Alliierten als Diebstahl an, vor allem nachdem der südafrikanische Premierminister Louis Botha ausnahmslos alle Behauptungen, die von den Alliierten während des Krieges über die Deutschen als Kolonialherren aufgestellt wurden, als haltlos und erfunden bezeichnete. Deutsche Kolonialrevisionisten sprachen von einer „Kolonialen Schuldlüge“.[120][121][122]

Das Deutsche Reich unterstützte in den 1920er Jahren Kolonialunternehmen mit staatlichen Darlehen, und 1924 gelang mit staatlicher finanzieller Hilfe der Rückerwerb der meisten Pflanzungen in Kamerun.[123] In Erwartung der Wiedererlangung der Kolonien wurde 1926 mit Unterstützung des Reiches die Koloniale Frauenschule Rendsburg gegründet. 1931 wurde an der Forstlichen Hochschule Tharandt das Institut für ausländische und koloniale Forstwirtschaft gegründet.

Zeit des Nationalsozialismus

Nach der Machtübernahme der NSDAP wurden verschiedene Anstrengungen unternommen, die kolonialpolitischen Bestimmung des Versailler Vertrags zu revidieren und die Kolonien zurückzubekommen. Die NSDAP richtete 1934 ein eigenes Kolonialpolitisches Amt ein, das zunächst von Heinrich Schnee, dann von Franz Ritter von Epp geleitet wurde und eine rege Tätigkeit aufnahm. Zu einer erneuten Kolonialisierung in Übersee kam es jedoch nicht. Welche Rolle der Kolonialismus in der Politik Hitlers tatsächlich spielte, ist in der Forschung umstritten.

Bundesrepublik

In der Politik der Nachkriegszeit spielten die ehemaligen deutschen Kolonien kaum noch eine Rolle. Jedoch forderten einzelne westdeutsche Politiker die Übernahme spät- bzw. postkolonialer Aufgaben, etwa in der Treuhandverwaltung von Tanganjika und Togo.[124] Auch innerhalb der afrikanischen Freiheitsbewegung kam es im Rahmen der Dekolonisation vereinzelt zu entsprechenden Anregungen. Ende 1952 schlugen Vertreter der Ewe dem UN-Treuhandrat in einem Memorandum vor, Deutschland möge die durch Großbritannien und Frankreich verwalteten Landeshälften wieder vereinen und in die Unabhängigkeit führen (siehe auch Deutscher Togobund).[125] Die Initiative wurde nicht aufgegriffen. Adolf Friedrich zu Mecklenburg, letzter deutscher Gouverneur Togos, nahm aber 1960 auf Einladung von Sylvanus Olympio als Ehrengast an der Unabhängigkeitsfeier teil.[126]

Bestrebungen, den Kolonialkrieger-Bund nach dem Zweiten Weltkrieg wiederzubeleben, führten 1955 in Hamburg zur Gründung des „Verbandes ehemaliger Kolonialtruppen“, aus dem der heute noch existierende „Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen“ hervorging.

Letzte Reste der schutzgebietsbezogenen Gesetzgebung überdauerten bis zum gesetzlichen Auslaufen der „Kolonialgesellschaften“ 1975 und steuerrechtlichen Anpassungen 1992 (siehe auch Kolonialrecht).

Vertreter der Volksgruppen der Herero und Nama, deren Vorfahren in den Jahren 1904 bis 1908 zu Zehntausenden in der deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, getötet wurden, reichten in den USA Klage gegen Deutschland ein. Ein Bezirksgericht in New York gab im Januar 2017 einer Sammelklage gegen die deutsche Regierung statt. Die Klageschrift spricht von über 100.000 Todesopfern. Dieser Kolonialkrieg gilt als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Im März 2017 wurde außerdem bekannt, dass die Regierung in Windhoek eine Klage gegen Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag prüft. In diesem Zusammenhang war von einer Entschädigungssumme von 30 Milliarden Dollar die Rede.[127]

Heutige Beziehungen zu den ehemaligen Kolonien

Emblem einer in Namibia stationierten Beratergruppe der deutschen Bundeswehr

Deutschland besitzt keine besonderen Beziehungen zu seinen ehemaligen Kolonien, mit Ausnahme von Namibia, in dem es die höchste Pro-Kopf-Entwicklungszusammenarbeit von Deutschland in Afrika gibt.[128] Die Namibische Armee steht in enger Zusammenarbeit mit der deutschen Bundeswehr im Rahmen einer in Namibia stationierten Beratergruppe.[129] Die deutsche Sprache existiert im Gegensatz zum Englischen und Französischen nicht mehr als Amtssprache in den ehemaligen Kolonien. Als Umgangssprache existiert noch die deutsche Sprache in Namibia, wo es circa 20.000 deutschsprachige Bewohner gibt. Ferner ging die deutsche Sprache vereinzelt in anderen Sprachen auf, etwa dem Unserdeutsch, das im Südpazifik nur noch wenige Menschen beherrschen. Deutschland kooperiert wirtschaftlich und kulturell mit vielen Ländern in Afrika, Asien und im Pazifik, unabhängig von seiner Kolonialgeschichte.

Liste der Kolonien des Deutschen Kaiserreiches

In den Jahren 1884 und 1885 schlossen deutsche Reisende in Südwest- und Ostafrika rechtlich zweifelhafte „Schutzverträge“ ab, die gleichwohl durch die Anerkennung der deutschen Reichsregierung offiziellen Status erlangten. Zudem ließ das Deutsche Reich auf Betreiben von Unternehmern Gebiete in Westafrika und im Pazifik direkt „unter Schutz stellen“. Mehreren Gebieten wurde dieser Status jedoch verwehrt oder bald wieder entzogen. Auch nach 1885 kam es zu Grenzabkommen und Gebietsabtretungen bzw. -verpachtungen, die im Falle von Kiautschou und Samoa weitere Kolonien begründeten.

Gebietserwerbungen mit Schutzbriefen und Verträgen

Kolonien in Afrika (1914).

Kolonien und Einflusszonen in Ostasien und Ozeanien um 1914.
  1. Deutsch-Südwestafrika (hervorgegangen aus dem Lüderitzland), 1884 bis 1919, erworben durch Adolf und August Lüderitz (heute Namibia, Südrand des Caprivizipfels an Botswana)
  2. Deutsch-Westafrika, erworben oder bestätigt durch Gustav Nachtigal
    1. Togoland, 1884 bis 1919 (ab 1905 Togo genannt, heute Togo, Ghana-Ostteil)
    2. Kamerun, 1884 bis 1919, bestehend aus Alt- und Neukamerun (heute Kamerun, Nigeria-Ostteil, Tschad-Südwestteil, Zentralafrikanische Republik-Westteil, Republik Kongo-Nordostteil, Gabun-Nordteil)
    3. Kapitaï und Koba, vom Kaufmann Friedrich Colin und seinem Agenten Louis Baur 1884 erworbene Ansprüche auf Teile des späteren Französisch-Guinea, aber deutscher Verzicht zugunsten Frankreichs 1885
    4. Mahinland, durch G. L. Gaiser erworbenes, östlich von Lagos gelegenes Gebiet an der westafrikanischen Küste, das am 11. März 1885[130] unter deutschen Reichsschutz gestellt wurde, jedoch bereits am 24. Oktober 1885 an England abgetreten wurde[131][132]
  3. Deutsch-Ostafrika, 1885 bis 1919, erworben durch Carl Peters (heute Tansania, Ruanda, Burundi, Kionga-Dreieck in Mosambik)
  4. Deutsch-Witu, 1885 bis 1890, erworben durch die Gebrüder Gustav und Clemens Denhardt (heute südliches Kenia)
  5. Deutsch-Somaliküste, 1885 bis 1888, Ansprüche erworben durch Gustav Hörnecke, Claus von Anderten und Karl Ludwig Jühlke (heute Teil von Somalia)
  6. Deutsche Schutzgebiete in der Südsee
    1. Deutsch-Neuguinea (hervorgegangen aus dem Verwaltungsgebiet der Neuguinea-Kompagnie), erworben durch Otto Finsch
      1. Kaiser-Wilhelms-Land, 1885 bis 1919 (heute Teil von Papua-Neuguinea)
      2. Bismarck-Archipel, 1885 bis 1919 (heute Teil von Papua-Neuguinea)
      3. Marshallinseln, 1885 bis 1919 (separates Schutzgebiet bis 1906, unabhängig seit 1990)
      4. nördliche Salomon-Inseln (Bougainville, Buka), 1886 bis 1919 (heute Teil von Papua-Neuguinea)
      5. Teil der südlichen Salomon-Inseln (Choiseul, Ysabel), 1886 bis 1899 (heute Salomonen)
      6. Nauru, 1888 bis 1919 (unabhängig seit 1968)
      7. nördliche Marianen, 1899 bis 1919 (heute als Nördliche Marianen Teil der Außengebiete der Vereinigten Staaten, Marianen)
      8. Palauinseln, 1899 bis 1919 (unabhängig seit 1994)
      9. Karolinen (als Ost- und Westkarolinen verwaltet, Teil Mikronesiens), 1899 bis 1919 (unabhängig seit 1990)
      10. Die Inseln Sonsorol, Merir, Pulo Anna, Tobi und das Helen-Riff, 1901 bis 1919 (mit den Palauinseln unabhängig seit 1994)
    2. Deutsche Samoa-Inseln, 1900 bis 1919 (heute unabhängiger Staat Samoa)
      1. Savaiʻi
      2. Upolu
  7. Deutsche Besitzungen in China
    1. Deutsche Konzession in Hankau von 1895 bis 1919
    2. Deutsche Konzession in Tientsin von 1895 bis 1919
    3. Kiautschou, 1898 bis 1919, erkundet durch Georg Franzius und besetzt durch Otto von Diederichs (heute Teil der Volksrepublik China). Kiautschou war genau genommen keine Kolonie, sondern ein Pachtgebiet des Deutschen Reiches, das von China für 99 Jahre gepachtet wurde. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. erklärte aber am 27. April 1898 Kiautschou zum deutschen Schutzgebiet.

Gebietserwerbungen ohne Reichsschutz oder Rechtsgültigkeit

  1. Deutsche Kolonialbestrebungen in Südostafrika (heute Teile Südafrikas):
    1. Santa Lucia Bay (ehemals Königreich Zululand), von August Einwald und Adolf Schiel im Namen von Adolf Lüderitz am 13. November 1884 vertraglich erworben, aber am 5. Mai 1885 endgültig als britische Interessensphäre anerkannt[133][134]
    2. Pondoland, Region, die der badische Leutnant Emil Nagel 1885 zu erwerben versuchte, ohne Reichsschutz zu erhalten[135][136][137]
  2. Makada und Mioko, Inseln im Bismarck-Archipel, auf denen der deutsche Korvettenkapitän Bartholomäus von Werner 1878 für das Deutsche Reich Häfen erwarb, die erst 1884 unter Reichsschutz gestellt wurden[138][139][140]
  3. Nokki, Ort am südlichen Ufer des Kongo-Unterlaufs.[141] Das kleine Gebiet „erwarb“ Eduard Schulze im Zuge der deutschen Kongoexpedition von 1884/85, an der auch Richard Kund und Hans Tappenbeck teilnahmen.[142] Eine Flaggenhissung am 12. Dezember 1884 sollte es der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland sichern.[143][144] Die Association internationale du Congo trat das Gebiet Anfang 1885 ab.[145] Bismarck, gerade Gastgeber der Kongokonferenz, missbilligte die Expedition und entzog der Gesellschaft die finanzielle Unterstützung durch den Afrikafond.[146]
  4. Westafrikanische Gebiete, für die 1895 im Zuge der Togo-Hinterlandexpedition unter Leitung von Hans Gruner nicht-ratifizierte Schutzverträge abgeschlossen wurden, die international keine Anerkennung fanden:[147]
    1. Gurma, ein Reich der Gourmantché im heutigen Burkina Faso. Die Provinzherrscher von Pama und Matschakuale schlossen im Januar 1895 Verträge mit Ernst von Carnap-Quernheimb und nahmen die deutsche Flagge an. Gaston Thierry begann mit dem Aufbau einer Verwaltung in Pama und eines Postens in Matschakuale. Im Juli 1897 wurde das Gebiet jedoch Frankreich zugeschlagen, das parallel einen Vertrag in Fada N’Gourma geschlossen hatte. Das Gebiet wurde Teil der Kolonie Obersenegal und Niger.[148]
    2. Gando, ein Reich der Fulbe im heutigen Niger und Nigeria. Emir `Umaru Bakatara dan Khalilu gewährte Hans Gruner Anfang April 1895 in seiner Residenz Gando eine Audienz, die in Vertragsverhandlungen mündete. Der Darstellung Gruners zufolge unterzeichnet der Emir dabei einen Schutzvertrag mit dem Deutschen Reich.[149] Spätere Forschungen ergaben jedoch, dass der Vertragstext nachträglich verändert wurde.[150]
  5. Gebiete in der späteren Provinz Katanga, die Paul Reichard für Deutschland zu erwerben versuchte, aber von der deutschen Regierung dem Kongo-Freistaat zuerkannt wurden, so dass sie den im Februar 1886 erbetenen Reichsschutz ablehnte.[151][152]
  6. Im Juni 1886 wurden die Komoren-Inseln durch Dr. Carl Schmidt für die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) durch Kauf erworben und eine DOAG-Station auf den Inseln eröffnet und Dr. Aurel Schulz erwarb Rechtstitel für die Gesellschaft im südwestlichen Madagaskar. Das Reich lehnte die Ausdehnung seiner Schutzherrschaft über diese Gebiete ab, solange die DOAG keine Verwaltung in diesen Gebieten geschaffen habe. Aus Kapitalmangel konnte die Gesellschaft auf den Komoren und im südwestlichen Madagaskar keine Verwaltung aufbauen und so wurde diesen Gebieten auch kein Reichsschutz gewährt.[153]
  7. Bäreninsel, Eismeer: 1898/99 private deutsche Inbesitznahme der Insel durch Theodor Lerner mit Vorbereitung vom Deutschen Reich, im Jahre 1899 die Insel als Kolonie zu übernehmen, worauf auch Russland Anspruch auf die Insel erhob und man sich einigte, dass keine Seite die Insel beanspruchen dürfe.
  8. Farasan-Inseln im Roten Meer, zum Osmanischen Reich gehörend, vom Admiralstab der deutschen Marine beansprucht und im Oktober 1899 eine bewachte Kohlenstation dort angelegt zur Versorgung der deutschen Kriegsschiffe auf dem Weg nach Ostasien. Von der deutschen Regierung Erwerb abgelehnt und im Oktober 1902 die Entscheidung auf den Verzicht auf die Inseln der Regierung in Konstantinopel mitgeteilt.[154]
  9. Nyassaland, der nördliche Teil der portugiesischen Kolonie Mosambik, wurde im Mai 1914 von einem deutschen Bankenkonsortium erworben und sollte dem deutschen Kolonialreich zugeschlagen werden. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam es nicht mehr dazu.

Sonstige Gebiete

In der Südsee:

Deutsche Spuren auf Antarktika:

Siehe auch

Film und Fernsehen

Literatur

  • Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-56248-8.
  • Karlheinz Graudenz, Hanns-Michael Schindler: Die deutschen Kolonien. Weltbildverlag, Augsburg 1994, ISBN 3-89350-701-9.
  • Horst Gründer, Hermann Joseph Hiery (Hrsg.): Die Deutschen und ihre Kolonien – Ein Überblick. be.bra Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-89809-137-4.
  • Horst Gründer: Geschichte der deutschen Kolonien. 6. überarbeitete und erweiterte Auflage. Schöningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-8252-3639-7.
  • Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hrsg.): „… Macht und Anteil an der Weltherrschaft.“ Berlin und der deutsche Kolonialismus. Unrast-Verlag, Münster 2005, ISBN 3-89771-024-2.
  • Ulrich van der Heyden (Hrsg.): Studien zur Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika. Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Sebald. Centaurus-Verlagsgesellchaft, Pfaffenweiler 1995, ISBN 978-3-89085-939-2.
  • Hermann Joseph Hiery (Hrsg.): Die deutsche Südsee 1884–1914. Ein Handbuch. 2., durchgesehene und verbesserte Auflage. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2002, ISBN 3-506-73912-3.
  • Hermann Joseph Hiery (Hrsg.): Bilder aus der deutschen Südsee: Fotografien 1884–1921. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2005, ISBN 978-3-506-70112-1.
  • Thomas Höpker, Jürgen Petschull: Der Wahn vom Weltreich. Die Geschichte der deutschen Kolonien. Manfred Pawlak Verlag, Herrsching 1986, ISBN 3-88199-315-0.
  • Birthe Kundrus (Hrsg.): Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Campus, Frankfurt am Main/New York 2003, ISBN 978-3-593-37232-7.
  • Birthe Kundrus: Moderne Imperialisten. Das Kaiserreich im Spiegel seiner Kolonien. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2003, ISBN 978-3-412-18702-6.[155]
  • Susanne Kuß: Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen. Eskalation von Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-603-1.
  • Bernd G. Längin: Die deutschen Kolonien – Schauplätze und Schicksale 1884–1918. Mittler, Hamburg/Berlin/Bonn 2004, ISBN 978-3-8132-0821-4.
  • Heiko Möhle (Hrsg.): Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika. Assoziation, Hamburg 1999, ISBN 3-922611-72-9.
  • Dominik Nagl: Grenzfälle. Staatsangehörigkeit, Rassismus und nationale Identität unter deutscher Kolonialherrschaft. Peter Lang, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-631-56458-5.
  • Walter Nuhn: Kolonialpolitik und Marine. Die Rolle der Kaiserlichen Marine bei der Gründung und Sicherung des deutschen Kolonialreiches 1884–1914. Bernard & Graefe, Bonn 2002, ISBN 3-7637-6241-8.
  • Francesca Schinzinger: Die Kolonien und das Deutsche Reich. Die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Besitzungen in Übersee. (= Wissenschaftliche Paperbacks Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Band 20). Franz Steiner, Stuttgart 1984, ISBN 978-3-515-04201-7.
  • Winfried Speitkamp: Deutsche Kolonialgeschichte. Reclam, Stuttgart 2005, ISBN 3-15-017047-8.
  • Julian Steinkröger: Strafrecht und Strafrechtspflege in den deutschen Kolonien: Ein Rechtsvergleich innerhalb der Besitzungen des Kaiserreichs in Übersee. Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2019, ISBN 978-3-339-11274-3.
  • Hans Georg Steltzer: Die Deutschen und ihr Kolonialreich. Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-7973-0416-1.
  • Hartmut Pogge von Strandmann: Imperialismus vom Grünen Tisch. Deutsche Kolonialpolitik zwischen wirtschaftlicher Ausbeutung und „zivilisatorischen“ Bemühungen. Ch. Links, Berlin 2009, ISBN 978-3-86153-501-0.
  • Helmut Strizek: Geschenkte Kolonien. Ruanda und Burundi unter deutscher Herrschaft. Ch. Links, Berlin 2006, ISBN 978-3-7632-5849-9.
  • Norbert Berthold Wagner: Die deutschen Schutzgebiete. Erwerb, Organisation und Verlust aus juristischer Sicht. Nomos, Baden-Baden 2002, ISBN 3-7890-8033-0.

Weblinks

Commons: Deutscher Kolonialismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Wikisource: Themenseite Kolonialismus – Quellen und Volltexte

Wikisource: Die Kolonien (1914) – Quellen und Volltexte

Wiktionary: Kolonie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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Deutsches Kaiserreich

Deutsches Reich
Deutsches Kaiserreich
1871–1918
Nationalflagge des Deutschen Reiches: Schwarz-Weiß-Rot Wappen Deutsches Reich - Reichsadler 1889.svg
Flagge Wappen
Flag of the German Empire.svg Navigation Flag of Germany (3-2 aspect ratio).svg
Verfassung Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871
Amtssprache Deutsch
Hauptstadt Berlin
Staatsform föderale Erbmonarchie
Regierungssystem
– 1871 bis 1918
– 1918
konstitutionelle Monarchie
parlamentarische Monarchie
Staatsoberhaupt
– 1871 bis 1888
– 1888
– 1888 bis 1918
Deutscher Kaiser, König von Preußen
Wilhelm I.
Friedrich III.
Wilhelm II.
Regierungschef
– 1871 bis 1890
– 1890 bis 1894
– 1894 bis 1900
– 1900 bis 1909
– 1909 bis 1917
– 1917
– 1917 bis 1918
– 1918
Reichskanzler
Fürst Otto von Bismarck
Graf Leo von Caprivi
Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst
Fürst Bernhard von Bülow
Theobald von Bethmann Hollweg
Georg Michaelis
Graf Georg von Hertling
Prinz Max von Baden
Fläche
– 1910
540.858 km²
Einwohnerzahl
– 1871 (1. Dez.)
– 1890 (1. Dez.)
– 1910 (1. Dez.)
41.058.792
49.428.470
64.925.993
Bevölkerungsdichte
– 1871
– 1890
– 1910
76 Einwohner pro km²
91 Einwohner pro km²
120 Einwohner pro km²
Währung 1 Mark = 100 Pfennig
Gründung
– 1. Januar 1871
– 18. Januar 1871
Inkrafttreten der neuen Verfassung
Proklamation des Kaisers
Nationalhymne Keine.
Kaiserhymne: Heil dir im Siegerkranz
Nationalfeiertag inoffiziell am 2. September (Sedantag)
Zeitzone
– 1871 bis 1893
– 1893 bis 1918
keine einheitliche Zeitzone
MEZ
Kfz-Kennzeichen
– 1871 bis 1907
– 1907 bis 1918
keine einheitliche Regelung
D
Karte
Karte des Deutschen Reichs

Deutsches Kaiserreich ist die retrospektive Bezeichnung für die Phase des Deutschen Reichs von 1871 bis 1918 zur eindeutigen Abgrenzung gegenüber der Zeit nach 1918. Im Deutschen Kaiserreich war der deutsche Nationalstaat eine bundesstaatlich (oder auch gliedstaatlich) organisierte konstitutionelle Monarchie.[1]

Die deutsche Reichsgründung erfolgte mit Beginn der Wirksamkeit der neuen Verfassung zum 1. Januar 1871.[2] Sie wurde durch ein wenig spektakuläres, geheim vorbereitetes militärisch-höfisches Zeremoniell inszeniert, die Kaiserproklamation des preußischen Königs Wilhelm I. am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles.[3] Währenddessen befand sich das Kaiserreich noch im Deutsch-Französischen Krieg. Auf kleindeutscher Grundlage und unter der Herrschaft der preußischen Hohenzollern war damit erstmals ein deutscher Nationalstaat entstanden. Hauptresidenz des deutschen Kaisers und preußischen Königs war das Berliner Schloss.

Während der Zeit des Kaiserreichs war Deutschland wirtschafts- und sozialgeschichtlich geprägt durch die Hochindustrialisierung. Ökonomisch und sozial-strukturell begann es sich besonders ab den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vom Agrar- zum Industrieland zu wandeln. Auch der Dienstleistungssektor gewann mit dem Ausbau des Handels und des Bankwesens wachsende Bedeutung. Das auch durch die französischen Kriegsreparationen nach 1871 verursachte Wirtschaftswachstum wurde durch den sogenannten Gründerkrach von 1873 und die ihm folgende langjährige Konjunkturkrise zeitweilig gebremst. Trotz erheblicher politischer Folgen änderte dies nichts an der strukturellen Entwicklung hin zum Industriestaat.

Kennzeichnend für den gesellschaftlichen Wandel war eine stark international orientierte Reformbewegung, in deren Verlauf die „soziale Frage“ mit Armutsskandalisierung und -bekämpfung vorangetrieben wurde, aber auch demokratische Reformen und Frauenrechte forciert wurden.[4] Strukturelle Grundlage dieser Veränderungen waren neben der Massenpolitisierung ein rapides Bevölkerungswachstum, Binnenwanderung und Urbanisierung. Die Gesellschaftsstruktur wurde durch die Zunahme der städtischen Arbeiterbevölkerung und – vor allem in den Jahren ab etwa 1890 – auch des neuen Mittelstandes aus Technikern, Angestellten sowie kleinen und mittleren Beamten wesentlich verändert. Dagegen ging die wirtschaftliche Bedeutung des Handwerks und der Landwirtschaft – bezogen auf deren Beiträge zum Volkseinkommen – eher zurück.

Die innen- und außenpolitische Entwicklung wurde bis 1890 vom ersten und am längsten amtierenden Kanzler des Reiches bestimmt, Otto von Bismarck. Dessen Regierungszeit lässt sich in eine relativ liberale Phase, geprägt von innenpolitischen Reformen und vom Kulturkampf, und eine eher konservativ geprägte Zeit nach 1878/79 einteilen. Als Zäsur gelten der Übergang zum Staatsinterventionismus (Schutzzoll, Sozialversicherung) sowie das Sozialistengesetz.

Bismarck versuchte außenpolitisch, das Reich durch ein komplexes Bündnissystem abzusichern (z. B. Zweibund mit Österreich-Ungarn 1879). Ab 1884 begann der – später intensivierte – Einstieg in den überseeischen Imperialismus. Es folgten internationale Interessenkonflikte mit anderen Kolonialmächten, insbesondere der Weltmacht Großbritannien.

Die Phase nach der Ära Bismarck wird oft als Wilhelminisches Zeitalter bezeichnet, weil Kaiser Wilhelm II. (ab 1888) nach der Entlassung Bismarcks persönlich in erheblichem Umfang Einfluss auf die Tagespolitik ausübte. Allerdings spielten daneben auch andere, teilweise konkurrierende Akteure eine wichtige Rolle. Sie beeinflussten die Entscheidungen des Kaisers und ließen sie oft widersprüchlich und unberechenbar erscheinen.

Durch den Aufstieg von Massenverbänden und -parteien sowie die wachsende Bedeutung der Presse gewann zudem die öffentliche Meinung an Gewicht. Nicht zuletzt darum versuchte die Regierung mit einer imperialistischen Weltpolitik, einer antisozialdemokratischen Sammlungspolitik und einer populären Flottenrüstung (siehe Flottengesetze) ihren Rückhalt in der Bevölkerung zu erhöhen. Außenpolitisch führte Wilhelms Weltmachtstreben jedoch in die Isolation; durch diese Politik hat das Reich dazu beigetragen, die Gefahren eines großen Krieges zu erhöhen. Als dieser Erste Weltkrieg[5] schließlich 1914 ausgelöst wurde, war das Reich in einen Mehrfrontenkrieg verwickelt. Auch in der Innenpolitik gewann das Militär an Einfluss. Mit der zunehmenden Anzahl von Kriegstoten an den Fronten und der sozialen Not in der Heimat (gefördert durch alliierte Seeblockaden) begann die Monarchie an Rückhalt zu verlieren.

Erst gegen Kriegsende kam es zu den Oktoberreformen 1918, die unter anderem bestimmten, dass der Reichskanzler das Vertrauen des Reichstages haben musste. Schon bald darauf wurde in der Novemberrevolution die Republik ausgerufen, und die verfassunggebende Nationalversammlung in Weimar konstituierte das Reich 1919 als parlamentarische Demokratie. Das heutige Deutschland ist völkerrechtlich mit dem Deutschen Reich des Jahres 1871 identisch, auch wenn sich Regierungsform und Verwaltungsgebiet seither mehrmals geändert haben.

Vorgeschichte

Die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts war bis zur Nationalstaatsgründung geprägt von vielfachen politischen und territorialen Veränderungen, die nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ab 1806 in eine neue Phase eingetreten waren. Das Alte Reich, ein von den römisch-deutschen Kaisern geführtes vor- und übernationales Gebilde – seit Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend geprägt von den Interessengegensätzen seiner beiden Großmächte Österreich und dem aufstrebenden Preußen –, zerbrach durch die Napoleonischen Kriege und die von Frankreich initiierte Gründung des Rheinbundes.

Die Ideen der Französischen Revolution zwischen 1789 und 1799 und die gegen die nachfolgende Hegemonialpolitik Napoleon Bonapartes gerichteten Befreiungskriege führten in nahezu ganz Europa, einschließlich des deutschen Sprachraums, zu Nationalstaatsbewegungen mit der Vorstellung der Nation als Grundlage der Staatenbildung. Als großdeutsche Lösung wurde dabei ein einheitliches Reich unter Einbeziehung der deutschen Siedlungsgebiete des Kaisertums Österreich, Preußens und Dänemarks bezeichnet, als kleindeutsche Lösung ein Deutsches Reich entsprechend ohne Österreich unter preußischer Führung.

Nach dem Sieg der gegen Frankreich stehenden Mächte Europas (ihnen voran Großbritannien, Preußen, Russland und Österreich) über die Armeen Napoleons hatten die deutschen Fürsten jedoch kein Interesse an einer zentralen Macht, die ihre eigene Herrschaft begrenzen würde. Auf dem Wiener Kongress wurde 1815 daher lediglich der Deutsche Bund gegründet, ein lockerer Zusammenschluss jener Gebiete, die vor 1806 zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehört hatten. Die dem Wiener Kongress folgende, in der späteren Geschichtsschreibung als Vormärz bezeichnete Ära war geprägt von der Restaurationspolitik, die überstaatlich vom österreichischen Staatskanzler Clemens Wenzel Fürst von Metternich dominiert war. Im Rahmen der sogenannten Heiligen Allianz, einem zunächst zwischen Österreich, Preußen und Russland geschlossenen Bündnis, sollte die Restauration innenpolitisch und zwischenstaatlich die Machtverhältnisse des Ancien Régime in Europa wiederherstellen, wie sie vor der Französischen Revolution von 1789 geherrscht hatten.

Jubelnde Revolutionäre nach Barrikadenkämpfen am 18. März 1848 in Berlin (Kreidelithographie eines unbekannten Künstlers)

Nationalstaatliche und bürgerlich-demokratische Bewegungen standen der Restaurationspolitik entgegen. Sie führten zu zahlreichen Erhebungen in weiten Teilen Mitteleuropas, zu denen schließlich auch die Märzrevolution von 1848 in den deutschen Staaten zählt. Abgeordnete des durch die Revolution neu entstandenen ersten gesamtdeutschen, demokratisch gewählten Parlaments, der Frankfurter Nationalversammlung, boten nach der Verabschiedung der Paulskirchenverfassung dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. im Rahmen der kleindeutschen Lösung die deutsche Kaiserkrone an. Weil dieser aber mit Berufung auf sein „Gottesgnadentum“ ablehnte, scheiterte der Versuch, den Großteil der deutschen Staaten auf konstitutioneller Basis zu vereinigen.

Der Deutsche Bund bestand nach der letztlich gewaltsamen Niederschlagung der revolutionären Bewegung von 1848/49 noch bis 1866 fort. Nach einem Jahrzehnt der politischen Reaktion (Reaktionsära), in dem demokratische und liberale Bestrebungen erneut unterdrückt wurden, bildeten sich ab Beginn der 1860er Jahre in den deutschen Staaten die ersten politischen Parteien im heutigen Sinn. Das Verhältnis von Österreich und Preußen war in den 1850er-Jahren von Zusammenarbeit geprägt, danach wieder von Rivalität. Unterschiedliche Vorstellungen zeigten sich etwa beim Frankfurter Fürstentag 1863: Österreich und die Mittelstaaten wie Bayern wollten den Deutschen Bund als Staatenbund ausbauen, während Preußen eine bundesstaatliche Lösung bevorzugte. Im Deutsch-Dänischen Krieg 1864 arbeiteten die beiden Großmächte wieder zusammen, zerstritten sich dann aber über die Beute Schleswig-Holstein.

Durch preußische Provokation (dem Einmarsch ins österreichisch verwaltete Holstein) wurde 1866 der Deutsche Krieg Preußens gegen Österreich ausgelöst, in dem die Armeen Preußens und einiger norddeutscher Staaten gemeinsam mit Italien gegen die Truppen Österreichs kämpften, das mit den süddeutschen Staaten, unter anderen Baden, Bayern, Hessen und Württemberg, verbündet war. Nach der Niederlage musste Österreich die Auflösung des Deutschen Bundes anerkennen und hinnehmen, dass Preußen mit den Staaten nördlich der Mainlinie den Norddeutschen Bund als zunächst militärisches Bündnis gründete. Dieser erhielt 1867 eine bundesstaatliche Verfassung. Die zuvor mit Österreich alliierten süddeutschen Staaten schlossen Schutz- und Trutzbündnisse mit Preußen ab.

Otto von Bismarck und Frankreichs Kaiser Napoleon III. nach der Schlacht bei Sedan (nach einem Gemälde von Wilhelm Camphausen von 1878)

Ausgelöst durch einen diplomatischen Streit um die spanische Erbfolge begann 1870 der Deutsch-Französische Krieg. Die Kriegserklärung kam von französischer Seite, nachdem der preußische Ministerpräsident Bismarck Frankreich politisch bloßgestellt hatte. Die süddeutschen Staaten nahmen am Krieg teil und traten zum 1. Januar 1871 dem Norddeutschen Bund bei. Die drei Kriege zwischen 1864 und 1871 werden auch als deutsche Einigungskriege bezeichnet.

Reichsgründung

Nach dem deutschen Sieg bei Sedan und der Gefangennahme des französischen Kaisers Napoleon III. (beides am 2. September 1870) war der Weg für die Reichsgründung frei. Bismarck begann mit den süddeutschen Staaten zu verhandeln. Dies bedeutete den Beitritt Bayerns, Württembergs und Badens zum Norddeutschen Bund durch die im November 1870 vereinbarte Gründung eines neuen „Deutschen Bundes“.[6] Andere Pläne wie der eines Doppelbundes, wie ihn etwa Bayern vorgeschlagen hatten, waren nunmehr chancenlos. Die bismarcksche Lösung garantierte zum einen eine Dominanz Preußens auch im neuen, sogenannten zweiten Deutschen Reich. Zum anderen bedeutete der gestärkte monarchische Föderalismus eine Barriere gegen Tendenzen zur Parlamentarisierung.

In der deutschen Öffentlichkeit wurden Forderungen nach einer Annexion des Elsass und Teilen Lothringens erhoben, und Bismarck machte sich diese Forderungen zu eigen. Dies verlängerte den Krieg, war ein Grund für die Verstärkung der „deutsch-französischen Erbfeindschaft“ (siehe auch französischer Revanchismus) und gab der nationalen Begeisterung in Deutschland weiteren Auftrieb. Letztere erleichterte Bismarck die Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten, die in den Novemberverträgen mündeten.

Kaiserliche Hauptresidenz Berliner Stadtschloss und Nationaldenkmal um 1900

Gleichwohl musste er Zugeständnisse machen, die sogenannten Reservatrechte. So behielt Bayern in Friedenszeiten eine eigene Armee (Bayerische Armee). Überdies hielt es genauso wie Württemberg an einem eigenen Postwesen fest. Die süddeutschen Staaten insgesamt behielten ihre staatlichen Eisenbahnen (Königlich Bayerische Staatseisenbahnen, Königlich Württembergische Staats-Eisenbahnen, Großherzoglich Badische Staatseisenbahnen, Großherzoglich Hessische Staatseisenbahnen). In der Außenpolitik pochten sie erfolgreich auf eigene diplomatische Beziehungen.

Der preußische König, Inhaber des Bundespräsidiums, erhielt den zusätzlichen Titel „Deutscher Kaiser“. Diese Benennung war staatsrechtlich von untergeordneter, symbolisch jedoch von erheblicher Bedeutung – die Erinnerung an das Alte Reich erleichterte die Identifikation mit dem neuen Staat. Um die monarchische Legitimität des Nationalstaats zu betonen, war es Bismarck wichtig, dass König Ludwig II. als Monarch des größten Beitrittslandes König Wilhelm I. die Kaiserkrone antragen sollte.[7] Nach Verabredungen über Aufbesserungen seiner Privatkasse erklärte sich der widerstrebende, aber politisch isolierte bayerische König zu diesem Schritt bereit und schlug in dem von Bismarck vorformulierten Kaiserbrief vom 30. November 1870 König Wilhelm zum deutschen Kaiser vor. Die geheimen jährlichen Zuwendungen, die Bismarck aus dem Welfenfonds für Ludwig abzweigte, summierten sich auf 4 bis 5 Millionen Mark. Bezeichnend für den Charakter des neuen Reiches war, dass die Vertreter des Norddeutschen Reichstages warten mussten, bis die Bundesfürsten ihre Zustimmung zur Kaiserwürde erklärt hatten. Erst danach durften die Abgeordneten den König um eine Annahme der Kaiserkrone bitten. Dies stand im deutlichen Kontrast zur Kaiserdeputation von 1849.

König Wilhelm selbst, der – nicht zu Unrecht – fürchtete, dass der neue Titel die preußische Königswürde überdecken werde, blieb lange ablehnend. Wenn überhaupt, verlangte er den Titel eines „Kaisers von Deutschland“. Bismarck warnte, dass die süddeutschen Monarchen dies kaum akzeptieren würden. Außerdem lautete der verfassungsmäßige Titel seit dem 1. Januar bereits „Deutscher Kaiser“. Wilhelm ließ es dann bei der Kaiserproklamation am 18. Januar geschehen, dass der badische Großherzog ein Hoch auf „Kaiser Wilhelm“ ausrief.

Am 3. März 1871 kam es dann zu den ersten Reichstagswahlen. Die erste konstituierende Reichstagssitzung fand am 21. März im Preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin statt, das zur Reichshauptstadt erklärt wurde. Danach wurde die Verfassung vom 1. Januar 1871 überarbeitet und am 16. April verabschiedet[8]; sie ist normalerweise gemeint, wenn von der „Bismarckschen Reichsverfassung“ die Rede ist.

Der Friede von Frankfurt beendete offiziell den Deutsch-Französischen Krieg. Die Unterzeichnung fand am 10. Mai statt. Das Reichsmünzgesetz vereinheitlichte die deutschen Währungen, die Mark wurde 1876 als einheitliches Währung im Reich eingeführt und ersetzte die bisherigen Zahlungsmittel der Einzelstaaten. Die neue Mark-Währung basierte auf dem Goldstandard.

Struktur des Reiches

Gebietsgliederung

Dem Kaiserreich gehörten 25 Bundesstaaten (Bundesglieder) – darunter die drei republikanisch verfassten Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck – sowie das Reichsland Elsaß-Lothringen an.

Gliederung des deutschen Kaiserreichs 1871–1918[9]
Bundesstaat Staatsform Hauptstadt Fläche in km² (1910) Einwohner (1871)[10] Einwohner (1900)[11] Einwohner (1910)
Königreich Preußen Monarchie Berlin 348.780 24.691.085 34.472.509 40.165.219
Königreich Bayern Monarchie München 75.870 4.863.450 6.524.372 6.887.291
Königreich Württemberg Monarchie Stuttgart 19.507 1.818.539 2.169.480 2.437.574
Königreich Sachsen Monarchie Dresden 14.993 2.556.244 4.202.216 4.806.661
Großherzogtum Baden Monarchie Karlsruhe 15.070 1.461.562 1.867.944 2.142.833
Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin Monarchie Schwerin 13.127 557.707 607.770 639.958
Großherzogtum Hessen Monarchie Darmstadt 7.688 852.894 1.119.893 1.282.051
Großherzogtum Oldenburg Monarchie Oldenburg 6.429 314.591 399.180 483.042
Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach Monarchie Weimar 3.610 286.183 362.873 417.149
Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz Monarchie Neustrelitz 2.929 96.982 102.602 106.442
Herzogtum Braunschweig Monarchie Braunschweig 3.672 312.170 464.333 494.339
Herzogtum Sachsen-Meiningen Monarchie Meiningen 2.468 187.957 250.731 278.762
Herzogtum Anhalt Monarchie Dessau 2.299 203.437 316.085 331.128
Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha Monarchie Coburg/Gotha 1.977 174.339 229.550 257.177
Herzogtum Sachsen-Altenburg Monarchie Altenburg 1.324 142.122 194.914 216.128
Fürstentum Lippe Monarchie Detmold 1.215 111.135 138.952 150.937
Fürstentum Waldeck Monarchie Arolsen 1.121 56.224 57.918 61.707
Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt Monarchie Rudolstadt 941 75.523 93.059 100.702
Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen Monarchie Sondershausen 862 67.191 80.898 89.917
Fürstentum Reuß jüngere Linie Monarchie Gera 827 89.032 139.210 152.752
Fürstentum Schaumburg-Lippe Monarchie Bückeburg 340 32.059 43.132 46.652
Fürstentum Reuß älterer Linie Monarchie Greiz 316 45.094 68.396 72.769
Freie und Hansestadt Hamburg Republik Hamburg 414 338.974 768.349 1.014.664
Freie und Hansestadt Lübeck Republik Lübeck 298 52.158 96.775 116.599
Freie Hansestadt Bremen Republik Bremen 256 122.402 224.882 299.526
Reichsland Elsaß-Lothringen Monarchie Straßburg 14.522 1.549.738 1.719.470 1.874.014
Deutsches Reich Monarchie Berlin 540.858 41.058.792 56.367.178 64.925.993

Deutsches Reich (Karte).svg

Verwaltungsgliederung (1. Januar 1900)

Geografisch-politische Lage in Mitteleuropa

Das Kaiserreich hatte acht Nachbarstaaten:

Im Norden grenzte es an Dänemark (77 Kilometer), im Nordosten und Osten an das Russische Reich (1.322 Kilometer), im Südosten und Süden an Österreich-Ungarn (2.388 Kilometer), im Süden an die Schweiz (385 Kilometer), im Südwesten an Frankreich (392 Kilometer), im Westen an Luxemburg (219 Kilometer) und Belgien (84 Kilometer) und im Nordwesten an die Niederlande (567 Kilometer).

Die Grenzlänge betrug insgesamt 5.434 Kilometer (ohne Grenze im Bodensee).

Diese Position wurde in der deutschen Debatte um die vermeintliche „Natürlichkeit“ von historisch bedingten Grenzen und Räumen einer Nation seit Beginn des 19. Jahrhunderts als „Mittellage“ in Europa gekennzeichnet.[12] Diese Diskussion hielt auch während des Kaiserreichs an[13] und findet bis heute[14] Vertreter wie den Publizisten Joachim Fest:

„Deutschlands Schicksal ist die Mittellage in Europa. Entweder wird es von allen Nachbarn bedroht oder es bedroht alle Nachbarn.“

Symbole des Reiches

Wappen und Flaggen im Jahr 1900

Das Deutsche Reich hatte keine offizielle Nationalhymne. Als Ersatz galten die Lieder Heil dir im Siegerkranz, dessen Melodie mit der britischen Nationalhymne identisch ist, sowie Die Wacht am Rhein und das Lied der Deutschen.[15]

Nach Art. 55 RV waren Schwarz-Weiß-Rot die Farben der Marineflagge und der Kauffahrteiflagge. Sie stammen noch aus der Zeit des Norddeutschen Bundes. Die Farben setzen sich aus den Farben Preußens (schwarz und weiß) und denen der Freien und Hansestädte (weiß über rot) zusammen. Erst 1892 wurde durch Allerhöchsten Erlaß Schwarz-Weiß-Rot zur Nationalflagge bestimmt.

Verfassung

Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 ging aus der 1866 ausgearbeiteten Verfassung des Norddeutschen Bundes hervor; Otto von Bismarck hatte sie maßgeblich geprägt und auf sich zugeschnitten. Sie war zum einen ein Organisationsstatut, welches die Kompetenzen der Staatsorgane, durch die das Reich handelte, und sonstiger Einrichtungen des Reiches gegenseitig nach innen abgrenzte. Sie legte andererseits die Zuständigkeit des Reiches gegenüber den Bundesstaaten fest. Hier folgte sie dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Das Reich durfte nur für diejenigen Angelegenheiten tätig werden, die dem Reich in der Verfassung ausdrücklich als Zuständigkeit zugewiesen wurden. Im Übrigen waren die Bundesstaaten zuständig.

Vereinfachte graphische Darstellung der Reichsverfassung, so gab es keine „Reichsregierung“ mit verantwortlichen Ministern im Wortsinn, sondern nur eine „Reichsleitung“ aus dem Reichskanzler untergeordneten Staatssekretären

Die Reichsverfassung verfügt über keinen Grundrechtsteil, der die Beziehung zwischen Untertan (Bürger) und Staat mit Verfassungsrang rechtlich näher ausgestaltet hätte. Lediglich ein Benachteiligungsverbot auf Grund der Staatsbürgerschaft eines Bundesstaates (Inländergleichbehandlung) war normiert. Der fehlende Grundrechtsteil musste sich nicht zwangsläufig nachteilig auswirken. Weil die Bundesstaaten in der Regel die Reichsgesetze vollzogen, wurden nur sie rechtseingreifend gegenüber dem Bürger tätig. Maßgeblich war daher, ob und welche Grundrechte die Landesverfassungen vorsahen. So enthielt beispielsweise die für den Preußischen Staat geltende Verfassung vom 31. Januar 1850 einen Grundrechtskatalog.

Nach seiner Verfassung war das Deutsche Reich ein „ewiger Bund“ der Bundesfürsten. Dem entsprach, dass das Deutsche Reich ein Bundesstaat war. Seine Gliedstaaten hatten ausgeprägte Eigenzuständigkeiten, wobei ihnen zusätzlich über den Bundesrat eine bedeutende Gestaltungsfunktion auf Reichsebene zufiel. Der Bundesrat war von Verfassungs wegen als der eigentliche Souverän des Reiches gedacht. Seine Kompetenzen waren dabei sowohl legislativer wie auch exekutiver Art. Realpolitisch blieb seine Bedeutung als eigenständiges Machtzentrum aus verschiedenen Gründen allerdings beschränkt. Ein Aspekt war, dass Preußen als größter Bundesstaat zwar nur über 17 von 58 Stimmen verfügte, sich die nord- und mitteldeutschen Kleinstaaten aber fast immer dem preußischen Votum anschlossen.[16]

Der König von Preußen bildete das Präsidium des Bundes und trug den Titel eines Deutschen Kaisers. Dem Kaiser standen beachtliche Kompetenzen zu, die weit über das hinausgingen, was die Bezeichnung Präsidium des Bundes vermuten ließ. Er ernannte und entließ den Reichskanzler und die Reichsbeamten (insbesondere die Staatssekretäre). Er bestimmte mit dem Reichskanzler, der in der Regel auch noch preußischer Ministerpräsident und preußischer Außenminister war, die Außenpolitik des Reiches. Der Kaiser führte den Oberbefehl über die Kriegsmarine und über das deutsche Heer (über das bayerische Heer nur in Kriegszeiten). Insbesondere sah die Verfassung vor, dass der Kaiser, falls erforderlich, mittels des Heeres die innere Sicherheit wiederherstellen konnte. Diese Konzentration der Kommandogewalt wurde oftmals in der Innenpolitik als Druckmittel eingesetzt. Die süddeutschen Königreiche Württemberg und Bayern behielten sich bei den Verfassungsverhandlungen Reservatrechte vor. Allerdings war die Macht weder des preußischen Königs noch des deutschen Kaisers absolut, sondern sie standen in der Tradition des deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts wenn auch mit Elementen, die außerhalb der Verfassung standen.[17]

Der Reichskanzler war in diesem Machtgefüge der dem Kaiser verantwortliche Reichsminister, dem die Staatssekretäre unterstanden. Er hatte den Vorsitz des Bundesrates inne, stand der Reichsverwaltung vor und war in der Regel zugleich preußischer Ministerpräsident und Außenminister. Das demokratische Defizit dieser Verfassung lag vor allem in der fehlenden parlamentarischen Verantwortlichkeit des Reichskanzlers begründet, den der Reichstag weder wählen noch stürzen konnte. Erst im Oktober 1918 wurde die parlamentarische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers im Rahmen der Oktoberverfassung eingeführt.

Das eigentliche Gegengewicht zu den verbündeten Regierungen, dem Bundesrat und zur Reichsleitung bildete der Reichstag. Das Wahlrecht sah eine allgemeine und gleiche Wahl für Männer ab 25 Jahren vor (in Form des Mehrheitswahlrechts). Im Grundsatz war die Wahl geheim, wenn auch nicht unbedingt in der Praxis. Dies war im Vergleich mit anderen europäischen Staaten, aber auch mit dem Wahlrecht in vielen Bundesstaaten, ein besonderer demokratischer Zug der Reichsverfassung.

Die Legislaturperiode des Reichstages dauerte anfangs drei Jahre, nach 1888 fünf Jahre. Der Bundesrat konnte mit Zustimmung des Kaisers das Parlament jederzeit auflösen und Neuwahlen ausschreiben; in der Realität ging die Initiative zur Auflösung vom Kanzler aus. Die Abgeordneten erhielten als Gegengewicht zum allgemeinen Wahlrecht keine Diäten. Die Abgeordneten hatten ein freies Mandat und waren nach dem Verfassungstext nicht an die Aufträge der Wähler gebunden. Tatsächlich gab es in den ersten Legislaturperioden zahlreiche „wilde Abgeordnete“. In der Praxis setzte sich freilich rasch die Fraktionsbildung weiter durch.

Der Reichstag war neben dem Bundesrat gleichberechtigtes Organ bei der Verabschiedung von Gesetzen. Dieses zentrale Parlamentsrecht war im Zeitalter des Rechtspositivismus von wachsender Bedeutung, beruhte das Regierungshandeln doch im Kern auf Gesetzen. Verordnungen der Regierung spielten nach der Entwicklung der Lehre vom Gesetzesvorbehalt nur noch nach parlamentarischer Ermächtigung eine Rolle. Verwaltungsrichtlinien kam nur verwaltungsinterne Wirkung zu. Die zweite Kernkompetenz des Parlaments war die Verabschiedung des Haushalts in Form eines Gesetzes. Die Haushaltsdebatte entwickelte sich rasch zur Generaldebatte über das gesamte Handeln der Regierung. Allerdings war die Entscheidungsmöglichkeit über den Militäretat, der den Hauptausgabeposten des Reiches bildete, begrenzt. Bis 1874 war der Etat ohnehin festgelegt und später sorgten die Septennate und später die Quinquennate für eine Begrenzung der Parlamentsrechte in diesem Bereich.[18] Die Gesetzesinitiative, also das Recht, mögliche neue Gesetze vorzuschlagen, hatte der Reichstag ebenso wie der Reichskanzler.

Damit war die politische Leitung des Reiches auf die Zusammenarbeit mit dem Reichstag angewiesen. Anders als die Verfassungspräambel es vermuten ließ, war das Reich mitnichten ein „Fürstenbund“. Vielmehr stellte die Verfassung einen Kompromiss zwischen den nationalen und demokratischen Forderungen des aufstrebenden Wirtschafts- und Bildungsbürgertums und den dynastischen Herrschaftsstrukturen dar (konstitutionelle Monarchie), beziehungsweise einen Kompromiss zwischen dem unitarischen Prinzip, das von Kaiser und Reichstag verkörpert wurde, und dem föderalistischen Prinzip mit dem Bundesrat als Vertretung der Gliedstaaten.

Machtzentren des Reiches

Die Verfassungsordnung war ein wichtiger Rahmen für die tatsächliche Herrschaftsordnung. Tatsächlich waren die in der Bismarckschen Reichsverfassung verankerten Institutionen wie der Reichstag oder der Kanzler für das politische System von zentraler Bedeutung. Darüber hinaus gab es weitere Machtzentren, die von der geschriebenen Verfassung nur teilweise abgebildet wurden.

Bürokratie und Verwaltung

So gut wie keine Erwähnung fand in der Verfassung etwa die Bürokratie. Bei allen innenpolitischen Konflikten sorgte der bürokratische Apparat für Kontinuität. Gleichzeitig mussten die politischen Entscheidungsträger – auch Reichskanzler und Kaiser – mit dem Eigengewicht der höheren Beamten rechnen. Allerdings hatte das Reich selbst zu Anfang nur einen bescheidenen Apparat und war lange Zeit auf die Zuarbeit der preußischen Ministerien angewiesen.

Neben dem Reichskanzler gab es keine regelrechte Reichsregierung. Anstelle von Ministern gab es lediglich eine Reihe von dem Kanzler unterstellten Staatssekretären, die Reichsämtern vorsaßen. So entstanden im Laufe der Zeit neben dem Reichskanzleramt, ein Reichseisenbahnamt, ein Reichspostamt, ein Reichsjustizamt, ein Reichsschatzamt, ein Ministerium für Elsaß-Lothringen, das Auswärtige Amt, Reichsamt des Innern, ein Reichsmarineamt und schließlich ein Reichskolonialamt. Die verwaltungsmäßige Abhängigkeit von Preußen verringerte sich zwar mit dem personellen Ausbau der Reichsverwaltung. Bis zum Schluss aber war die organisatorische Verbindung zwischen Preußen und dem Reich von großer Bedeutung.

In den höheren Positionen auch der höheren Reichsverwaltung waren Protestanten ebenso wie Angehörige des Adels überrepräsentiert. So gehörten von insgesamt 31 Reichsstaatssekretären zwölf dem Adel an und 1909 waren 71 % evangelischer Konfession. Politisch allerdings waren diese anfangs noch vergleichsweise liberal ausgerichtet. Erst eine langfristige Nachwuchspolitik sorgte auf längere Sicht für eine konservative Ausrichtung der höheren Beamtenschaft.[19]

Monarchie und Hof

Adolph Menzel: Das Ballsouper, 1878

Die Verfassung garantierte dem Kaiser einen erheblichen Handlungsspielraum. Für die Entscheidungen der Monarchen spielten die verschiedenen kaiserlichen Beratungsgremien wie das Zivil-, Militär- und Marinekabinett wichtige Rollen. Hinzu kamen der Hof und die engen persönlichen Vertrauten der Kaiser. Bereits mit Wilhelm I. nahm der Monarch erheblichen Einfluss auf die Personalpolitik, ohne in der Regel in die Tagesgeschäfte einzugreifen. Vor allem unter Kaiser Wilhelm II. mit seinem Anspruch eines „persönlichen Regiments[20] war diese Ebene eines der zentralen Machtzentren des Reiches.

Kaum zu unterschätzen ist auch der Wandel des Kaisers von einem Präsidium des Bundes zu einem Reichsmonarchen. Auch außerhalb Preußens wurden nicht mehr nur die Gedenktage der verschiedenen Dynasten, sondern auch Kaisers Geburtstag gefeiert. Der Kaiser wurde zunehmend zu einem Symbol des Reiches. Die Frage, inwieweit Kaiser Wilhelm II. tatsächlich ein persönliches Regime durchsetzen konnte, ist freilich in der Geschichtswissenschaft umstritten. Unstrittig ist, dass der kaiserliche Einfluss bis 1897 noch begrenzt war, während die Bedeutung des Kaisers bis 1908 deutlich zunahm, um danach wieder an Bedeutung zu verlieren. Dazu beigetragen hat die Affäre um den Vertrauten des Kaisers Philipp zu Eulenburg. Diese und die anschließende Daily-Telegraph-Affäre haben mit dazu geführt, das Ansehen des Kaisers – nicht aber der Monarchie als Institution – in der Öffentlichkeit zu verringern.[21]

Militär

Kaiser Wilhelm (Mitte) und seine Heerführer (Postkarte von 1915):
Kluck, Emmich (Ecken oben links und rechts);
Bülow, Kronprinz Rupprecht, Kronprinz Wilhelm, Herzog Albrecht, Heeringen (1. Reihe);
François, Beseler, Hindenburg, Stein (2. Reihe);
Tirpitz, Prinz Heinrich (3. Reihe);
Lochow, Haeseler, Woyrsch, Einem (4. Reihe);
Mackensen, Ludendorff, Falkenhayn, Zwehl (5. Reihe)

Das Heer und die Marine blieben, abgesehen von der Bewilligung der nötigen Finanzmittel, nach der Verfassung weitgehend der Verfügungsgewalt des preußischen Königs beziehungsweise des Kaisers unterstellt. Die Grenzen der absolutistisch anmutenden „Kommandogewalt“ waren dabei kaum definiert. Es blieb daher eine der zentralen Stützen der Monarchie. Unterhalb des „obersten Kriegsherrn“ existierten mit dem Militärkabinett, dem preußischen Kriegsministerium und dem Generalstab drei Institutionen, die zeitweise untereinander um Kompetenzen stritten. Insbesondere der Generalstab bereits unter Helmuth Karl Bernhard von Moltke und später Alfred von Waldersee versuchte Einfluss auch auf politische Entscheidungen zu nehmen. Dasselbe gilt für Alfred von Tirpitz in Marinefragen.[22]

Die Armee richtete sich nicht nur gegen äußere Feinde, sondern sollte nach dem Willen der militärischen Führung auch im Innern etwa bei Streiks zum Einsatz kommen.[23] In der Praxis wurde die Armee zwar bei den großen Streiks kaum eingesetzt. Dennoch bildete die Armee als Drohpotential einen nicht zu unterschätzenden innenpolitischen Machtfaktor.

Die enge Verbundenheit mit der Monarchie spiegelte sich zunächst noch im stark adelig geprägten Offizierskorps wider. Auch später behielt der Adel eine starke Stellung unter den Führungsrängen, allerdings drang im mittleren Bereich mit der Vergrößerung der Armee und der Flotte der bürgerliche Anteil stärker vor. Die entsprechende Auswahl und die innere Sozialisation im Militär sorgten allerdings dafür, dass auch das Selbstverständnis dieser Gruppe sich kaum von dem ihrer adeligen Kameraden unterschied.[24]

Der Militarismus in Deutschland verstärkte sich. Zwischen 1848 und den 1860er Jahren hat die Gesellschaft das Militär eher mit Misstrauen betrachtet. Dies änderte sich nach den Siegen von 1864 bis 1871 fundamental. Das Militär wurde zu einem zentralen Element des entstehenden Reichspatriotismus. Kritik am Militär galt als unpatriotisch. Dennoch unterstützten die Parteien eine Vergrößerung der Armee nicht unbegrenzt. So erreichte das Militär erst 1890 mit einer Friedenspräsenzstärke von fast 490.000 Mann seine von der Verfassung vorgegebene Stärke von einem Prozent der Bevölkerung. In den folgenden Jahren wurden die Landstreitkräfte weiter verstärkt. Zwischen 1898 und 1911 forderte die kostspielige Flottenrüstung Einschränkungen beim Landheer. In dieser Zeit hatte sich der Generalstab selbst gegen einen Ausbau der Truppenstärke gewandt, weil er eine Verstärkung des bürgerlichen zu Lasten des adeligen Elements im Offizierskorps befürchtete. Im Jahr 1905 entstand mit dem Schlieffen-Plan das Konzept für einen möglichen Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und Russland unter Berücksichtigung einer Teilnahme Englands auf Seiten der Gegner. Nach 1911 wurde die Aufrüstung intensiv vorangetrieben. Die für die Durchführung des Schlieffenplanes notwendige Truppenstärke wurde dabei letztlich nicht erreicht.

Das Heer gewann während des Kaiserreichs eine sehr starke gesellschaftlich prägende Bedeutung. Das Offizierskorps galt in weiten Teilen der Bevölkerung als „Erster Stand im Staate.“ Dessen Weltbild war dabei geprägt von der Treue zur Monarchie und der Verteidigung der Königsrechte, es war konservativ, antisozialistisch und grundsätzlich antiparlamentarisch geprägt.[25] Der militärische Verhaltens- und Ehrenkodex[26] reichte weit in die Gesellschaft hinein. Auch für viele Bürger wurde der Status eines Reserveoffiziers nunmehr zu einem erstrebenswerten Ziel.

Von Bedeutung war das Militär zweifellos auch für die innere Nationsbildung. Der gemeinsame Dienst förderte die Integration der katholischen Bevölkerung in das protestantisch dominierte Reich. Selbst die Arbeiter blieben gegenüber der Ausstrahlung des Militärs nicht immun. Dabei kam dem mindestens zwei Jahre (bei der Kavallerie drei Jahre) dauernden Wehrdienst als sogenannter „Schule der Nation“ eine prägende Rolle zu. Wegen des Überangebots an Wehrpflichtigen in Deutschland leistete allerdings nur gut die Hälfte eines Jahrgangs aktiven Militärdienst. Wehrpflichtige mit höherer Schulbildung – fast ausschließlich Angehörige der Mittel- und Oberschicht – hatten das Privileg, als Einjährig-Freiwilliger verkürzten Militärdienst zu leisten.

Heinrich Manns Untertan, der Hauptmann von Köpenick oder die Zabern-Affäre spiegeln die Bedeutung des Militarismus in der deutschen Gesellschaft wider. Überall im Reich wurden die neuen Kriegervereine zu Trägern einer militaristischen Weltanschauung. Welche Breitenwirkung diese entfalteten, zeigt die Mitgliederzahl von 2,9 Millionen im Kyffhäuserbund (1913). Der Bund war damit die stärkste Massenorganisation des Reiches. Die vom Staat geförderten Vereine sollten die militärische, nationale und monarchische Gesinnung pflegen und die Mitglieder gegenüber der Sozialdemokratie immunisieren.[27]

Bevölkerung, Wirtschaft und Gesellschaft

Bevölkerungsdichte des Deutschen Reiches

In die Zeit des Kaiserreichs fielen fundamentale demografische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen, die in einem erheblichen Maß auch Kultur und Politik beeinflussten. Ein Kennzeichen dafür war das enorme Bevölkerungswachstum. Im Jahr 1871 lebten im Reich 41 Mio. Einwohner, 1890 waren es über 49 Mio. und 1910 fast 65 Mio. Einwohner. Nicht zuletzt durch Binnenwanderungen – zunächst aus der Umgebung, später auch durch Fernwanderungen etwa aus den agrarischen preußischen Ostgebieten nach Berlin oder Westdeutschland – wuchs die Stadtbevölkerung, insbesondere die Großstadtbevölkerung, stark an. Lebten 1871 noch 64 % der Bevölkerung in Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern und nur 5 % in Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern, gab es bereits 1890 einen Gleichstand zwischen Stadt- und Landbewohnern. Im Jahr 1910 lebten nur noch 40 % in Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern und 21,3 % in Großstädten. Damit verbunden war auch eine Veränderung der Lebensweisen. So unterschied sich das Leben etwa in den Mietskasernen von Berlin grundlegend vom Leben auf dem Dorf.

Industrie, Bergwerke und Hütten

Dieser Wandel war nur möglich, weil es einige Voraussetzungen dafür gab:

  • die Wirtschaft konnte genügend Arbeitsplätze zur Verfügung stellen
  • das Bankwesen und insbesondere die großen Universalbanken hatten sich weiterentwickelt und waren gewachsen[28]
  • Verkehrswesen und Logistik hatten Fortschritte gemacht (siehe auch Geschichte der Eisenbahn in Deutschland): zum Beispiel transportierte die Preußische Ostbahn ein Vielfaches der beim Bau prognostizierten Menge von Gütern – darunter große Mengen Lebensmittel – vom Land in Ballungsräume.[29]

In diese Zeit fällt der Übergang Deutschlands von einem landwirtschaftlich geprägten Land zu einem modernen Industriestaat (→ Hochindustrialisierung in Deutschland). Dabei dominierten zu Beginn des Reiches der Eisenbahnbau und die Schwerindustrie; später kamen als neue Leitsektoren die chemische Industrie und die Elektroindustrie hinzu. 1873 hatten der Anteil des primären Sektors am Nettoinlandsprodukt bei 37,9 % und das der Industrie bei 31,7 % gelegen. 1889 war der Gleichstand erreicht; 1895 kam die Landwirtschaft nur noch auf 32 %, der sekundäre Sektor dagegen auf 36 %. Diese Veränderung spiegelte sich auch in der Entwicklung der Beschäftigungsverhältnisse wider. Lag die Relation der landwirtschaftlich Berufstätigen gegenüber denen in Industrie, Verkehr und Dienstleistungssektor 1871 noch bei 8,5 zu 5,3 Millionen, betrug das Verhältnis 1880 9,6 zu 7,5 Millionen und 1890 9,6 zu 10 Millionen. Im Jahr 1910 zählte man 10,5 Millionen Beschäftigte in der Landwirtschaft, hingegen in Industrie, Verkehr und Dienstleistungsberufen 13 Millionen Arbeitnehmer.

Landwirtschaft
Erwerbstätige und Angehörige in % der Gesamtbevölkerung[30]
Wirtschaftssektor 1882 1895 1907
Landwirtschaft 41,6 35,0 28,4
Industrie/Handwerk 34,8 38,5 42,2
Handel/Verkehr 9,4 11,0 12,9
Häusliche Dienste 5,0 4,3 3,3
Öffentl. Dienst/freie Berufe 4,6 5,1 5,2
Berufslose/Rentner 4,7 6,1 8,1

Sozialgeschichtlich war das Kaiserreich vor allem geprägt vom Aufstieg der Arbeiterschaft. Dabei entwickelten die unterschiedlichen Herkunftsgruppen aus Ungelernten, Angelernten und gelernten Arbeitern bei allen weiterbestehenden Unterschieden durch die gemeinsamen Erfahrungen am Arbeitsplatz und in den Wohnquartieren tendenziell ein spezifisches Selbstverständnis der Arbeiterbevölkerung.[31] Mit der Entstehung von Großbetrieben, neuen staatlichen Dienstleistungen und der Zunahme von Handel und Verkehr nahm daneben die Zahl der Angestellten sowie der kleineren und mittleren Beamten zu. Diese achteten auf soziale Distanz zu den Arbeitern, auch wenn sich ihre ökonomische Lage von der der Industriearbeiter wenig unterschied.

Zu den stagnierenden Teilen der Gesellschaft gehörte der alte städtische Mittelstand. Handwerker fühlten sich oft von der Industrie in ihrer Existenz bedroht. Die Realität war allerdings unterschiedlich: Es gab überbesetzte traditionelle Handwerksberufe; andererseits profitierten Bau- und das Nahrungsmittelhandwerke von der wachsenden Bevölkerung und der Stadtentwicklung. Viele Berufe passten sich an Entwicklungen an, zum Beispiel stellten die Schuhmacher keine Schuhe mehr her, sondern reparierten sie nur noch.

Es gelang dem Bürgertum, seine kulturellen Normen weitgehend durchzusetzen, wobei das Wirtschaftsbürgertum (einschließlich der großen Industriellen) ökonomisch führend war und die Bildungsbürger Deutschland zu einem Zentrum der Wissenschaft und Forschung machten.[32] Gleichwohl blieb der politische Einfluss des Bürgertums begrenzt, zum Beispiel durch die Eigenarten des politischen Systems und durch den Aufstieg der Arbeiter und der neuen Mittelschichten.

Wirtschaftlich war die Existenz des Grund besitzenden Adels vor allem in Ostelbien durch die zunehmende internationale Verflechtung des Agrarmarktes bedroht. Die Forderung des Adels und der landwirtschaftlichen Interessenverbände nach staatlicher Hilfe wurde ein Merkmal der Innenpolitik während der Kaiserzeit. Gleichzeitig sorgte die preußische Verfassung dafür, dass der Adel im größten Staat des Reiches zahlreiche Sonderrechte behielt. Auch konnte der Adel in Militär, Diplomatie und Bürokratie seinen Einfluss bewahren.[33]

Städte

Die größten Städte des Kaiserreichs waren:

Konfessionen und nationale Minderheiten

Weniger stark verändert als Wirtschaft und Gesellschaft haben sich in dieser Zeit die konfessionellen Unterschiede. Aber auch sie waren für die Gesamtgeschichte des Reiches bedeutend. Gleiches gilt für den Widerspruch zwischen dem Anspruch, Nationalstaat zu sein, und dem Vorhandensein von zahlenmäßig nicht unbedeutenden nationalen Minderheiten.

Konfessionen und Kirchen im Kaiserreich

Konfessionskarte (evangelisch/katholisch) des Deutschen Reiches (ca. 1890)

Verbreitung der israelitischen Religion im Deutschen Reich (ca. 1890)

Konfessionskarte nach Meyers Konversationslexikon, ca. 1885

An der allgemeinen Konfessionsverteilung der Frühen Neuzeit änderte sich grundsätzlich kaum etwas. Weiterhin gab es fast rein katholische Gebiete (Nieder- und Oberbayern, nördliches Westfalen, Oberschlesien und andere) und fast rein protestantische (Schleswig-Holstein, Pommern, Sachsen etc.). Die konfessionellen Vorurteile und Vorbehalte, insbesondere gegenüber gemischt konfessionellen Ehen, waren daher weiterhin erheblich. Nach und nach kam es durch Binnenwanderung zu einer allmählichen konfessionellen Durchmischung. In den östlichen Reichsgebieten kam häufig auch ein nationaler Gegensatz hinzu, da dort weitgehend die Gleichung protestantisch = deutsch, katholisch = polnisch galt. In den Zuwanderungsgebieten etwa im Ruhrgebiet und Westfalen oder in einigen Großstädten kam es zum Teil zu erheblichen konfessionellen Verschiebungen (insbesondere im katholischen Westfalen durch protestantische Zuwanderer aus den Ostprovinzen).

Politisch hatte die Konfessionsverteilung erhebliche Folgen. In den katholisch dominierten Gebieten gelang es der Zentrumspartei, die überwiegende Mehrzahl der Wähler für sich zu gewinnen. So gelang es den Sozialdemokraten und ihren Gewerkschaften kaum, in den katholischen Teilen des Ruhrgebiets Fuß zu fassen. Erst mit der zunehmenden Säkularisierung in den letzten Jahrzehnten des Kaiserreichs begann sich dies zu ändern.[34]

Religionsbekenntnisse im Deutschen Reich 1880
Gebiet Protestanten Katholiken Sonst. Christen Juden Andere
Zahl % Zahl % Zahl % Zahl % Zahl %
Deutsches Reich 28.331.152 62,63 16.232.651 35,89 78.031 0,17 561.612 1,24 30.615 0,07
Preußen 17.633.279 64,64 9.206.283 33,75 52.225 0,19 363.790 1,33 23.534 0,09
Bayern 1.477.952 27,97 3.748.253 70,93 5.017 0,09 53.526 1,01 30 0,00
Sachsen 2.886.806 97,11 74.333 2,50 4.809 0,16 6.518 0,22 339 0,01
Württemberg 1.364.580 69,23 590.290 29,95 2.817 0,14 13.331 0,68 100 0,01
Baden 547.461 34,86 993.109 63,25 2.280 0,15 27.278 1,74 126 0,01
Elsaß-Lothringen 305.315 19,49 1.218.513 77,78 3.053 0,19 39.278 2,51 511 0,03

Judentum und Antisemitismus

Neben anderen Konfessionen gab es eine jüdische Gemeinde im Deutschen Kaiserreich. Ihr prozentualer Anteil lag 1871 bei etwas über einem Prozent der Gesamtbevölkerung. Durch eine geringere Geburtenzahl und dem zunehmenden Anteil christlich-jüdischer Ehen, bei denen die Kinder meist christlich erzogen wurden, nahm ihr Anteil allmählich ab. Die jüdische Bevölkerung konzentrierte sich in den größeren Städten. Um 1910 lebten ein Drittel aller deutschen Juden in der Stadt Berlin mit Umlandgemeinden, wo ihr Bevölkerungsanteil etwa 5 % betrug. Zentren jüdischen Lebens waren neben Berlin Frankfurt am Main (10 %), Breslau (5,5 %), Königsberg (Preußen) und Hamburg (3,2 %).[35] Aber es gab auch ländliche Regionen mit überdurchschnittlichem jüdischen Bevölkerungsanteil: im Osten die Provinz Posen, Westpreußen und Oberschlesien, im Südwesten das Großherzogtum Hessen, Unterfranken, die Pfalz (Bayern) und Elsaß-Lothringen.

In den Ostprovinzen mit gemischt deutscher und polnischer Bevölkerung bekannten sich die Juden überwiegend zum Deutschtum. Unter den Ostjiddisch sprechenden Juden war die Tendenz zur Assimilation in die deutsche Gesellschaft lange Zeit stark ausgeprägt. Der Zionismus, der eine nationale Heimstätte für die Juden in Palästina zu begründen suchte, wurde von der ganz überwiegenden Mehrheit der deutschen Juden abgelehnt.

1893 wurde der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens gegründet, und der Name des Vereins war Programm. Der Central-Verein machte sich die Bekämpfung des Antisemitismus zur Aufgabe, lehnte aber alle Vorstellungen von den Juden als einem Volk oder eigenen Rasse ab, sondern betrachtete die deutschen Juden gewissermaßen als einen der deutschen Stämme. Insgesamt waren die Juden im Bereich von Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und den akademischen Berufen außerordentlich erfolgreich. Nach der Statistik von 1910 lag der jüdische Bevölkerungsanteil bei 0,95 % (615.000 von 64.926.000). Davon waren 60.000 (ca. 10 %) nicht-deutscher Staatsangehörigkeit (meist Flüchtlinge aus Polen, Ukraine und Russland) und 555.000 deutscher Herkunft. Dem gegenüber waren 4,28 % der Staatsanwälte und Richter, 6,01 % der Ärzte, 14,67 % der Anwälte und Notare im Deutschen Kaiserreich jüdischen Glaubens.[36] Überproportional viele prominente Musiker und Virtuosen waren jüdischer Abstammung. Besonders deutlich war der jüdische Beitrag in Großstädten, insbesondere in Berlin. Damit leisteten die deutschen Juden einen herausragenden Beitrag zum weltweiten Kulturleben.

Trotzdem konnte der Antisemitismus aus unterschiedlichen Gründen gerade im späteren Kaiserreich unter Kaiser Wilhelm II. administrativ, gesellschaftlich und politisch Fuß fassen.[37] Bestimmte Berufe waren den Juden praktisch verschlossen. So war es für einen Juden unmöglich, Offizier zu werden (was eine schwerwiegende Einschränkung darstellte, da der Offiziersstand zu den angesehensten Berufen des Kaiserreichs gehörte). Beispielhaft äußerte der preußische Kriegsminister Karl von Einem 1907, dass „ein Eindringen jüdischer Elemente in das aktive Offizierskorps nicht nur für schädlich, sondern für direkt verderblich zu erachten sei“.[38] Der Anteil jüdischer Universitätsprofessoren lag prozentual deutlich unter dem Anteil jüdischer Privatdozenten, was zum Teil Ausdruck antijüdischer Vorbehalte bei Lehrstuhlbesetzungen war.[39] Führende Gelehrte – auch wenn sie die Antisemitenbewegung als primitiv ablehnten – äußerten sich voller Misstrauen gegenüber dem Eindringen der Juden in die akademischen Berufe und zeichneten das Phantasiegebilde einer möglichen Herrschaft der Juden über die deutschen Universitäten. Juden wurden nie auf einen Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur oder für klassische Altertumswissenschaft und Sprachen berufen und bekamen vorwiegend nur in den sich neu entfaltenden mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern und der Medizin eine Anstellung, wo sie Herausragendes leisteten. Der spätere Nobelpreisträger Richard Willstätter bekannte später: … viel tieferen Eindruck, entscheidenden, hat auf mich die Haltung der Fakultäten gemacht, nämlich die häufigen Fälle, daß die Berufung jüdischer Gelehrter bekämpft und verhindert wurde, und die Art und Weise in der dies geschah. Die Fakultäten ließen Ausnahmen zu, gewährten aber keine Gleichberechtigung.[40]

Trotz des hohen Prozentsatzes jüdischer Anwälte war diesen die höhere juristische Laufbahn weitgehend verschlossen. Insbesondere Richterämter wurden nur restriktiv mit Juden besetzt, was damit begründet wurde, dass das Richteramt besonderes Vertrauen voraussetze und man es daher mit Rücksicht auf die Empfindungen der Bevölkerung nicht mit Juden besetzen könne, auch könne ein Jude schlecht einem Christen einen Eid abnehmen. Juden war es sehr erschwert oder unmöglich, ein höheres Staatsamt zu erhalten. Einen jüdischen Minister gab es im Kaiserreich nicht. In Großbritannien konnte ein christlich getaufter Jude – Benjamin Disraeli – sogar Premierminister werden. Einzelne Personen jüdischen Glaubens, die in ein höheres Staatsamt gelangten, wie etwa der Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts Bernhard Dernburg, blieben Ausnahmen. In den aufblühenden Seebädern an Nord- und Ostsee breitete sich der Bäder-Antisemitismus aus. Antisemitische Vorurteile und karikaturhafte Vorstellungen von Juden waren in fast allen Bevölkerungsschichten zu finden.

Auch die Haltung der sozialdemokratischen Partei war eine Zeitlang zumindest ambivalent, da dort das Stereotyp des reichen kapitalistischen Juden existierte. Grundsätzlich wurde der Antisemitismus von den Sozialdemokraten abgelehnt; der Parteivorsitzende August Bebel verurteilte den Antisemitismus in einem 1893 gehaltenen Grundsatzreferat Antisemitismus und Sozialdemokratie als reaktionär. Konservative Parteien liebäugelten zeitweilig mit antisemitischen Programmpunkten. So wandte sich die Deutschkonservative Partei in ihrem Tivoli-Programm von 1892 gegen „den vielfach sich vordrängenden und zersetzenden jüdischen Einfluss auf unser Volksleben“[41] und forderte eine christliche Obrigkeit und christliche Lehrer. Es gab Bestrebungen, den Juden die im Verlauf des 19. Jahrhunderts erlangte bürgerliche Gleichberechtigung wieder zu entziehen. Die Antisemitenpetition der „Berliner Bewegung“ verlangte 1880/81 die Zurücknahme der bürgerlichen Gleichstellung der Juden, wurde jedoch von der preußischen Regierung und den liberalen Parteien im Reichstag zurückgewiesen. Immer wieder auftretende antisemitische Regungen und Aktionen auf regionaler Ebene, wie sie beispielsweise in der Konitzer Mordaffäre 1900–1902 zum Ausdruck kamen, wurden durch die Behörden unterdrückt. Als Gegenreaktion auf den Antisemitismus wurde von liberalen Gelehrten und Politikern (u. a. Theodor Mommsen, Rudolf Virchow, Johann Gustav Droysen) 1890 der Verein zur Abwehr des Antisemitismus („Abwehrverein“) gegründet. Politisch gelang es den Antisemiten nicht, eine einheitliche Partei zu formieren. Der Stimmenanteil der zersplitterten antisemitischen Parteien lag bei allen Reichstagswahlen vor dem Ersten Weltkrieg höchstens bei fünfeinhalb Prozent. Der politische Antisemitismus verlagerte sich mehr zur Deutschkonservativen Partei, Berufsverbänden, Studentenverbindungen und den christlichen Kirchen. Abgesehen von den Liberalen war die deutsche bürgerliche Kultur schon lange antisemitisch durchtränkt.[42]

Nationale Minderheiten

Muttersprache der Einwohner des Deutschen Reichs
(12. Januar 1900)[43]
Muttersprache Anzahl Anteil
Deutsch 51.883.131 92,05
Deutsch und eine Fremdsprache 252.918 0,45
Polnisch 3.086.489 5,48
Französisch 211.679 0,38
Masurisch 142.049 0,25
Dänisch 141.061 0,25
Litauisch 106.305 0,19
Kaschubisch 100.213 0,18
Wendisch (Sorbisch) 93.032 0,16
Niederländisch 80.361 0,14
Italienisch 65.930 0,12
Mährisch 64.382 0,11
Tschechisch 43.016 0,08
Friesisch 20.677 0,04
Englisch 20.217 0,04
Russisch 9.617 0,02
Schwedisch 8.998 0,02
Ungarisch 8.158 0,01
Spanisch 2.059 0,00
Portugiesisch 479 0,00
andere Fremdsprachen 14.535 0,03
Einwohner am 1. Dezember 1900 56.367.187 100

Muttersprachliche Minderheiten des Deutschen Reiches je Kreis

Das Deutsche Reich entwickelte sich zunehmend zu einem einheitlichen Nationalstaat nach dem Vorbild Frankreichs und Großbritanniens. Dennoch gab es 1880 neben den damals fast 42 Millionen deutschen Muttersprachlern rund 3,25 Millionen Nichtdeutschsprachige, darunter 2,5 Millionen mit polnischer oder tschechischer Sprache, 140.000 Sorben, 200.000 Kaschuben, 150.000 Litauisch-Sprechende, 140.000 Dänen sowie 280.000 französische Muttersprachler.[44] Diese lebten überwiegend in der Nähe der Außengrenzen des Reiches.

Nicht nur die Regierung, der Kanzler und der Kaiser, sondern auch das national und liberal gesinnte Bürgertum befürwortete grundsätzlich eine Politik der kulturellen und sprachlichen Germanisierung zur Bildung einer neu zu definierenden Nation inmitten Europas. Dabei spielte die Schule mit dem konsequenten Einsatz des deutschsprachlichen Unterrichts eine zentrale Rolle.[45]

Im Zusammenhang mit dem Wettstreit der unterschiedlichen Kulturen, aber eben auch dem Wunsch nach einer im Innern wie von außen erkennbaren deutschen Nation wurden z. B. die polnischen Pfarrer im Teilstaat Preußen durch weltliche, deutschsprachige Lehrer ersetzt. Eine Ausnahme bildeten die überwiegend französischsprachigen Gebiete Elsass-Lothringens, wo die französische Sprache als Schulsprache zugelassen war. Wichtig war die Einführung des Deutschen als Amts- und Gerichtssprache.

War das preußische Königreich mit seinen Außengrenzen im Osten vor der Reichsgründung gegenüber seinen nationalen Minderheiten überwiegend tolerant gewesen und hatte den Schulunterricht in der Muttersprache ausdrücklich gefördert, so wich diese Toleranz insbesondere in den polnischsprachigen Gebieten zunehmend einer Politik der kulturellen Nationalisierung. Die polnische Sprache, die vor der Reichsgründung die Unterrichtssprache in überwiegend polnischsprachigen Gebieten gewesen war, wurde nach und nach durch die deutsche Unterrichtssprache ersetzt. Nur der katholische Religionsunterricht durfte noch in polnischer Sprache erteilt werden. Als auch dort die deutsche Unterrichtssprache eingeführt wurde, kam es zum Teil zu offenem Widerstand, der sich unter anderem in Schulstreiks äußerte (1901 Wreschener Schulstreik), die die preußischen Behörden und die Lehrerschaft mit disziplinarischen Maßnahmen beantworteten. Von den Sozialdemokraten, den Linksliberalen und dem Zentrum wurden die Maßnahmen scharf verurteilt. Im Fall der polnischen Bevölkerung kamen später auch Maßnahmen hinzu, die den polnischen Großgrundbesitz zu Gunsten deutscher Siedler begrenzen sollten. Auch hat die Preußische Ansiedlungskommission mit wenig Erfolg versucht, polnischen Grundbesitz für deutsche Neusiedler zu erwerben.

Dennoch hatte diese Politik nur begrenzten Erfolg oder war, wie Kritiker bemerkten, sogar kontraproduktiv, da sie die Polen, die zuvor mit der toleranten Haltung des preußischen Staates recht gut leben konnten, gegen die neue Obrigkeit aufbrachte. Trotz finanzieller Anstrengungen und markiger nationalistischer Reden („Wir gehen hier keinen Schritt zurück!“) kam es eher zu einer Zunahme des polnischsprachigen Bevölkerungsanteils und Rückgang des deutschen Bevölkerungsanteils beispielsweise in der Provinz Posen und zu einer zunehmenden Entfremdung zwischen Deutschen und Polen. Die Minderheiten versuchten ihre eigene Identität zu bewahren und organisierten sich erfolgreich in Bauernvereinen, gründeten Kreditanstalten und Hilfsorganisationen. Alle Nationalitäten waren beispielsweise relativ stabil im Reichstag vertreten und anzahlmäßig sogar eher überrepräsentiert. Selbst die ins Ruhrgebiet ausgewanderten Polen hielten an ihrer Herkunft fest. Dort entstanden starke polnische Gewerkschaften.[46] Die antipolnischen Maßnahmen während der Zeit des Kaiserreichs hatten eine unheilvolle Nachwirkung auf das deutsch-polnische Verhältnis im Allgemeinen. Als die Zweite Polnische Republik nach dem Ersten Weltkrieg als unabhängiger Staat entstand, kamen der größte Teil der ehemaligen Provinzen Posen und Westpreußen zu Polen. Die polnische Regierung übte nun eine vergleichbar repressive Politik gegenüber den deutschen Minderheiten in diesen Gebieten aus, letztlich, um diese zu nötigen, das Land zu verlassen. Begründet wurde diese Politik mit dem Argument, dass diese Gebiete unter deutscher Herrschaft künstlich „germanisiert“ worden seien und nun erneut polonisiert werden müssten.

Wandel und Entwicklung der politischen Kultur

Das Kaiserreich war prägend für die politische Kultur in Deutschland weit über das Ende der Monarchie hinaus. Industrialisierung, Urbanisierung sowie die verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten (z. B. die Verbreitung der Tageszeitungen bis in die unteren Schichten hinein) und andere Faktoren veränderten auch den Bereich der politischen Kultur. War die Politik zuvor überwiegend eine Sache der Eliten und Honoratioren, kam es nunmehr zu einer Fundamentalpolitisierung, an der in unterschiedlicher Weise fast alle sozialen Gruppen einen Anteil hatten. Dazu beigetragen hat zweifellos auch das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht (ab dem Alter von 25 Jahren) auf Reichsebene. Ein Indiz dafür war die Zunahme der Wahlbeteiligung. Beteiligten sich 1871 nur 51 % der Wahlberechtigten an den Reichstagswahlen, waren es 1912 84,9 %.[47] Als entscheidender Bestandteil der Massenpolitisierung sollte sich die erstarkende Frauenbewegung erweisen, die sich wie in anderen Industrieländern in dieser Zeit formierte, Reformen und vielfach auch das Frauenwahlrecht einforderte.[48]

Entstehung der politischen Lager

In die Reichsgründungszeit fällt die Ausprägung der verschiedenen politischen Lager. Karl Rohe unterscheidet dabei ein sozialistisches, ein katholisches und ein nationales Lager. Andere Autoren unterteilen letzteres noch einmal in ein nationales und ein liberales Lager. Ungeachtet von Parteispaltungen, Zusammenschlüssen oder ähnlichen Ereignissen prägten diese Lager bis in die Weimarer Republik hinein das politische Leben weitgehend mit. Alle diese Grundorientierungen hatte es in der ein oder anderen Weise bereits vor der Gründung des Kaiserreichs gegeben. Allerdings entstand mit der Deutschen Zentrumspartei (Zentrum) erstmals eine starke katholische Partei, die annähernd alle sozialen Gruppen von der katholischen Landbevölkerung, die Arbeiterschaft bis hin zu Bürgertum und Adel erreichte. Doch blieb die Parteiorganisation schwach und das Zentrum entwickelte sich nicht zu einer Massenpartei. Ein weiteres Kennzeichen war der Aufstieg der Sozialdemokratie. Insgesamt hatte sich deren Anhängerschaft von 1874 bis 1912 verachtfacht. Von einem Stimmenanteil von etwa 9,4 Prozent (1877) stieg der Stimmenanteil auf 28,9 Prozent (1912).

Dem Aufstieg der Sozialdemokraten stand dabei kein bedeutsamer Abstieg des bürgerlichen und des katholischen Lagers gegenüber. Obwohl das Zentrum seinen Mobilisierungsgrad aus der Kulturkampfzeit nicht vollständig halten konnte, gelang es dieser Partei, sich auch angesichts einer wachsenden Wählerzahl zu behaupten. Bei allen Verwerfungen gelang es auch dem bürgerlichen Lager, weiterhin etwa ein Drittel der Wahlberechtigten zu erreichen. Nach der überproportionalen Stellung der Nationalliberalen und der Freikonservativen Partei zu Beginn des Kaiserreichs gab es innerhalb dieses Bereichs erhebliche Verschiebungen. Am Ende des Kaiserreichs lagen Linksliberale, Konservative und Nationalliberale mit jeweils etwas mehr als zehn Prozent gleichauf.

Nicht zuletzt auf Grund des Kulturkampfes und später des Sozialistengesetzes entwickelten die katholische Bevölkerung und die Anhänger der Sozialdemokratie einen besonders starken inneren Zusammenhalt. Begünstigt durch weitere Faktoren entstand ein katholisches und sozialdemokratisches Milieu. In deren Umfeld entwickelte sich jeweils ein Organisations- und Vereinswesen, das die Bedürfnisse der jeweiligen Gruppe von der „Wiege bis zur Bahre“ erfüllte. Im katholischen Milieu war die Entwicklung differenziert. Vor allem in den agrarischen Teilen des katholischen Deutschland banden die Pfarrer, die Kirche sowie die traditionellen gemeindenahen Vereine die Menschen an das Milieu. In den Industriegebieten und Städten dagegen entwickelten sich zur Integration der katholischen Arbeiterbevölkerung mit dem Volksverein für das katholische Deutschland und den christlichen Gewerkschaften Organisationen mit Millionen von Mitgliedern.

Im sozialdemokratischen Bereich entwickelten sich nach dem Ende des Sozialistengesetzes nicht nur die SPD zu einer Massenorganisation. Noch stärker stiegen die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften an. Außerdem entstand teilweise auf älteren Grundlagen ein weit verzweigtes Vereinswesen der Arbeiterbildungsvereine, der Arbeitersänger oder der Arbeitersportvereine. Konsumgenossenschaften rundeten dieses Bild ab.

Das Selbstverständnis und die Lebensweise von Katholiken, von Sozialdemokraten und der protestantischen bürgerlichen Gesellschaft fielen deutlich auseinander. Ein Wechsel zwischen ihnen war kaum möglich. Der Zusammenhalt wurde durch die jeweilige Sozialisation auch nach dem Ende von Kulturkampf und Sozialistengesetze weiter getragen.[49]

Massenorganisationen

Nicht nur im politischen Bereich, sondern auch in fast allen Lebensbereichen entfaltete sich die Massenmobilisierung zur Durchsetzung von Interessen und anderen gesellschaftlichen Zielen.

Propagandapostkarte des Flottenvereins

Auf der rechten Seite des politischen Spektrums mobilisierten ein übersteigerter Nationalismus und die Kolonialbewegung Anhänger aus verschiedenen sozialen Gruppen. Der Deutsche Flottenverein stützte sich auf 1,2 Millionen Mitglieder. Zumindest zeitweise gelang es auch dem Antisemitismus, beachtliche Resonanz zu gewinnen. Dazu gehörte die christlich-soziale Partei um den Prediger Adolf Stoecker. Einige wirtschaftliche Interessenorganisationen griffen diese populistischen Forderungen auf, um so ihre eigene Position zu stärken. Besonders stark ausgeprägt war der Antisemitismus etwa im Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband. Eng verbunden waren Nationalismus und Antisemitismus im Alldeutschen Verband.

Besonders erfolgreich organisierte der Bund der Landwirte (BdL) auch mit nationalen und antisemitischen Untertönen Landwirte aus dem ganzen Reich, wobei die Führung jedoch stets bei den ostelbischen Agrariern lag. Er stützte sich dabei auf eine gut ausgebaute Organisation mit Millionen von Mitgliedern. Der Unterstützung des Bundes verdankten eine große Zahl von Reichs- und Landtagsabgeordneten ihr Mandat. Diese waren daher auch inhaltlich dem BdL verpflichtet. Weniger erfolgreich in dieser Hinsicht waren die Industriellenverbände wie der Centralverband deutscher Industrieller (CdI). Aber auch diesem gelang es, durch eine erfolgreiche Lobbyarbeit im Hintergrund etwa in der Schutzzollfrage die Politik zu beeinflussen.

Mit den großen Industrieverbänden CdI und dem Bund der Industriellen verbunden waren die vor allem seit den 1890er Jahren entstehenden Arbeitgeberverbände, die sich primär gegen die Mitspracheansprüche der Gewerkschaften richteten. Neben den großen Interessenverbänden gab es zahlreiche weitere wirtschaftlich orientierte Organisationen. Allein im Bereich Industrie, Handwerk, Handel und Gewerbe existierten 1907 500 Verbände mit ca. 2000 angeschlossenen Organisationen.

Entwicklung der Gewerkschaften in Deutschland nach ihrer politischen Richtung, 1887–1914

Ein Aspekt der Verknüpfung von Politik und Interessenvertretung in der Arbeiterbevölkerung war die Entstehung von Richtungsgewerkschaften. Träger waren der (soziale) Liberalismus, das katholische Milieu und die Sozialdemokratie. Dabei hatten die sogenannten freien Gewerkschaften im Umfeld der SPD nach dem Ende des Sozialistengesetzes die höchsten Mitgliederzahlen. In wichtigen Industriegebieten, wie dem Ruhrgebiet, waren die christlichen Gewerkschaften teilweise aber ebenso stark oder sogar stärker. Hinzu kamen in diesem Gebiet nach der Jahrhundertwende auch Organisationen der polnischsprechenden Bergarbeiter, sodass die nichtsozialistischen Gewerkschaften in diesem industriellen Kernbereich des Reiches sehr bedeutend waren. Besonders schwer tat sich der linke Flügel des Liberalismus mit dieser neuen Form der Politik. Zwar bestanden seit den 1860er Jahren mit den Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen liberal ausgerichtete Gewerkschaften, ihr Mobilisierungserfolg blieb allerdings vergleichsweise gering.[50]

Nationalismus im Wandel

Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica um 1895

Zwar gab es weiterhin einzelstaatliche und dynastisch geprägte Sonderidentitäten. Aber im Überblick gewann die Identifikation mit der Gesamtnation eine gesellschaftlich prägende Bedeutung. Während des Kaiserreichs hat sich die Nationalstaatsidee deutlich gewandelt. Der alte Nationalismus war bis 1848/1849 eine auf Veränderung abzielende Oppositionsbewegung, die sich aus den klassisch-liberalen Idealen der Französischen Revolution gespeist und sich gegen die zu der Zeit als konservativ geltenden Kräfte der Restaurationsära gerichtet hatte. Spätestens mit der Reichsgründung begannen sich die Schwerpunkte zu verlagern. Die bisherigen Gegner auf der Rechten übernahmen nationale Ideen und Ziele. Der Nationalismus wurde tendenziell konservativ geprägt. Auf längere Sicht verlor dabei das demokratische Element an Gewicht.

Wichtiger als die „Freiheit“ wurde die „Einheit“. Dies führte unter anderem zu einer Wendung gegen die nationalen und kulturellen Minderheiten im Reich, insbesondere gegen die Polen und – in Verbindung mit dem ab Ende der 1870er Jahre an Bedeutung gewinnenden rassistisch begründeten Antisemitismus – gegen die Juden (→ Berliner Antisemitismusstreit). In diesen Zusammenhang gehören auch die nationalen Leidenschaften im Kampf gegen den ultramontanen Katholizismus. Im weiteren Verlauf der Reichsgeschichte richtete sich der Nationalismus nicht zuletzt gegen die Sozialdemokratie. Deren internationalistische und revolutionäre Ideologie schien der politischen Elite und ihren Anhängern ein Beleg für ihre Reichsfeindschaft zu sein. Vor diesem Hintergrund wurden die Sozialisten/Sozialdemokraten seit Ende des 19. Jahrhunderts noch während der Ära Bismarck als „vaterlandslose Gesellen“ diffamiert, beziehungsweise deren entsprechender Ruf in den damaligen regierungsfreundlichen und kaisertreuen Zeitungen lanciert.

Der Nationalismus im Kaiserreich entfaltete seit der Reichsgründung eine bis dahin unbekannte Breitenwirkung und erfasste im Zusammenwirken mit dem sich ebenfalls verstärkenden Militarismus nunmehr auch die kleinbürgerlichen und bäuerlichen Bevölkerungsteile. Getragen wurde der Nationalismus von den Turn-, Schützen-, Sänger- und vor allem den Kriegervereinen. Aber auch Schule, Universität, die (evangelische) Kirche und das Militär haben zur Verbreitung beigetragen. „Kaiser und Reich“ setzte sich als feststehender Begriff durch. Dagegen hat die Verfassung des Reiches keinen eigenständigen Symbolwert entwickeln können. Von den Institutionen gewannen nur der Reichskanzler und der Reichstag in dieser Hinsicht eine gewisse Bedeutung.

Der Reichstag und die allgemeinen Wahlen wurden zu einem sichtbaren Stück nationaler Einheit. Mit den Feiern zu den Kaisergeburtstagen, dem Sedanstag[51] und anderen Gelegenheiten durchdrang das Nationale den Jahreskalender vor allem der bäuerlichen und bürgerlichen Bevölkerung. Sichtbar wurde der Nationalismus auch in den zahlreichen Nationaldenkmälern wie dem Niederwalddenkmal, dem Hermannsdenkmal, später den Kaiser-Wilhelm-Denkmälern auf dem Deutschen Eck oder der Porta Westfalica, den zahlreichen Bismarcktürmen bis hin zu den lokalen Kriegerdenkmalen.

Auf längere Sicht konnten sich auch die „Reichsfeinde“ der Zugkraft des Nationalen nicht entziehen. Auf den Katholikentagen wurde seit 1887 nicht nur ein Hoch auf den Papst, sondern auch eins auf den Kaiser ausgebracht. Vor allem nach Kriegsbeginn 1914 zeigte sich, dass auch die Arbeiter vom Nationalismus keineswegs unbeeinflusst blieben.

Vor allem während der wilhelminischen Epoche trat neben den halboffiziellen Nationalismus immer stärker ein völkischer Radikalnationalismus, wie ihn etwa der Alldeutsche Verband repräsentierte. Er propagierte nicht nur die Schaffung eines großen Kolonialreiches, sondern auch einen von Deutschland beherrschten mitteleuropäischen Machtbereich.[52]

Ära Bismarck

Die ersten Jahrzehnte des neuen Kaiserreichs waren innen- wie außenpolitisch in hohem Maße von der Person Bismarcks geprägt. Dabei zerfällt die Zeit zwischen 1871 und 1889 deutlich in zwei Phasen: Von 1871 bis 1878/79 arbeitete Bismarck vornehmlich mit den Liberalen zusammen. In der folgenden Zeit dominierten die Konservativen und das Zentrum.

Liberale Ära bis 1878

Angesichts des Verfassungskonflikts der sechziger Jahre in Preußen ist es auf den ersten Blick verwunderlich, dass Otto von Bismarck bereits während des Bestehens des Norddeutschen Bundes und in den ersten Jahren des Kaiserreichs politisch mit den Liberalen eng zusammenarbeitete. Ein zentraler Grund dafür waren die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag, in dem die Liberalen eine starke Mehrheit hatten. Die Nationalliberalen allein hatten 1871 125 von 382 Sitzen. Rechnet man die Abgeordneten der Liberalen Reichspartei und der Fortschrittspartei hinzu, hatte der Liberalismus die absolute Mehrheit; diese wurde meist noch durch die Freikonservativen verstärkt. Nach der Reichstagswahl von 1874 besaßen die Liberalen allein mit 204 von 397 Abgeordneten die absolute Mehrheit. Gegen sie konnte der Reichskanzler kaum regieren – und mit den Konservativen hätte er bei anderen Mehrheitsverhältnissen wohl auch nicht regieren können: Sie verweigerten sich der Politik Bismarcks und das Zentrum fiel spätestens mit Beginn des Kulturkampfs als mögliches Gegengewicht aus.

Erleichtert wurde die Politik der Reichsgründungsphase durch die boomende Entwicklung vieler Wirtschaftszweige, was zur gesellschaftlichen Akzeptanz liberaler Reformen[53] beitrug.

Innen- und rechtspolitische Reformen

Der Chef des Reichskanzleramtes Rudolph von Delbrück, Porträt von Gottlieb Biermann (1875)

Die eigentlichen Partner Bismarcks waren die Nationalliberalen unter Rudolf von Bennigsen. Diese waren zwar in vielen Punkten kompromissbereit, ihnen gelang es aber auch, zentrale liberale Reformvorhaben durchzusetzen. Erleichtert wurde die Zusammenarbeit durch liberale Beamte wie den Chef des Reichskanzleramts Rudolph von Delbrück oder den preußischen Finanzminister Otto von Camphausen sowie den Kultusminister Adalbert Falk. Der Schwerpunkt der Reformen war die Liberalisierung der Wirtschaft. So wurden in allen Bundesstaaten Gewerbefreiheit und Freizügigkeit eingeführt, sofern sie noch nicht bestanden. Im Sinne des Freihandels liefen die letzten Schutzzölle für Eisenwaren aus. Ein Marken- und Urheberschutz sowie ein einheitliches Patentgesetz wurden eingeführt. Erleichtert wurde auch die Gründung von Aktiengesellschaften. Außerdem wurden Maße und Gewichte normiert und die Währung vereinheitlicht: 1873 wurde die Mark (später ‚Goldmark‘ genannt) eingeführt. 1875 wurde die Reichsbank als zentrale Notenbank gegründet. Ein weiterer Schwerpunkt war der Ausbau des Rechtsstaates, dessen Grundlagen teilweise bis in die Gegenwart Bestand haben. Zu nennen ist das in Grundzügen heute noch geltende, wenn auch vielfach novellierte Reichsstrafgesetzbuch von 1871. Dieses ähnelt stark dem Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1870.

Meilensteine waren die Reichsjustizgesetze von 1877, namentlich das Gerichtsverfassungsgesetz, die Strafprozessordnung, die Zivilprozessordnung, die ebenfalls inhaltlich verändert heute noch in Kraft sind, sowie die Konkursordnung. Durch das Gerichtsverfassungsgesetz wurde 1878 das Reichsgericht als höchstes deutsches Straf- und Zivilgericht eingeführt. Ein einheitlicher oberster deutscher Gerichtshof, der auch das bestehende Reichsoberhandelsgericht ablöste, trug zur rechtlichen Vereinheitlichung des Reiches stark bei. Daneben gelang es der liberalen Mehrheit auch, die Zuständigkeiten des Reichstages in Fragen des Zivilrechts auszuweiten. War das Parlament im Norddeutschen Bund nur für zivilrechtliche Fragen mit wirtschaftlichem Hintergrund zuständig, wurde auf Antrag der nationalliberalen Reichstagsabgeordneten Johannes von Miquel und Eduard Lasker die Zuständigkeit 1873 auf das gesamte Zivil- und Prozessrecht ausgeweitet. In der Folge entstand das 1896 beschlossene und am 1. Januar 1900 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch als bis heute geltende Privatrechtskodifikation.

Allerdings mussten die Liberalen im Bereich der Prozessordnung und der Pressegesetzgebung weitreichende Kompromisse hinnehmen, die von einem Teil der Linksliberalen nicht mitgetragen wurden. Eine Mehrheit kam 1876 nur mit Hilfe der Konservativen zustande. Da auch im preußischen Abgeordnetenhaus eine liberale bis gemäßigt konservative Mehrheit vorhanden war, kam es auch im größten Bundesstaat zu politischen Reformen. Dazu zählt etwa die preußische Kreisordnung von 1872, die auch die Reste ständischer Herrschaftsrechte beseitigte. Das drohende Scheitern am Widerstand des preußischen Herrenhauses konnte freilich nur durch einen „Pairsschub“ (also die Ernennung neuer politisch genehmer Mitglieder) gebrochen werden.[54]

Kulturkampf

Die Zusammenarbeit zwischen Liberalen und Bismarck funktionierte nicht nur bei der Reformpolitik, sondern auch im sogenannten Kulturkampf gegen die Katholiken und die Zentrumspartei. Die Ursachen lagen strukturell im Gegensatz zwischen dem säkularen Staat, der immer mehr Regelungskompetenzen beanspruchte, und einer Amtskirche, die sich im Zeichen des Ultramontanismus der Moderne in allen ihren Ausprägungen entgegenstellte („Antimodernismus“). Die Enzyklika Quanta Cura von 1864 mit ihrem Syllabus errorum war eine klare Absage an die Moderne.[55] Für die katholische Kirche repräsentierte der Liberalismus als Erbe der Aufklärung und als Träger der Modernisierung den Gegensatz ihrer eigenen Positionen. Für die Liberalen ihrerseits war das Papsttum mit seiner Ablehnung jeglicher Veränderungen ein Relikt des Mittelalters. Bismarck hatte verschiedene Gründe für den Kulturkampf. Zum Beispiel verdächtigte er den Klerus, die polnische Bewegung in den preußischen Ostprovinzen zu fördern. Auch er wollte grundsätzlich nicht, dass die staatliche Autorität und die Einheit des Reiches durch andere ältere Mächte eingeschränkt werden könnten. Innenpolitisch ging es ihm auch darum, die Liberalen durch die Umlenkung der politischen Debatte von weiteren innenpolitischen Reformvorhaben abzubringen. Die Auseinandersetzung zwischen modernem Staat und ultramontaner Kirche war ein gemeineuropäisches Phänomen. Auch in deutschen Staaten wie Baden (Badischer Kulturkampf) und Bayern hatte es bereits in den 1860er Jahren einen Kulturkampf gegeben. Die katholischen Bischöfe in Deutschland haben die päpstliche Kritik an der Moderne meist nicht offensiv verfolgt, auch gab es seit 1866 keine katholische Fraktion mehr im preußischen Abgeordnetenhaus. Vielmehr hat sich der Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler 1866 für eine Anerkennung der kleindeutschen Lösung ausgesprochen.[56]

Karikatur von Wilhelm Scholz zur Beendigung des Kulturkampfes. Papst Leo XIII. und der Reichskanzler fordern sich gegenseitig zum Fußkuss auf. Im Hintergrund beobachtet Ludwig Windthorst, Vorsitzender der Zentrumspartei, das Geschehen durch den Vorhang. Bildunterschrift: Pontifex: „Nun bitte, genieren Sie sich nicht!“ Kanzler Bismarck: „Bitte gleichfalls!“ Aus: Kladderadatsch, Nr. 14/15 (18. März 1878)

In der Anfangsphase ab 1871 ging es Liberalen und Regierung darum, den staatlichen Einfluss zu verstärken. Das Strafgesetzbuch wurde um den sogenannten „Kanzelparagraphen“ erweitert, der die politische Betätigung von Geistlichen einschränken sollte.[57] Der als ultramontane ‚Speerspitze‘ geltende Jesuitenorden wurde verboten.[58] Außerdem wurde in Preußen die staatliche Schulaufsicht eingeführt.[59]

In einer zweiten Phase etwa ab 1873 griff der Staat nunmehr direkt in den Innenbereich der Kirche ein, indem etwa die Priesterausbildung oder die Besetzung kirchlicher Ämter staatlicher Kontrolle unterworfen wurden. In einem dritten Schritt folgten ab 1874 weitere Gesetze wie die Einführung der Zivilehe. Reine Repressionsinstrumente waren ein Expatriierungsgesetz vom Mai 1874, das es erlaubte, den Aufenthalt von unbotmäßigen Geistlichen zu beschränken oder sie notfalls auszuweisen. Das sogenannte Brotkorbgesetz sperrte der Kirche alle staatlichen Zuwendungen. Im Mai wurden alle Klostergemeinschaften aufgelöst, sofern sie sich nicht ausschließlich der Krankenpflege widmeten.

Eine Folge der Kulturkampfgesetze war, dass in der Mitte der 1870er Jahre viele Pfarrstellen vakant waren, keine kirchlichen Handlungen mehr stattfanden, Bischöfe verhaftet, abgesetzt oder ausgewiesen waren. Aber die Regierungsmaßnahmen und die Forderungen der Liberalen führten innerhalb des katholischen Deutschlands rasch zu Gegenreaktionen und zu einer breiten politischen Mobilisierung. Die noch vor dem eigentlichen Beginn des Kulturkampfes gegründete Zentrumspartei zog rasch einen Großteil der katholischen Wähler an sich.[60]

Grenzen der Zusammenarbeit

Bismarck und die Liberalen stimmten nicht in allen Punkten überein. So scheiterte etwa der Versuch von Nationalliberalen und Fortschrittspartei, die verschiedenen Städteordnungen zu vereinheitlichen, auch an der mangelnden Unterstützung durch den Reichskanzler. Vorerst am Einspruch Bismarcks war zunächst auch eine Finanzreform gescheitert.[61] Ein Dauerproblem blieb der Militäretat. Anfangs konnte man den Konflikt noch vor sich herschieben, aber spätestens 1874 stand er wieder an. Während die Regierung und insbesondere Kriegsminister Albrecht von Roon eine Dauerbewilligung des Etats (Aeternat) verlangte, beharrten die Liberalen auf einem jährlichen Bewilligungsrecht. Ein Nachgeben hätte den Verzicht auf eine Mitgestaltung von etwa achtzig Prozent des Gesamtetats bedeutet. Die Auseinandersetzung endete mit einem Kompromiss – der Bewilligung für sieben Jahre (Septennat). Immerhin blieb es bei der Regelung der Militärstärke durch Gesetz, allerdings über einen recht langen Zeitraum gestreckt. Ferner konnten sich die Liberalen nicht durchsetzen beim Beamtenrecht, beim Militärstrafrecht und mit der Forderung nach Schwurgerichten bei Pressevergehen.

Den Liberalen war es in der ersten Hälfte der 1870er Jahre durchaus gelungen, in einer Reihe von Politikfeldern ihre Handschrift erkennen zu lassen, allerdings war dies nur durch Kompromisse mit Bismarck möglich. Nicht selten war der Machterhalt wichtiger als die Durchsetzung liberaler Prinzipien. Auch intern gab es Kritik etwa an den Ausnahmegesetzen des Kulturkampfes.[62] Insbesondere gelang es nicht, die Rechte des Parlaments zu stärken. Dies führte innerhalb des liberalen Lagers zu Spannungen und zur Enttäuschung bei einigen Wählergruppen. Zudem war mit dem Zentrum eine neue politische Richtung entstanden. Seither konnten die Liberalen nicht mehr beanspruchen, die eigentliche Vertretung des gesamten Volkes zu sein. Bismarck gelang es in den frühen 1870er Jahren, die Staatsmacht zu stärken. Allerdings führte das Bündnis mit den Liberalen dazu, dass auch die Regierung Zugeständnisse machen musste und der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung Vorschub leistete.[63]

Gründerjahre und Gründerkrise 1873

Eisenwalzwerk (Ölgemälde von Adolph Menzel 1872–1875)

Schilderung von Teuerung und Maßumstellung auf einem Berliner Grab

Schon kurz nach der Reichsgründung erfolgte ein Wirtschaftsaufschwung, die sogenannten Gründerjahre begannen. An diese schloss sich mit dem „Gründerkrach“ eine wirtschaftliche Depression an. Als Ursachen für den Aufschwung gelten mehrere Faktoren: Der Handel innerhalb der Reichsgrenzen wurde stark vereinfacht. Erstmals in der Reichsgeschichte wurde ein einheitlicher Binnenmarkt geschaffen. Die behindernden Landeszölle entfielen. Ein einheitliches metrisches Maßsystem wurde Ende 1872 eingeführt. Eine durch Kriegserfolg und Reichsgründung ausgelöste allgemeine Aufbruchstimmung führte zu einem enormen Investitionsanstieg und Bauboom. Die sehr hohen Reparationszahlungen Frankreichs finanzierten ebenfalls maßgeblich die Gründerzeit.

Schon 1872 übertrumpfte das Deutsche Reich das durch den Krieg geschwächte Frankreich als Industriemacht. Von etwa 1873 bis etwa 1879 folgte die sogenannte Gründerkrise. Sie wurde allgemein bewusst ab der Berliner Börsenpanik im Oktober 1873 (der Wiener Börsenkrach am 9. Mai 1873 gilt als ein Vorbote). Zunächst fiel die Industrieproduktion leicht; dann stagnierte sie. Die Wirtschaftskrise war eine Folge überhitzter Spekulationen, eine Folge von sinkender Nachfrage und von Überkapazitäten, die in den Aufschwungjahren aufgebaut worden waren. Die unterschiedlichen Branchen litten in unterschiedlichen Phasen und unterschiedlich stark unter der Krise. Besonders betroffen waren Montanindustrie, Maschinenbau und Baugewerbe; die Konsumgüterindustrie litt weniger.

Viele Güterpreise, Gewinne und Löhne fielen beträchtlich. Die Landwirtschaft geriet Mitte der 1870er Jahre in die Krise. Hier spielten vor allem strukturelle Gründe und das Entstehen eines Weltgetreidemarktes eine Rolle. In direkter Konkurrenz mit Russland und den USA waren deutsche Getreide bald selbst auf dem Binnenmarkt zu teuer.

Eine langfristig wichtige Folge war das Entstehen von Wirtschafts-Interessenverbänden. Organisationen wie der Verein Süddeutscher Baumwollindustrieller, der Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, der Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen verlangten vom Staat die Einführung von Schutzzöllen und gründeten 1876 zur gemeinsamen Interessenvertretung den Centralverband deutscher Industrieller. Auch im Bereich der Landwirtschaft begannen schutzzöllnerische Verbände zu entstehen, auch wenn in Ostelbien zunächst die Freihändler dominierend blieben. Die Hinwendung zum Schutzzoll ließ Landwirtschaft und Industrie enger zusammenrücken.

Die Gründerkrise hatte auch erhebliche Auswirkungen auf die Parteienlandschaft. Der Fortschrittsoptimismus der vergangenen Jahrzehnte wich einer pessimistischen Grundeinstellung. Vor allem das Gedankengut des Liberalismus („laisser faire, laisser aller“) wurde für den wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich gemacht. Die freihändlerischen Liberalen verloren an Gewicht, während die Konservativen und das Zentrum gewannen. In dieser Stimmungslage nahm die Bedeutung des modernen Antisemitismus zu, da hinter Liberalismus und Börsenkapital das internationale Judentum vermutet wurde. Ausdruck fand er zum Beispiel im Berliner Antisemitismusstreit oder im Entstehen der christlich-sozialen Partei des Hofpredigers Adolf Stoecker. Die antisemitische Bewegung blieb eine Minderheit; 1881 gelang es ihr, für eine „Antisemitenpetition“ 255.000 Unterschriften zu sammeln.

Auf die Regierung wuchs der Druck, regulierend in Märkte einzugreifen, statt wie in Zeiten der Hochkonjunktur auf die Kräfte des Marktes zu vertrauen. Der Staat selber spürte die Gründerkrise durch sinkende Steuereinnahmen; das Defizit nahm zu. Der Zwang zu einer umfassenden Finanzreform wurde immer stärker. Gegen die Mehrheit der Liberalen war diese Reform allerdings nicht durchzusetzen. Diese wollten ihrerseits die Finanzschwierigkeiten nutzen, um verfassungspolitische Ziele durchzusetzen.[64]

Politik nach der Wende von 1878/79

Die immer weniger tragfähige Zusammenarbeit mit den Liberalen sowie die wirtschaftlichen, sozialen und finanzpolitischen Probleme im Gefolge der Gründerkrise veranlassten Reichskanzler Otto von Bismarck zu einem fundamentalen Politikwechsel. Dieser Wechsel war gekennzeichnet durch das Sozialistengesetz, die Abwendung von den Liberalen und die Einführung von Schutzzöllen. Die Haltung der Nationalliberalen dazu war widersprüchlich. Sie trugen zwar einige Maßnahmen mit, dennoch standen sie vorerst aber grundsätzlich in Opposition zum „System Bismarck.“[65] Diese widersprüchliche Haltung zur Politik Bismarcks führte innerhalb der nationalliberalen Partei zu einer tiefen Krise. Zunächst spaltete sich 1879 ein rechter Flügel ab. Ein Jahr später ging aus dem eher linken Flügel die Liberale Vereinigung hervor, die entschieden gegen die konservative Wende anzukämpfen versuchte.[66] Der politische Wandel von 1878 als Bündnis von landwirtschaftlichem Großgrundbesitz und Schwerindustrie wurde in der Forschung unter dem Begriff der Inneren Reichsgründung diskutiert.[67]

Sozialistengesetz

„Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ (Reichsgesetzblatt Nr. 34/1878)

Bismarck nutzte die beiden Attentate auf Kaiser Wilhelm I. im Mai und Juni des Jahres 1878 – beide kurz vor der Reichstagswahl am 30. Juli 1878 – für eine offen antisozialdemokratische Politik. Die Sozialdemokraten galten spätestens seit dem Bekenntnis von August Bebel und Wilhelm Liebknecht für die Pariser Kommune als Reichsfeinde. Darin stimmten Regierung und weite Teile des Bürgertums überein. Tatsächlich schienen sich die Sozialdemokraten im Aufwind zu befinden; sie kamen bei den Reichstagswahlen von 1877 auf 9,1 %. Außerdem war die Spaltung in ADAV und SDAP seit 1875 überwunden. Gleichwohl hat eine tatsächlich „revolutionäre“ Gefahr nie bestanden.[68] Bismarck behielt sich mit dem Sozialistengesetz weitgehende Ausnahmeregelungen vor. Im ersten Anlauf scheiterte dieses Ziel allerdings an der Reichstagsmehrheit.

Das zweite Attentat auf den Kaiser im Juni 1878 bot Bismarck die Gelegenheit, den Reichstag aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben. Im Wahlkampf tat die Regierung alles, um die Revolutionsfurcht im Bürgertum und in den Mittelschichten zu schüren. Wirkungsvoll verbunden wurden in der konservativen Presse dabei Antisozialismus, Antiliberalismus und antisemitische Untertöne. Die Liberalen hatten dagegen einen schweren Stand, zumal sich die Interessenverbände erstmals für eine Schutzzollpolitik und gegen den liberalen Freihandel aussprachen. Die Wahl vom Juli 1878 brachte den Nationalliberalen sowie der Fortschrittspartei erhebliche Verluste, während die Freikonservative Partei und die Deutschkonservative Partei zulegen konnten. Vor allem verloren die Nationalliberalen ihre parlamentarische Schlüsselstellung an die Zentrumspartei. Dennoch brauchte die Regierung die Nationalliberalen für die Verabschiedung des Sozialistengesetzes, da sich das Zentrum angesichts des Kulturkampfs hier verweigerte. In der nationalliberalen Partei blieb das Vorhaben umstritten. Die Parteimehrheit um Rudolf von Bennigsen war angesichts der Wahlniederlage bereit, dem Gesetz zuzustimmen. Ein kleinerer linker Flügel um Lasker wollte zunächst an der Ablehnung festhalten und das Vorgehen als Angriff auf den Rechtsstaat verurteilen; schließlich stimmte aber auch dieser Flügel aus Sorge um den Zusammenhalt der Partei dem Gesetz schließlich zu, nachdem die Liberalen in den Beratungen einige Milderungen und eine Befristung des Gesetzes auf zwei Jahre durchgesetzt hatten.[69] Am 19. Oktober 1878 nahm der Deutsche Reichstag das Gesetz mit 221 gegen 149 Stimmen von Seiten des Zentrums, der Fortschrittspartei und der Sozialdemokraten[70] an.

Das Sozialistengesetz selbst basierte auf der unbewiesenen Behauptung, die Attentäter auf den Kaiser seien Sozialdemokraten gewesen. Es ermöglichte das Verbot von Vereinen, Versammlungen, von Druckschriften und Geldsammlungen. Zuwiderhandlungen konnten mit Geld- oder Gefängnisstrafen belegt werden. Auch konnten Aufenthaltsverbote ausgesprochen oder über bestimmte Gebiete der kleine Belagerungszustand verhängt werden. Allerdings war das Gesetz befristet und musste daher vom Parlament immer wieder bestätigt werden. Außerdem blieben die Arbeit der Parlamentsfraktionen und die Beteiligung an Wahlen (für Einzelpersonen) davon unberührt. Das Gesetz erfüllte sein Ziel auf längere Sicht nicht. Die Sozialdemokratie blieb als politische Kraft bestehen. Es war mitverantwortlich dafür, dass die Anhänger der Partei sich in ein politisches Ghetto zurückzogen, das sich verfestigte. Als Reaktion auf die Verfolgung schlug die Partei überdies spätestens seit 1890 einen konsequent marxistischen Kurs ein.[71]

Übergang zur Schutzzollpolitik

Der führende nationalliberale Politiker Rudolf von Bennigsen (Holzstich um 1871)

Bereits 1875 hatte Bismarck angekündigt, auf eine Schutzzollpolitik zu setzen, also den Freihandel einzuschränken. Dabei spielten finanzpolitische Erwägungen eine größere Rolle als ideologische Gründe. Bislang war das Reich auf Zuwendungen der Länder (Matrikularbeiträge) angewiesen gewesen, durch Zolleinnahmen erhoffte sich die Regierung eine Milderung dieser Abhängigkeit. Unterstützung erwartete Bismarck dafür vom landwirtschaftlich geprägten Zentrum und von den Konservativen sowie vom rechten, industriell geprägten Flügel der Nationalliberalen.[72]

Nach der Verabschiedung des Sozialistengesetzes begann Bismarck ab 1878, die neue Zoll- und Finanzpolitik umzusetzen. Da die liberalen zuständigen Fachminister von Camphausen und Achenbach diese Politik nicht mittragen konnten, traten sie zurück, wie zuvor schon Delbrück. Allerdings stießen Bismarcks Vorstellungen in der hohen Beamtenschaft und bei den Finanzministern der Länder zunächst auf einhellige Ablehnung. Eine wichtige Rolle bei der Aufweichung dieser Position spielen die wirtschaftlichen Interessenverbände und vor allem der Centralverband deutscher Industrieller, denen es gelang, Einfluss auf eine amtliche Denkschrift zu nehmen, die sich für eine protektionistische Politik aussprach. Die Verbände warben bei vielen Mitgliedern des Reichstages erfolgreich für diesen Politikwechsel. Quer durch alle bürgerlichen Parteien schlossen sich 204 Abgeordnete der konservativen Parteien, fast alle Mitglieder der Zentrumsfraktion und eine Minderheit von 27 nationalliberalen Abgeordneten den Forderungen an. Die Umsetzung des Programms erwies sich als schwierig, da die Nationalliberalen ihre Zustimmung von erheblichen konstitutionellen Zugeständnissen abhängig machten. Dasselbe gilt für die Zentrumspartei. Ihr Preis war die sogenannte „Franckensteinsche Klausel“: die Zolleinnahmen verblieben nicht vollständig beim Reich, sondern sollten ab einer bestimmten Höhe den Ländern zufließen. Bismarck konnte sich zwischen Zentrum und Nationalliberalen entscheiden, musste aber in jedem Fall erhebliche Abstriche von seinem Programm zum „Schutz der nationalen Arbeit“ machen. Er entschied sich aus verschiedenen Gründen für das Zentrum. Wohl am bedeutendsten war, dass die Forderungen des Zentrums nicht auf eine weitere Parlamentarisierung hinausliefen. Die Reichstagsrede Bismarcks vom Juli 1879 besiegelte das Ende der liberalen Ära. In ihr erteilte der Reichskanzler dem Ziel eines bürgerlich-liberalen, auf Dauer parlamentarisch geprägten Staates eine klare Absage zu Gunsten eines zwar weiterhin konstitutionellen, aber doch klar obrigkeitlich-monarchischen Systems.[73]

Einführung der Sozialversicherung

Mit der industriellen Revolution und dem Übergang zur Hochindustrialisierung hatte sich der Schwerpunkt der sozialen Frage von den pauperisierten ländlichen Unterschichten hin zur städtischen Arbeiterbevölkerung verlagert. Auf kommunaler Ebene hatte es dazu verschiedene Ansätze gegeben, wie etwa das Elberfelder System der Armenfürsorge. Während des Kaiserreichs setzte nun eine neue Form staatlicher Sozialpolitik ein, die gleichzeitig ein wesentlicher Bestandteil der Entstehung des modernen Interventionsstaates war. Innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft war – auch aus Furcht vor einer revolutionären Arbeiterbewegung – die Notwendigkeit einer Lösung der Arbeiterfrage nicht umstritten. Kontrovers diskutiert wurden die Mittel und vor allem die Rolle des Staates. Insbesondere die Liberalen setzten anfangs auf gesellschaftliche Lösungen, etwa in Form von Selbsthilfeeinrichtungen der Arbeiter. Aus Kreisen der Sozialreformer, vor allem aus dem Umfeld des Vereins für Socialpolitik, kamen Forderungen nach stärkerem staatlichen Engagement in dieser Frage.

Zeitgenössisches Schaubild zu den Einnahmen, Ausgaben und Leistungen der Sozialversicherungen zwischen 1885 und 1909

Bismarck und die von ihm geführte Reichsregierung hatten lange zwischen beiden Positionen geschwankt, ehe sie sich für eine stärker staatliche Intervention entschieden. Für diese Entscheidung spielte eine Rolle, dass gesellschaftliche Lösungsansätze, wie sie den Liberalen vorschwebten, in der Praxis der Dynamik der industriellen Entwicklung offenbar nicht gewachsen waren. Hinzu kam ein weiteres Motiv: Bismarck hoffte mit Hilfe einer staatlichen Sozialpolitik die Arbeiter an den Staat zu binden und damit auch der Repressionspolitik des Sozialistengesetzes seine Schärfe zu nehmen. Das ursprüngliche Konzept der Regierung sah eine staatlich getragene und steuerfinanzierte Zwangsversicherung vor.

Der Gesetzgebungsprozess war langwierig. Während der Beratungen bewirkten Parteien, die Ministerialbürokratie und die Interessenverbände erhebliche Modifikationen der ursprünglichen Entwürfe. Die zentralen Schritte waren die Einführung

Allen gemeinsam war, dass der direkte staatliche Einfluss entgegen den ursprünglichen Plänen begrenzt war. Die Versicherungen waren zwar öffentlich-rechtliche Einrichtungen, aber eben nicht staatlich. Außerdem enthielten sie Elemente der Selbstverwaltung und ihre Finanzierung erfolgte nicht primär aus Steuern, sondern aus den Beiträgen der Arbeitsmarktparteien beziehungsweise der Unternehmer. Außerdem folgten sie nicht dem Prinzip des Bedarfs der Betroffenen, sondern waren lohn- und beitragsbezogen.

Die Einführung der Sozialversicherung wird als eine große Leistung Bismarcks gesehen, auch wenn das Ergebnis schließlich nicht ganz so ausfiel wie geplant.[74] Dies gilt nicht nur für die Struktur der Versicherungen, sondern vor allem für das Ziel, mit ihrer Hilfe die Arbeiter von der Sozialdemokratie fernzuhalten.[75] Dieses Ziel verfehlte er, auch weil der neu eingerichtete Wohlfahrtsstaat die Lohnentwicklung weiterhin dem freien Spiel der Marktgesetze überließ. Die Folge waren stagnierende Reallöhne trotz deutlich steigendem Volkseinkommen, die soziale Schere tat sich weiter auf. Der Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler spricht daher von einer „Zementierung der Ungleichheit“ in Deutschland.[76]

Grenzen des Systems Bismarck

Zentrumspolitiker Ludwig Windthorst

Ziele der konservativen Wende von 1878/1879 waren die Blockade einer weiteren Liberalisierung des Reiches und darüber hinaus eine Entwicklung im konservativen Sinn. Mit dem ersten Ziel war Bismarck weitgehend erfolgreich, das zweite ließ sich nicht umsetzen, da es im Parlament keine dauerhafte Mehrheit für ein solches Programm gab. Eine konservative Umgründung des Kaiserreichs stieß stets auf den Widerstand des Reichstages. Der Reichskanzler versuchte zwar, eine dauerhafte Mehrheit zustande zu bringen, scheiterte damit allerdings. In den frühen 1880er Jahren widersetzte sich im Wesentlichen das Zentrum den Plänen des Reichskanzlers. Solange der Kulturkampf noch nicht ganz beendet war, verfolgte die Partei unter der Führung von Ludwig Windthorst einen betont konstitutionellen Kurs, der die Rechte des Parlaments sicherte und sich einer engeren Zusammenarbeit mit der Regierung verweigerte. Zwar wurden 1880 ein neues Septennat verabschiedet und das Sozialistengesetz verlängert, andere Gesetzesentwürfe der Regierung, etwa für ein Tabakmonopol, scheiterten. Die Probleme verschärften sich für die Regierung mit der Reichstagswahl von 1881, als die beiden konservativen Parteien 38 und die Nationalliberalen sogar 52 Mandate im Reichstag einbüßten. Dagegen gewannen Sozialdemokraten und Zentrum leicht hinzu, während die Liberale Vereinigung und die Fortschrittspartei die eigentlichen Wahlgewinner waren. Zusammen gewannen die Linksliberalen 80 Sitze hinzu.

Mit der Schwächung der parlamentarischen Unterstützung verschärfte Bismarck seinen Konfrontationskurs gegenüber dem Reichstag noch und versuchte, das Gewicht der Regierung im politischen System zu stärken. In diesen Zusammenhang gehörten Überlegungen, einen Deutschen Volkswirtschaftsrat aus Vertretern der Interessenverbände als eine Art Nebenparlament zu errichten. Ähnliche Pläne standen hinter der Schaffung von Berufsgenossenschaften als Träger der Unfallversicherung. Immer wieder wurden auch Gerüchte über die Änderung des Reichstagswahlrechts und eine Aufhebung der Verfassung lanciert. Mit keinem seiner antiparlamentarischen Vorstöße hatte Bismarck Erfolg. Sie trugen zur weiteren Verhärtung der Fronten bei und verstärkten in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass es dem Kanzler zunehmend an politischen Konzepten fehle.[77]

Kartellparteien und konservative Mehrheit

Mandate im Deutschen Reichstag 1871–1887[78]
1871 1874 1877 1878 1881 1884 1887
Konservative 57 22 40 59 50 78 80
Freikonservative 37 33 38 57 28 28 41
Nationalliberale 125 155 128 99 47 51 99
Fortschrittspartei 46 49 35 26 60
Liberale Vereinigung 46
Freisinn 67 32
Zentrum 63 91 93 94 100 99 98
Sozialdemokraten 2 9 12 9 12 24 11
Minderheiten 21 34 34 40 45 43 33
Sonstige 31 4 17 13 9 7 3

In der zweiten Hälfte der 1880er Jahre veränderte sich die politische Situation vor allem durch Verschiebungen im Parteiensystem. Die politische Ausrichtung der Nationalliberalen verlagerte sich nach dem Rücktritt von Bennigsen, dem Aufstieg von Johannes Miquel und dem wachsenden Einfluss agrarischer Interessen deutlich nach rechts. Die Partei stellte sich mit ihrer Heidelberger Erklärung von 1884 in den wesentlichen Streitfragen hinter den Reichskanzler und grenzte sich gegenüber den Linksliberalen ab. Dies führte ebenfalls 1884 indirekt zur Fusion der Liberalen Vereinigung mit der Deutschen Fortschrittspartei zur Deutsch-Freisinnigen Partei. Der Abbau der Kulturkampfgesetze seit der ersten Hälfte der 1880er Jahre führte zu einer Minderung der Oppositionshaltung des Zentrums. Nach der Reichstagswahl von 1884, die mit Verlusten der Linksliberalen und deutlichen Gewinnen der konservativen Parteien sowie leichten Zuwächsen der Nationalliberalen endete, schien eine Rechtskoalition möglich zu werden. Tatsächlich arbeiteten diese Parteien bei der Germanisierungspolitik in den preußischen Ostprovinzen zusammen.

Forciert wurde der Plan einer rechten Mehrheit 1886 im Zusammenhang mit einer tiefen außenpolitischen Krise. Bismarck verlangte daraufhin die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke des Heeres, was von Zentrum und Freisinn strikt abgelehnt wurde. Die Folge war eine erneute Reichstagsauflösung. Im Wahlkampf tat die Regierung alles, um Linksliberale, Zentrum und Sozialdemokraten als Reichsfeinde abzustempeln. Darüber hinaus schlossen Konservative und Nationalliberale ein Wahlbündnis – das sogenannte Kartell. Die Wahl von 1887, die im Zeichen eines möglichen Krieges mit Frankreich stattfand, brachte den Kartellparteien (vor allem den Nationalliberalen) Gewinne, die zu Lasten der Linksliberalen und der Sozialdemokraten gingen. Die Kartellparteien verfügten mit 220 von 397 Abgeordneten über eine absolute Mehrheit.

Bismarck hatte zwar seither eine starke Mehrheit, gleichzeitig war er aber auch vom Fortbestand der Koalition abhängig. In der ersten Zeit arbeiteten Kartell und Regierung recht reibungslos zusammen. So wurde die umstrittene Militärvorlage ebenso beschlossen wie Gesetze im Interesse der Landwirtschaft. Auch das Sozialistengesetz wurde noch einmal bis 1890 verlängert. Danach nahmen die Spannungen allerdings deutlich zu. So stimmten die Nationalliberalen einem Friedensgesetz zur Beendigung des Kulturkampfs nicht zu, auch weigerte sich ein Teil ihrer Fraktion, die landwirtschaftlichen Schutzzölle noch einmal zu erhöhen. Dies Gesetz kam dann nur mit Hilfe des Zentrums zustande. Auch die Fortsetzung des Sozialistengesetzes, die Kolonialpolitik und die Sozialgesetzgebung stieß bei den Nationalliberalen auf Kritik. Die Sozialgesetze kamen ebenfalls nur mit Hilfe des Zentrums zustande. Im konservativen Lager verstärkten sich die Stimmen, die nach einer dauerhaften Zusammenarbeit mit dem Zentrum verlangten.[79]

Bündnisse und Außenpolitik

Das Kaiserreich verdankte sein Entstehen im Krieg gegen Frankreich der wohlwollenden Neutralität von England und Russland. Diese relativ günstige diplomatische Großwetterlage hielt indes nicht an. Das strukturelle Hauptproblem war, dass mit der Gründung des Reiches eine neue Großmacht in Europa entstanden war, die erst ihren Platz im System der Mächte finden musste. Obwohl Bismarck immer wieder die Saturiertheit der neuen Nation beteuerte, erschien den übrigen Staaten die Politik Deutschlands als nicht recht berechenbar. Insgesamt schien die außenpolitische Situation relativ offen. Fixpunkte waren jedoch einerseits der deutsch-französische Gegensatz und andererseits die Konkurrenz von Großbritannien und Russland (The Great Game). Es gab für die deutsche Außenpolitik verschiedene theoretische Handlungsoptionen sich in das bestehende Staatensystem zu integrieren. Obwohl sich Bismarck zunächst alle Alternativen bis hin zu einem Präventivkrieg offen hielt, entschied er sich letztlich aber für eine defensive Variante als „ehrlicher Makler“ zwischen den Mächten.

Bündnissysteme bis Anfang der 1880er Jahre

Am 7. September 1872 kam es zu einem Dreikaisertreffen. Kaiser Wilhelm begrüßte in Berlin Kaiser Franz Joseph I. und Zar Alexander II. Am 22. Oktober 1873 wurde das Dreikaiserabkommen zwischen dem Deutschen Reich, Russland und Österreich-Ungarn unterzeichnet. Am Beginn der Außenpolitik des neuen Reiches standen damit einerseits ein enges Bündnis mit Österreich-Ungarn und ein gutes Einvernehmen mit Russland.

Die Entscheidung für eine defensive Politik fiel 1875 nach der sogenannten Krieg-in-Sicht-Krise, als Russland und Großbritannien deutlich gemacht hatten, einen möglichen Präventivkrieg des Reiches gegen das wieder erstarkte Frankreich nicht hinzunehmen. Dies machte deutlich, dass der Versuch, eine hegemoniale Stellung zu erreichen, die Gefahr eines europäischen Krieges in sich trug.

Die Entscheidung für eine Gleichgewichtspolitik wurde zuerst in der Balkankrise 1877/1878 im Zusammenhang mit dem Russisch-Türkischen Krieg deutlich. Während die übrigen Großmächte eigene Interessen hatten, versuchte Deutschland als Vermittler aufzutreten. Dabei bestand allerdings die Gefahr, die Unterstützung Österreich-Ungarns und Russlands zu verlieren. Daher hat Bismarck alles vermieden, um sich zwischen beiden Seiten entscheiden zu müssen. Das Ziel war es, eine Konstellation herbeizuführen, wie der Kanzler in seinem Kissinger Diktat von 1877 festhalten ließ, in welcher alle Mächte außer Frankreich unser bedürfen, und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden.[80]

Zur Lösung des Interessengegensatzes zwischen Russland und Großbritannien nach dem Russisch-Türkischen Krieg fand 1878 der Berliner Kongress statt. Bismarck bemühte sich dabei um die Rolle als „ehrlicher Makler“ und um einen Ausgleich zwischen den Großmächten. Dies stand allerdings im Gegensatz zur Hoffnung der russischen Regierung, die sich von dem Kongress eine diplomatische Bestätigung der erzielten militärischen Erfolge auf dem Balkan erwartet hatte. Insofern wurde das Ergebnis, das gerade Österreich mehr Einfluss zugestand, ohne militärische Opfer gebracht zu haben, von Russland als eine diplomatische Niederlage gewertet. Nach dem Kongress verschlechterte sich das Verhältnis des Zarenreichs gegenüber Deutschland erheblich, sodass ein Bündnis zwischen diesen beiden Staaten immer schwieriger zu erhalten war.

Bismarck suchte daher noch deutlicher als zuvor ein Zusammengehen mit Österreich-Ungarn. Dies gipfelte am 7. Oktober 1879 in dem sogenannten „Zweibund“. Mit dem Bündnis war die Rolle des Deutschen Reiches als ungebundenem Mittler zwischen den Mächten beendet. Es begann in der Folge der Aufbau des bismarckschen Bündnissystems, zunächst nach Osten, dann nach Westen und Süden. Im Jahr 1881 erfolgte der Abschluss des Dreikaiserbundes mit Österreich-Ungarn und Russland. Inhaltlich verpflichteten sich die Mächte, den Status quo auf dem Balkan nur in Absprache zu verändern und im Kriegsfalle mit einer vierten Macht wohlwollende Neutralität zu wahren. Diese Bestimmung bezog sich in erster Linie auf einen neuen Krieg zwischen Frankreich und Deutschland sowie Großbritannien und Russland. Da die Spannungen zwischen Österreich-Ungarn und Russland auf dem Balkan aber bald wieder zunahmen, scheiterte die Dreikaiserpolitik auf längere Sicht.

Nach Süden wurde 1882 der Zweibund mit Italien zum Dreibund erweitert. Hintergrund dieser Erweiterung waren die zunehmenden Spannungen zwischen Frankreich und Italien in Tunesien. Auch der Dreibund war ein Defensivbündnis und entlastete zudem noch Österreich-Ungarn, da es über den Verlauf der Grenze mit Italien immer wieder zu Streitigkeiten gekommen war.

Das Kaiserreich stand daher zu Beginn der 1880er Jahre im Zentrum zweier Bündnissysteme. Die Aufrechterhaltung war kompliziert, von Widersprüchen gekennzeichnet und labil. Auf dieser instabilen Basis gelang für einige Zeit ein Festschreiben des status quo.[81]

Beginn des deutschen Imperialismus

Deutscher Kolonialherr in Togo (ca. 1885)

Bereits Mitte der 1880er Jahre führte die imperialistische Expansion der Großmächte zu einer neuen Dynamik in den Beziehungen, die das Aufrechterhalten des Gleichgewichts immer schwieriger machte und es schließlich aus der Balance warf.

Anfangs wurde die Expansion nach Übersee von privaten Unternehmern getragen. Zwar kam es bald zu staatlichen Unterstützungen, aber diese bewegten sich nach britischem Vorbild noch im Rahmen des Aufbaus eines „informal Empire“ (das heißt die Kontrolle eines Gebiets ohne offizielle staatliche Inbesitznahme). Gründe für ein Engagement in Übersee waren einerseits das Auftreten einer wirkungsmächtigen Kolonialbewegung in Deutschland, die in Kolonien eine Möglichkeit sah, die Gründerkrise zu überwinden und den Bevölkerungsanstieg zu bremsen. Aber der Besitz von Kolonien wurde auch als eine nationale Prestigefrage betrachtet. Als Kolonialpropagandisten traten bald Organisationen wie der Deutsche Kolonialverein oder die Gesellschaft für Deutsche Kolonisation auf. Beide schlossen sich später zur Deutschen Kolonialgesellschaft zusammen.[82]

Die Gründe, weshalb Bismarck dem Druck der Kolonialbewegung nachgab und begann, ein formelles Empire zu errichten, sind in der Forschung umstritten. Ein Argument ist, dass der Reichskanzler die Probleme Großbritanniens unter anderem in Afghanistan und im Sudan ausnutzte, um durch eine antienglische Politik die Annäherung an Frankreich zu suchen. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Berliner Kongokonferenz 1884/85, als Deutschland und Frankreich zusammen Englands Mittelafrikapolitik entgegentraten. Andere Interpretationen verweisen vor allem auf innenpolitische Gründe. Der Erwerb von Kolonien sollte danach parteipolitische Erleichterungen für die Regierung bringen und bei den Reichstagswahlen von 1884 Stimmen für die der Regierung nahestehenden Parteien bringen. Eine dritte These deutet die Wende als Sozialimperialismus. Danach sollten Kolonien gewissermaßen die sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten überdecken und Legitimationsdefizite abbauen. Neuere Forschungen sehen eine Mischung aus verschiedenen Ursachen und betonen zusätzlich die Eigendynamik in den späteren Kolonien. Das Jahr 1884 markiert dann den eigentlichen Beginn der deutschen Kolonialpolitik, als im April das sogenannte „Lüderitzland“ als Keimzelle des späteren Deutsch-Südwestafrika unter den Schutz des Deutschen Reichs gestellt wurde. Auch in Deutsch-Ostafrika, Togo, Kamerun und im Pazifik wich die informelle einer formellen Herrschaft. Zwar blieb die Kolonialpolitik unter Bismarck Episode, die Expansion endete bereits 1885, allerdings war damit ein Anfang für ein weiteres Ausgreifen ebenso wie für Konflikte mit Großbritannien gemacht.[83]

Übersicht über die deutschen Kolonien („Deutsche Schutzgebiete“)

  • Deutsches Kaiserreich
  • Deutsches Kolonialreich (1914)

Deutsche Kolonien 1910 (zeitgenössische Karten)
  1. Deutsch-Neuguinea seit 1885, erworben durch Otto Finsch, im Auftrag der Neuguinea-Kompagnie; dazu gehörte: Kaiser-Wilhelms-Land (heute nördliches Papua-Neuguinea), Bismarck-Archipel (Papua-Neuguinea), Bougainville-Insel (Papua-Neuguinea), nördliche Salomon-Inseln 1885–1899 (Salomonen (Choiseul und Santa Isabel)), Marianen seit 1899, Marshallinseln seit 1885, Palau seit 1899, Karolinen (Mikronesien) seit 1899, Nauru seit 1888
  2. Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Ruanda, Burundi, MosambikKionga-Dreieck) seit 1885, erworben durch Carl Peters
  3. Deutsch-Samoa seit 1899, heute unabhängiger Staat Samoa
  4. Deutsch-Somaliküste (heute Teil von Somalia) 1885–1888, Ansprüche erworben durch Gustav Hörnecke, Claus von Anderten und Karl Ludwig Jühlke
  5. Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia, Botswana-Südrand des Caprivi-Zipfels) seit 1884, erworben durch Franz Adolf Eduard Lüderitz
  6. Deutsch-Witu (heute südliches Kenia), 1885–1890, erworben durch die Gebrüder Denhardt aus Zeitz
  7. Kamerun seit 1884, (heute Kamerun, Nigeria-Ostteil, Tschad-Südwestteil, Westteil der Zentralafrikanischen Republik, Nordostteil der Republik Kongo, Gabun-Nordteil) erworben durch Gustav Nachtigal
  8. Kapitaï und Koba (heute Guinea) 1884–1885, erworben durch Friedrich Colin
  9. Kiautschou seit 1898 (China, für 99 Jahre gepachtet)
  10. Mahinland (heute Nigeria) März bis Oktober 1885, erworben durch Gottlieb Leonhard Gaiser
  11. Togo seit 1884, (heute Togo, Ghana-Westteil) erworben durch Gustav Nachtigal

Außenpolitische Doppelkrise 1885/1886

„Wir Deutsche fürchten Gott, sonst Niemand auf der Welt.“ (Zitat einer Rede Bismarcks vor dem Reichstag am 6. Februar 1888; Propagandadruck, zeitgenössische Kreidelithographie)

Nicht nur die Hinwendung zu einer imperialistischen Politik in Übersee, sondern auch zwei Krisenherde in Europa veränderten die deutsche Außenpolitik. In Frankreich entstand, ausgehend nicht zuletzt von General Georges Ernest Boulanger, eine nationalistische Sammlungsbewegung, die für einen Revanchekrieg gegen Deutschland eintrat. Die Gefahr wuchs noch, als Boulanger Kriegsminister wurde. Bismarck spielte diese Bedrohung aus innenpolitischen Gründen bewusst hoch, unter anderem um dazu beizutragen, dass bei den Reichstagswahlen von 1887 eine regierungsfreundliche Mehrheit entstehen konnte. Gleichzeitig diente die Verschärfung des Tons gegenüber Frankreich der Überdeckung der außenpolitischen Schwierigkeiten in Ost- und Südosteuropa. Dort hatte die Bulgarische Krise zur Verschärfung der Gegensätze zwischen Österreich-Ungarn und Russland und zum faktischen Zerbrechen des Dreikaiserbundes geführt. Auch Deutschlands Verhältnis zu Russland verschlechterte sich nicht zuletzt wegen der Schutzzollpolitik. Bei der deutschen Regierung wuchs die Sorge um einen Zweifrontenkrieg, da es offenbar zu einer Annäherung zwischen Russland und Frankreich kam. Innenpolitisch geriet Bismarck angesichts der Doppelkrise unter Druck, da ihm Kritiker vorwarfen, seine Außenpolitik sei überholt. Von einigen Militärs, wie von General Alfred von Waldersee, aber auch von Deutschkonservativen und selbst von Sozialdemokraten, wurde eine scharfe Gangart gegenüber Russland bis hin zu einem Präventivkrieg gefordert. Bismarck versuchte die teilweise von ihm selbst ausgelöste nationalistische Welle zu dämpfen und die Krise diplomatisch beizulegen. Dies gelang mit Mühen, die deutlich machten, dass sich der politische Spielraum Deutschlands seit der Reichsgründung erheblich reduziert hatte. Im Jahr 1887 gelang die Wiederherstellung des Dreibundes mit Österreich-Ungarn und Italien. Durch verschiedene weitere Verträge, wie dem Mittelmeerabkommen zwischen Italien und Großbritannien und dem Orientdreibund, an denen Deutschland nicht beteiligt war, wurde es durch seine Verbündeten doch Teil einer antirussischen Koalition.

Noch im selben Jahr wurde anstelle des Dreikaiserabkommen am 18. Juni der Rückversicherungsvertrag mit Russland abgeschlossen. Beide Staaten verpflichteten sich bei einem unprovozierten Angriff seitens einer dritten Macht zu wohlwollender Neutralität. Dabei sah ein geheimes Zusatzprotokoll die deutsche Unterstützung Russlands in dessen Balkan- und Bosporuspolitik vor. Damit ging Deutschland hier Verpflichtungen ein, die im Gegensatz zu den Bündnissen und Verträgen mit anderen Staaten standen. Wichtiger war Bismarck an dieser Stelle offenbar, ein mögliches Bündnis zwischen Frankreich und Russland zu verhindern.

Insgesamt war die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts am Ende von Bismarcks Amtszeit immer schwieriger geworden. Hatte er zu Beginn noch die vorhandenen Gegensätze zwischen den Großmächten austarieren können, blieb ihm am Ende nur noch, die Spannungen zu schüren, um dann zu versuchen, sie im Sinne des Reiches einzuhegen.[84]

Dreikaiserjahr 1888

Friedrich III.

Am 9. März 1888 starb Kaiser Wilhelm I. Drei Tage später wurde sein Sohn, der schwerkranke Friedrich III., zum neuen Kaiser proklamiert. Mit seiner Inthronisierung verbanden sich Hoffnungen auf eine Liberalisierung des Reiches und einen größeren Einfluss des Parlaments auf politische Entscheidungen. Man sagte ihm Sympathien für das parlamentarische System der britischen Monarchie nach.

Während des Antisemitismusstreits hatte er sich öffentlich gegen die Judenfeinde gestellt. Besonders die Freisinnigen, vor allem Bamberger, Forckenbeck und von Stauffenberg standen dem Kaiser nahe. Aufgrund seiner Krankheit konnte er die Politik allerdings kaum beeinflussen. Lediglich die Entlassung des hochkonservativen preußischen Innenministers von Puttkamer war ein Zeichen in die erwartete Richtung. Bereits 99 Tage nach seinem Amtsantritt, am 15. Juni 1888, starb Friedrich III. an Kehlkopfkrebs. Aufgrund der kurzen Amtszeit wird er auch als „99-Tage-Kaiser“ bezeichnet. Zehn Tage nach seinem Tod wurde sein 29-jähriger Sohn als Kaiser Wilhelm II. inthronisiert. Wegen der Abfolge dreier Monarchen innerhalb eines Jahres wird das Jahr 1888 auch als Dreikaiserjahr bezeichnet.[85]

Wilhelminisches Reich

Noch deutlicher als zur Zeit Bismarcks stand die Politik während der wilhelminischen Ära unter dem Druck, sich den Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft anzupassen und Antworten auf die dringendsten sozialen und ökonomischen Fragen der Zeit zu finden: so etwa in Bezug auf die Integration und Emanzipation der Arbeiter in Staat und Gesellschaft, aber auch auf die negative wirtschaftliche Entwicklung in Handwerk und Landwirtschaft. Die Übernahme neuer staatlicher Aufgaben führte zu Finanzierungsproblemen und einer entsprechend hohen Belastung des Staatshaushalts. Nicht zuletzt ging es auch darum, die politischen Strukturen an die Bedingungen einer industriellen Gesellschaft und einer bislang nicht gekannten tiefgreifenden Politisierung der Bevölkerung anzupassen.[86]

Ende der Ära Bismarck 1890

Bismarck blieb zunächst unbeschadet im Amt. So versuchte er noch 1889 ein Bündnis mit Großbritannien einzugehen, scheiterte jedoch mit diesem Vorhaben. Ein Schlusspunkt unter die Sozialgesetzgebung war die am 23. Mai in Kraft getretene Alters- und Invalidenversicherung.

Die Punch-Karikatur Dropping the Pilot (dt. meist „Der Lotse geht von Bord“) von Sir John Tenniel zur Entlassung Bismarcks 1890

Zwischen Wilhelm II. und Bismarck kam es schon bald zu Konflikten. Neben dem Generationsunterschied spielte dabei Wilhelms Wunsch, selbst die Politik zu gestalten, eine wichtige Rolle. Dies schränkte Bismarcks Spielraum erheblich ein. Bestärkt wurde der Kaiser dabei von seinem engsten Umfeld, etwa von Philipp zu Eulenburg. Auch in der Öffentlichkeit nahm die Kritik an der autoritären Kanzlerherrschaft – von einigen sogar als Kanzlerdiktatur bezeichnet – sowie an der innenpolitischen Erstarrung zu. Nicht zuletzt waren Kaiser und Kanzler in der Arbeiterfrage uneins. Während Bismarck an seinem Repressionskurs festhielt, sprach sich Wilhelm für ein Ende der Sozialistengesetze aus.

Ein Zeichen für diese veränderte Haltung war während des großen Bergarbeiterstreiks von 1889 der Empfang einer Delegation von streikenden Arbeitern. Dagegen legte Bismarck den Entwurf für ein nunmehr unbefristetes Sozialistengesetz vor. Die Mehrheit des Reichstages lehnte das Gesetz allerdings ab und das Kartell der Rechtsparteien brach auseinander. Diese mussten bei den Reichstagswahlen 1890 starke Verluste hinnehmen, während das Zentrum, die Linksliberalen und die Sozialdemokraten zulegen konnten. Damit war die parlamentarische Mehrheit für die Politik Bismarcks nicht mehr vorhanden. Die erneuten Drohungen mit einem Staatsstreich liefen ins Leere. In der Folge verschärften sich die Konflikte zwischen Wilhelm II. und Bismarck noch einmal und der Kanzler geriet allmählich politisch ins Abseits. Bismarck wurde durch Wilhelm II. am 18. März 1890 zum Rücktritt von allen seinen Ämtern gezwungen.[87]

„Der neue Kurs“ und die Amtszeit von Leo von Caprivi

Neuer Reichskanzler wurde Leo von Caprivi. Anders als Bismarck, der innenpolitisch eine Politik der Konfrontation betrieben hatte, setzte der neue Kanzler auf eine ausgleichende und versöhnlichere Politik. Vor allem sollten Reformen die sozialen Konflikte mildern und dem schleichenden Legitimitätsverlust der letzten Bismarckjahre entgegenwirken. In der Außenpolitik lehnte der Kaiser auf Anraten Friedrich August von Holsteins eine Verlängerung des Rückversicherungsvertrages mit Russland ab, was Russland zwang, sich mit Frankreich zu arrangieren.

Seit 1890 begann – vor allem getragen vom preußischen Handelsminister Hans Hermann von Berlepsch und seinem Mitarbeiter Theodor Lohmann – ein neuer Schub für die Sozialpolitik.[88] Dabei setzte dieser vor allem auf den Ausbau des Arbeitsschutzes und eine Reform des Arbeitsrechts. In den kaiserlichen Februarerlassen von 1890 wurden diese Pläne zu einem offiziellen Programm der Regierung erhoben. Die Novelle der Gewerbeordnung setzte 1891 Teile davon tatsächlich um. Dazu gehörte das Verbot der Sonntagsarbeit, eine weitere Beschränkung der Fabrikarbeit für Frauen und Kinder oder Regelungen für die Arbeit in gesundheitsgefährdenden Betrieben. Die Verbesserung der Gewerbeaufsicht sollte die Umsetzung der Maßnahmen kontrollieren. Die Fortführung des Programms scheiterte einerseits an schlechteren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und andererseits am Widerstand der Industrie. Die geplante Neuregelung des Koalitionsrechts blieb daher aus. In der Handelspolitik schloss die Regierung Caprivi eine Reihe von Handelsverträgen, die nicht nur drohende Zollkriege verhinderten, sondern die Absatzmöglichkeiten für deutsche Produkte verbesserten. Dies war allerdings nur für den Preis von niedrigeren Agrarzöllen zu haben. Unter Caprivi verschob sich die Wirtschaftspolitik mithin von der Landwirtschaft hin zur exportorientierten Industrie. In Preußen hatte Caprivi, der wie Bismarck auch preußischer Ministerpräsident war, nur teilweise Erfolge bei der Reform der Landgemeindeordnung, die schließlich durch den Widerstand der Konservativen stark verwässert wurde. Ein Erfolg war allerdings die Finanzreform des preußischen Finanzministers Miquel, die 1891 zur Erhebung einer zumindest schwach progressiven Einkommensteuer führte. 1893 folgte eine Vermögensteuer. Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern waren seither Gemeindesteuern. Allerdings zeigten die Konzessionen an die Großgrundbesitzer auch die Grenzen der Reformfähigkeit. Kaum Erfolg hatten Bemühungen um eine Reform des Dreiklassenwahlrechts in Preußen.

„Die Februarerlasse“. Idealisierte Darstellung Wilhelm II. und des Anspruchs auf ein „soziales Kaisertum“ (Neuruppiner Bilderbogen von 1890)

Insgesamt hatte die Politik Caprivis zwar Erfolge, die Reformen gingen aber nicht weit genug, um einen wirklichen Systemwechsel herbeizuführen. Ein Problem war dabei auch der Reibungsverlust an der Staatsspitze. Vor allem das Auseinandertreten der Politik im Reich und in Preußen war folgenreich. Während der Kanzler sich im Reichstag gegenüber dem Zentrum und den Linksliberalen öffnete, verfolgte Miquel als starker Mann in Preußen eine Zusammenarbeit zwischen Konservativen und Nationalliberalen. Im Jahr 1892 musste Caprivi das Amt des Ministerpräsidenten an Graf Botho zu Eulenburg abgegeben. Dies schwächte die Position des Reichskanzlers noch mehr, dem es ohnehin nicht gelang, im Reichstag eine dauerhafte Mehrheit hinter sich zu bringen. Vor allem eine neue Heeresvorlage, die einen starken Rüstungsschub bedeutet hätte, traf auf den Widerstand nicht nur der Sozialdemokraten und des Freisinns, sondern auch des Zentrums, das die Politik des Kanzlers bislang meist mitgetragen hatte. Dies führte 1893 zur Auflösung des Reichstags und zu Neuwahlen. Die SPD gewann zwar dazu, aber die Linksliberalen, die sich über die Militärvorlage in Freisinnige Vereinigung und Freisinnige Volkspartei aufspalteten, verloren ebenso wie das Zentrum Mandate.

Dies ermöglichte zwar die Verabschiedung einer veränderten Fassung der Heeresvorlage, aber Caprivi hatte auch mit dem Widerstand der Konservativen zu rechnen, die sich vor allem gegen die Wende in der Zoll- und Handelspolitik wandten. Vor allem der neu gegründete Bund der Landwirte[89] machte erfolgreich Stimmung gegen den Kanzler. In der konservativen Partei gab es zudem einen deutlichen Rechtsschwenk, als die Partei auf dem sogenannten Tivoliparteitag 1892 die alte Führung stürzte, ein antisemitisches Programm[90] annahm und sich eng an den Bund der Landwirte anlehnte. Auf Widerstand stieß Caprivi zunehmend auch bei Wilhelm II., der stärker als seine Vorgänger Einfluss auf die Politik ausüben und ein „persönliches Regiment“ errichten wollte. Auch wenn davon nur bedingt die Rede sein kann, hat der Kaiser doch erheblichen direkten und indirekten Einfluss ausgeübt. Vielfach zeigte sich dieser Einfluss in sprunghaften und planlosen Eingriffen in die Entscheidungsprozesse. Dies betraf weniger die Innen- als vielmehr die Flotten- und Außenpolitik. Dennoch begann sich der Kaiser auch gegen den innenpolitischen „Neuen Kurs“ zu wenden, da dieser nicht wie gehofft, die Legitimationsbasis erweitert, sondern sie mit der drohenden Abwendung der Konservativen sogar noch verringert hatte. Gegen den neuen Kurs wetterte zudem auch Bismarck, der immer noch Einfluss auf Teile der Presse hatte.

Hatte der Kaiser zu Beginn seiner Herrschaft gegenüber den Sozialdemokraten noch ein gewisses Entgegenkommen gezeigt, änderte sich dies in der Mitte der 1890er Jahre unter dem Druck der Industrie (hier angeführt von Carl Ferdinand von Stumm-Halberg), Teilen der Landwirtschaft, des Hofstaates, des preußischen Ministerpräsidenten und Anderer. Diese forderten einen schärferen Kurs gegenüber den Sozialdemokraten. Es war die Rede von neuen Ausnahmegesetzen und erneut gab es Gerüchte über Staatsstreichpläne. Als auch Wilhelm sich gegen Caprivi wandte, war dieser nicht mehr zu halten und wurde im Oktober 1894 wie auch der preußische Ministerpräsident Eulenburg entlassen.[91]

Kanzler des Übergangs und „persönliches Regiment“

Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst (Porträt von Franz von Lenbach, 1896)

Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst wurde am 29. Oktober 1894 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident. Bereits sein Alter von mehr als 75 Jahren lässt ihn als eine personelle Zwischenlösung erscheinen. Konflikten mit dem Kaiser versuchte Hohenlohe zwar möglichst aus dem Weg zu gehen, dennoch war seine Amtszeit geprägt von teils latenten, teils manifesten Meinungsunterschieden zwischen Kaiser und Kanzler. Diese reichten bis hin zu einer lang dauernden Regierungskrise.

Der neue Kanzler offenbarte durchweg eine Politik des Zögerns, die angesichts des immer stärker hervortretenden kaiserlichen Anspruchs auf ein „persönliches Regiment“ der Einsicht in seinen begrenzten Einfluss entsprach. Wilhelm übte namentlich einen starken Einfluss auf Personalentscheidungen aus. Dabei wurden die Exponenten des „Neuen Kurses“ entweder entlassen oder politisch kaltgestellt. Die Sozialpolitik begann ab 1893 zu stocken. Persönlich stand Hohenlohe neuen Ausnahmegesetzen gegen die Sozialdemokratie zwar eher skeptisch gegenüber, aber bezeichnend für seine Schwäche war, dass 1895 mit der Umsturzvorlage und später der Zuchthausvorlage[92] von 1899 – die letztere war dabei auch eine Reaktion auf den Hamburger Hafenarbeiterstreik von 1896/97 – im Reichstag solche Gesetze zur Abstimmung standen. Bezeichnend für die schwebende politische Lage war, dass beide keine Mehrheit fanden. Dasselbe Schicksal erlitt ein „kleines Sozialistengesetz“ in Preußen. Erfolg hatte freilich die Lex Arons 1898, das Sozialdemokraten vom Lehramt an Hochschulen ausschloss. In die Kanzlerzeit von Hohenlohe-Schillingsfürst fiel 1896 nach langen Vorarbeiten die Verabschiedung des bürgerlichen Gesetzbuches. Dieses vereinheitlichte das bis dahin regional unterschiedliche bürgerliche Recht. In Kraft trat das Gesetzbuch zum 1. Januar 1900. Es bildete den Abschluss des nach der Reichsgründung begonnenen rechtlichen Kodifizierungsprozesses.[93]

Ära von Bülow

Sammlungspolitik

Nicht zuletzt die Misserfolge bei der Durchsetzung neuer Ausnahmegesetze verstärkten im Umfeld des Kaisers noch einmal Gedanken an einen antiparlamentarischen Staatsstreich. Im Jahr 1897 bildete Wilhelm II. die Regierung dann entscheidend um. Hohenlohe blieb zwar zunächst im Amt, aber der eigentliche Schwerpunkt der Politik lag bei vier anderen Personen: Johannes Miquel als Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums, Arthur von Posadowsky-Wehner als Chef des Reichsamtes des Inneren, Alfred von Tirpitz als Chef des Reichsmarineamtes sowie Bernhard von Bülow als Außenstaatssekretär. Diese sollten nach Willen des Kaisers die Innenpolitik in konservative Bahnen lenken, den Aufbau einer starken Flotte forcieren und außenpolitisch im Sinne einer Weltpolitik agieren. Mit diesem Wechsel ließen die direkten Eingriffe des Kaisers in die Politik zunächst nach, da die neue Führung ohnehin weitgehend im Sinne Wilhelms handelte. Die Konflikte zwischen Regierung und Kaiser gingen nach 1900 mit dem Wechsel im Reichskanzleramt zu Bernhard von Bülow weiter zurück.

Das Schlagwort der neuen Führung am Ende des 19. Jahrhunderts war die Sammlungspolitik der „staatserhaltenden und produktiven Kräfte“ gegen die Sozialdemokratie. Zollpolitik, Flottenbau, Weltpolitik und Kaisertum sollten gesellschaftlich integrierend wirken und Mittelstand und Bürgertum gegen die Sozialdemokratie einen. Diesem Ziel diente auch die Handwerkspolitik. Das Handwerksgesetz vom 26. Juli 1897 kam den Wünschen des alten Mittelstandes entgegen, etwa durch die Einführung von Handwerkskammern und Innungen. Zur Einbindung agrarischer und gewerblicher Interessen beteiligte die Regierung Vertreter von landwirtschaftlichen und industriellen Interessenorganisationen bei der Ausarbeitung neuer Zolltarife, deren Verabschiedung nach der Jahrhundertwende anstand. Zwar gelang es dabei, die Interessen der Landwirtschaft und der Schwerindustrie im Zeichen des Schutzzolls in eine gewisse Übereinstimmung zu bringen. Allerdings kritisierten die exportorientierte Leichtindustrie und insbesondere die expandierende chemische Industrie dies massiv und gründeten zur Durchsetzung ihrer antiprotektionistischen Ziele 1895 den Bund der Industriellen. Der Schutzzoll erwies sich insgesamt als nicht tragfähig für ein Bündnis von Landwirtschaft und Industrie. Auch in anderen Bereichen gab es unterschiedliche Interessen. Die mögliche Erhöhung der Agrarzölle führte außerdem zu Protesten der Linksliberalen und Sozialdemokraten, die einen Anstieg der Lebensmittelpreise befürchteten. Der geplante Bau des Mittellandkanals wurde von den ostelbischen Großgrundbesitzern vehement abgelehnt. Zu einem Kompromiss in der Zollfrage kam es erst 1902 unter dem Kanzler von Bülow. Wenn auch moderat, belastete dieser tatsächlich die Konsumenten und die Sozialdemokraten konnten den Reichstagswahlkampf von 1903 auch mit der Parole gegen den „Brotwucher“ führen.[94]

Flottenpolitik

Großadmiral Alfred von Tirpitz

Der Flottenbau war ein persönliches Anliegen von Kaiser Wilhelm II., die Flotte sollte auch zum Ausgleich von Interessengegensätzen in der Gesellschaft beitragen. Vor allem im Bürgertum und im Mittelstand traf der Flottenbau auf eine breite Resonanz, während im Reichstag zunächst Vorbehalte vorhanden waren. Eine langfristige Festlegung der Baukosten hätte die budgetrechtlichen Kompetenzen des Parlaments erheblich geschwächt. Außerdem wäre der Bau als Mittel für eine Weltpolitik mit negativen Folgen für die Beziehungen mit Großbritannien verbunden gewesen.[95]

Von Wilhelm II. war eine mächtige Flotte ursprünglich zum Schutze des Handels und der Küsten gedacht. Eine weltweit operierende Einsatzflotte verlangte nach Stützpunkten in Übersee. Dies wurde zu einem wichtigen Motiv für die Kolonialpolitik insbesondere im Pazifik. Dieses Konzept einer Kreuzerflotte wurde allerdings durch das Schlachtflottenkonzept verdrängt. Alfred Tirpitz wurde der Hauptfürsprecher und Organisator dieser Flotte. Das Konzept zielte auf eine offensive Verteidigung der deutschen Küste und den Durchbruch einer feindlichen Blockadeflotte ab. Hinter der Schlachtflotte stand auch der Risikogedanke. Jeder potentielle Angreifer sollte mit starken Verlusten rechnen müssen. Um als Abschreckungswaffe zu dienen, musste die Flotte eine beträchtliche Stärke haben. Dieser Wandel der Flottendoktrin, der erkennbar auf eine Konfrontation in der Nordsee ausgelegt war, musste das Misstrauen insbesondere in England gegenüber dem deutschen Kaiserreich verstärken.

1896 wurde eine Vergrößerung der Flotte noch abgelehnt. Zwei Jahre später wurde allerdings ein erstes Flottengesetz vom Reichstag gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der Freisinnigen Volkspartei, der nationalen Minderheiten sowie eines kleinen Teils des Zentrums angenommen. Im Jahr 1900 folgte eine erneute Erweiterung der Bauvorhaben, die bei Ausführung ein Verhältnis von 2:3 gegenüber der britischen Flotte bedeutet hätte. Eine Folge der Baupolitik war ein Wettrüsten mit Großbritannien.

Die schließliche Zustimmung des Reichstags und der Öffentlichkeit zur Flottenpolitik war nicht zuletzt das Ergebnis einer modern anmutenden Öffentlichkeitsarbeit von Tirpitz. Das Nachrichtenbüro des Reichsmarineamtes[96] führte regelrechte Werbekampagnen für die Flotte durch. Dabei arbeitete es eng mit dem 1898 gegründeten Flottenverein zusammen. Diese Massenbewegung, die vom Wirtschaftsbürgertum bis hin in kleinbürgerliche Schichten reichte, hatte 1900 270.000 Mitglieder. Nimmt man korporative Mitglieder hinzu, waren es 1908 mehr als eine Million. Die Propaganda für die Flottenbegeisterung spielte eine wichtige Rolle, allerdings traf sie gerade im Bürgertum auf eine längere Tradition des Marineenthusiasmus. Hinzu kam, dass der übersteigerte Nationalismus in der Flotte ein Symbol für die Macht des Reiches sah. Daneben spielten auch wirtschaftliche Interessen der Industrie für den Flottenbau eine Rolle. Vorbehalte gegen die Flottenpolitik hatten allerdings die ostelbischen Rittergutsbesitzer, die darin eine moderne Konkurrenz zum Heer sahen. Beim zweiten Flottengesetz mussten die Konservativen denn auch mit zollpolitischen Zugeständnissen („Bülow-Tarifen“) gewonnen werden.[97]

Der Weg zur Weltpolitik

Nach den imperialistischen Ansätzen der bismarckschen Politik in den 1880er Jahren wandelte sich der Charakter der Außenpolitik seit den 1890er Jahren endgültig. Dabei spielte der Imperialismus der europäischen Staaten eine beträchtliche Rolle. Die Handlungsfelder erweiterten sich und die Zahl der möglichen Konfliktpunkte nahm zu. Die Außenpolitik blieb kein reiner Arkanbereich der Regierung; vielmehr gewann die öffentliche Meinung Einfluss, und auch in der Außenpolitik spielten organisierte gesellschaftliche Gruppen eine Rolle. Dies galt nicht zuletzt für ökonomische Interessen. Ebenso wichtig waren daneben auch strategische und rüstungspolitische Faktoren. Bei allen Widersprüchen auch innerhalb der politischen Führung zeichneten sich verschiedene Tendenzen ab. Das Reich versuchte zunächst, durch ein klares Bekenntnis zu Österreich-Ungarn und später auch zu Italien, seine Stellung in Mitteleuropa zu festigen. Dabei spielten Handelsverträge eine wichtige Rolle auch wenn eine Zollunion mit dem Habsburger Reich nicht zustande kam. Im Jahr 1891 wurde der Dreibund verlängert und inhaltlich ausgestaltet. Ein weiteres Ziel der Politik des neuen Kurses war der Versuch, mit Großbritannien zu einer Verständigung zu kommen. Ein Mittel war dabei die Kolonialpolitik. In diesen Zusammenhang fällt, noch teilweise von Bismarck vorbereitet, der Tausch von Ansprüchen an Sansibar gegen die Insel Helgoland im Jahr 1890 („Helgoland-Sansibar-Vertrag“).[98] Dies führte in Deutschland zu teils heftigen Protesten, aus denen später der rechte Alldeutsche Verband hervorging. Ziel des Kolonialerwerbs der 1890er Jahre, der vor allem vom Reichsmarineamt betrieben wurde, war der Aufbau eines weltumspannenden Netzes von Flottenstützpunkten.

Verabschiedung des deutschen Ostasien-Expeditionskorps zur Niederschlagung des „Boxeraufstands“. – Kaiser Wilhelm II. bei seiner Ansprache („Hunnenrede“)

Die guten Beziehungen zu Großbritannien ermöglichten es, die Bindungen an Russland aufzugeben. Der Rückversicherungsvertrag lief 1890 aus und wurde von deutscher Seite nicht verlängert.[99] Eine Bindung an Russland hätte nach Meinung der Reichsleitung der Bindung an Österreich-Ungarn ebenso wie den Beziehungen mit Großbritannien geschadet. Russland rückte daraufhin enger an Frankreich heran. Die Französisch-Russische Allianz (unterzeichnet 5. August 1892) kann als der Beginn einer Spaltung Europas in zwei gegnerische Blöcke gesehen werden. Die Annäherung an Großbritannien klappte nicht wie geplant, stattdessen nahmen die Interessengegensätze in Übersee zu. Dies führte zum Versuch, bessere Beziehungen zu Russland aufzubauen. Insgesamt pendelte Deutschland zwischen England und Russland in den 1890er Jahren hin und her und wirkte auf keine der Seiten damit wirklich glaubwürdig. Dieses Misstrauen verstärkte sich noch, als Deutschland in der Orientpolitik letztlich gegen Russland begann, das Osmanische Reich zu stützen. Im Süden Afrikas ergaben sich dagegen Interessengegensätze mit Großbritannien.

In den späten 1890er Jahren begann die Außenpolitik Deutschlands endgültig den Rahmen der Kontinental- zu Gunsten der Weltpolitik, d. h. des Imperialismus, zu verlassen.[100] Von Bülows Forderung nach einem Platz an der Sonne wurde zum geflügelten Wort.[101] Weltpolitik war nicht nur der Versuch, Deutschland als Großmacht zu etablieren, sondern hatte auch eine innenpolitische Komponente. Sie diente dazu, innere Spannungen zu überdecken und es gab auch wirtschaftliche Interessen etwa an Absatz- oder Rohstoffmärkten. In der deutschen Öffentlichkeit, sieht man einmal von den Sozialdemokraten ab, stieß das Konzept der Weltpolitik auf eine breite Zustimmung. Wie weit das imperialistische Gedankengut in das liberale Bürgertum reichte, zeigte das Beispiel von Max Weber und Friedrich Naumann. Diese versprachen sich davon Wohlstand und die Integration der Arbeiter. Auch von konservativer Seite wurde der Imperialismus als Mittel der nationalen Integration betrachtet. Bei den neuen Rechten waren die imperialistischen Expansionsforderungen mit der Kritik an den etablierten Honoratioren verbunden. Dagegen sah nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Wirtschaft in der imperialistischen Expansion Vorteile, war diese doch vor allem auf den Export in die Industriestaaten ausgerichtet. Gekennzeichnet war die imperialistische Politik daneben von den oft kontraproduktiven Reden des Kaisers (wie etwa der Hunnenrede von 1900)[102], von ihrer auf Zustimmung in Deutschland ausgerichteten Sprunghaftigkeit und von oft aufgebauten Drohkulissen. Angesichts einer dynamischen Wirtschaft, einer starken Armee und einer immer größeren Flotte musste dies auf die europäischen Mächte bedrohlich wirken.

The Germans to the front…“ (idealisierende Darstellung der deutschen Rolle während des Boxeraufstandes auf einer zeitgenössischen Postkarte)

Der weltpolitische Anspruch schlug sich im Erwerb von Kolonien nieder. Verglichen mit den hochtönenden Ansprüchen war der tatsächliche Zuwachs begrenzt. Das Reich erwarb 1898 Kiautschou[103] in China und 1899 verschiedene Inseln im Pazifik (Deutsch-Mikronesien). Andere Kolonialisierungsversuche – wie in Südostafrika und auf den Philippinen – erregten das Misstrauen Großbritanniens und der Vereinigten Staaten. In den Bereich des informellen Imperialismus fiel der Bau der Bagdadbahn ab 1899.

Für die tatsächliche Politik spielte weiterhin die Lage in Europa die zentrale Rolle. Um die Jahrhundertwende stockte die deutsch-britische Annäherung vor allem durch das antienglische Weltmachtkonzept und den Flottenbau. Es kam allerdings zu keiner ernsten Konfrontation, da Großbritannien mit anderen Staaten eine Vielzahl von Konflikten hatte und außenpolitisch unter verschiedenen Partnern wählen konnte. Daher hielt man sich in London auch eine Annäherung an Berlin offen. Vorübergehend schien sich nach der gemeinsamen Niederschlagung des Boxeraufstandes durch die europäischen Mächte, die USA und Japan eine Annäherung an Großbritannien abzuzeichnen. Diese für Deutschland günstige Situation änderte sich nach 1902. Vor allem die Entente cordiale von Großbritannien mit Frankreich von 1904 hatte hier eine erhebliche Bedeutung. Der Versuch Deutschlands, sich wieder an Russland anzunähern, führte zwar 1904 zu einem Handelsvertrag, der Erfolg aber blieb letztlich aus. Deutschland scheute hier auch ein engeres Bündnis, um angesichts des Russisch-Japanischen Krieges nicht zum Handlanger der russischen Politik in Fernost zu werden. Im Westen versuchte das Deutsche Reich gegen Frankreich Erfolge zu erzielen. Es stellte sich etwa gegen die französische Expansion in Marokko. Kaiser Wilhelm II. landete 1905 demonstrativ in Tanger und forderte eine internationale Konferenz. Diese fand auch in Algeciras statt, führte aber dazu, dass das Misstrauen gegenüber Deutschland noch zunahm. Dieses als Erste Marokkokrise in die Geschichte eingegangene Ereignis festigte nicht nur die Zusammenarbeit von Frankreich und England, sondern führte auch zu einer britisch-russischen Übereinkunft über ihre Interessen im Mittelmeerraum. Insgesamt hatte das weltpolitische Auftrumpfen Deutschlands zu einer außenpolitischen Isolation geführt, trat Deutschland doch in direkte Konkurrenz mit England und Frankreich. Diese wurde durch die Flottenrüstung vor allem gegenüber Großbritannien noch verstärkt. Die Lage war auch deshalb problematisch, weil 1902 zwar der Dreibund erneuert wurde, Italien aber kurze Zeit später mit Frankreich ein geheimes Neutralitätsabkommen schloss. Damit war das Bündnis faktisch entwertet und Deutschland hatte mit Österreich-Ungarn nur noch einen Bündnispartner.[104]

Innenpolitik nach der Jahrhundertwende

Reichstagssitzung 1905 (Gemälde von Georg Waltenberger)

Auch innenpolitisch zeigte sich bald, dass der Flottenbau und die Weltpolitik die Probleme nur kurzfristig überdecken konnten, sie mittelfristig jedoch eher noch verstärkten. Die innenpolitische Stabilisierung um die Jahrhundertwende gründete sich auf einen kurzlebigen politischen Konsens von Konservativen, Nationalliberalen und vor allem dem Zentrum. Die Reichstagswahlen von 1903 änderten daran zunächst kaum etwas. Die Linksliberalen hatten leichte Verluste hinzunehmen, Nationalliberale und Sozialdemokraten gewannen dazu. Die Sozialdemokraten stiegen im Reichstag zur zweitstärksten Fraktion auf. Das Zentrum blieb stärkste Kraft und konnte trotz Verlusten seine parlamentarische Schlüsselstellung behaupten. Die Partei blieb zunächst die wichtigste Stütze der Regierung. Auch wegen dieser Abhängigkeit kam die Reichsleitung dem Zentrum in einigen Punkten entgegen. Als eines der letzten Relikte der Kulturkampfzeit wurde das Jesuitenverbot aufgehoben. Auch die Einführung von Diäten für Mitglieder des Reichstages 1906 ging auf Forderungen des Zentrums zurück. Außerdem bestimmte die Partei den innenpolitischen Kurs des Reiches maßgeblich mit.

Angesichts der guten Konjunkturlage wuchsen um die Jahrhundertwende die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften kräftig. Lagen sie 1900 noch bei 680.000, waren es 1906 bereits 1,6 Millionen. Gleichzeitig nahm auch die Zahl der Arbeitskämpfe zu. Gab es 1900 nur 806 registrierte Streiks, waren es 1906 schon 3059. Auch vor diesem Hintergrund wurde die Sozialpolitik allmählich wieder aufgenommen. Nach dem endgültigen Scheitern antisozialdemokratischer Repressionsgesetze hoffte die Regierung noch einmal, mit sozialpolitischen Maßnahmen den Zulauf der Arbeiter zur SPD begrenzen zu können. Allerdings stand dahinter auch ein stärkerer gesellschaftlicher Druck von Seiten der Sozialreformer. Ausdruck dafür war etwa 1901 die Gründung der Gesellschaft für Soziale Reform. Die ursprünglichen Reformabsichten der Reichsleitung waren allerdings begrenzt. So ging es darum, die Versicherungspflicht der Sozialversicherung auszudehnen (Erweiterung der Unfallversicherung 1900), Kinderarbeit in der Heimindustrie zu verbieten oder um die Einführung von Gewerbegerichten in größeren Städten. Die Novelle des Berggesetzes war dagegen eine Reaktion auf den Bergarbeiterstreik von 1905. Sie sah unter anderem eine Arbeitszeit unter Tage von 8½ Stunden und die Einführung von Arbeiterausschüssen vor. Weitergehende Reformen blieben aus.

Militärpolitisch wurde die Friedenspräsenzstärke des Heeres um 10.000 Mann erhöht. Außerdem sah eine neue Flottenvorlage von 1905 neben dem Bau einer Reihe von Kreuzern den Übergang zu den stärkeren aber auch teureren Schlachtschiffen vom Dreadnoughttyp vor. All dies verstärkte die finanzpolitischen Probleme des Reiches erheblich. Trotz langwieriger Verhandlungen kam es nicht wie erhofft zu einer großen Steuerreform, lediglich eine kleine Reform wurde verabschiedet.

Problematisch für von Bülow wurde allmählich, dass er nach den verschiedenen außenpolitischen Misserfolgen den Rückhalt des Kaisers verlor. Außerdem wuchs bei den Konservativen der Unmut über das angeblich zu zaghafte Vorgehen gegen die Sozialdemokratie. Die Position des Zentrums als parlamentarischer Stütze der Regierung wurde vor allem durch innerparteiliche Veränderungen problematisch. Innerhalb des Zentrums kam es, gestützt auf die christlichen Gewerkschaften und den Volksverein für das katholische Deutschland, zum Aufstieg eines starken Arbeitnehmerflügels. Daneben gewann ein kleinstädtisch-agrarischer Populismus an Anhängern. Beide zusammen bildeten – bei allen Gegensätzen – im Zentrum eine „demokratische“ Richtung, die, etwa repräsentiert von Matthias Erzberger, eine Reform des Wahlrechts in Preußen forderte, aber auch die Kolonialpolitik ablehnte. Die Ablehnung eines Nachtragshaushaltes für eine weitere Unterstützung des Kolonialkrieges gegen die aufständischen Herero führte Ende 1906 zur Auflösung des Reichstages[105] und zu Neuwahlen.[106]

Bülowblock

Der Wahlkampf wurde hochemotional geführt und die Regierung[107] und Organisationen wie der Reichsverband gegen die Sozialdemokratie warfen Zentrum und SPD nationale Unzuverlässigkeit vor. Gegen beide schlossen Konservative, Nationalliberale und Linksliberale Wahlabsprachen – dies war der sogenannte Bülow-Block. Die Beteiligung der Linksliberalen war nur deshalb möglich geworden, weil diese nach dem Tod von Eugen Richter ihre Vorbehalte gegen den Kolonialismus aufgegeben hatten. Die sogenannte „Hottentottenwahl“ (August Bebel) führten zu Gewinnen der Blockparteien, während die SPD fast die Hälfte ihrer Mandate verlor. Das Zentrum verlor trotz Mandatszuwächsen seine Schlüsselposition, da die Liberalen und die Konservativen zusammen die Mehrheit hatten.

Mandate im Deutschen Reichstag 1890–1912[108]
1890 1893 1898 1903 1907 1912
Konservative 73 72 56 54 60 43
Freikonservative 20 28 23 21 24 14
Nationalliberale 42 53 46 51 54 45
Linksliberale 66 37 41 30 42 42
Zentrum 106 96 102 100 105 91
Sozialdemokraten 35 44 56 81 43 110
Minderheiten 38 35 34 32 29 33
Antisemiten 5 16 13 11 22 10
Deutsche Volkspartei 10 11 8 6 7
Sonstige 2 5 18 11 11 9

Der Bülowblock blieb nicht nur ein Wahlbündnis, sondern von Bülow verkündete, sich in Zukunft auf diese Parteien stützen zu wollen. Deutlich gemacht wurde der Politikwechsel durch die Ersetzung von Innenstaatssekretär Posadowsky, der an einer Zusammenarbeit mit dem Zentrum festhalten wollte, durch Theobald von Bethmann Hollweg. In zahlreichen Politikfeldern gab es Übereinstimmungen, in anderen Bereichen waren Kompromisse möglich, aber es gab innerhalb des Bülowblocks auch kaum überbrückbare Gegensätze. Es wurde eine Reform des Vereins- und Versammlungsrechts durchgeführt, die zwar liberale Fortschritte brachte, aber auf Druck der Konservativen auch erhebliche Grenzen aufwies. So hatten Landarbeiter weiterhin kein Koalitionsrecht. Hinzu kam ein Sprachenparagraph, der die deutsche Sprache in öffentlichen Versammlungen vorschrieb und damit ein Ausnahmegesetz gegen die französisch sprechenden Lothringer und die Polen darstellte. Dies konnten die Linksliberalen nur schwer mittragen. Einige wie Theodor Barth verweigerten die Zustimmung und traten aus der freisinnigen Vereinigung aus. Ebenso umstritten blieb das preußische Wahlrecht. Während die Deutschkonservativen auf der einen Seite das Dreiklassenwahlrecht verteidigten, verlangten die Linksliberalen auf der anderen Seite die Einführung des demokratischen Reichstagswahlrechts. Ein weiteres Konfliktfeld war die immer drängender werdende Reichsfinanzreform. Diese Gegensätze konnte Bülow eine Zeit lang überbrücken und moderieren, allerdings war er nun nicht nur von der Gunst des Kaisers, sondern auch von einer brüchigen Regierungsmehrheit abhängig.

Noch erschwert wurde die innenpolitische Lage durch die Daily-Telegraph-Affäre.[109] Eine Sammlung von Äußerungen Wilhelms II. während seines Englandbesuchs dokumentierte eine Reihe von taktlosen und politisch unklugen Äußerungen des Kaisers. In der politischen und publizistischen Öffentlichkeit nahm daraufhin die Kritik am „persönlichen Regiment“ zu. Das Kaisertum verlor dabei einen Großteil seiner Überzeugungskraft. Einige Publizisten wie Maximilian Harden verlangten sogar den Rücktritt des Kaisers, und selbst die Konservativen sahen sich genötigt, dem Kaiser künftig Zurückhaltung zu empfehlen. Tatsächlich wurden die kaiserlichen Einmischungen von Wilhelm II. in die Tagespolitik seither seltener. Da auch der Kanzler den Kaiser kaum verteidigte, verlor Bülow bei Wilhelm II. nunmehr völlig die Unterstützung.

Zum Schicksal des Bülowblocks wurde 1909 die Frage der Reichsfinanzreform. Die Lage der Reichsfinanzen war durch den Flottenbau und die Weltpolitik desolat. Die Ausgaben überstiegen die Einnahmen und die Schulden des Staates stiegen an. Sie lagen bei 4,5 Milliarden Mark (1890 waren es erst 1,1 Milliarden gewesen) und das jährliche Defizit lag bei über 500 Millionen Mark. Die Schwierigkeit einer Finanzreform hatte dabei nicht zuletzt auch allgemeinpolitische Hintergründe, ging es doch darum zu klären, welche Bevölkerungsgruppe die Lasten der Aufrüstung zu tragen hatte. Während Verbrauchssteuern die Geringverdiener belastet hätten, würden Besitzsteuern die Wohlhabenden betreffen. Die Regierung legte einen Gesetzentwurf vor, der sich bemühte, die Interessen der verschiedenen Blockparteien zu berücksichtigen. Bald zeigte sich allerdings, dass in der Frage von Erbschaftssteuern keine Einigung zu erzielen war. Vor allem die Konservativen wollten eine Belastung des Grundbesitzes auf jeden Fall vermeiden, während die Liberalen in einer stärkeren Besteuerung von Grund und Boden eine überfällige Notwendigkeit sahen. Nach langen internen Debatten entschied sich das Zentrum schließlich dafür, zusammen mit den Konservativen zu stimmen. Zwar sah das Gesetz letztlich etwas moderater aus, aber der Großgrundbesitz schaffte es noch einmal, seine Interessen durchzusetzen. Dagegen entstand eine breite Protestbewegung, die sich im Hansabund sammelte. Politisch war der Block an der Finanzreform endgültig zerbrochen. Dies führte im Juni 1909 schließlich zur Entlassung von Bülows.[110]

Vorabend des Ersten Weltkrieges

Parteienkonstellation

Innerhalb der konservativen Partei scheiterten die Versuche, die einseitige Konzentration auf die agrarischen Interessen durch die Schaffung einer konservativen Volkspartei zu überwinden. Stattdessen herrschte immer stärker eine Belagerungsmentalität vor und die Partei verteidigte noch zäher als zuvor ihre Positionen. Dies geschah zunehmend auch gegen die Regierung und teilweise in Zusammenarbeit mit der neuen Rechten. Trotz dieser Entwicklung arbeitete das Zentrum bis etwa 1912/1913 mit den Konservativen zusammen, nicht zuletzt, um nicht wieder in die politische Isolation zu geraten. Das wurde erleichtert durch die Schwächung des demokratischen Flügels innerhalb des Zentrums. Der Arbeiterflügel etwa wurde durch den sogenannten Gewerkschafts- und Zentrumsstreit geschwächt. Insgesamt rückte die Partei stärker nach rechts. Umgekehrt führte das Scheitern des Bülowblocks bei den Nationalliberalen zu einer scharfen Distanzierung gegenüber den Konservativen und zu einem gewissen Schwenk nach links. Dies geschah nicht ohne Spannungen, gab es doch weiterhin Anhänger einer Zusammenarbeit mit den Konservativen. Die Fraktionsführung um Ernst Bassermann versuchte, die auseinanderstrebenden Kräfte zusammenzuhalten, während der linke Flügel um Gustav Stresemann ein Bündnis mit den Linksliberalen anstrebte. Bei den Linksliberalen ihrerseits führten die Erfahrungen während des Bülowblocks 1910 zum Zusammenschluss zur Fortschrittlichen Volkspartei. Diese Partei wandte sich nunmehr entschieden gegen die Rechte. Umstritten blieb freilich ein Bündnis mit der SPD, etwa nach dem Vorbild des Großblocks in Baden. Dabei spielte allerdings auch die Entwicklung der Sozialdemokraten eine Rolle. Es stellte sich angesichts der Stärke der Partei immer dringlicher die Frage, welche Richtung die SPD einschlagen würde. Die sogenannten „Zentristen“ verbanden eine marxistische Ideologie mit praktischer Reformarbeit, setzten auf eine weitere organisatorische Stärkung und erwarteten den Zusammenbruch von Staat und Gesellschaft. Die Linke um Rosa Luxemburg plädierte dagegen für Massenstreiks, wollte die Arbeiterschaft radikalisieren und die Revolution vorbereiten. Die Reformisten um Eduard Bernstein sprachen sich dagegen für Reformen und eine Zusammenarbeit mit den linken Liberalen aus, fanden für diesen Kurs innerhalb der Partei aber keine Mehrheit. Die Parteiführung um August Bebel folgte mit Blick auf die Einheit der SPD weitgehend der zentristischen Linie.[111]

Anfänge der Regierung Bethmann Hollweg

Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg

Nach dem Ende der Kanzlerschaft von Bülows war der Versuch, das Kaiserreich durch imperialistische Expansion und moderate Reformen im Innern zu stabilisieren, weitgehend gescheitert. Der Bruch des Bülow-Blockes hatte stattdessen das Gegenüber von ländlich-agrarischer und städtisch-industrieller Welt noch einmal verschärft. Allerdings haben die Parteien und der Reichstag an Einfluss gewonnen, während der Kaiser und die Reichsleitung geschwächt wurden. Der neue Reichskanzler hieß Bethmann Hollweg, der zusammen mit Clemens von Delbrück als Staatssekretär des Inneren versuchte, die gestärkte Position des Reichstages wieder zurückzudrängen. Der neue Kanzler vermied es daher auch, sich auf Dauer an eine Parteienkoalition zu binden, und setzte stattdessen auf wechselnde Mehrheiten. Allerdings blieb die Regierung in der Praxis zunächst auf die Unterstützung des Zentrums und der Konservativen angewiesen. Durch die Abhängigkeit von den Konservativen blieben alle Reformansätze halbherzig. Im Zweifel wurden Entscheidungen vertagt, da die innenpolitische Stabilisierung meist Vorrang vor der Lösung von Sachproblemen hatte. In der Finanzpolitik war dies insofern erfolgreich, weil sich die Regierung in einen strikten Sparkurs rettete. Um den Versuch von Reformen kam die Regierung angesichts des Veränderungsdrucks der bürgerlichen und sozialdemokratischen Linken kaum herum, versuchte aber gleichzeitig Konservative, Zentrum und Nationalliberale näher zusammenzubringen. Dies engte den Spielraum stark ein. Dies zeigte sich etwa angesichts des Reformversuchs des preußischen Dreiklassenwahlrechts im Jahr 1910. Den Konservativen ging der Gesetzentwurf der Regierung zu weit, während die Liberalen ihn als nicht weitgehend genug ablehnten. Die Sozialdemokraten demonstrierten in Massenkundgebungen für ein demokratisches Wahlrecht, was allerdings dazu führte, dass der „schwarz-blaue Block“ aus Zentrum und Konservativen allen Reformansätzen in dieser Frage eine Absage erteilte. Ein ganz anderes Schicksal ereilte die Einführung einer Verfassung für das Reichsland Elsaß-Lothringen. Anstatt den Regierungsantrag zu übernehmen, übernahmen im Reichstag Zentrum, SPD und Linksliberale die Initiative und gestalteten die Verfassung in entscheidenden Punkten um.[112] Dagegen blieb die Wirtschaftspolitik weiterhin landwirtschaftsfreundlich ausgerichtet. In der Sozialpolitik allerdings gab es Bewegung. Dazu zählte etwa 1911 die Reichsversicherungsordnung, die gewissermaßen den Aufbau der Sozialversicherung abschloss. In diesen Rahmen gehört auch die Einführung der Angestelltenversicherung. Diese neue Einrichtung hatte dabei die nicht unwillkommene Folge, dass die sozialen Unterschiede zwischen Angestellten und Arbeitern betont und institutionalisiert wurden.[113]

Die politische Entwicklung nach der Reichstagswahl von 1912

War das Regieren des Kaiserreichs bis zur Reichstagswahl 1912 bereits höchst schwierig, verstärkte sich dies anschließend noch einmal deutlich. Die Unzufriedenheit der Wähler mit der schwankenden Regierungspolitik führte letztlich zu erheblichen Verlusten der Konservativen, des Zentrums, aber auch der liberalen Parteien. Die klaren Gewinner waren die Sozialdemokraten, die erstmals zur stärksten Fraktion wurden. Die Folge war freilich, dass der schwarz-blaue Block seine Mehrheit verloren hatte, ohne dass eine neue Mehrheit in Sicht gewesen wäre. Die Konservativen befanden sich nunmehr in der Defensive, und außerhalb des Parlaments gewann die neue Rechte um den Alldeutschen Verband oder den Deutschen Wehrverein Zulauf. Zusammen mit agrarischen und industriellen Interessenverbänden entstand 1913 das Kartell der schaffenden Stände als eine Art rechter Dachorganisation. Die Rechte wandte sich dabei mehr oder weniger deutlich nicht nur gegen die Linke, sondern auch gegen die Regierung. Bei aller Zusammenarbeit verblieben im rechten Lager allerdings auch Unterschiede, etwa zwischen den Verteidigern ländlicher Interessen und völkischen Gruppen. Auf der anderen Seite zeichneten sich nach den Wahlen von 1912 auch Reformansätze ab. So verlor im Zentrum der agrarische Flügel an Gewicht, während die Bürgerlichen an Einfluss gewannen. In der Folge löste sich die Partei von ihrer Bindung an die Konservativen und suchte die Zusammenarbeit mit den Nationalliberalen. Beide zusammen vertraten eine nationalistische und rüstungsfreundliche Politik, forderten aber auch eine stärkere Demokratisierung des Reiches und mehr Rechte für das Parlament. Die Linksliberalen unterstützten dies und versuchten Brücken zu den Sozialdemokraten zu schlagen. Allerdings gab es bei Zentrum und Nationalliberalen weiterhin große Widerstände gegen eine Zusammenarbeit mit der SPD. Umgekehrt waren die Vorbehalte der Sozialdemokraten ebenfalls beträchtlich.

Vor dem Hintergrund der neuen Mehrheitsverhältnisse war die Lage der Regierung noch schwieriger geworden, als sie ohnehin schon war. Die vom Reichskanzler als „Politik der Diagonalen“ bezeichnete Vorgehensweise folgte keinem Konzept, sondern versuchte je nach Situation zu reagieren. Insgesamt herrschte seit 1912 eine Blockade der Innenpolitik vor. Besonders deutlich wurde dies in der Sozialpolitik. Der große Bergarbeiterstreik von 1912 war Ausdruck einer erneuten Zunahme von Arbeitskämpfen und führte zwar zu neuen antigewerkschaftlichen Überlegungen, nicht aber zu einer weiteren Ausgestaltung der Sozialpolitik. Kaum Probleme hatte die Regierung dagegen bei der Umsetzung der Flotten- und Wehrpolitik. So konnte 1912 sowohl eine Verstärkung des Heeres wie eine Novellierung der Flottengesetze beschlossen werden. Am 30. Juni 1913[114] stimmten die bürgerlichen Parteien einer neuen Wehrvorlage zu, die angesichts der außenpolitischen Spannungen die stärkste Heeresvergrößerung des Kaiserreichs bedeutete. Bei der Finanzierung der neuen Rüstungsausgaben folgte das Parlament nicht den Vorstellungen der Regierung, sondern beschloss mit dem sogenannten Wehrbeitrag eine einmalige Vermögensabgabe sowie eine progressive Vermögenssteuer. Dabei stimmten erstmals Zentrum, Liberale und Sozialdemokraten zusammen. Diese Zusammenarbeit funktionierte im beschränkten Umfang auch bei der Ausdehnung der Parlamentsrechte insgesamt. So wurden unter anderem Vertrauens- oder Misstrauensabstimmungen eingeführt. Angewandt wurde dieses Instrument etwa im Zusammenhang der Zabern-Affäre[115] 1913, als Kaiser, Regierung und militärische Führung das unrechtmäßige Vorgehen von Soldaten gegen Zivilisten in Elsass-Lothringen deckten. Anschließend sprach der Reichstag gegen die Stimmen der Konservativen der Regierung das Misstrauen aus. Ob am Ende der Vorkriegszeit eine echte Chance für eine Parlamentarisierung bestand, ist umstritten. Allerdings trug die mangelnde Handlungsfähigkeit von Reichstag auf der einen Seite und Regierung auf der anderen Seite dazu bei, einen möglichen Krieg auch als eine Art innenpolitischen Befreiungsschlag zu betrachten.[116]

Außenpolitik

Folgen der Bosnienkrise

Wilhelm II. im Jahr 1905 (Bildpostkarte)

In den letzten Jahren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges nahmen die internationalen Spannungen deutlich zu. Besonders konfliktträchtig war dabei der Balkan. Österreich-Ungarn annektierte 1908 die bereits 1878 besetzten osmanischen Provinzen Bosnien und Herzegowina. Dies löste heftige Proteste Serbiens unterstützt von Russland aus. Deutschland stellte sich dabei eindeutig auf die Seite der Doppelmonarchie und übte massiven diplomatischen Druck auf Russland aus. Die Bosnienkrise war zwar ein kurzfristiger Erfolg der Mittelmächte, hatte aber für Deutschland langfristig negative Folgen. Zum einen wurde es noch stärker als zuvor an Österreich gebunden und zum anderen führte die diplomatische Niederlage zum Beginn einer massiven Aufrüstung.

Auch von Bülow, noch amtierender Kanzler, erkannte die Gefahr einer solchen Risikopolitik und steuerte nunmehr einen vorsichtigeren Kurs. Daran knüpfte Bethmann Hollweg an, der die Außenpolitik deutlicher von der Weltpolitik nach Europa zurückverlagerte. Außerdem versuchte der neue Kanzler, durch eine größere Berechenbarkeit das Vertrauen der übrigen Mächte zurückzugewinnen. Dabei setzte er auf einen Kurs der Entspannung gegenüber Russland und Frankreich und bessere Beziehungen zu England. Tatsächlich verbesserte sich das Verhältnis sowohl zu Russland wie auch Frankreich zeitweise. Mit Großbritannien hoffte das Reich zu einer Verständigung in der Flottenfrage zu kommen und im Fall eines möglichen Krieges die Zusicherung der britischen Neutralität zu erhalten. Dazu kam es nicht, weil einerseits Kaiser und Öffentlichkeit in Deutschland kaum zu Abstrichen bei der Flottenrüstung bereit waren und andererseits die Bereitschaft in Großbritannien begrenzt war, die guten Beziehungen zu Frankreich und Russland aufs Spiel zu setzen.[117]

Panthersprung nach Agadir

Ein Großteil des gerade wieder gewonnenen Vertrauens verspielte Deutschland im Zusammenhang mit der zweiten Marokkokrise 1911, die vom Reich bewusst ausgelöst wurde. Ursache war das militärische Vordringen Frankreichs, das den internationalen Absprachen widersprach. Unter der Leitung des neuen Außenstaatssekretärs Alfred von Kiderlen-Waechter setzte die Reichsleitung auf einen harten Kurs.[118] Dabei spielten nun auch wieder weltpolitische Ambitionen eine Rolle. Das Reich war nur vordergründig an einer Unabhängigkeit Marokkos interessiert. Das eigentliche Ziel war es, für die Anerkennung der französischen Vorherrschaft in Marokko im Gegenzug die Abtretung französischer Besitztümer in Französisch-Äquatorialafrika zu erreichen. Am 1. Juli ankerte das auf der Heimreise aus Kamerun befindliche Kanonenboot SMS Panther vor dem weit südlich des französischen Operationsgebietes liegenden Agadir.[119] Der Vorgang, in der zeitgenössischen Presse als „Panthersprung nach Agadir“ betitelt, erregte besonders in Großbritannien Aufsehen. Als Frankreich sich davon nicht beeindrucken ließ und England sich auf die Seite Frankreichs stellte, sodass ein europäischer Krieg drohte, musste das Reich letztlich einlenken. Im Marokko-Kongo-Vertrag akzeptierte Deutschland die französische Vorherrschaft in Marokko und erhielt als Kompensation Teile Französisch-Äquatorialafrikas, die als „Neukamerun“ an die deutsche Kolonie Kamerun („Altkamerun“) angegliedert wurden. Kamerun bekam dadurch einen schmalen Zugang zum Kongo.[120] Letztlich bedeutete der Ausgang der zweiten Marokkokrise aber eine diplomatische Niederlage für das Deutsche Reich. Die forsche „Kanonenboot-Diplomatie“ hatte nicht zum Erfolg geführt, Frankreich wurde das gegenüber den zentralafrikanischen Gebieten wirtschaftlich ungleich wertvollere Marokko zugesprochen. Auf der internationalen Konferenz waren die deutschen Forderungen allgemein auf Ablehnung gestoßen und nur noch von Österreich-Ungarn unterstützt worden, so dass die zunehmende Isolierung Deutschlands deutlich wurde.

Balkankriege

In der öffentlichen Meinung und auch im Reichstag blieb die Konfliktbereitschaft hoch, gleichzeitig wuchs von Seiten des Generalstabs die Kritik an der Regierung. Durch die Festigung der englisch-französischen Entente waren die Möglichkeiten der deutschen Außenpolitik allerdings begrenzt. Innerhalb der deutschen Führung war man sich zudem über den Kurs uneins. Während Tirpitz in Übereinstimmung mit dem Kaiser eine weitere Vergrößerung der Flotte auf den Weg bringen wollte, versuchte Bethmann Hollweg dies zu verhindern, aus Sorge um die Beziehungen mit Großbritannien. Dies gelang nur bedingt und daher blieben Unterredungen mit dem britischen Kriegsminister Richard Burdon Haldane, 1. Viscount Haldane, Anfang 1912 in Berlin ergebnislos. In der Folge ging daher das Wettrüsten zwischen Großbritannien und Deutschland weiter, auch wenn beide Regierungen weiter im Gespräch blieben. Tatsächlich gab es Anzeichen für eine beginnende Verständigung etwa in Kolonialfragen. Vor allem aber arbeiteten beide während der Balkankriege eng zusammen. Bei diesen Kriegen der neuen Balkanstaaten gegen das osmanische Reich in den Jahren 1912 und 1913 brach auf dem Balkan das ohnehin labile Gleichgewicht endgültig zusammen und führte zur Konfrontation von Österreich-Ungarn und Russland. Damit drohte eine Konfrontation der Blöcke. Verhindert wurde dies durch die ausgleichende Politik von Deutschland und Großbritannien.

In der deutschen Führung bestanden während der Balkankrise allerdings erhebliche Unstimmigkeiten und Führungsprobleme. Im Dezember des Jahres 1912 berief Wilhelm II. den Kriegsrat vom 8. Dezember 1912 mit hohen Militärs ein. Nicht geladen war die zivile Reichsleitung. Zwar fiel auf dieser Sitzung nicht, wie lange angenommen, eine Entscheidung, einen großen Krieg planmäßig anzusteuern. Gleichwohl wurde immer deutlicher, dass die Militärs[121] einen europäischen Krieg für unvermeidlich hielten und über einen Präventivschlag nachdachten. Eine Folge der Besprechung war die Absicht, die Armee im großen Stil aufzurüsten, wie sie der Reichstag 1913 in einer Wehrvorlage beschloss.[122]

Erster Weltkrieg

Julikrise 1914

Der Mord am österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo am 28. Juni 1914 durch den serbischen Attentäter Gavrilo Princip (Attentat von Sarajevo) löste bei den Mächten eine hektische diplomatische Aktivität aus, die in einen europäischen Krieg mündete. Über die Schuld am Krieg gab es bei den Kriegsparteien naturgemäß unterschiedliche Ansichten, die nach 1918 zu einer Jahrzehnte andauernden Kriegsschulddebatte führten.

Entente und die Mittelmächte 1916

Unzweifelhaft ist, dass Deutschland während der zum Krieg führenden Julikrise eine Schlüsselrolle spielte. Anders als noch bei den Balkankriegen von 1912 riet Deutschland Österreich-Ungarn zu einem energischen Vorgehen gegen Serbien und sagte der Doppelmonarchie die bedingungslose Unterstützung des Reiches zu. Bethmann Hollweg wusste, als er diesen „Blankoscheck“[123] ausstellte, dass damit die Gefahr eines großen europäischen Krieges gegeben war. Hinter dieser Entscheidung stand vor allem die Sorge um ein in absehbarer Zeit militärisch überlegenes Russland und das Zusammenrücken von England und Frankreich. Daher band sich das Reich nunmehr noch fester als zuvor an den einzigen noch verbliebenen Bündnispartner. Hinzu kam angesichts der festgefahrenen innenpolitischen Situation auch der Wunsch, die Kritiker vor allem der Rechten mit außenpolitischen Erfolgen zu besänftigen. Nicht zuletzt drang das Militär nunmehr vehement auf einen Präventivkrieg gegen Russland.[124]

Auch wenn der Kanzler diese Position nicht teilte, verringerte dieser Druck doch die Chancen für eine diplomatische Lösung. Die Reichsleitung entschied sich für einen Kurs des „kalkulierten Risikos“. Sie hoffte zwar, einen Krieg vermeiden zu können, konnte ihn aber auch nicht ausschließen. Letztlich gab Deutschland aber die Kontrolle aus der Hand, weil alles auf die Haltung Russlands ankam. Gegen Ende Juli geriet die Krise endgültig außer Kontrolle, als Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte und Russland darauf mit einer Teilmobilmachung antwortete. Zwar gab es von deutscher Seite noch Versuche zu einer diplomatischen Lösung zu kommen, aber man stellte sich immer mehr auf einen Krieg ein. Dabei kam es aus innenpolitischen Gründen darauf an, Russland als Aggressor erscheinen zu lassen.

Als Russland am 30. Juli schließlich die Generalmobilmachung verkündete, konnte Deutschland dies als entscheidenden Schritt hin zum Krieg präsentieren. Daraufhin erklärte Deutschland Russland am 1. August und Frankreich am 3. August den Krieg. Gemäß dem Schlieffen-Plan von 1905 marschierte die deutsche Armee im neutralen Belgien ein. Das Ziel war dabei, die Befestigungen an der deutsch-französischen Grenze zu umgehen und durch einen schnellen Vormarsch die französischen Armeen in einer Umfassungsschlacht auszuschalten. Eine entscheidende Schwäche des Plans war, dass er die waffentechnische Entwicklung der Zeit und damit die Möglichkeit zur Führung eines Bewegungskrieges überschätzte. Schnelle motorisierte Verbände waren noch nicht vorhanden, die Verteidiger konnten den Angreifer in einem Stellungskrieg binden, der letztlich zu einem Abnützungskrieg wurde. Auch wurde die Hoffnung, dass England die Verletzung der belgischen Neutralität hinnehmen würde, nicht erfüllt. Stattdessen führte der Einmarsch zum Kriegseintritt Großbritanniens und des gesamten Empires gegen die Mittelmächte.[125]

Kriegsverlauf

Am 18. August begann die deutsche Großoffensive zur Umfassung der alliierten Armeen, dabei stieß man sehr schnell nach Brüssel vor. Am 4. September gelang es den Deutschen, die Marne zu überschreiten. Allerdings wurde der Vormarsch an der Westfront durch eine alliierte Gegenoffensive (Marneschlacht) aufgehalten. Nach der Niederlage an der Marne versuchte die deutsche Führung, in Flandern eine Entscheidung zu erzwingen. Dort kam es zur nationalistisch verklärten Schlacht von Langemarck. Daraufhin ging der Bewegungskrieg in einen Stellungskrieg über. Das Scheitern des Schlieffen-Plans hatte zur Folge, dass die Mittelmächte im Westen, Osten und Süden einen Mehrfrontenkrieg führen mussten. Im Osten rückte nach Kriegsbeginn die russische Armee unerwartet früh in Ostpreußen ein. Der Sieg bei Tannenberg Ende August 1914 und weiteren Schlachten stoppten den Vormarsch und begründeten den politischen Mythos der beiden Generäle Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff. Vor allem die österreichisch-ungarische Armee hatte gegenüber Serbien und Russland zu Beginn des Krieges einen schweren Stand. Die ersten Kriegsmonate hatten gezeigt, dass die Kräfte nur ausreichten, um an einer Front auf einen entscheidenden Sieg hoffen zu können.

Aus verschiedenen Gründen wurde 1915 die Ostfront wichtiger als die Westfront. Es gelang den deutschen Truppen, Österreich-Ungarn vor dem drohenden Zusammenbruch zu retten und eine Landverbindung zum verbündeten Osmanischen Reich aufzubauen. Die deutsche Offensive drängte die russischen Truppen zurück, Serbien wurde besiegt, nachdem Bulgarien sich den Mittelmächten angeschlossen hatte und Rumänien neutral blieb. Die Offensive wurde daraufhin abgebrochen. Im Süden entstand mit der italienischen Kriegserklärung am 23. Mai 1915 an Österreich-Ungarn eine weitere Front. Deutschland unterstützte seinen Bündnispartner auch dort mit Truppen.

Australische Soldaten im Chateauwald bei Ypern 1917

Im Jahr 1916 trat die Westfront wieder in den Mittelpunkt der deutschen Kriegsanstrengungen. Angesichts der Schützengräben und Befestigungen gab es auf beiden Seiten zwei Handlungsoptionen. Die eine war der Durchbruch durch die feindlichen Linien und die zweite war ein „Abnutzungskrieg.“ Im Frühjahr 1915 hatten die Alliierten bereits mehrfach vergeblich versucht, die deutschen Stellungen zu durchbrechen. Der deutsche Angriff auf Verdun seit dem 21. Februar 1916 setzte dagegen nicht mehr wirklich auf eine Durchbrechung der Linien. In einer riesigen Materialschlacht mit einkalkulierten hohen Opferzahlen sollte die feindliche Armee vielmehr zermürbt werden. Die Schlacht kostete über 600.000 Tote und Verwundete auf beiden Seiten. Ihr Ziel hatten die Deutschen nicht erreicht, vielmehr demoralisierte die Unmenschlichkeit der Schlacht auch die deutschen Soldaten. Die Alliierten setzten bei der Gegenoffensive an der Somme seit dem 1. Juli 1916 nun ebenfalls auf eine Ermattungsstrategie. Nach ungeheuren Verlusten auf beiden Seiten wurde dieser Versuch Ende November 1916 abgebrochen.

Auf dem Höhepunkt der Kämpfe an der Westfront wurde immer deutlicher, dass Deutschland einem Mehrfrontenkrieg kaum noch gewachsen war. Sowohl Italien als auch Russland gingen zur Offensive über. Die Brussilow-Offensive führt in Galizien zum Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Armee. Die Folge war der Übergang Rumäniens in das Lager der Alliierten. Die Lage zwang die Deutschen, erneut starke Verbände in den Osten zu verlegen, um die Front zu stabilisieren. Im August 1916 wurde Erich von Falkenhayn als Generalstabschef des deutschen Heeres von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg abgelöst. Militärisch begann sich die Kriegführung in den Jahren 1916/17 zu radikalisieren. Bereits 1915 hatte das deutsche Reich den uneingeschränkten U-Boot-Krieg proklamiert. Nach Protesten der USA wurde diese Form des Seekriegs wieder eingeschränkt. Im Januar 1917 wurde der unbeschränkte U-Boot-Krieg auf Druck der Heeresführung aber auch des Reichstages und der öffentlichen Meinung gegen den Willen des Kanzlers wieder aufgenommen. Die Folge war am 6. April 1917 der Kriegseintritt der USA auf Seiten der Alliierten. Diese Entwicklung war im Rückblick kriegsentscheidend. Massiv konnten die Amerikaner allerdings erst ab dem Spätsommer 1918 auftreten. Im Westen begann im Frühjahr 1917 eine französische Offensive an der Aisne, sowie britische Offensiven bei Arras und ab Ende Juli in Flandern. Die mit gewaltigem Aufwand geführten Angriffe auf die deutsche Westfront brachten den Entente-Mächten nur geringe Gebietsgewinne bei hohen Verlusten.

Im Osten hatte sich 1917 die Lage durch die russische Oktoberrevolution, die der Februarrevolution mit dem Sturz des Zaren gefolgt war, zunächst zu Gunsten der Mittelmächte verändert. Die neuen Machthaber wollten den Frieden nach außen, um ihre Herrschaft im Innern durchzusetzen. Mitte Dezember 1917 wurde ein Waffenstillstand geschlossen und anschließend über einen Separatfrieden verhandelt. Die Hoffnung der Sowjetregierung auf einen milden Frieden erfüllte sich nicht, stattdessen setzte die deutsche Seite im Frieden von Brest-Litowsk einen Diktatfrieden durch. Russland hatte Polen, Kurland, Litauen, große Teile Georgiens abzugeben, die Selbstständigkeit der Ukraine sowie Finnlands zu garantieren und sich aus Estland und Livland zurückzuziehen.

Damit bot sich im Westen scheinbar noch einmal eine Chance auf eine siegreiche Offensive. Diese Frühjahrsoffensive begann im März 1918, scheiterte aber rasch. Bereits den Gegenoffensiven der Kriegsgegner, jetzt auch mit Unterstützung amerikanischer Truppen, war Deutschland nicht mehr gewachsen. Ab Sommer 1918 gerieten immer mehr deutsche Soldaten in alliierte Gefangenschaft.[126]

Innere Entwicklung während des Krieges

Soziale und wirtschaftliche Entwicklung

Wirtschaftlich begann nach Kriegsbeginn die Umstellung der Produktion auf die Kriegswirtschaft. Nach einer kurzen Phase hoher Arbeitslosigkeit führte die hohe Zahl von Einberufungen bald zu einem Arbeitskräftemangel. Die Betriebe versuchten diesem durch den Einsatz von Kriegsgefangenen und durch eine vermehrte Einstellung von Frauen zu begegnen.[127] Mit wachsender Kriegsdauer wirkten sich die fehlenden Nahrungsmittelimporte und die fehlenden landwirtschaftlichen Arbeitskräfte negativ auf die Versorgungslage der Bevölkerung aus. Die Folge waren beträchtliche Preissteigerungen[128] und Versorgungsmängel. Nur unzureichend gelang es, dem durch Bewirtschaftungsmaßnahmen[129] Herr zu werden.[130]

Burgfriede und nationale Begeisterung

Die innenpolitischen Probleme des Kaiserreichs rückten mit der Mobilmachung in den Hintergrund. Das vom Kanzler für den Kaiser erdachte Schlagwort „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“ fiel auch deshalb auf fruchtbaren Boden, weil kaum jemand in Deutschland Zweifel daran hatte, dass Russland der eigentliche Aggressor sei.[131] Zwar gab es neben den vielfachen Berichten nationalen Überschwangs auch nachdenkliche Stimmen, aber letztlich verweigerten sich auch die Kritiker des Systems nur selten der nationalen Solidarität. Die Sozialdemokratie hatte noch während der Julikrise erfolgreich Massendemonstrationen gegen einen möglichen bevorstehenden Krieg organisiert und die Zusammenarbeit mit anderen Parteien der Internationalen gesucht, aber als das Vaterland gegen die „zaristische Reaktion“ geschützt werden sollte, änderte sich die Stimmung. Die entschiedenen Kriegsgegner und Klassenkämpfer, wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren isoliert, während Reformisten wie Eduard David oder Ludwig Frank innerhalb kürzester Zeit die Reichstagsfraktion dazu bringen konnten, nicht nur abzuwarten, sondern den nötigen Kriegskrediten zuzustimmen.[132] Der von der Regierung proklamierte Burgfriede, also das Zurückstellen innenpolitischer Auseinandersetzungen, war weitgehend gesellschaftlicher Konsens, zumal man allgemein erwartete, dass ein Krieg nur wenige Wochen dauern würde. Die Generalkommission der freien Gewerkschaften verzichtete für die Dauer des Krieges auf Arbeitskämpfe und der Reichstag beschloss, alle Wahlen bis nach Kriegsende zu verschieben.[133]

Durch die Verhängung des Kriegsrechts ging die vollziehende Gewalt an die kommandierenden Generäle der Militärbezirke über. Diese unterstanden de jure zwar direkt dem Kaiser, dieser war aber nicht fähig und in der Lage, die insgesamt 24 Militärbefehlshaber zu kontrollieren und zu koordinieren. Wilhelm II., der sich nach Kriegsbeginn meist im Großen Hauptquartier aufhielt, war mit der Situation völlig überfordert, spielte kaum noch eine politische Rolle und verlor an Autorität. Stattdessen entwickelten sich der Chef des Generalstabs und der Generalquartiermeister als sein Stellvertreter zu eigenständigen, auch innenpolitisch wichtigen Machtzentren.

Die anfänglichen militärischen Erfolge und später die beschönigende Zensur der Presse führten in den ultranationalistischen Kreisen aber auch im breiten Bürgertum zu hochgespannten Siegeserwartungen. Dies führte zu teils extremen Kriegszielvorstellungen. Matthias Erzberger machte mit einer Denkschrift vom 2. September 1914 den Anfang. Er forderte Annexionen im Westen und im Osten, die dauerhafte Beherrschung Belgiens und die Schaffung von deutschfreundlichen Satellitenstaaten auf dem Gebiet Russlands. Auch das Septemberprogramm des Reichskanzlers sah Gebietsabtretungen im Westen, die Schaffung eines von Deutschland beherrschten mitteleuropäischen Wirtschaftsraums sowie eines großen mittelafrikanischen Kolonialreiches vor. Noch weiter ging eine Denkschrift der großen wirtschaftlichen Verbände aus dem Jahr 1915. Diese sah noch weitere Erwerbungen und eine Entrechtung der jeweiligen Bevölkerung vor. In ihrer Mehrheit blieb die Arbeiterbewegung bei ihren anfänglichen defensiven Kriegszielen. Stattdessen hoffte sie auf innenpolitische Reformen, namentlich auf die soziale und politische Gleichberechtigung, das uneingeschränkte Koalitionsrecht sowie eine Demokratisierung und Parlamentarisierung des politischen Systems. Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Erwartungen war Bethmann Hollweg trotz Burgfriedens zum Lavieren gezwungen. Dies ließ sowohl auf der Rechten wie auf der Linken den Zweifel an der Aufrichtigkeit des Kanzlers wachsen.

In der SPD trat die Kritik bereits Anfang Dezember 1914 offen zu Tage, als Karl Liebknecht im Reichstag zunächst als einziger Abgeordneter gegen weitere Kriegskredite stimmte. Ihm schloss sich im März 1915 Otto Rühle an. Daraus entwickelte sich allmählich eine (innerparteiliche) Opposition, die ein Jahr später bereits 20 Abgeordnete umfasste. Liebknecht und Rühle verließen die Fraktion und am 24. März 1916 wurden auch die übrigen Abweichler ausgeschlossen. Diese bildeten von nun an die sogenannte „Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft“, die zunächst noch eine innerparteiliche Opposition blieb.[134]

Die neue Oberste Heeresleitung und das Hilfsdienstgesetz

Die 3. Oberste Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff

Bedrohlicher als die inneren Auseinandersetzungen in der SPD war die Kritik von Rechts, gestützt von der Schwerindustrie, an der Haltung des Reichskanzlers. Diese forderten seit 1915 vehement die Ausweitung des U-Boot-Krieges gegen die englische Handelsblockade. Der Kanzler hoffte durch die Ablösung des wenig erfolgreichen Generalstabschefs von Falkenhayn durch Hindenburg und dessen Generalstabschef Ludendorff von deren Popularität zu profitieren. Allerdings war bald klar, dass die neue militärische Führung den relativ vorsichtigen Kurs des Kanzlers nicht unterstützte. Stattdessen plädierte sie für die Wiederaufnahme des unbeschränkten U-Boot-Krieges und sprach sich für territoriale Annexionen aus. Auch im Parlament verlor Reichskanzler Bethmann Hollweg zunehmend an Rückhalt. Zwar stellte sich die Mehrheit hinter die Oberste Heeresleitung (OHL), ohne dass damit eine Vorentscheidung über eine verkappte Militärdiktatur gefallen wäre. Gleichzeitig nämlich beschloss eine Mehrheit von den Nationalliberalen bis zu den Sozialdemokraten, dass der Haushaltsausschuss auch bei Vertagung des Parlaments das Recht haben würde, über die Außenpolitik und den Krieg zu beraten. Mit einer kaiserlichen Verordnung vom 4. November 1916 wurde der Ausschuss zum Hauptausschuss aufgewertet und tagte seither fast permanent. Die von der OHL geforderte Mobilisierung aller verfügbaren Arbeitskräfte[135] für die kriegswichtige Produktion in Form des sogenannten Hilfsdienstgesetzes[136] sollte zudem in Abstimmung mit dem Parlament und den Verbänden erfolgen. Während der OHL eine Militarisierung der gesamten Bevölkerung vorschwebte, hatte die zivile Reichsleitung eine Beschränkung auf eine allgemeine Arbeitspflicht erreicht. Das Parlament setzte zudem noch die Einrichtung von Arbeiterausschüssen in den betroffenen Betrieben durch. Außerdem wurden von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzte Einigungsämter eingesetzt.[137]

Friedensresolution und innenpolitische Radikalisierung

Dennoch war die Macht der OHL beträchtlich. Ihr gelang es, gegen die zivile Reichsleitung den unbeschränkten U-Boot-Krieg durchzusetzen.[138] Inzwischen hatten die Blockade, die Umstellung auf kriegswichtige Produktion, Transportschwierigkeiten und andere Gründe zu einer seit der frühindustriellen Zeit unbekannten sozialen Not bis hin zu akutem Nahrungsmangel („Steckrübenwinter“ 1916/1917) und Hungerunruhen geführt.[139] Auch dadurch stieg der politische Druck an. Die Linksliberalen ergriffen im März 1917 die Gelegenheit, um auf eine Parlamentarisierung des Reiches zu drängen. Dem schlossen sich Stresemann für die Nationalliberalen, Philipp Scheidemann im Namen der SPD und auch das Zentrum an. Bethmann Hollweg versuchte, sich der neuen Lage anzupassen. Allerdings folgte ihm der Kaiser in seiner „Osterbotschaft“[140] vom 7. April 1917 nur teilweise. Unter der kriegsmüden Arbeiterbevölkerung begannen Massenstreiks und die soeben neu gegründete USPD[141], hervorgegangen aus der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, fand großen Zuspruch. Auch die nunmehrige Mehrheitssozialdemokratie (MSPD) verlangte ein deutlicheres Entgegenkommen. Als die Regierung ablehnend reagierte, ergriff Erzberger vom Zentrum die Initiative zu einer Friedensresolution des Reichstages, die in Beratungen zwischen Vertretern der Links- und Nationalliberalen, des Zentrums und der SPD entstand. Aus diesen Treffen ging der interfraktionelle Ausschuss von Linksliberalen, SPD und Zentrum hervor. Wegen der vermittelnden Haltung des Kanzlers begann auch die OHL sich gegen Bethmann Hollweg zu wenden und beim Kaiser auf dessen Entlassung zu drängen.[142] Als sich im Zusammenhang mit der Friedensresolution die Parteien von den Konservativen bis zu den Sozialdemokraten aus unterschiedlichen Gründen gegen den Kanzler aussprachen, war die Position Bethmann Hollwegs nicht mehr zu halten.[143]

Nachfolger wurde überraschend Georg Michaelis. Dieser erwies sich als kaum in der Lage, den diktatorischen Bestrebungen der OHL entgegenzutreten. Da sich die Militärs dagegen aussprachen, hatte etwa die Friedensresolution des Reichstages ebenso wenig praktische Bedeutung wie die Friedensinitiative des Papstes von 1917. Die Initiative des Reichstages, die sich für einen Verständigungsfrieden ohne Annexionen aussprach, führte allerdings dazu, dass sich auf der politischen Rechten eine neue Sammlungsbewegung bildete. Die Deutsche Vaterlandspartei[144], maßgeblich von Wolfgang Kapp gegründet, hatte 1918 etwa 300.000 Mitglieder und agitierte für einen siegreichen „Hindenburgfrieden“ mit zahlreichen Annexionen. Auch die Unterstützung der Behörden für die Vaterlandspartei kostete den Reichskanzler das Vertrauen des Parlaments. Sein Nachfolger wurde der ehemalige bayerische Ministerpräsident Georg von Hertling. Dieser musste auf Druck der Parteien den Fortschrittsliberalen Friedrich von Payer zum Vizekanzler machen und sich auf ein Programm des Parlaments verpflichten lassen. Hertling blieb allerdings Gegner einer Parlamentarisierung des Reiches und ging Konfrontationen mit der OHL aus dem Weg. Diese setzte nach der Oktoberrevolution im Osten die militärische Besetzung weiterer Gebiete durch. Damit hintertrieb die militärische Führung auch jede Möglichkeit, mit den Gegnern im Westen zu einem Verständigungsfrieden zu kommen.[145]

Oktoberreformen und Ende der Monarchie 1918

Der Kaiser hat abgedankt. […] Das alte und morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue. Es lebe die deutsche Republik![146] Der SPD-Politiker Philipp Scheidemann ruft auf dem Westbalkon des Reichstages (zweites Fenster nördlich des Portikus) am 9. November 1918 die Republik aus.

Flucht Wilhelms II. am 10. November 1918: Der vormalige Kaiser (Bildmitte bzw. vierter von links) auf dem Bahnsteig des belgisch-niederländischen Grenzübergangs Eysden kurz vor seiner Abreise ins niederländische Exil

Immerhin blieb das Bündnis aus MSPD, Linksliberalen und Zentrum als Gegenpol zur OHL erhalten. Allerdings gab es zwischen den Parteien erhebliche Konflikte. Als Ende Januar 1918 Hunderttausende von Arbeitern gegen die Unterbrechung der Verhandlungen in Brest-Litowsk streikten,[147] traten führende Sozialdemokraten wie Scheidemann, Friedrich Ebert und Otto Braun in die Streikleitung ein. Dies rief unter den bürgerlichen Parteien erhebliche Kritik hervor. Als nach dem Durchbruch der Alliierten bei Amiens am 8. August 1918 immer deutlicher wurde, dass der Krieg verloren sein würde, hat die Parlamentsmehrheit letztlich auch mit Zustimmung des Zentrums Hertling gestürzt und forderte die endgültige Parlamentarisierung des Reiches.[148] Parallel sahen auch Teile der Regierung und schließlich auch Hertling selbst die Notwendigkeit von Konzessionen, um einer Revolution zuvorzukommen. Bereits am 14. August 1918 hatte die OHL die militärische Lage als aussichtslos eingestuft und forderte am 29. September die Ausarbeitung eines Waffenstillstandsangebots.[149] Dies sollte durch eine parlamentarische Regierung geschehen, um so die Verantwortung für die Niederlage den Parteien zuweisen zu können. Der Kaiser konnte angesichts dieses Drucks von allen Seiten nur noch zustimmen. Gebildet wurde daraufhin eine Koalition aus MSPD, Fortschrittlicher Volkspartei und Zentrum und dem Prinzen Max von Baden als Reichskanzler. Noch vor der offiziellen Ernennung setzte die OHL durch, dass die neue Regierung unmittelbar nach Amtsantritt bei Präsident Woodrow Wilson um einen Waffenstillstand nachsuchen sollte, um so die vor dem Zusammenbruch stehende Armee noch retten zu können. Als die OHL Ende Oktober einen Rückzieher machte, entließ Kaiser Wilhelm II. Ludendorff, während Hindenburg im Amt blieb. Am 26. Oktober 1918 hat der Reichstag die Parlamentarisierung des Reiches auch offiziell durch Gesetze (Oktoberreform) vollzogen. Bereits am 15. Oktober hatte das preußische Abgeordnetenhaus das Ende des Dreiklassenwahlrechts beschlossen.[150]

Die Reformen kamen freilich zu spät, um das Kaiserreich noch retten zu können. Der Flottenbefehl vom 24. Oktober 1918 zum Auslaufen der Flotte gegen die überlegene Royal Navy löste einen Matrosenaufstand aus, der sich innerhalb weniger Tage zur Revolution, der Novemberrevolution entwickelte. In zahlreichen deutschen Städten wurden Arbeiter- und Soldatenräte gegründet. Kurt Eisner rief in München den Freistaat Bayern aus. Die Revolution erfasste am 9. November auch Berlin, wo Reichskanzler Max von Baden aus Sorge vor einem radikalen politischen Umsturz eigenmächtig die Abdankung des Kaisers bekannt gab und die Reichskanzlerschaft auf den Vorsitzenden der SPD, Friedrich Ebert, übertrug. Am Nachmittag desselben Tages rief Philipp Scheidemann die Deutsche Republik aus. Karl Liebknecht vom Spartakusbund proklamierte die Freie Sozialistische Republik Deutschland. Der Kaiser wurde von Vertrauten zur Abdankung gedrängt, um die Situation zu entschärfen und eventuell die Monarchie zu retten. Wilhelm II. zögerte diesen Schritt jedoch hinaus. Am 10. November begab er sich ins niederländische Exil. Die meisten anderen deutschen Fürsten dankten freiwillig ab. Der letzte monarchische Teilstaat war dabei das Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen mit der Residenzstadt Sondershausen, dessen Fürst Günther Victor am 25. November 1918 abdankte. Die formelle Abdankungserklärung des vormaligen Kaisers Wilhelm II. erfolgte am 28. November 1918 knapp drei Wochen nach deren Verkündung durch Philipp Scheidemann.

Das Kaiserreich in der Historiografie

Die Geschichte des Kaiserreichs wurde seit ihrem Beginn nicht zuletzt vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen Situation immer wieder unterschiedlich interpretiert. Nach der Gründung des neuen Reiches dominierte zunächst eine preußisch-kleindeutsche Interpretationslinie. Der Basler Historiker Jacob Burckhardt befürchtete schon 1871, dass nun „die ganze Weltgeschichte von Adam an siegesdeutsch angestrichen und auf 1870 bis 1871 orientiert sein wird.“[151] Daneben haben die einflussreichen Historiker Heinrich von Sybel und Heinrich von Treitschke die bisherige deutsche Geschichte auf die Reichseinigung zulaufen lassen und dabei die Rolle Preußens betont. Im Gegensatz etwa zu Johann Gustav Droysen traten bei diesen nationalliberalen Interpreten die liberaldemokratischen Hoffnungen zurück. Stattdessen wurde die Macht des Nationalstaates und der Genius von Bismarck hervorgehoben. Diese Interpretation blieb im Kern auch während des wilhelminischen Reiches führend.[152]

Heinrich von Sybel

Vor allem während des Ersten Weltkrieges wurde von Historikern die Existenz eines deutschen Sonderweges behauptet, indem das Kaiserreich als bessere Alternative sowohl zu Demokratie und Kapitalismus des Westens, als auch zur autokratischen Herrschaft des Zaren beschrieben wurde. Negativ gewendet, etwa mit Hinweisen auf den deutschen Militarismus und übersteigerten Nationalismus, wurde die Sonderwegsthese bei den Alliierten aufgenommen.[153]

Erst in der Weimarer Republik konnte das Kaiserreich als eine abgeschlossene Zeitepoche betrachtet werden. Dennoch blieb bis weit in die 1980er Jahre kennzeichnend, dass die Geschichte des Kaiserreichs kontrovers vor dem Hintergrund der jeweiligen Zeit diskutiert wurde. Dabei gab es Schwerpunkte der Debatten. In den 1920er Jahren stand die Kriegsschuldfrage im Zentrum.[154] Neben einer dominanten Richtung, die sich gegen eine Kriegsschuld Deutschlands aussprach und das Kaiserreich weiterhin positiv bewertete, gab es eine Minderheit, die sich wie Johannes Ziekursch oder Eckart Kehr kritisch mit dem Kaiserreich auseinandersetzte.[155] Während des Dritten Reiches gab es einerseits eine eher traditionelle nationalkonservative Deutung der Zeit seit 1871. Daneben gab es andererseits von der vom Regime geförderten Volkstumsgeschichte Kritik am „unvollendeten Reich.“ Eine vermittelnde Interpretation von Erich Marcks deutete die bismarcksche Reichsgründung als eine erste Stufe der Nationalstaatsbildung, die Adolf Hitler vollendet habe.[156]

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine Kontinuitätslinie von Bismarck über Wilhelm II. bis hin zu Hitler diskutiert. Allerdings dominierte dabei zunächst noch eine eher konservative Sichtweise. Theodor Schieder räumte vorsichtig gewisse Defizite des Staates ein, als er davon sprach, dass das Kaiserreich als Nationalstaat, als Verfassungsstaat und als Kulturstaat unvollendet gewesen wäre. Auch Gerhard Ritter erkannte einige Strukturprobleme, etwa bei der Einhegung des Militarismus, blieb insgesamt allerdings doch einer eher konservativen Traditionslinie verpflichtet. Nicht zuletzt versuchten die Darstellungen der Nachkriegszeit Deutschland in einen gesamteuropäischen Kontext einzubetten und die Sonderwegsthese so zu verwerfen. Ebenso wurde nach dem Krieg auch diskutiert, inwieweit die kleindeutsche Lösung von 1866 unausweichlich gewesen sei.[157]

Das Kaiserreich erlebte seine Hochkonjunktur als Forschungsgegenstand ab den 1960er Jahren, als mit der Fischer-Kontroverse wieder die Kriegsschulddebatte in den Vordergrund rückte. Dabei standen nicht nur die handelnden Personen, sondern – anknüpfend an die geschichtswissenschaftlichen Vorläufer aus den 1920er Jahren – auch strukturelle Defizite des Reiches im Mittelpunkt. Diese Debatte ging in den 1970er und frühen 1980er Jahren in die von der Bielefelder Schule wieder aufgegriffene (negative) Sonderwegsthese über. Nicht zuletzt durch die kompakte Kaiserreichstudie von Hans-Ulrich Wehler (1973) kamen in den 1970er Jahren weitere Fragestellungen etwa über die Innere Reichsgründung, die Kolonialpolitik Bismarcks und schließlich nach der Modernität des Wilhelminischen Reiches hinzu. Für den Aufschwung spielte nicht zuletzt ein Generationswechsel in der Geschichtswissenschaft eine Rolle. Autoren wie Wehler, Wolfgang J. Mommsen, Gerhard A. Ritter, Heinrich August Winkler oder Jürgen Kocka hatten eine ganz andere, westlich geprägte, intellektuelle Sozialisation hinter sich als ihre Vorgänger.[158]

In den 1980er Jahren ließ die Konjunktur der Kaiserreichforschung deutlich nach. Lag der Anteil der Artikel zum Deutschen Kaiserreich in der Historischen Zeitschrift von 1966–1977 bei 27 % fiel er zwischen 1986 und 1990 auf unter 10 % ab. In der Zeitschrift Geschichte und Gesellschaft machte der Anteil zwischen 1975 und 1979 noch ein Drittel aus, zwischen 1995 und 1999 waren es nur noch ein Viertel.[159] Auch die deutsche Wiedervereinigung rief kein verstärktes Interesse am Thema hervor. Wichtiger für das gesellschaftliche Selbstverständnis wurden die Debatten über die NS-Zeit und die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. Mittlerweile ist das Kaiserreich ein „normaler“ Forschungsbereich neben zahlreichen anderen, der anders als in den 1960–1980er Jahren nicht mehr für breite fachwissenschaftliche oder gar gesellschaftliche Kontroversen sorgt. Dabei haben sich allerdings die methodischen Zugriffsweisen und behandelten Sachthemen ausgeweitet. In den 1990er Jahren kam es etwa zu einem neuen Interesse an politikgeschichtlichen und kulturgeschichtlichen Fragestellungen. Immer wichtiger wurden auch vergleichende Forschungen etwa zu Adel und Bürgertum, aber auch die Nationalismusforschung wurde verstärkt. Dabei kam es teilweise etwa in der Bürgertumsforschung zu Relativierungen früherer Auffassungen. Immer wichtiger wurden auch die regionalen Unterschiede im Kaiserreich und die Erforschung der „sozialmoralischen Milieus“. Insgesamt spielt das Kaiserreich, anders als in den 1970er Jahren, als Vorgeschichte des Dritten Reichs eine geringere Rolle, wichtiger wurde das Kaiserreich als ein Beispiel für den gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Wandel vor dem Hintergrund von Industrialisierung und Demokratisierung. An die Stelle der Sonderweg-Thesen trat tendenziell die deutende Einbettung in den gesamteuropäischen Kontext.[160]

Siehe auch

Literatur

Überblicksdarstellungen

Ära Bismarck

  • Wolfgang J. Mommsen: Das Ringen um den nationalen Staat. Die Gründung und der innere Ausbau des Deutschen Reiches unter Otto von Bismarck, 1850 bis 1890. Propyläen-Verlag, Berlin 1993 (= Propyläen Geschichte Deutschlands 7/1), ISBN 3-549-05817-9.

Wilhelminische Epoche

Kaiserreich und Erster Weltkrieg

  • Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18 (1961), Droste 2000 (Nachdruck der Sonderausgabe 1967), ISBN 3-7700-0902-9.
  • Jürgen Kocka: Klassengesellschaft im Krieg. Deutsche Sozialgeschichte 1914–1918. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1978, ISBN 3-525-35984-5.
  • Gunther Mai: Das Ende des Kaiserreichs: Politik und Kriegführung im Ersten Weltkrieg. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1993, ISBN 3-423-04510-8.

Weblinks

Commons: Deutsches Kaiserreich – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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Kolonialbehörden (Deutsches Kaiserreich)

Schaubild zum Verhältnis zwischen Reichsgebiet und Kolonien

Zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs verwalteten die Kolonialbehörden die Deutschen Kolonien und Schutzgebiete.

Gliederung

Die oberste Kolonialbehörde war der Reichskanzler. Unter ihm führte die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes die gesamte Verwaltung der Kolonien und Schutzgebiete (ab 1907 das Reichskolonialamt). Als Beirat der obersten Organe fungierte der Kolonialrat. An der Spitze der Organisation in den Kolonien standen Gouverneure, auf den Marshallinseln ein Landeshauptmann. Ihnen waren Kanzler (zur Vertretung und Rechtspflege), Sekretäre und sonstige Beamte beigegeben.

Die Stationen wurden durch Bezirksamtmänner verwaltet, denen teilweise Nebenstellen unterstanden. Dazu kamen Schutztruppen in Deutsch-Ostafrika, Kamerun und Deutsch-Südwestafrika, militärisch organisierte Polizeitruppen und nach dem Vorbild der Konsulargerichte geschaffene Schutzgebietsgerichte. Ihre oberste Instanz war das Reichsgericht in Leipzig.

Das deutsche Pachtgebiet Kiautschou wurde durch das Reichsmarineamt verwaltet, also nicht wie die Schutzgebiete durch das Auswärtige Amt beziehungsweise das Reichskolonialamt.

Gesellschaftsschutzgebiete

Anfänglich wollte das Reich, dass private Gesellschaften die Gebiete verwalteten. Diese Form der Verwaltung hatte jedoch nur wenige Jahre Bestand, so dass auch die Gesellschaftsschutzgebiete in Ostafrika und im Pazifik in sogenannte Kronschutzgebiete umgewandelt wurden.[1] Die Gebiete Deutsch-Westafrikas standen hingegen von Anfang an unter direkter Verwaltung der Kolonialbehörden.

Literatur

  • Erhard Georg Schippel: Die Stellung der Schutzgebietsgerichte in der deutschen Rechtspflegeordnung. Dissertation, 1909, GoogleBooks

Weblinks

WiktionaryWiktionary: Kolonialbehörde – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen